Zweite Szene


[323] Das Brautgemach in Don Prados Hause.

Das Brautbett aufgeputzt. Auf einem Winkeltisch eine halb ausgebrannte Wachskerze. Seraphine sitzt an demselbigen auf einem Stuhl, die Hand auf den Tisch gestützt, mit der sie die Augen bedeckt, in einem reizenden Negligé. Graf Prado im Schlafrock steht vor ihr.


PRADO. Nun, meine Seraphine.


Er versucht ihr ins Gesicht zu sehen; sie, ohne aus ihrer Stellung zu kommen, wirft ihm den linken Arm auf den Nacken.[323]


PRADO liebreich. Was bedeutet dies? Ist der letzte Augenblick der Freiheit so schmerzhaft? – Noch ist's Zeit Seraphine! ich will Ihr Unglück nicht. Indem er seinen Mund an ihren Ellenbogen drückt. Noch sind Sie Meister Ihrer Entschließungen. Sprechen Sie mein Urteil, und ich werde mich über nichts beklagen.

SERAPHINE immer wie vorher. Gott! –

PRADO. Ach hab ich so wenig Zutrauen bei Ihnen? Kennen Sie mich noch nicht? Zweifeln Sie noch, daß ich Sie um Ihr selbst willen liebe, daß ich Sie mehr liebe als mich, mehr als Ihren Besitz selbst? – –

SERAPHINE sieht auf. Prado – es gibt Augenblicke, in denen man sich selber haßt Wieder ihr Gesicht in ihre Hand versteckend. und das sind die unerträglichsten Augenblicke unsers Lebens – –

PRADO nimmt einen Stuhl und setzt sich zu ihr, sehr aufmerksam sie ansehend. Wie verstehen Sie das?

SERAPHINE steht verwildert auf. Es muß, es muß – Vor ihm niederkniend, ihr Gesicht auf seinen Schoß. Vollkommenster Mann! können Sie mir verzeihen?

PRADO außer sich. Seraphine! –

SERAPHINE. Ich schätze Sie zu hoch, als daß ich Sie hintergehen kann. Ich habe mich selbst hintergangen, ich habe geglaubt, wenn ich Ihnen die liebsten Wünsche meines Herzens aufopferte, würde die Gewalt, die ich mir antat, und die Marter, die es mich kostete, mich Reize in Ihrer Verbindung finden lassen, die mein halsstarriges Herz sonst nicht drinne fand. Aber dieser entscheidende feierliche Augenblick leidet keinen Zwang, keine Verstellung mehr, es ist umsonst, Tugend und Pflicht sind nicht Liebe, Prado, und Sie wollen mein Herz – Sie verdienen eine Frau, die Sie liebt – und ich kann Sie nicht lieben.

PRADO auf den Tisch fallend. Nicht lieben? –

SERAPHINE. Ich habe mich selbst überredet, ich könnte es – aber wie kann ich, wie kann ich Sie mit einer nachgemachten[324] Leidenschaft hintergehen – Ein anderer hat mein Herz, Prado – töten Sie mich, wenn das Sie beleidigt.

PRADO springt auf. Ein anderer – Wo ist der Glückliche, daß ich ihm die Nachricht bringe – daß ich ihm alles abtrete, um Sie wieder lächeln zu sehen? –

SERAPHINE noch immer auf den Knien. Diese Großmut ist vergebens – wenn Sie mich damit zu gewinnen hoffen. Nein Prado! Sie sind zu hoch über mir, als daß ich Sie lieben kann, ich könnte vor Ihnen zeitlebens auf den Knien liegen, aber nimmer in Ihre Arme, an Ihren Busen fliegen anders als mit dem Gefühl einer Tochter.

PRADO. Nein, Donna, Sie irren sich, meine Großmut ist keine Verstellung, kein Kunstgriff, etwas von Ihnen damit zu gewinnen – ich entsage allem, allem, und Gott nehme ich zum Zeugen, daß ich Sie glücklich sehen will. Ich kenne kein Glück, unter dem Sie leiden sollen, ich verabscheue dieses Glück, wenn es Sie einen Seufzer, einen grämlichen Gedanken kosten könnte.

SERAPHINE mit dem Gesicht auf die Erde. O mein Schutzengel – In flehender Stellung mit gerungenen Händen. So höre denn alles, alles, und ahme der Gottheit nach, die mit Schonung in den geheimsten Gedanken der Sterblichen liest. Seit sieben Jahren liebte ich ihn.

PRADO. Wen? Seraphine!

SERAPHINE. Ihn, den mein letzter Atem noch nennen wird. Seit er meines Bruders Vertrauter wurde, seit ich sah, mit welcher Geduld er alle seine wunderlichen Launen und üblen Bewegungen verschmerzte, ohne sich jemals nur mit einem Laut, nur mit einer finstern Miene, nur mit einem Gedanken darüber zu beklagen. Ach Prado, er hat mehr gelitten, als du leidst, er hatte mir alles aufgeopfert – und nun verlor er auch mich – Es muß ihn das Leben kosten – ich sehe ihn immer noch vor mir, wie er gegen mich über stand, als ich am Altare dir den Meineid meiner ewigen Treue schwur – wie sein starrer[325] verwilderter Blick auf dem Boden ruhte, wo ich stand, und sich da sein Grab ausersah. Er stirbt, Prado, und ich habe ihn ganz umgebracht –

PRADO richtet sie auf. Nein, er soll nicht sterben, Seraphine – Nenne mir ihn, und wenn noch ein Mittel ist euch zu vereinigen – –

SERAPHINE fällt an seine Brust. Ach, daß ich so viel Großmut nicht lieben kann! Prado! wenn du uns vereinigst – ich bin eine Unglückliche, die ihres Herzens nicht mehr mächtig ist – aber das Heiligtum meines Herzens soll dir bleiben – in meinen süßesten Augenblicken der Erkenntlichkeit, der Bewunderung, der Begeisterung für alles, was groß ist, will ich dich nennen, und er soll deinen Namen von meinen stammelnden Lippen küssen – –

PRADO ungeduldig und heftig. Wer ist es, Seraphine, wer ist es?

SERAPHINE. Einer, dem du alles zu danken hattest, und der dir wieder alles zu danken haben soll.

PRADO. Strephon?

SERAPHINE. So sei es denn Strephon!

PRADO. O mit diesem Kuß empfange die letzte aller meiner Anfoderungen auf dich. Die Flamme, die für dich in diesem Herzen brennt, ist viel zu rein, als daß ihr ältere Verbindungen, die du getroffen hast, nicht heilig sein sollten. Strephon sei dein, weil du ihn zuerst gewählt hast, und wenn dein Bruder sich dieser Heirat widersetzen sollte, weil der Himmel so viele Ungleichheit zwischen eure Geburt gelegt hat –

SERAPHINE. Eben dieses wenn –

PRADO. O er tat es nur, um mir Gelegenheit zu geben, euch nützlich zu sein. Liebt mich meine Freunde, ihr müßt mich lieben, ich zwinge euch dazu, ich bin das Werkzeug des Himmels zu eurem Glück –


Mit einer Art der Entzückung.


SERAPHINE äußerst gerührt nach ihm heraufblickend. Prado![326]

PRADO. Ich will den Namen eurer Heirat tragen.

SERAPHINE fällt auf ihr Angesicht. O mehr als ein Mensch!


Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 323-327.
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