Erste Szene

[138] Im Gartenhäuschen.

Der Graf im Schlafrock trinkt Tee. Herr von Biederling einen großen Beutel unterm Arm.


HERR VON BIEDERLING. Herr Graf, Sie nehmen mir nicht übel, daß ich Sie so früh überfalle. Ich habe nachgedacht, Ihr Pachtgut ist mir gar zu gut gelegen, Sie haben meiner Frau gesagt, Sie wollen Ihre Güter verkaufen und nach Amsterdam gehen, wie viel wollen Sie davor?

GRAF. Ich? – von Ihnen? nichts – ich schenke Ihnen das Gut, aber unter einer Bedingung.

HERR VON BIEDERLING. Nein, nein, da wird nichts von, so können wir sein Tag nicht zusammenkommen. Ich will's Ihn nach Kronstaxe bezahlen.

GRAF. Ich nehm aber nichts.

HERR VON BIEDERLING. Sie sollen nehmen, Herr Graf, ich sag's Ihnen einmal für allemal, ich bin kein Bettler.

GRAF. So zahlen Sie, was Sie wollen.

HERR VON BIEDERLING. Nein, ich will bezahlen, was Sie wollen. Das ist nun wieder nichts. Wofür sehen Sie mich an zum Kuckuck?

GRAF. Zehntausend Taler.

HERR VON BIEDERLING. So hier sind Zieht einen Beutel heraus. zehn tausend Taler in Bankzeddeln und hier sind [138] Stellt einige Säcke im Winkel. fünftausend Taler an Golde und Albertusgeld ... und nun profitiere ich doch dabei. Habe die Ehre mich zu empfehlen.

GRAF. Noch ein Wort


Ihn an der Hand fassend.


HERR VON BIEDERLING. Es ist doch so richtig? ist's nicht?

GRAF. Sie können mich zum glücklichsten Sterblichen machen.

HERR VON BIEDERLING. Wie so?

GRAF. Sie haben eine Tochter.

HERR VON BIEDERLING. Was wollen Sie damit sagen?

GRAF. Ich heirate sie.

HERR VON BIEDERLING. Da sei Gott vor. Sie ist schon seit drei Tagen Frau.

GRAF. Frau!

HERR VON BIEDERLING. Wissen Sie nichts davon? He he he, nun 's is wahr, wir haben unsere Sachen in der Stille gemacht. Der Prinz Tandi, mein ehrlicher Reisekamerad, hat sie geheiratet, es ist komisch genug das, keine Mutterseele hat's gemerkt, und doch sind sie von unserm Herrn Pfarrer Straube priesterlich getraut worden und gestern ist noch obenein groß Festin gewesen. – Wie ist Ihnen, Graf! Sie wälzen ja die Augen im Kopfe herum, daß –

GRAF. Scherzen Sie mich?

HERR VON BIEDERLING. Nein gewiß, Herr – es ist mir indessen gleichviel, wofür Sie es nehmen wollen. Und so leben Sie denn wohl.

GRAF faßt ihm die Gurgel. Stirb Elender, bevor –

HERR VON BIEDERLING ringt mit ihm. Sackerment ... ich will dich ... Wirft ihn zu Boden und tritt ihn mit Füßen. du Racker!

GRAF bleibt liegen. Besser! besser, Herr von Biederling.

HERR VON BIEDERLING hebt ihn wieder auf. Was wollst du denn mit mir?

GRAF sein Knie umarmend. Können Sie mir verzeihen?

HERR VON BIEDERLING. Nun so steht nur wieder auf! Der[139] Teufel leide das, wenn man einem die Gurgel zudrückt – und Herr, itzt reis Er mir aus dem Hause je eher je lieber, ich leid Ihn nicht länger.

GRAF. Sagen Sie mir's noch einmal, sind sie verheiratet? wie? wo? wenn?

HERR VON BIEDERLING. Wie? Das kann ich Ihm nicht sagen, aber sie sind in Rosenheim getraut worden und gestern hat der Prinz ein Banket gegeben, wo alles, was fressen konnte, Teil daran nahm; die Tafel war von morgens bis in die sinkende Nacht gedeckt, die Türen offen, und wer wollte, kam herein, ließ sich traktieren und war lustig. Ich hab so was in meinem Leben noch nicht gesehen, die Leut waren alle wie im Himmel, und das Zeugs durcheinander, Bettler und Studenten und alte Weiber und Juden und ehrliche Bürgersleut auch genug, ich habe gelacht zuweilen, daß ich aufspringen wollte. Sehen Sie, das ist der Gebrauch in Cumba, von all den übrigen Alfanzereien bei unsern Hochzeiten wissen sie nichts, sie sagen, es braucht niemand Zeuge von unsrer Hochzeit zu sein, als unsre nächsten Anverwandte und ein Priester, der Gott um seinen Segen bittet.

