Erste Szene

[118] Nacht und Mondschein im Garten.

Wilhelmine mit einem Federmesser in den Baum schneidend.


WILHELMINE. Es ist gewagt. Wer es auch war, der meinen Namen herschnitt. – – Steht eine Zeitlang und sieht ihn an. Ich möchte alles wieder ausmachen, aber des Prinzen Hand – – ja es ist seine, wahrhaftig es ist seine, so kühne, mutige Züge konnte keine andere Hand tun. Sie windt Efeu um den Baum. So! grünt itzt zusammen: wenn er selber wieder nachsehen sollte – – o ich vergehe. Ich muß – Fällt auf den Baum her und will[118] ihn abschälen. O Himmel! wer kommt da! Läuft fort.


Prinz tritt auf.


PRINZ. Ihr Sterne! die ihr fröhlich über meinem Schmerz daher tanzt! du allein, mitleidiger Mond – – bedaure mich nicht. Ich leide willig. Ich war nie so glücklich als auf dieser Folter. Du unendliches Gewölbe des Himmels! du sollst meine Decke diese Nacht sein. Noch zu eng für mein banges Herz. Wirft sich nieder in ein Gesträuch.


Graf Camäleon tritt auf mit Wilhelminen, die sich sträubt.


GRAF. Wo wollen Sie hin? – – Sie wissen itzt meine ganze Geschichte. So kommen Sie doch nur ins Gartenhaus, wenn Sie mir nicht glauben wollen.

WILHELMINE. Ich glaube Ihnen.

GRAF. So lassen Sie uns doch den Abend im Garten genießen, mein englisches Fräulein! er ist gar zu einladend.

WILHELMINE. Ich muß fort – –

GRAF. Reizende Blödigkeit! halten Sie's für so gefährlich, mit einem kranken Manne im Garten zu spazieren? ich will nichts als gesund werden, Sie können mich gesund machen, ein Wort, ein Atem von Ihnen.

WILHELMINE. Meine Mutter –

GRAF. Laß sie Sie hier aufsuchen, sehen Sie, ich trotze Ihrem Mißtrauen.

WILHELMINE. Wollen Sie mich loslassen?

GRAF. Nein, ich laß dich nicht, meine Göttin, bevor du mir erlaubt hast, dich anzubeten.


Kniend.


WILHELMINE. Hülfe!

GRAF. Grausame! willst du mir auch diese Glückseligkeit nicht – – Umfaßt ihre Knie und drückt sein Gesicht an dieselben. Um diesen Augenblick nähm ich keine Königreiche, ich bin glücklich, ich bin ein Gott. –


Prinz mit bloßem Degen.


PRINZ. Schurke! Graf läuft davon. Fräulein! ich darf Sie nicht verlassen, sonst würd ich diesem Buben nach und[119] ihm sein zündbares Blut abzapfen. Ich will Sie aber vorher bis an Ihre Tür begleiten. Beide gehen stillschweigend ab.


Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 118-120.
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