Dritte Szene

[80] Die Schule. Läuffer liegt zu Bette. Wenzeslaus.


WENZESLAUS. Daß Gott! was gibt's schon wieder, daß Ihr mich von der Arbeit abrufen laßt? Seid Ihr schon wieder schwach? Ich glaube, das alte Weib war eine Hexe – Seit der Zeit habt Ihr keine gesunde Stunde mehr.

LÄUFFER. Ich werd es wohl nicht lange mehr machen.

WENZESLAUS. Soll ich Gevatter Schöpsen rufen lassen?

LÄUFFER. Nein.

WENZESLAUS. Liegt Euch was auf dem Gewissen? Sagt mir's, entdeckt mir's, unverhohlen. – Ihr blickt so scheu umher, daß es einem ein Grauen einjagt; frigidus per ossa – Sagt mir, was ist's? – Als ob er jemand tot geschlagen hätte – Was verzerrt Ihr denn die Lineamenten so – Behüt Gott, ich muß doch nur zu Schöpsen –

LÄUFFER. Bleibt – Ich weiß nicht, ob ich recht getan – Ich habe mich kastriert ...

WENZESLAUS. Wa – Kastrier – Da mach ich Euch meinen herzlichen Glückwunsch drüber, vortrefflich, junger Mann, zweiter Origenes! Laß dich umarmen, teures, auserwähltes Rüstzeug! Ich kann's Euch nicht verhehlen, fast – fast kann ich dem Heldenvorsatz nicht widerstehen, Euch nachzuahmen. So recht, werter Freund! Das ist die Bahn, auf der Ihr eine Leuchte der Kirche, ein Stern erster Größe, ein Kirchenvater selber werden könnt. Ich glückwünsche Euch, ich ruf Euch ein Jubilate und Evoë zu, mein geistlicher Sohn – Wär ich nicht über die Jahre hinaus, wo der Teufel unsern ersten und besten Kräften sein arglistiges Netz ausstellt, gewiß ich würde mich keinen Augenblick bedenken. –

LÄUFFER. Bei alle dem, Herr Schulmeister, gereut es mich.

WENZESLAUS. Wie, es gereut Ihn? Das sei ferne, werter Herr Mitbruder! Er wird eine so edle Tat doch nicht[80] mit törichter Reue verdunkeln und mit sündlichen Tränen besudeln? Ich seh schon welche über Sein Augenlid hervorquellen. Schluck Er sie wieder hinunter und sing Er mit Freudigkeit: Ich bin der Nichtigkeit entbunden, nun Flügel, Flügel, Flügel her. Er wird es doch nicht machen wie Lots Weib und sich wieder nach Sodom umsehen, nachdem Er einmal das friedfertige stille Zoar erreicht hat? Nein, Herr Kollega; ich muß Ihm auch nur sagen, daß Er nicht der einzige ist, der den Gedanken gehabt hat. Schon unter den blinden Juden war eine Sekte, zu der ich mich gern öffentlich bekannt hätte, wenn ich nicht befürchtet, meine Nachbarn und meine armen Lämmer in der Schule damit zu ärgern; auch hatten sie freilich einige Schlacken und Torheiten dabei, die ich nun eben nicht mitmachen möchte. Zum Exempel, daß sie des Sonntags nicht einmal ihre Notdurft verrichteten, welches doch wider alle Regeln einer vernünftigen Diät ist, und halt ich's da lieber mit unserm seligen Doktor Luther: Was hinaufsteigt, das ist für meinen lieben Gott, aber was hinunter geht, Teufel, das ist für dich – Ja wo war ich?

LÄUFFER. Ich fürchte, meine Bewegungsgründe waren von andrer Art ... Reue, Verzweiflung –

WENZESLAUS. Ja, nun hab ich's – Die Essäer, sag ich, haben auch nie Weiber genommen; es war eins von ihren Grundgesetzen, und dabei sind sie zu hohem Alter kommen, wie solches im Josephus zu lesen. Wie die es nun angefangen, ihr Fleisch so zu bezähmen; ob sie es gemacht wie ich, nüchtern und mäßig gelebt und brav Toback geraucht, oder ob sie Euren Weg eingeschlagen – so viel ist gewiß, in amore, in amore omnia insunt vitia, und ein Jüngling, der diese Klippe vorbeischifft, Heil, Heil ihm, ich will ihm Lorbeern zuwerfen; lauro tempora cingam et sublimi fronte sidera pulsabit.

LÄUFFER. Ich fürcht, ich werd an dem Schnitt sterben müssen.

WENZESLAUS. Mit nichten, da sei Gott für. Ich will gleich[81] zu Gevatter Schöpsen. Der Fall wird ihm freilich noch nie vorgekommen sein, aber hat er Euch Euren Arm kuriert, welches doch eine Wunde war, die nicht zu Eurer Wohlfahrt diente, so wird ja Gott auch ihm Gnade zu einer Kur geben, die Euer ewiges Seelenheil befördern wird.


Geht ab.


LÄUFFER. Sein Frohlocken verwundet mich mehr als mein Messer. O Unschuld, welch eine Perle bist du! Seit ich dich verloren, tat ich Schritt auf Schritt in der Leidenschaft und endigte mit Verzweiflung. Möchte dieser letzte mich nicht zum Tode führen, vielleicht könnt ich itzt wieder anfangen zu leben und zum Wenzeslaus wiedergeboren werden.


Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 80-82.
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