Görg


[617] Schenke am Meeresstrand.

Faust, Mephistopheles, Görg, Michel, Kurt, Hans und andere Matrosen, Dirnen, Spielleute u.a.


KURT.

Das Schiff ist hin, doch nur mit Maus,

Der Mann schwamm glücklich noch hinaus.

MICHEL.

Fragt keiner mehr nach unserm Kapitäne?

HANS.

Was ließ er sich auch handumkehr

Bordüber schmeißen in das Meer?

Mit seiner harten Zucht und weichen Träne!

GÖRG.

Wie so der Tod, der Jägerschuft,

Mit seinem Hund, dem Sturm, gebirscht,

Wie's Wolkenbüchslein blitzt' und pufft',

Der Hund so wild herumgeschnufft,

Wart ihr doch alle recht zerknirscht?

KURT.

Das war denn auch ein schlechter Spaß,

Ich war bis in die Seele naß,

Ich war so naß und durchgeweicht,

Daß ich mich sehnte nach der Beicht.

GÖRG.

Da lagt ihr mit geduckten Stirnen,

Gelobtet Messen, reine Sitten;

Nun in den Armen dieser Dirnen

Scheint ihrs dem Teufel abzubitten.[617]

MICHEL.

Schlich dir nicht auch, trotz deinem Trotz,

Du harter, kalter Felsenklotz,

So ein Gebetlein in den Bart?

GÖRG.

Dafür bin ich zu kalt, zu hart.

Ich bete nichts, ich bitte nichts,

Wills nimmer halten, ei, so brichts!

HANS.

Sag, Görg, hast du auch nicht geflucht?

GÖRG.

Ich bete nie, drum fluch ich nie,

Sing stets nach einer Melodie,

Im offnen Sturm, in stiller Bucht.

HANS.

Mehr ist der Fluch der Seele wert,

Als für die Faust ein scharfes Schwert.

GÖRG.

Der Lebensgang ist Schlachtengang,

Drum juble nicht und sei nicht bang.

Zieht der geschloßne Reitertroß

Just über dich mit Tritt und Stoß,

Zerschmettert er dir auch ein Bein,

So sollst du nicht der Bube sein,

Der auf dem Schlachtfeld keifend huckt,

Den Rossen nach den Hufen spuckt.

KURT eine Dirne im Arm.

Umschlinge mich mit deinen warmen

Und wonnereichen Liebesarmen![618]

Viel Leben hat die lange Fahrt

Für diese Stunde aufgespart.

Das Waldesgrün, der Vogelsang

Und all der süße Frühlingsdrang

Blieb mir verloren und versäumt,

Wo nur die kalte Woge schäumt

Und Sterbelieder singt der Wind.

Die Erd und ihre ganze Lust

Drück ich in dir an meine Brust,

Umarme mich, du süßes Kind!

MICHEL zu Görg.

Was hältst du, Mann des weisen Spruchs,

Von dieser Dirne vollem Wuchs?

GÖRG.

Ein Dirnlein frisch, ein Becher Sekt

Nicht minder wohl als euch mir schmeckt.

Den leichten Schwarm der Sorgenmücken

Ersäuft der Wein, das Freudenmädel

Dient eben mir als Mückenwedel,

Doch nicht zu lärmendem Entzücken.

MICHEL.

Wirt! noch zwölf Flaschen Fliegengift,

Nur daß er mir das stärkste trifft.

Wirt, schenk er auch den Fiedlern ein!

Ihr lasset eure Geigen klingen,

Frisch aufgespielt, damit wir fein

Im Takt die Fliegenwedel schwingen!

GÖRG.

Komm her, du mein nußbraunes Schätzel,

Reich mir zum Tanz dein weiches Tätzel;

Ein artig Kind! Wie heißt du doch?[619]

DIRNE.

Suschen, mein lieber Schiffsgesell;

Dreh mich nur nicht herum so schnell.

