Pierre von Castelnau

[780] Ist der kristallne Becher ausgeschwenket,

Wer siehts ihm an, ob er mit süßem Wein[780]

Ein Herz entflammt zu süßen Raserein

Und mit Vergessen einen Schmerz getränket?

Ob er mit Gift den Zecher kalt gemacht

Und tieferes Vergessen ihm gebracht?


Die helle Silberwolke wird nicht sagen:

Die Blüten hat mein milder Tau besprengt,

Des Friedens Hütte hat mein Blitz versengt,

Mein Hagel hat im Wald den Lenz erschlagen:

So sieht am Rhonestrom der Wandrer nicht

Aus Peters klarem, heitern Angesicht,

Ob er den Segen in Toulous' gesprochen,

Ob er mit Fluch die Herzen dort gebrochen.


Doch, ist es auch im Antlitz nicht zu schauen,

Der Wandrer kennt des Papstes strengen Boten,

Und als er ihm den Abendgruß geboten,

Eilt er vorbei mit ahnungsvollem Grauen.


Pierr' zieht fort, das Unglück weiter tragend,

Die Ketzer mit dem Banne zu ereilen,

Sein Aug und Ohr ringsum nach Ketzern fragend,

Sein Hals ein Köcher voll von Fluchespfeilen.

Er ist ein Mann von den Unwandelbaren,

Rastlos, verachtend Freuden und Beschwerden,

Rasch, ohne Mitleid, trotzig in Gefahren,

Recht wie sie das Verhängnis braucht auf Erden.


Er wandert rüstig fort am Rhonestrand.

Daß er mit seinem Fluch das Glück zertrümmert

Der Stadt Toulous', den Frommen nicht bekümmert,

Er glaubt sich nur Werkzeug in Gottes Hand.

Kein Zweifel seinen Felsenglauben stört,

Ob Innozenz nicht selbst vielleicht betört,

Der Kirche grimmes Haupt und strenger Rächer,

Die Welt verheert ein heiliger Verbrecher?[781]


»Wohin? wohin? Pierr' von Castelnau!«

Ruft ihm ein Mann, des Weges hergeschritten,

Ein Troubadour, des Lieds und Schwertes froh,

Beim Grafen von Toulouse wohlgelitten.

»Pierr'! ich bin ein Ketzer!« ruft der Wandrer,

»Heraus mit Fluch und Bann! hei! donnre zu!

Doch sind wir nur selbander, ich und du,

Und deiner Sprüchlein achtet hier keiner andrer.

Nur die Natur ist Zeuge deiner Schrecken;

Den Bäumen aber und den frischen Quellen

Wirst du das alte Gastrecht nicht vergällen,

Daß sie die Frucht, den Trunk vor mir verstecken.


O zaubre hier voraus mich in die Tage,

Die jenseits noch jahrhundertbreiter Kluft,

Wo Pfaffenworte eine eitle Sage

Und niemand mehr erschüttern als die Luft.

Versuchs, mit deinem Sturm den Baum zu zwingen,

Daß seine Früchte meiner Hand entspringen

Und von den Zweigen in die Rhone tanzen!

Laß sich vor mir den Quell mit Eis verschanzen!

Versuch es, ob, gehorchend deinem Zorne,

Das Moos mein Haupt zersticht mit scharfem Dorne?


Umsonst! hier steht der alte gute Brauch,

Mehr als dein Wort gilt jeder Windeshauch.

Pierr' von Castelnau! die Vöglein lachen,

Befiehlt dein Bann, daß sie dem Ketzer grollen,

Und wenn mit ihm zu Wald sie Herberg machen,

Daß sie nicht singen und nicht beten sollen!«


So spottend folgt dem Mönche nach der Sänger;

Die Sonne tief im Westen sich verneigt,

Und, unbewegt von seinem kecken Dränger,

Blickt ihn der Mönch verachtend an und schweigt.[782]

Unwert der Antwort dünkt ihm all die Rede,

Hohl wie das murmelnde Gebraus der Rhone;

Der Spötter harrt, daß ihn der Mönch befehde,

Bis wieder er beginnt mit keckem Hohne:

»O Pfäfflein, hüte dich auf diesen Pfaden!

In dein Verderben jagte dich der Papst,

Mit dessen Bann- und Fluchgerät beladen,

Ein Saumtier du durch die Provence trabst.


