Siebente Szene

[132] Herr von Biederling. Frau von Biederling.


HERR VON BIEDERLING. Ich finde nichts Unräsonnables drin, Frau, setz den Fall, daß das Mädchen ihn will, und ich habe sie schon oft ertappt, daß sie furchtsame Blicke auf ihn warf, und denn haben ihr seine Augen geantwortet, daß ich dacht, er würd sie in Brand stecken, also wenn der Himmel es so beschlossen hat, und wer weiß, was in fünf Jahren sich noch ändern kann.[132]

FRAU VON BIEDERLING. Du hast immer einen Glauben, Berge zu versetzen, es ist die nämliche Historie wie mit deinem Sohn, die nämliche Historie.

HERR VON BIEDERLING. Red mir nicht davon, ich bitte dich. Wir werden noch Ehr und Freude an unserm Sohne erleben, wenn er nicht schon tot ist. Wenn nur der Zopf bald kommen wollte, du solltest mir andere Saiten aufziehn.

FRAU VON BIEDERLING. Wenn ich ihn wieder sehe den infamen Kerl – ich kratz ihm die Augen aus, ich sag es dir.

HERR VON BIEDERLING. Zopf ist ein ehrlicher Kerl, was willt du? Unsertwegen eine Reise nach Rom getan, wer tut ihm das nach? Und ich bin versichert, er bleibt nur deswegen so lang aus, weil er die Antwort vom Pater General erwartet, der an den Pater Mons nach Smyrna schrieben hat, was willst du denn? Wofür Teufel gibt sich der Mann all die Mühe, all die Sorge und Reisen, du solltest dich schämen, daß du sogleich Fickel Fackel mit Ihrem bösen Leumund fertig, und der Mann tut mehr für Ihr Kind als Sie selber.

FRAU VON BIEDERLING. Du hast recht, hast immer recht, mach mit Tochter und Sohn, was dir gefällt, verkauf sie auf die Galeeren, ich will deine Strümpfe flicken und Bußlieder singen, wie's einer Frau vom Hause zukommt.

HERR VON BIEDERLING. Nu nu, wenn Sie spürt, daß Sie unrecht hat, wird Sie böse. Wer kann dir helfen?

FRAU VON BIEDERLING. Der Tod. Ich will die Tochter zu dir schicken, mach mit ihr was dir gefällt, gnädiger Herr, ich will ganz geruhig das Ende absehen.


Prinz Tandi kommt dazu.


PRINZ. Was haben Sie? Ich würde untröstlich sein, wenn ich Gelegenheit zu Ihrem Mißverständnis –


Frau von Biederling geht ab.


HERR VON BIEDERLING. Nichts, nichts, Prinz, es ist nur ein klein bißchen Zank, eine kleine Bedenklichkeit, wollt ich sagen, eine gar zu große Bedenklichkeit von meiner[133] Frau – sie meint nur, unser Kind einem fremden Herrn in die andere Welt mitzugeben – das ist, als ob sie eine Reise in die selige Ewigkeit –

PRINZ. Sagt Wilhelmine auch so?

HERR VON BIEDERLING. Je nun, Sie wissen, wie die Weibsen sind, wir wollen sie hören, die Mutter wird sie herbringen. Und je länger ich dem Ding nachdenke, je enger wird mir's um das Herz auch, Vater und Mutter und allen auf ewig so den Rücken zu kehren, als ob es ein Traum gewesen wäre, und gute Nacht auf ewig.


Er weint.


PRINZ. Sie soll alles in mir wieder finden.

HERR VON BIEDERLING. Aber wir nicht, Prinz, wir nicht. O du weißt nicht, was du uns all mit ihr raubst, Kalmucke! Ich willige von ganzem Herzen drein, aber was ich dabei ausstehe, das weiß Gott im Himmel allein.

PRINZ umarmt ihn. Mein Vater – ich will sieben Jahr in Europa bleiben.