GÖRG.

Wir werden schon bekannter noch.

MEPHISTOPHELES flüsternd zu einer Dirne.

Gedenkst du noch des Pfaffen, der vor Jahren

Als Buhle dein mit dir herumgefahren?

Soeben sank der arme Schalk ins Meer.

DIRNE.

Mein alter Schatz ertrank? – bedaure sehr!


Sie tanzt weiter.


SUSCHEN zu Görg.

Du rührst dich selbst vom Flecke kaum

Und drehst und schwingst und tummelst mich,

Ich gaukle auf und nieder dich,

Wies Eichhörnlein am Eichenbaum.

KURT.

So heiser auch die Geigen tönen,

Ists doch ein lieblicher Gesang,

Vergleich ich das dem Windesstöhnen,

Dem Schrei bei Schiffesuntergang.

HANS zu seiner Tänzerin.

Du dickes Teerfaß, rühr dich fein,

Sonst schlag ich dir die Dauben ein![620]

KATHE.

So laß mich los, du toller Schuft!

So laß mich schnappen nur nach Luft!

HANS.

Fort, fort, mein Schweinchen, ohne Rast!

Der Walzer, Kind, ist keine Mast;

Ich will von deinem lieben Ranzen

Ein bissel dir heruntertanzen.

KATHE.

Weh mir! helft mir von diesem Flegel!

HANS.

Du keuchst wie ein zerrißnes Segel,

Ein kleines Weilchen, dicke Seele,

Erlaube, daß ich dich noch quäle.

GÖRG setzt sich mit seiner Tänzerin an Fausts Tisch.

Komm, Kind, und laß dein Blut verwallen,

Setz dich zu mir.


Zu Faust.


Euch trink ichs zu!

FAUST.

Ich fand an dir ein Wohlgefallen,

Stoß an, mein wackrer Bruder du!

Du sprachst zuvor ein tüchtig Wort

Vom Leben; Bruder, fahre fort,

Erzähle weiter mir ein Stück,

Was du vom Leben hältst und seinem Glück?

GÖRG trinkend.

Sie haben mich stockfinstrer Nacht

In diese Welt hereingebracht,[621]

Ich weiß kein Wort, auf welchen Wegen,

Ist just auch nichts daran gelegen.

Nun bin ich da, hab meinen Platz,

Der ist gut gnug, ist grade recht,

Denn daß ich nach dem Busenlatz

Fortunas schiel, ist mir die Welt zu schlecht.

FAUST.

Sag an, glaubst du an einen Gott?

GÖRG.

Du zeigtest dich im Sturme fest,

Drum sichs mit dir verkehren läßt,

Sonst schickt ich dich jetzt heim mit Spott.

Ich glaube – Kameradenwort,

Bei gutem Wind wohl an den Port,

Ich glaube, daß ein Schiff versinkt,

Wenn es zuviel Gewässer trinkt,


Er trinkt.


Wie selber ich zu Boden sänke,

Wenn ich zuviel vom Weine tränke;


Er küßt seine Dirne.


Ich glaub an diesen süßen Kuß;

Ich glaube, daß ich sterben muß.

FAUST.

An Gott vor allem glaubst du nicht?

GÖRG.

Ich schaute nie sein Angesicht,

Niemals mir seine Stimme klang;

Wenn er von mir was haben will,

So blieb er nicht so mausestill,

So gab er mir ein Zeichen lang.[622]

FAUST.

Gab er dir nicht in Berg und Tal,

In blauer Luft, in Wetterstreichen,

Im großen Meer, im Sternenstrahl,

Daß er da herrscht, ein starkes Zeichen?

GÖRG.

Soll all das mir zum Zeichen frommen,

So muß er früher selber kommen,

Daß ich von ihm erst fassen lerne:

Was sagt: Berg, Tal, Luft, Meer und Sterne?

Das alles ist mir vorderhand

Nur eben Stern, Luft, Meer und Land.