Ich könnte wohl auf dich den Degen schwingen

Und ein Stück Leid vielleicht der Welt ersparen,

Vielleicht jedoch ihr größres Unheil bringen,

Auch scheut mein Schwert vor deinen grauen Haaren.


Ich warne dich, kehr um, kehr um zur Stelle

Und flieh zurück in deine Klosterzelle,

Statt in der Herberg dort zu übernachten,

Wo sie dir möchten nach dem Leben trachten!«


Da spricht der Mönch gelassen ihm entgegen:

»Nie kehr ich um auf gottgebotnen Wegen.


Und fall ich heute noch in Mörderhände,

Der Tod für Gott ist mein ersehntes Ende.


Du aber kehre um auf deinen Pfaden

Und fleh zu Gott, daß er dich mag begnaden.


Du warnst den Leib, ich warne deine Seele,

Horch auf, daß ich ein Märlein dir erzähle.


Nicht poche drauf, daß die Natur nicht höre,

Wenn ich den Kirchenbann aufs Haupt dir schwöre.


Auf die Natur darf Sünde nicht vertrauen;

Mein Märlein läßt dich in die Zukunft schauen:[783]


Ein Jäger kam vom Wald herausgeschritten,

Da hält ihn ein Zigeuner an mit Bitten:


›Geh, lieber Jäger, schieß uns ein paar Raben,

Weil heute wir noch nichts gegessen haben.


Am Straßenkreuze drüben, in der Gruben,

Dort liegt mein Weib und hungert mit den Buben.‹


Da läßt der Jägersmann drei Pfeile fliegen,

Und unterm Eichenbaum drei Raben liegen.


Und der Zigeuner ist zum Baum gesprungen

Und holt das Wild fürs Weib und für die Jungen.‹


Er wünscht im Lauf dem Weidmann Glück und Segen

Und pflückt die schwarzen Vögel unterwegen.


Ums Feuer jubeln jetzt die braunen Knaben,

Am Eisendrahte braten die drei Raben.


Der sammelt dürre Reiser für die Flamme,

Der bricht ein Stück vom morschen Kreuzesstamme.


Der Alte siehts und dreht die Raben lachend;

Die Mutter schlägt den Schurz, das Feuer fachend.


›Es dämmert schon, mein Junge, heize! heize!

Sieht niemand dich, brich noch ein Stück vom Kreuze.‹


Der Alte sprichts und dreht die Raben lachend;

Die Mutter schlägt den Schurz, das Feuer fachend.


Der Knabe bricht vom Kreuze, wo es modert,

Und wirft das Holz ins Feuer, daß es lodert.


› Brich noch ein Stück, denn köstlich muß geraten

Am Galgenholz der Galgenvogelbraten.‹[784]


Der Alte sprichts und dreht die Raben lachend;

Die Mutter schlägt den Schurz, das Feuer fachend.


Der Rauch steigt auf am Heiland, wie zum Hohne,

Und wirbelt ihm um seine Dornenkrone.


Der Schein des Feuers zittert, wie erschrocken,

Ums bleiche Antlitz, um die blutgen Locken.


Die Raben sind gebraten und verschlungen,

Jetzt wird das Kreuz vom Grunde losgerungen,


Jetzt hat die Nacht geworfen schwarze Schleier,

Der Alte wirft das Kruzifix ins Feuer.


Die Jungen schüren mit geschäftger Hand,

Der Alte spricht hohnlachend in den Brand:


›Die Juden haben dich ans Kreuz geschlagen,

Und die Zigeuner dich ins Feuer tragen.


Wir haben nichts von allen deinen Wunden,

Als daß dein Bild uns wärmet ein paar Stunden.


Nur unser Landsmann lindert unsre Not,

Der älteste Zigeuner nur: der Tod,


Der heimatlos umzieht durch alle Lande

Und spielt sein traurig Lied mit seiner Bande.‹


Jetzt lauscht der Alt' und fragt: ›Hört ihr nicht ächzen

Den Sturm im Wald? – hört ihr nicht Raben

krächzen?‹


Ja! Raben, Raben sinds, die also lärmen,

Sie brausen krächzend rings heran in Schwärmen;


Es rauscht wie Sturm von ihren Flügelstreichen,

Sie hacken die Zigeuner schnell zu Leichen.[785]


Und als vorbei die Leut am Morgen kommen,

So finden sie das Kreuz hinweggenommen.


