Zweite Szene

[51] Eine Schule im Dorf. Es ist finstrer Abend. Wenzeslaus. Läuffer.


WENZESLAUS sitzt an einem Tisch, die Brill auf der Nase und lineïert. Wer da? Was gibt's?

LÄUFFER. Schutz! Schutz! werter Herr Schulmeister! Man steht mir nach dem Leben.

WENZESLAUS. Wer ist Er denn?

LÄUFFER. Ich bin Hofmeister im benachbarten Schloß. Der Major Berg ist mit all seinen Bedienten hinter mir und wollen mich erschießen.

WENZESLAUS. Behüte – Setz Er sich hier nieder zu mir – Hier hat Er meine Hand: Er soll sicher bei mir sein – Und nun erzähl Er mir, derweil ich diese Vorschrift hier schreibe.

LÄUFFER. Lassen Sie mich erst zu mir selber kommen.

WENZESLAUS. Gut, verschnauf Er sich, und hernach will ich Ihm ein Glas Wein geben lassen und wollen eins zusammen trinken. Unterdessen sag Er mir doch – Hofmeister – Legt das Lineal weg, nimmt die Brille ab und sieht ihn eine Weile an. Nun ja, nach dem Rock zu urteilen. – Nun nun, ich glaub's Ihm, daß Er der Hofmeister ist. Er sieht ja so rot und weiß drein. Nun sag Er mir aber doch, mein lieber Freund, Setzt die Brille wieder auf. wie ist Er denn zu dem Unstern gekommen, daß Sein Herr Patron so entrüstet auf Ihn ist? Ich kann mir's doch nimmermehr einbilden, daß ein Mann wie der Herr Major von Berg – Ich kenne ihn wohl; ich habe genug von ihm reden hören; er soll freilich von einem hastigen Temperament sein; viel Cholera, viel Cholera – Sehen Sie, daß muß ich meinen Buben selber die Linien ziehen, denn nichts lernen die Bursche so schwer als das Gradeschreiben, das Gleichschreiben –[51] Nicht zierlich geschrieben, nicht geschwind geschrieben, sag ich immer, aber nur grad geschrieben, denn das hat seinen Einfluß in alles, auf die Sitten, auf die Wissenschaften, in alles, lieber Herr Hofmeister. Ein Mensch, der nicht grad schreiben kann, sag ich immer, der kann auch nicht grad handeln – Wo waren wir?

LÄUFFER. Dürft ich mir ein Glas Wasser ausbitten?

WENZESLAUS. Wasser? – Sie sollen haben. Aber – ja wovon redten wir? Vom Gradschreiben; nein vom Major – he he he – Aber wissen Sie auch Herr – Wie ist Ihr Name?

LÄUFFER. Mein – Ich heiße – Mandel.

WENZESLAUS. Herr Mandel – Und darauf mußten Sie sich noch besinnen? Nun ja, man hat bisweilen Abwesenheiten des Geistes; besonders die jungen Herren weiß und rot – Sie heißen unrecht Mandel; Sie sollten Mandelblüte heißen, denn Sie sind ja weiß und rot wie Mandelblüte – Nun ja freilich, der Hofmeisterstand ist einer von denen, unus ex his, die alleweile mit Rosen und Lilien überstreut sind und wo einen die Dornen des Lebens nur gar selten stechen. Denn was hat man zu tun? Maß ißt, trinkt, schläft, hat für nichts zu sorgen; sein gut Glas Wein gewiß, seinen Braten täglich, alle Morgen seinen Kaffee, Tee, Schokolade, oder was man trinkt, und das geht denn immer so fort – Nun ja, ich wollt Ihnen sagen: wissen Sie auch, Herr Mandel, daß ein Glas Wasser der Gesundheit eben so schädlich auf eine heftige Gemütsbewegung als auf eine heftige Leibesbewegung; aber freilich, was fragt ihr jungen Herren Hofmeister nach der Gesundheit – Denn sagt mir doch Legt Brille und Lineal weg und steht auf. wo in aller Welt kann das der Gesundheit gut tun, wenn alle Nerven und Adern gespannt sind und das Blut ist in der heftigsten Cirkulation und die Lebensgeister sind alle in einer – Hitze, in einer –[52]

LÄUFFER. Um Gotteswillen der Graf Wermuth – Springt in eine Kammer.


Graf Wermuth mit ein paar Bedienten, die Pistolen tragen.


GRAF. Ist hier ein gewisser Läuffer – Ein Student im blauen Rock mit Tressen?

WENZESLAUS. Herr, in unserm Dorf ist's die Mode, daß man den Hut abzieht, wenn man in die Stube tritt und mit dem Herrn vom Hause spricht.

GRAF. Die Sache pressiert – Sagt mir, ist er hier oder nicht?

WENZESLAUS. Und was soll er denn verbrochen haben, daß Ihr ihn so mit gewaffneter Hand sucht? Graf will in die Kammer, er stellt sich vor die Tür. Halt Herr! Die Kammer ist mein, und wo Ihr nicht augenblicklich Euch aus meinem Hause packt, so zieh ich nur an meiner Schelle und ein halb Dutzend handfester Bauerkerle schlägt Euch zu morsch Pulver-Granatenstücken. Seid ihr Straßenräuber, so muß man euch als Straßenräubern begegnen. Und damit Ihr Euch nicht verirrt und den Weg zum Haus' hinaus so gut findt als Ihr ihn hinein gefunden habt – Faßt ihn an die Hand und führt ihn zur Tür hinaus; die Bedienten folgen ihm.

LÄUFFER springt aus der Kammer hervor. Glücklicher Mann! Beneidenswerter Mann!

WENZESLAUS in der obigen Attitude. In – Die Lebensgeister sagt ich, sind in einer – Begeisterung, alle Passionen sind gleichsam in einer Empörung, in einem Aufruhr – Nun wenn Ihr da Wasser trinkt, so geht's, wie wenn man in eine mächtige Flamme Wasser schüttet. Die starke Bewegung der Luft und der Krieg zwischen den beiden entgegengesetzten Elementen macht eine Effervescenz, eine Gärung, eine Unruhe, ein tumultuarisches Wesen –

LÄUFFER. Ich bewundere Sie ...

WENZESLAUS. Gottlieb! – Jetzt können Sie schon allgemach trinken – Allgemach – und denn werden Sie auf den[53] Abend mit einem Salat und Knackwurst vorlieb nehmen – Was war das für ein ungeschliffener Kerl, der nach Ihnen suchte?

LÄUFFER. Es ist der Graf Wermuth, der künftige Schwiegersohn des Majors; er ist eifersüchtig auf mich, weil das Fräulein ihn nicht leiden kann –

WENZESLAUS. Aber was soll denn das auch? Was will das Mädchen denn auch mit Ihm Monsieur Jungfernknecht? Sich ihr Glück zu verderben um eines solchen jungen Siegfrieds willen, der nirgends Haus oder Herd hat? Das laß Er sich aus dem Kopf und folg Er mir nach in die Küche. Ich seh, mein Bube ist fortgangen, mir Bratwürste zu holen. Ich will Ihm selber Wasser schöpfen, denn Magd hab ich nicht und an eine Frau hab ich mich noch nicht unterstanden zu denken, weil ich weiß, daß ich keine ernähren kann – geschweige denn eine drauf angesehen, wie ihr junge Herren weiß und rot – Aber man sagt wohl mit Recht, die Welt verändert sich.


Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 51-54.
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