Was ich nicht fasse und verstehe,

Darf nicht dem Herzen in die Nähe.

MEPHISTOPHELES.

Ihr mochtet wohl in frühern Zeiten

Durch goldne Weizenfelder schreiten;

Saht Ihrs auch an den Ährenwogen.

Daraus wird Branntwein abgezogen?

So seht Ihrs Berg und Tal nicht an

Und nicht der Luft, dem Ozean

Und nicht dem vollen Firmament,

Was draus der Mensch für Geister brennt.

Man hat daraus hervorgebracht

Den Wunderschnaps, die Trinität,

Der mit betäubend süßer Macht

Dem Menschenvolk zu Kopfe geht.

Tut einen herzhaft starken Zug

Vom dreimal abgezognen Geist,

Gebt acht, wie Euch im Taumel kreist

Das schwache Haupt, Ihr habt genug.

Das ist ein tiefer Rausch, den man

Im Grabe kaum verschlafen kann.[623]

Seht meinen Freund hier, Doktor Faust,

Wie hat er doch im Schiffe neulich,

Als da der tolle Sturm gehaust,

Auf seinen Gott gezankt so greulich!

Das war, verlaßt Euch drauf, mein Lieber,

Noch immer was vom Glaubensfieber,

Es war der Seele krankhaft Rütteln,

Den alten Rausch hinauszuschütteln.

FAUST.

Ein Herz hat Ruh, das nie geglaubt;

Und glücklich, wen die böse Stunde,

Die seines Glaubens ihn beraubt,

Gleich drauf verscharrt im Grabesgrunde!

GÖRG.

Noch wankt es unter deinem Fuß,

Hast keinen festen, sicheren Genuß.

Pflück ich ein Weib, macht mirs mehr Skrupel nicht,

Als ich brech dieser Flasche hier den Kragen;

Mein Liebsgenuß ist große Zuversicht,

Mein Trinken unverwüstliches Behagen.

FAUST.

Glückselig ist, wer unerwacht

Hinüberträumt in jene Nacht,

Wem noch ein gläubiges Gebet

Wie Frühlingsluft von dort – sein Licht ausweht.

GÖRG.

Mein edler Freund, ich glaube fast,

Daß du zuviel getrunken hast,

Zwar nicht vom Wein, den wie ein Krankes

Du kaum benippt hast und berochen,

Wohl aber jenes Wundertrankes,

Von dem dein Kamerad gesprochen.[624]

FAUST.

Der Seligste von allen ist,

Wer schon als Kind die Augen schließt,

Wes Fuß nie auf die Erde tritt,

Wer von der warmen Mutterbrust

Unmittelbar und unbewußt

Dem Tode in die Arme glitt!

GÖRG.

Schon bricht die wilde Lust die letzten Schranken;

Die Kerle toben hier so freudengrimmig,

Dabei so ungeschlacht und bärenstimmig,

Man überhört die eigenen Gedanken.

LIESCHEN die schönste Dirne, zu Faust.

Ihr seid ein herrlicher Mann, o führt

Zum Tanz mich, dem schönsten in meinem Leben!

Leicht werd ich und flüchtig und ungespürt

Wie die Stunde des Glückes dahin Euch schweben.

O freue dich! höre die lustigen Geigen!

Umschlinge mich, Schönster, zum seligen Reigen!

FAUST.

Laß ab von mir, ich tanze nicht;

Mach kein so lustiges Gesicht,

In deinem Auge steht es klar,

Daß deine ganze Lust nicht wahr;

Im tiefsten Aug der trübe Schatten,

Den mir kein Lächeln täuschend lichtet,

Das ist das dunkle Bild vom Gatten,

Vom Mutterglück, das du vernichtet.

