Erste Szene


[331] Robert Hot spaziert mit der Flinte vor dem Palast auf und ab. Es ist Nacht. In dem einen Flügel des Palasts schimmert hinter einer roten Gardine ein Licht durch.


ROBERT. Da steck ich nun im Musketierrock, ich armer Proteus. Habe die Soldaten und ihre Knechtschaft und ihre Pünktlichkeit sonst ärger gehaßt wie den Teufel! – Ha! was täte man nicht um dich, Armida? Es ist kalt. Brennt doch ein ewigs Feuer in dieser Brust, und wie vor einem Schmelzofen glüh ich, wenn ich meine Augen zu jenen roten Gardinen erhebe. Dort schläft sie, dort schlummert sie jetzt vielleicht. O, der Kissen zu sein, der ihre Wange wiegt! – – Wenn der Mond, der so dreist in ihr Zimmer darf, sie weckte, wenn er sie ans Fenster führte! – Götter! – – – Mein Vater kommt morgen an, mich nach England zurückzuführen – Komm, schöne Armida, rette mich! laß mich dich noch einmal demütig anschauen, dann mit diesem Gewehr mir den Tod geben; meinem Vater auf ewig die grausame Gewalt nehmen, die er über mich hat. Mich nach England zurückführen! mich zu den öffentlichen Geschäften brauchen! mich mit Lord Hamiltons Tochter verheuraten. Schlägt auf sein Gewehr. Kommt nur! Eher möchtet ihr mich mit dem Teufel verheuraten. Geht lange stumm auf und ab. O wie unglücklich ist doch der Mensch! In der ganzen Natur folgt alles seinem Triebe, der Sperber fliegt auf seine Beute, die Biene auf ihre Blume, der Adler in die Sonne selber – der Mensch, nur der Mensch – – Wer will mir's verbieten? Hab ich nicht zwanzig Jahre mir alles versagt, was die Menschen sich wünschen und erstreben? Pflanzenleben gelebt, Steinleben? bloß um die[331] törichten Wünsche meines Vaters auszuführen; alle sterbliche Schönheit hintan gesetzt und wie ein Schulmeister mir den Kopf zerbrochen; ohne Haar auf dem Kinn wie ein Greis gelebt, über nichts als Büchern und leblosen, wesenlosen Dingen, wie ein abgezogner Spiritus in einer Flasche, der in sich selbst verraucht. Und nun, da ich das Gesicht finde, das mich für alles das entschädigen kann, das Gesicht, auf dem alle Glückseligkeit der Erde und des Himmels, wie in einem Brennpunkt vereinigt, mir entgegen winkt, das Lächeln, das mein ganzes unglückliches, sterbendes, verschmachtendes Herz umfaßt und meinen ausgetrockneten, versteinerten Sinnen auf einmal zuzuwinken scheint: Hier ist Leben, Freude ohne Ende, Seligkeit ohne Grenzen – Ach! ich muß hinauf – so wahr ein jeder Mensch einen Himmel sucht, weil er auf Erden nicht zufrieden werden kann.


Er schießt sein Gewehr ab, das Fenster öffnet sich, die Prinzessin sieht heraus.


ROBERT kniet. Sind Sie's, göttliche Armida? – O zürnen Sie nicht über diese Verwegenheit! Sehen Sie herab auf einen Unglücklichen, der zu sterben entschlossen ist und kein anderes Mittel wußte, Sie vor seinem Tod noch einmal zu sehen, Ihnen zu sagen, daß er für Sie stirbt. Die Sonne zürnt nicht, wenn ein dreister Vogel ihr entgegen fliegt und, von ihrem Glanz betäubt, sodann tot herab ins Meer fällt.

ARMIDA. Wer spricht dort mit mir?

ROBERT. Erlauben Sie mir, daß ich herauf komme, Ihnen meinen Namen zu nennen, meine Geschichte zu erzählen. Das tote Schweigen der Natur und die feierliche Stille dieser meiner Sterbestunde flößt mir Mut ein. Ich gehe zum Himmel, wenn es einen gibt, und einem Sterbenden muß alles erlaubt sein. –


Will aufstehen.


ARMIDA. Verwegner! Wer seid Ihr?

ROBERT. Ich bin ein Engländer, Prinzessin; bin der Stolz und die Hoffnung meines Vaters, des Lord Hot, Pair[332] von England. Auf der letzten Maskerade bei Hof hab ich Sie gesehen, hab ich mit Ihnen getanzt; Sie haben es vergessen, ich aber nicht. Ich kann und darf nicht hoffen, Sie jemals zu besitzen, doch kann ich nicht leben ohne diese Hoffnung. Morgen kommt mein Vater an und will mich nach England zurückführen und mit Lord Hamiltons Tochter verheuraten. Urteilen Sie nun, wie unglücklich ich bin. Er darf's nicht wissen, daß ich Soldat bin, sonst kauft er mich los; und wo denn Schutz finden, was denn anfangen, wenn mich dieser heilige Stand vor ihm und Lord Hamilton nicht mehr sicher stellen kann? – Bedauern Sie mich, Prinzessin; ich sehe, ich sehe das Mitleid aus Ihren schwarzen Augen zittern; ich kann diesen süßen Seufzer mit meinen Lippen auffangen, der ihren Busen mir so göttlich weiß entgegen hebt. – O in diesem Augenblick zu sterben ist alle Glückseligkeit des Lebens wert.

ARMIDA. Mein Herr! ich sehe wohl, daß Sie was anders sind, als Sie zu sein scheinen – daß Sie Bedauern verdienen – Sind Sie damit zufrieden, wenn ich Sie bedauere? Ist Ihnen diese Versicherung nicht genug, so bedenken Sie doch, daß mehr verlangen, mein Unglück verlangen hieße.

ROBERT. Ach, schöne Prinzessin! nichts als bedauren? Und wenn auch das Sie nicht glücklich macht, so will ich den Urheber Ihres Unglücks strafen. Springt auf, nimmt sein Gewehr wieder und geht herum.


Die Runde kommt.


ROBERT. Wer da?

RUNDE. Runde!

ROBERT. Steh, Runde!


Heimlich mit dem Major.


MAJOR laut. Was ist vorgegangen, daß Ihr geschossen habt?

ROBERT. Ich habe einen Deserteur ertappt.

MAJOR. Es hat doch niemand beim Appell gefehlt. Wer war's?[333]

ROBERT. Ich.

MAJOR. Kerl, habt Ihr den Verstand verloren? Löst ihn ab, führt ihn in die Hauptwache.

Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 331-334.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Holz, Arno

Phantasus / Dafnis

Phantasus / Dafnis

Der lyrische Zyklus um den Sohn des Schlafes und seine Verwandlungskünste, die dem Menschen die Träume geben, ist eine Allegorie auf das Schaffen des Dichters.

178 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon