Zweite Szene


[335] Roberts Gefängnis. In der Dämmerung.


ROBERT spielt die Violine und singt dazu.

So geht's denn aus dem Weltchen 'raus,

O Wollust, zu vergehen!

Ich sterbe sonder Furcht und Graus,

Ich habe sie gesehen.

Brust und Gedanke voll von ihr:

So komm, o Tod! ich geige dir;

So komm, o Tod! und tanze mir.


Nur um ein paar Ellen hätt ich ihr näher sein sollen, ihre Mienen auf mich herabscheinen zu sehen – ihren Atem zu trinken – Man muß genügsam sein – Das Leben ist mir gut genug worden, es ist Zeit, daß ich gehe, eh es schlimmer wird. Spielt wieder.


O Wollust – o Wollust, zu vergehen!

Ich habe – habe sie gesehen.


Die Prinzessin von Carignan tritt ins Gefängnis, verkleidet als ein junger Offizier. Ihr Bruder als Gemeiner.


ROBERT. Himmliches Licht, das mich umgibt!


Läßt die Geige fallen, kniet.


PRINZESSIN. Stehen Sie auf, mein Herr! ich bring Ihnen Ihr Urteil – Ihre Begnadigung vielmehr. Ich war die Ursache[335] der unglücklichen Verirrung Ihrer Einbildungskraft, ich mußte dafür sorgen, daß sie nicht von zu traurigen Folgen für Sie würde. Sie werden nicht sterben. Stehen Sie auf.


Als ob sie ihn aufrichtete.


ROBERT bleibt kniend. Nicht sterben? und das nennen Sie Gnade! – Oft ist das Leben ein Tod, Prinzessin, und der Tod ein besseres Leben.

PRINZESSIN. Das Leben ist das höchste Gut, das wir besitzen.

ROBERT. Freilich hört mit dem Tod alles auf, aber im höchsten Genuß aufhören, heißt tausendfach genießen. Gönnen Sie mir dieses Glück, Prinzessin, Ihr einen Dolch reichend, der auf einem Sessel liegt. lassen Sie mich den Tod aus diesen Händen nehmen, von denen er mir allein Wohltat ist. Ich will meinen entfliehenden Atem in diese Hände zurückgeben, die ihn schon lange gefesselt hatten, die zu berühren meine scheidende Seele schon tausendmal auf meinen Lippen geschwebt ist.

PRINZESSIN setzt sich. Mein Freund! – Knöpft sich ein Armband ab. hier haben Sie etwas, das Ihnen das Leben angenehmer machen soll; nehmen Sie es mit in Ihre Gefangenschaft, versüßen Sie sich die Einsamkeit damit; und bilden Sie sich ein, daß das Urbild von diesem Gemälde vielleicht nicht so fühllos bei Ihren Leiden würde gewesen sein, als es dieser ungetreue Schatten von ihm sein wird. Gibt ihm das Porträt und eilt jählings ab.

ROBERT in die Knie sinkend, das Bild am Gesicht. Ach, nun Ewigkeiten zu leben! – – mit diesem Bilde! – – Wesen! wenn eins da ist, furchtbarstes aller Wesen! könntest du so grausam gegen einen handhohen Sterblichen sein und mir dies im Tode nehmen – Wenn ein Leben nach dem Tode wäre – dies ist das erstemal, daß mich der Gedanke bei den Haaren faßt und in einen grauenvollen Abgrund hinabschüttelt – Ein Leben nach dem Tode, und ohne sie – Nein, sie wußte, was sie mir brachte, Leben und ihr Bild. Es ist ihr dran gelegen, daß[336] ich sie nicht aus diesem Herzen verliere, und wenn ich verginge, verging ein Teil ihres Glücks mit. Ich will also die Begnadigung um ihretwillen annehmen. Steht auf, nimmt das Urteil von dem Tisch und liest. » ... in eine lebenslängliche Verweisung auf die Festung.« Lebenslänglich! das ist genug – aber sie wird vor mir stehn, ihre Hand wird mir den Schweiß von der Stirne trocknen, die Tränen von den Backen wischen – die Augen mir zudrücken, wenn ich ausgelitten habe. Überall werd ich sie hören, sie sehen, sie sprechen, und die Kette, an der ich arbeite, wird ihre Kette sein. Fährt zusammen. Wen seh ich! Der alte Lord Hot tritt herein.

LORD. Unwürdiger! ist das der Ort, wo ich dich anzutreffen hoffte?