Was dich in meine Nähe trug,

Das war vielleicht Verwandtschaftszug;

Wir beide traten auf der Reise[625]

Keck aus dem vorgebahnten Gleise,

Denn was dem Mann Erkenntniskraft,

Ist für das Weib die Mutterschaft;

Faßt er damit getrost ein kleines Stück

Der großen Welt, ward er zum Heil geboren;

Sie faßt die ganze Welt im Mutterglück,

Und tut sie's nicht, ist sie verloren.

KURT.

Hurra! so hab ich keine noch durchwacht,

O lebensheiße, volle, starke Nacht!

MICHEL Kurt umarmend.

Du bist der Tollste von uns allen,

O laß mich um den Hals dir fallen.

GÖRG.

Faust, bist du denn ein Weiberfeind?

Das schöne Kind kam dir mit feiner Art,

Du stießest sie zurück so schnöd und hart,

Dort steht sie nun im Winkel still und weint.

Daß sie nun weint, kann mich nicht rühren,

Das Mädel hat in dieser Stund

So viel gejubelt ohne Grund,

Mag sie nun auch zum Wechsel Tränen führen.

Doch hast du etwa einen Keuschheitspakt,

So fänd ichs albern, Freund, und abgeschmackt.

FAUST.

Ich habe auf der See die langen Tage

Mir überdacht des Lebens manche Frage,

So konnt ich auch die Liebeslust bedenken,

Und mag damit nicht weiter mich befassen.

Die Lust soll sich der Stolz nicht schenken lassen[626]

Von der Natur, auch wenn sie wollte schenken;

Doch will sie nicht, es ist ein Mäklergeist,

Der überall genau sie rechnen heißt;

Wer ihr die Liebeslust nicht unverdrossen

Heimzahlt in treuer Sorge für die Sprossen,

Hat sie geprellt und muß bezahlen

Die Mahnerin mit Herzensqualen.

Nun bin ich dieses Handels quitt,

Der ich für die gebrochne Treue

Verdruß genug im Herzen litt,

Bis ich den Jammerbalg erschlug, die Reue.

MEPHISTOPHELES.

Mein Faust, der ist gedankenkrank;

Doch ist sein schwarzer Predigerschwank

Für Schenken schlechter Zeitvertreib.

Erst lag in Metzenaugen Trauerspur,

Nun läßt er gar hausieren die Natur

Mit Liebeslust als Krämerweib.

GÖRG.

Ei was Natur! wer ist denn die?

Wo steckt sie denn? Ihr saht sie nie;

Auch so ein abgezogner Geist,

Der Euch im trunknen Kopfe kreist?

MEPHISTOPHELES zu Görg.

Längst hätt ich gern, doch wagt ichs nicht,

Euch meine Freundschaft angetragen.

GÖRG.

Ihr seid mir der fatalste Wicht,

Der mir vorkam in meinen Tagen!


Zur Dirne.


Komm, Mädel, tanzen wir eins rum![627]

DIRNE.

Bin froh, schon ward mir angst und bang

Vor eurem ernsthaften Gebrumm;

Gescheiter ist der Fiedelklang.

FAUST.

Der Görg da sprach so manches Wort,

Das mich beschäftigt fort und fort.

Ein voller Mann! er steht so fest,

Ob Gott ihn und Natur verläßt. –

Nun will ich in die Nacht hinaus,

Zu laben mich am Sturmgebraus.


Geht ab.


HANS.

Seht nur den Kurt an, wie er tollt!

Er dreht die Dirne unter Küssen,

Er drückt sie jubelnd an das Herz

Und stampft die Erd, ob er sie wollt

Wegstoßen unter seinen Füßen

Und jauchzend fliegen himmelwärts.

KURT.

O schönes Kind! so tanzt ich ewig gerne!

O süßes Kind! dich lieb ich ungeheuer!

O könnte doch mein wildes Liebesfeuer

Zusammenschmelzen uns zu einem Sterne,

Der freudestrahlend durch die Himmelsweiten

Hinraste tanzend alle Ewigkeiten![628]

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 617-629.
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