GRAF. Keine Proklamation! ich sehe schon, Ihr wollt mir Flor über die Augen werfen, aber ich sehe durch. Ich sollte diese Vermählung nicht hindern? Wie aber, wenn der Prinz schon eine Gemahlin hätte?

HERR VON BIEDERLING. Ja Herr Graf! so müssen Sie mir nicht kommen. Das Mißtrauen findet nur bei uns Europäern statt. Ich habe darüber mit dem Prinzen lang ausgeredt.

GRAF. Haben die Cumbaner keine Leidenschaften?

HERR VON BIEDERLING. Nein.

GRAF. Das sagen Sie.

HERR VON BIEDERLING. Nein, sag ich Ihnen. Das macht, was weiß ich, die Erziehung macht's, die Cumbaner haben Gottesfurcht, das macht es, sie finden ihr Vergnügen an der Arbeit, mit Kopf oder Faust, das ist all eins, und nach der Arbeit kommen sie zu einander, sich zu erlustigen,[140] Alt und Jung, Vornehm und Gering, alles durcheinander, und wer den andern das meiste Gaudium machen kann, der wird am höchsten gehalten, das macht es, sehen Sie, dabei haben sie nicht nötig den Phantaseien nachzuhängen, denn die Phantasei, sehen Sie, das ist so ein Ding ... warten Sie, wie hat er mir doch gesagt? ... in Gesellschaft ist es ganz vortrefflich, aber zu Hause taugt's ganz und gar nicht, es ist wie so ein glänzender Nebel, ein Firnis, den wir über alle Dinge streichen, die uns in Weg kommen, und wodurch wir sie reizend und angenehm machen.

GRAF schlägt sich an die Stirn. Oh!

HERR VON BIEDERLING. Warten Sie doch, hören Sie mich doch aus! Aber wenn wir diesen Firnis nach Haus' mitnehmen, sehen Sie, da kleben wir dran und da wird denn des Teufels seine Schmiralie draus.

GRAF. Lassen Sie sich nur vorschwatzen ... geht's denn bei uns nicht eben so? müssen wir nicht arbeiten? kommen wir nicht zusammen, uns zu amüsieren?

HERR VON BIEDERLING. Ja aber nein, wir wollen nichts als uns immer amüsieren, und da schmeckt uns am Ende kein einzig Vergnügen mehr, und unser Vergnügen selber wird uns zur Pein, das ist der Unterscheid. Und weil wir nicht mit Verstand arbeiten, so arbeiten wir mit der Phantasei und was weiß ich, er hat mir das alles expliziert, reden Sie selber mit ihm, Sie werden Ihre Freud an ihm haben.

GRAF. Machen Sie, daß wir gute Freunde werden, Herr von Biederling. Ich bin in der Tat begierig, ihn näher zu kennen.

HERR VON BIEDERLING. Ja, aber vor der Hand, dächt ich, Sie reisten doch immer nur in Gottes Namen nach Amsterdam. – Sie können doch bei mir lange so recht sicher nicht sein.

GRAF. Und wo soll ich hin? Alle meine Güter dem Fiskus zufallen lassen?[141]

HERR VON BIEDERLING. Ja so ... aber hören Sie, wenn mir nur der Kurfürst nicht hernach Ansprüche gar auf mein Rosenheim macht? Was haben Sie für Nachricht von Ihrem Advokaten?

GRAF. Eben darum, nehmen Sie Ihr Geld nur wieder zurück, bis ich sichere Nachricht von meinem Advokaten habe, wie die Sache am Hofe geht. Mittlerweile können Sie die Pacht immer antreten.

HERR VON BIEDERLING. Ja, aber so muß ich Ihnen doch den Pachtzins zahlen.

GRAF. Wenn Sie mich auf meiner empfindlichsten Seite angreifen wollen.

HERR VON BIEDERLING. Je nun – so hab ich die Ehre, mich recht schön zu bedanken, wenn Sie's denn durchaus so haben wollen. Ich will auch sehen, daß ich Sie mit dem Prinzen näher bekannt mache, es ist ein gar galanter Mann, ohne Ruhm zu melden, weil er itzt mein Schwiegersohn ist, und das, was vor acht Tagen zwischen Ihnen beiden vorgefallen, hat er längst vergessen, versichert! Es war auch so ein klein etwas cumbanisch das, denn sehen Sie, es passiert dort in der Tat für ein Laster, wenn man einem jungen Mädchen in Abwesenheit seiner Eltern was von Liebe und was weiß ich vorsagt, das wird dort eben so für Hurerei bestraft, als wenn ich einem die Gurgel zudrücke und er bleibt glücklicherweise am Leben. Habe die Ehre mich zu empfehlen.

GRAF. O vorher – – – verzeihen Sie mir?

HERR VON BIEDERLING. Nu nu, il n'y a pas du mal, sagt der Franzos. – Speisen Sie heut zu Mittag mit uns? mit meinem neuen Schwiegersohne, da sollen Sie ihn kennen lernen.[142]


Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 138-143.
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