HERR VON BIEDERLING. So recht – vielleicht bin ich tot in der Zeit, vielleicht sind wir alle beide tot. – Junge! alles kommt auf mein Mädchen an. Wenn sie sich entschließen kann – und sollt es mir das Leben kosten.

PRINZ. Wenn Sie ein Kirschenreis einem Schlehstamm einimpfen wollen, müssen Sie ihn da nicht vom alten Stamm abschneiden? Er hätte dort keine einzige Kirsche vielleicht hervorgetrieben, gebt ihm einen neuen Stamm, den er befruchten und beseligen kann, auf dem vorigen war er tot und unfruchtbar.

HERR VON BIEDERLING springt auf. Scharmant, scharmant – eh! sagen Sie mir das noch einmal, sagen Sie das meiner Frau und Tochter auch. Je es ist ja auch wahr, laß ich doch Maulbeerbäume aus Smyrna kommen und setz sie hier ein und bespinne hier das ganze Land mit, so wird meine Tochter ganz Cumba glücklich machen. – Sie müssen ihr das sagen.

PRINZ. Ich werb jetzt bei Ihnen um Ihr Kind. – – Hernach[134] muß Wilhelminens Herz alleine sprechen, frei, unabhängig, wie die Gottheit, die Leben oder Tod austeilt. Kein Zureden, keine väterliche Autorität, kein Rat, oder ich spring auf der Stell in den Wagen und fort.


Frau von Biederling mit Wilhelminen kommen.


WILHELMINE. Was befehlen Sie von mir?

HERR VON BIEDERLING. Mädchen! –


Hustet und wischt sich die Augen. Es herrscht eine minutenlange Stille.


PRINZ. Fräulein! es ist Zeit, ein Stillschweigen – ein Geständnis, das meine Zunge nicht machen kann – sehen Sie in meinem Aug, in dieser Träne, die ich nicht mehr hemmen kann, all meine Wünsche, all meine schimmernden Entwürfe für die Zukunft. – Wollen Sie mich glücklich machen? – Wenn dieses schnelle Erblassen und Erröten, dieses wundervolle Spiel Ihrer sanften Gesichtswellen, dieses Weinen und Lachen Ihrer Augen mir Erhörung weissagt – o mein Herz macht den untreuen Dolmetscher stumm Drückt ihr die Hand an sein Herz. hier müssen Sie es sprechen hören – Dies Entzücken tötet mich.

HERR VON BIEDERLING. Antworte! was sagt dein Herz?

FRAU VON BIEDERLING. Wir haben dem Prinzen unser Wort gegeben, dir weder zuzureden noch abzuraten, das mußt du aber doch vorher wissen, daß der Herr Graf hier förmlich um dich angehalten hat und dich zur Erbin aller seiner Güter machen will.

HERR VON BIEDERLING. Und das sollst du auch vorher wissen, daß der Prinz dir ein ganzes Königreich anbietet und mir zu Gefallen noch sieben Jahr mit dir bei uns im Lande bleiben will.

WILHELMINE. Befehlen Sie über mich.

HERR VON BIEDERLING. Na das ist hier der Fall nicht, mein Kind! Still doch Frau! hast du was gesagt? Ich sage: hier mein Tochter! schlagen wir dich los von allem Gehorsam gegen uns, hier bist du selbst Vater und Mutter; was sagt dein Herz? Das ist die Frage. Beide Herren[135] sind reich, beide haben sich schönerös gegen mich aufgeführt, beide können dein Glück machen, es kommt hier einienig auf dich an.

FRAU VON BIEDERLING. Frag dein Herz! Du weißt itzt die Bedingungen auf beiden Seiten.

HERR VON BIEDERLING. Aber das mußt du auch noch wissen, daß der Graf nicht beständig bei uns in Naumburg nisten kann, er muß eben sowohl fort und dich von uns trennen.

FRAU VON BIEDERLING. Aber er führt dich nicht weiter als Amsterdam und kommt alle Jahre herüber, uns zu besuchen.