Die Asche hat der Wind davongetragen,

Vom Sündertrupp weiß ihr Gebein zu sagen.


Doch in den Lüften seht ihr Raben schweifen

Zu Tausenden in zwei gekreuzten Streifen.


Das Kreuz, das frevle Menschenhand vernichtet,

Hat die Natur schwarz in der Luft errichtet.


Daß Christus hat, und auch für sie gelitten,

Hat sie sich eingedenk ins Herz geschnitten.


Hast du den Witz, mein Märlein zu verstehen?

Wie den Zigeunern wird es euch ergehen.


Die Rabendrei, womit sich nährten jene,

Ist euch die Lehre Almerichs von Bene,


Was euch der Meister heillos und verkehrt

Für göttliche Dreifaltigkeit gelehrt.


Ihr wollt mit frecher Lust das Kreuz gefährden,

Das Kreuz wird gegen euch gepredigt werden.


Da werden auf das Wehgeschrei der Frommen

Zu Tausenden die wilden Raben kommen,


Ein brausendes Gesindel wird sich scharen,

Und mordend wird es auf euch niederfahren.


Raubgier und Rache, Lust zu Abenteuern

Wird gegen euch ein grimmes Heer befeuern.


Der Glaube, daß hier jede Schuld sich sühne,

Bevölkert rasch des Mordens weite Bühne.


Dann wird zerfallen manches Menschenreich,

Dann wird dies Land von Blut und Tränen weich;[786]


Dann wird dies Land von Gottes Strafgewittern

Als wie ein rotes Blatt im Herbste zittern.


Du eile, deinen Frevelwahn zu büßen,

Wirf weinend dich dem nächsten Kreuz zu Füßen


Und bete, leide, ringe deine Hände,

Daß Christus seinen Trost ins Herz dir sende.


Dann wird der Fluch von deinem Haupt gewandt,

Durch den du bist verworfen und gebannt!« –


Der Troubadour antwortet dem Legaten:

»Dein Märlein, Freund, ist schier zu lang geraten;

Wohl ist was Schauerliches drin zu spüren,

Soweit es mein zerstreuter Sinn verstanden;

Doch wirds mich nicht auf andre Wege führen

Und nicht verstricken mich in euren Banden.


Die Sonn ist ab, es dunkelt schon die Nacht,

Und noch ein volles Stündlein bring ich zu,

Bis meinem Lied die frohe Runde lacht

Beim süßen Becher Weines von Limoux,

Bis mich noch süßre Frauenblicke laben

Und ich vergesse dich und deine Raben;

Indes vielleicht das Leben dir entfloh.

Fahr wohl! fahr wohl! Pierr' von Castelnau!« –


Wie jetzt der Sänger sich gewendet schnell,

Ertönt die kleine Harfe lieblich hell,

Die hangend er an seiner Schulter trägt,

Und heimlich fühlt der Mönch sein Herz bewegt.

Wars noch ein Hauch der süßen Lebenslust,

Den dieser Klang geweckt in seiner Brust?

Wars dunkle Wehmut? – selber weiß ers nicht,

Der rauh sein Herz gemahnt an strenge Pflicht.

Schon ist, erschrocken, wieder todesstill,

Was sich im Herzen irdisch regen will.[787]

Er blickt seitab und spricht kein Scheidewort,

Und finster zieht er seines Weges fort.


Er überdenkt getreu in seiner Seele

Des Papstes Vollmacht, Lehren und Befehle,

Zu lösen überall im ganzen Lande

In Papstes Namen die Vasallenbande,

Die an den Grafen von Toulouse heften,

Und alle Lehenseide zu entkräften.

Wer Harnisch trägt, und wer den Bürgerrock,

Burgherrn und Grafen, Ritter und Barone,

Herab bis auf den letzten Mann der Frone,

Und wer noch sonst im Lande Languedoc

Dem Grafen von Toulouse zahlt und ficht –:

Sind los des Eides, ledig ihrer Pflicht.


Des Papstes jede Miene, jedes Wort

Hat Petrus ins Gedächtnis sich gebohrt.

Als Innozenz geboten ihm zu scheiden,

Sprach er: »Sei fest bei Raimunds Angst und Leiden,

Sei unerschütterlich bei seinem Weh.

Brand wird mit Glut geheilt, der Frost mit Schnee,

So trinke denn Raimund, der Eidebrecher,

Zu seinem Heil des Treubruchs bittern Becher.

