Fünfte Szene


[291] Mezzotinto tritt herein.


MEZZOTINTO. Ei, Ihr Diener, Ihr Diener, lieber Herr Strephon. Schüttelt ihm die Hand. Wie geht's denn, was leben Sie, man sieht Sie ja gar nicht? Sie sind immer der Mann von Geschäften.

STREPHON. Ach Gott, ich habe gar keine.

MEZZOTINTO. Ja, gehn Sie nur, gehn Sie nur, man weiß doch, was man weiß. Ich komme eben vom Hafen, es[291] kam ein Schiff an für einen meiner guten Freunde, dem Don Alvarez und seine Schwester zusahen. Er sagte mir, er ginge ins Bad, wir haben auch von Ihnen gesprochen und Sie rechtschaffen ausgemacht. Donna Seraphina gleichfalls


Vertraulich winkend.


STREPHON über und über rot. Und wie kam das Gespräch auf mich, daß ich fragen darf?

MEZZOTINTO. Wie es zu kommen pflegt. Sie wissen, wie die Donna ist, sie lag dem Bruder immer in den Ohren, Sie mitzunehmen. Er schien sich nur zum Schein zu wehren, aber Seraphina sagte, er muß mit mir, er mag wollen oder nicht. Und in der Tat Herr, Sie wären ein Tor, eine Gelegenheit wie die vorbeigehen zu lassen.

ARIST. Ich hoffe, mein Vetter wird ein solcher Tor sein und, um das Maß voll zu machen, mit mir in sein Vaterland zurückkehren.

MEZZOTINTO. Also ein Landsmann von Herrn Strephon? Ei was, er geht nun nicht mehr heim. Die Ideen sind einmal alle ausgelöscht, ich weiß, wie das ist – Aber Strephon! wissen Sie auch, was man in der Stadt sagt? Seraphina soll meinem Patron den Ring zurückgeschickt haben, Sie wissen doch, daß sie so gut als verlobt waren, und will mit ihrem Bruder nach Frankreich gehen, weil sie keine Lust zum Heiraten hat. Prado ist untröstlich darüber und möchte seinen Nebenbuhler kennen.

STREPHON. Was für Märchen plaudern Sie mir denn da?

MEZZOTINTO ihm die Hand schüttelnd. Ja ja, mein lieber Herr Strephon, ich weiß mehr Neuigkeiten, als Sie wünschen, nicht wahr? Sie wissen, Prado hat nach Seraphinen schon acht Jahr gefreit, als sie noch im Flügelkleide ging, er hat sie aufknospen sehen, er hat sie gewartet, he, und eine solche Blume läßt man sich nicht gern unter den Fingern wegbrechen. Sie können denken, wie er zu Kehr geht.[292]

STREPHON ganz verwirrt. Was geht mich denn alles das an? ich bitte Sie.

MEZZOTINTO. Ich sage nur, Sie sollen die Gelegen heit nicht vorbeilassen, mitzugehen. Ich habe mit Alvarez drüber gesprochen, er schien etwas empfindlich über Ihre Widerspenstigkeit. Ich sagte, es wäre einmal Ihr Charakter, und denn könnten Sie noch andere kleine Ursachen haben; o die Bären sollen ihn nicht beißen, die er etwa hier angebunden hat, antwortete er mir.


Ein Bedienter tritt herein. Strephon winkt ihm und geht heraus mit ihm.


MEZZOTINTO zu Arist. Ja, mein werter Herr, so geht's Ihrem armen Vetter hier. Wenn er nicht noch Freunde hätte, die sich für ihn beflissen, so wäre es längst getan um ihn gewesen. Denn allgemein genommen ist der Charakter der Nation hier der allerunerträglichste am ganzen Mittelländischen Meer. Hier ist der Hefen von Spanien.

ARIST. Ich glaube es wohl. Darum sollte er mit mir.

MEZZOTINTO. Ja, das geht nun einmal nicht. Wenn man über die Jahre hinaus ist, es geht einem damit wie mit dem Heiraten. Man schiebt es von einer Zeit zur andern auf, bis einem die Lust vergeht. Auch wäre es schade um ihn, er würde sein Glück verscherzen. Er steht ungefähr mit Don Alvarez auf demselben Fuß, als ich mit Prado stehe. Ich kann mich rühmen, daß ich sein vertrautester Freund bin, den er wohl in seinem Leben gehabt, ich war auch der erste, der ihn in dem Hause bekannt machte, Alvarez hat ihn sogleich wegen seiner Gelehrsamkeit und Talente geschätzt und ihn zum Vertrauten aller seiner Geheimnisse gemacht. Unter uns, er schreibt ihm, glaub ich, Liebesbriefe, weil ich weiß, daß der Alvarez ein schlechter Franzos ist und dennoch mit einer gewissen Marquisin Chateauneuf, die jetzt seit zwei Jahren in Marseille wohnt, ein geheimes Verständnis unterhalten soll. Er hat mir alles anvertraut, aber – [293] Die Finger auf den Mund legend. ich weiß wohl, daß ein plauderhafter Freund oft eben so gefährlich ist als ein verschwiegener Feind. Winkt. Die Donna Seraphina ist ihm auch sehr gewogen.