ROBERT fällt ihm zu Füßen, eine Weile stumm. Lassen Sie mich zu mir selber kommen, mein Vater –

LORD hebt ihn auf und umarmt ihn. Armer, wahnwitziger, kranker Schulknabe! du ein Pair im Parlement? –

ROBERT. Hören Sie mich an –

LORD. Ich weiß alles. Ich komme von der Prinzessin von Carignan. Robert zittert. Du hast die Dame unglücklich gemacht, sie kann es sich und ihren Reizungen nicht verzeihen, einen Menschen so gänzlich um seinen Verstand gebracht zu haben, der jung, hoffnungsvoll, in der Blüte seiner Jahre und Fähigkeiten, seinen Vater und Vaterland in den größten Erwartungen hintergeht. Hier ist deine Befreiung! Willst du der Prinzessin nicht auf ewig einen Dorn in ihr Herz drücken, so steh auf, setz dich ein mit mir und kehr nach England zurück.

ROBERT eine Weile außer Fassung, dann fährt er plötzlich nach der Ordre in des Vaters Händen und will sie zerreißen.

LORD. Nichtswürdiger! – deine Begnadigung! –

ROBERT. Nein, die Begnadigung meiner Prinzessin war viel gnädiger. Ich habe die Festung verdient, weil ich mich[337] unterstanden, ihre Ruhe zu stören. Aber ich blieb ihr nah; derselbe Himmel umwölbte mich, dieselbe Luft wehte mich an – es waren keine Länder, kein ungetreues Meer zwischen uns; ich konnte wenigstens von Zeit zu Zeit Neuigkeiten von ihr zu hören hoffen – Aber nun auf ewig von ihr hinweggerissen, in den Strudel der öffentlichen Geschäfte; vom König und Ihnen und Lord Hamilton gezwungen, in den Armen der Lady Hamilton – sie zu vergessen! – Behalten Sie Ihre Begnadigung für sich und gehen in die Wälder, von wilden Tieren Zärtlichkeit für ihre Jungen zu lernen.

LORD. Elender! so machst du die menschenfreundlichsten Bemühungen zu nichte und stößest die Hände, die dich von dem Sturze des Abgrundes weghaschen wollen, mit Undankbarkeit von dir. Wisse! es ist nicht meine Hand, die du zurückstößt, es ist die Hand deiner Prinzessin selber. Sie hat dir diese Befreiung ausgewirkt, und damit sie deine unsinnige Leidenschaft durch diese Großmut nicht nährte, hat sie mich gebeten, ihr meinen Namen dazu zu leihen, hat sie sich gestellt, dir eine zweideutige Begnadigung ausgewirkt zu haben, um sich dadurch in deiner Phantasei einen widerwärtigen Schatten zu geben. Aber deine Raserei ist unheilbar; wenigstens zittre, ihren großmütigen Absichten entgegen zu stehen, und wenn du nicht willst, daß sie dich als den Störer ihres ganzen Glücks auf ewig hassen soll – flieh! sie befiehlt es dir aus meinem Munde. –

ROBERT lange vor sich hinsehend. Das ist in der Tat fürchterlich! diese Klarheit, die mich umgibt und mir die liebe Dunkelheit, die mich so glücklich machte, auf immer entreißt. Also die Prinzessin selber arbeitet dran, daß ich fortkomme, daß ich nach England gehen und sie in den Armen einer andern auf ewig vergessen soll.

LORD. Sie hat mich in ganz Turin aufsuchen lassen, da sie unter der Liste der Durchreisenden meinen Namen gefunden.[338] Sie muß von meiner Ankunft unterrichtet gewesen sein.

ROBERT. Das ist viel Sorgfalt für mein Glück, für meine Heilung. – Ich bin freilich ein großer Tor – Aber wenn Sie sie gesehn hätten, Lord Hot – und mit meinen Augen –, das erstemal, als ich sie auf der Maskerade sah – wie sie so da stand in ihrer ganzen Jugend und alles um sie lachte und gaukelte und glänzte, die roten Bänder an ihrem Kopfschmucke von ihren Wangen die Röte stahlen, die Diamanten aus ihren Augen das Feuer bettelten und alles um sie her verlosch und man wie bei einer göttlichen Erscheinung für die ganze Natur die Sinne verlor und nur sie und ihre Reize aus der weit verschwundenen Schöpfung übrig behielt. Und was für ein Herz diese Schönheit bedeckt. Jedermann in Turin kennet sie, jedermann spricht von ihr mit Bewunderung und Liebe. Es ist ein Engel, Lord Hot! ich weiß Züge von ihr, die kalte Weltweise haben schauernd gemacht. – Mein Vater, ich kann noch nicht mit nach England. Ich werde heilen, ich muß heilen, aber ich muß mich noch erst erholen, eh ich so stark bin, es selber zu wollen.

LORD faßt ihn an der Hand. Komm! so bald du vernünftig wirst, wirst du glücklich sein und mich und uns alle glücklich machen, am meisten aber die, die du anbetest.

ROBERT legt beide Arme über einander, den Himmel lang ansehend. Ich glücklich? Zuckt die Achseln und geht mit Lord Hot ab.[339]

Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 335-340.
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