Er hat der Kirche Treue zugeschworen

Und ist das Haupt der Sünder und der Toren;

Er soll, wie er der Kirche abgefallen,

Verlassen sein von Freunden und Vasallen.«


Und eisern stand der Mönch und sah erbleichen,

Dem bleichsten Toten gleich, den stolzen Grafen,

Als ihn der Kirche Donnerworte trafen

Und er gezittert unter ihren Streichen.


Schon sieht Raimund mit kummervollem Blicke,

Wie zagend rings ihn Freunde selbst verlassen,

Preisgebend ihn furchtbarem Kampfgeschicke,[788]

Das ihn umzieht in schwarzen Wettermassen.

Schon sieht er fliehend flattern ihre Fahnen

Vor Kirchenbanns gewaltigen Orkanen;

Sie fliehn, gleich sturmverschlagnen Schmetterlingen,

Dahin, kein Ruf kann sie zurück mehr bringen.


Bei Mondschein ist der päpstliche Legat

Der Herberg an der Rhonefurt genaht.

Er pocht um Einlaß an das stille Haus,

Und öffnend tritt der scheue Wirt heraus.

Der sieht, beleuchtet von des Mondes Strahlen,

Den rauhen Mönch, barfüßig in Sandalen

Und im Habit des Ordens von Zisterz;

Da wird dem Mann beklommen um das Herz.

Er hat den Gast, so herb und unwillkommen,

Aus Furcht nur vor der Kirche aufgenommen.


Der Wirt, ein Ketzer, grüßt ehrfürchtig zagend

Und führt den Gast in seine beste Stube,

Nur nötige und kurze Rede wagend,

Wo ihn ein Wort kann stürzen in die Grube.

Er eilt, dem Mönch die Mahlzeit aufzutischen,

Und wünscht ihm ›gute Nacht‹ in schweren Sorgen,

Entschuldigend, er habe Gäste morgen

Und müsse nachts noch in der Rhone fischen.


Der Fischer warf die Netze in die Flut;

Doch wenig denkt er an beglückten Fang,

Der Zukunft nur gedenkt er schwer und bang,

Die ob dem Lande schwebt in schwüler Brut.

Er starrt hinaus, vergessend seiner Netze,

Und bei der Büsche sausendem Geschwätze

Und bei der Wellen dumpfem Murmelschlage

Wird noch unruhiger des Herzens Frage;

Denn ein bekümmert Herz wird es noch mehr,[789]

Wenn viele Stimmen plaudern rings umher,

Doch teilnahmlos und nur von andern Dingen,

Als die das Herz um seine Ruhe bringen.


Nun aber hört er hinter sich im Hause

Den alten Mönch mit lauter Stimme beten,

Und was dem Ohr die Winde nicht verwehten,

Erfüllt das Herz mit ahnungsvollem Grause.

Und jetzt der Mönch am offnen Fenster singt,

In Liedern kühlt er seiner Seele Brand,

Der Bußgesang in düstern Weisen klingt

Hinaus ins mondbeglänzte schöne Land.

Provence! hörst du deine Nachtigall? –

Bald wird dich solch Gevögel überschwärmen,

Bald werden sie zu Tausenden hier lärmen,

Und viele Tränen locken wird ihr Schall;

Dann werden auch die Rosen aus nicht bleiben,

Sie werden überall hier blutig treiben.


Ein karges Mahl, ein feuriges Gebet

Und kurzen Schlummer hielt der Kirche Streiter

Und als der Hahn die Morgenstunde kräht,

Erhebt der Mönch sich rasch und wandert weiter.


Der Regen strömt vom Himmel, rings umzogen,

Und wandernd spricht der Priester seine Messe;

Die Rhone rauscht in hochgeschwellten Wogen,

Die Schwalbe fliegt und zwitschert durch die Nässe.


Pierr' das Pferdgetrappel nicht beachtet,

Das hinter ihm erschallt und näher trachtet.

Da ruft ein Mann: »Toulous'!« und in die Seite

Stoßt er dem Mönch den Speer und sucht das Weite.

Hinstürzt Pierr' und stirbt; sein heißes Blut

Strömt fort, gewässert von der Regenflut;[790]

Doch wird dies Blutmal in ein Herz sich prägen,

Wo es verwaschen kann kein Regen.

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 780-791.
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