ARIST. Wem?

MEZZOTINTO. Ihrem Vetter – je von wem reden wir denn?


Strephon tritt wieder herein, etwas verlegen.


STREPHON. Sie haben mir doch Wind vorgemacht, Mezzotinto! Donna Seraphina denkt nicht an die Reise. Eben krieg ich ein Billet vom Don Alvarez, wo er meinen letzten Entschluß verlangt.

MEZZOTINTO. Wie? sie reist nicht mit? – So muß ich mich verhört haben.

STREPHON. Oder sie hat Sie zum besten gehabt. Wickelt das Papier auf. »Ich reise mit einem Bedienten und einem Coffre morgen vor Tage. Ich hoffe, die Wintertage werden so anhalten, entschließen Sie sich kurz, ich lasse für Ihre Schulden eine Anweisung zurück. Um fünf Uhr auf den Schlag kommen Sie zu mir, so reden wir weiter. Meine Schwester geht so eben mit ihrer Kammerfrau nach Sevilla ab, wo eine meiner Tanten auf den Tod liegt.«

MEZZOTINTO. Weisen Sie mir doch das Billet, es ist nicht möglich.

STREPHON. Es ist möglich Das Billet einsteckend. weil es so ist.

ARIST bei Seite. Das gefällt mir nicht.

STREPHON zu Arist. Also lieber Vetter! was soll ich tun? –

MEZZOTINTO. Ei, Sie werden doch das nicht ausschlagen, oder Sie wären der größte Tor, der auf dem Erdboden –

ARIST. Ich rate Euch Vetter, kommt mit mir. Warum wollt Ihr Euch in den Sturm wagen, da Ihr in den Hafen einlaufen könnt. Die Gelegenheit kommt nicht wieder, und Euer Vater ist sehr aufgebracht –

STREPHON die Hand vor den Augen. Ach –[294]

ARIST. Was wird er sagen, wenn er weiß, daß Ihr mit mir hättet mitkommen können und nicht gewollt habt?

STREPHON. Schonet meiner!

ARIST. Ich darf Eurer nicht schonen. Es sind acht Jahr, daß Ihr ihn nicht gesehen habt, daß Ihr so herumirrt und Euren nichtswürdigen Grillen folgt –

STREPHON aufgebracht. Vetter, das stille Land der Toten ist mir so fürchterlich und öde nicht als mein Vaterland. Sogar im Traum, wenn Wallungen des Bluts mir recht angsthafte Bilder vors Gesicht bringen wollen, so deucht mich's, ich sehe mein Vaterland.

ARIST. Schande genug für Euch – rühmt Euch nicht, mein Vetter zu sein – Ihr? ein Philosoph? –

STREPHON schlägt an die Brust. Was soll ich tun dabei? –

MEZZOTINTO geht in der Stube herum trallernd. Grazie agl'inganni tuoi.

STREPHON. Kann ich dafür, daß dem so ist? Daß dies allgewaltige, unerklärbare, unerklärbarste aller Gefühle mich zu Boden drückt?

MEZZOTINTO. Ja wenn Sie gehen wollen, so haben Sie Zeit, Die Uhr hervorziehend. es ist gleich –

ARIST auf einmal hastig und gerührt auf Strephon zugehend und ihn an die Hand fassend. Noch ist es Zeit –


Die Stadtuhr schlägt fünfe.


STREPHON. Wie zum Schaffot klingt mir das. – Meine Eltern – Aristen heftig umarmend. Wirst du es gut machen?

ARIST. Wie kann ich – Auch gerührt. Unglückseliger Starrkopf – Vielleicht sehen wir uns niemals wieder.

STREPHON. Niemals? – Lebt wohl! Grüßt meine Eltern!


Reißt sich von ihm los und eilt halb ohnmächtig ab.


ARIST wischt sich die Augen, ohne ein Wort zu sprechen.

MEZZOTINTO zu Arist. Hab ich's nicht gesagt, daß er mitreist, und ich weiß auch, wohin sie gehen, ich will Ihnen alles zum voraus sagen.

ARIST. Ach mein Herr, lassen Sie mich – ich muß packen,[295] und denn gleich auf die Post – Ich wünscht, ich wäre nie nach Cadiz kommen.

MEZZOTINTO. Gehorsamer Diener. Und ich will gehn und meinem Prado von alle dem Nachricht geben. Ich weiß, er wundert sich nicht wenig darüber –


Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 291-296.
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