HERR VON BIEDERLING. Ja so entschließ dich kurz, es kommt alles auf dich an. – Prinz! was sehen Sie denn so trostlos aus? Wenn's der Himmel nun so beschlossen hat, und ihr ihr Herz nichts für Sie sagt – es ist mit dem allen doch keine Kleinigkeit, bedenken Sie selber, wenn Sie billig sein wollen, ein junges unerzogenes Kind über die zweitausend Meilen – o meine Tochter, ich kann nicht – das Herz bricht mir.


Fällt ihr um den Hals.


WILHELMINE an seinem Halse. Ich will ledig bleiben.

HERR VON BIEDERLING reißt sich los. Sackerment nein Stampft mit dem Fuß. das will ich nicht. Wenn ich in der Welt zu nichts nutz bin, als dein Glück zu hindern – lieber herunter mit dem alten unfruchtbaren Baume! nicht wahr, Prinz! was sagen Sie dazu?

PRINZ. Sie sind grausam, daß Sie mich zum Reden zwingen. Ein solcher Schmerz kann durch nichts gelindert werden, als Schweigen Mit schwacher Stimme. Schweigen, Verstummen auf ewig. Will gehen.

WILHELMINE hält ihn hastig zurück. Ich liebe Sie.

PRINZ. Sie lieben mich.


Ihr ohnmächtig zu Füßen.


WILHELMINE fällt auf ihn. O ich fühl's, daß ich ohne ihn nicht leben kann.

HERR VON BIEDERLING. Holla! Gib ihm eins auf den Mund, daß er wach wird. Man trägt den Prinzen aufs Kanapee,[136] wo Wilhelmine sich neben ihn setzt und ihn mit Schlagwasser bestreicht.

PRINZ die Augen aufschlagend. O von einer solchen Hand ...

HERR VON BIEDERLING. Nicht wahr, das ist's. Ja, Mine! dieser Blick, den du ihm gabst. Nicht wahr, er hat's Jawort? Nun so segne euch der allmächtige Gott. Legt seine Hände beiden auf die Stirn. Prinz! es geht mir wie Ihnen, der Henker holt mir die Sprache und es wird nicht lang währen, so kommt die verzweifelte Ohnmacht auch ... Mit schwacher Stimme. Frau wirst du mich wecken?


Fällt hin.


FRAU VON BIEDERLING. Gott, was ist ...


Hinzu.


HERR VON BIEDERLING springt auf. Nichts, ich wollte nur Spaß machen. Ha ha ha, euch Weibern kann man doch umspringen wie man will. Sei nun auch hübsch lustig, mein Frauchen Ihr unters Kinn greifend. und schlag dir deinen Grafen aus dem Sinne, ich will ihn schon aus dem Hause schaffen, laß mich nur machen, ich hab ihn mit alledem doch nie recht leiden können.

PRINZ zu Wilhelminen. So bin ich denn – – Stammelnd. kann ich hoffen, daß ich –

WILHELMINE. Hat's Ihnen der Baum nicht schon gesagt?

PRINZ. Das einzige, was mir Mut machte, um Sie zu werben. O als der Mond mir die Züge Ihrer Hand versilberte, als ich las, was mein Herz in seinen kühnsten Ausschweifungen nicht so kühn gewesen war zu hoffen ... ach ich dachte, der Himmel sei auf die Erde herabgeleitet und ergieße sich in wonnevollen Träumen um mich herum.

HERR VON BIEDERLING. Nun Frau! was stehst? ist dir's nicht lieb, die jungen Leute so schwätzeln und mieneln und liebäugeln ... was ziehst du denn die Stirn wie ein altes Handschuhleder, geschwind, gib ihnen deinen Segen, wünsch ihnen alles, was wir genossen haben, so wird ihnen wohl sein, nicht wahr, Prinz?[137]

FRAU VON BIEDERLING. Das Ende muß es ausweisen.


Geht ab.


HERR VON BIEDERLING sieht ihr nach. Närrin! – – ist verliebt in den Grafen, das ist die ganze Sache – aber laß mich nur mit ihm reden ... wart du nur.

Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 132-138.
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