Erste Szene

[183] In Lille.

Mariane. Charlotte.


MARIANE mit untergestütztem Kopf einen Brief schreibend. Schwester weißt du nicht, wie schreibt man Madam, Ma, ma, tamm, tamm, me, me.

CHARLOTTE sitzt und spinnt. So 'st recht.

MARIANE. Hör ich will dir vorlesen, ob's so angeht wie ich schreibe: »Meine liebe Matamm! Wir sein gottlob glücklich in Lille arriviert«, ist's so recht: arriviert, ar ar, riew wiert?

CHARLOTTE. So 'st recht.

MARIANE. »Wir wissen nicht, womit die Gütigkeit nur verdient haben, womit uns überschüttet, wünschte nur im Stand zu sein« – ist so recht?

CHARLOTTE. So lies doch bis der Verstand aus ist.

MARIANE. »Ihro alle die Politessen und Höflichkeit wieder zu erstatten. Weil aber es noch nicht in unsern Kräften steht, als bitten um fernere Condinuation.«

CHARLOTTE. Bitten wir um fernere.

MARIANE. Laß doch sein, was fällst du mir in die Rede.

CHARLOTTE. Wir bitten um fernere Condinuation.

MARIANE. Ei was redst du doch, der Papa schreibt ja auch so.


Macht alles geschwind wieder zu und will den Brief versiegeln.


CHARLOTTE. Nu, so les Sie doch aus.

MARIANE. Das übrige geht dich nichts an. Sie will allesfort klüger sein als der Papa, letzthin sagte der Papa auch es wäre nicht höflich wenn man immer »wir« schriebe und »ich« und so dergleichen. Siegelt zu. Da Steffen Gibt ihm Geld. tragt den Brief auf die Post.[183]

CHARLOTTE. Sie wollt mir den Schluß nicht vorlesen, gewiß hat Sie da was Schönes vor den Herrn Stolzius.

MARIANE. Das geht dich nichts an.

CHARLOTTE. Nu seht doch, bin ich denn schon schalu darüber gewesen? Ich hätt ja eben so gut schreiben können als du, aber ich hab dir das Vergnügen nicht berauben wollen, deine Hand zur Schau zu stellen.

MARIANE. Hör Lotte laß mich zufrieden mit dem Stolzius ich sag dir's, oder ich geh gleich herunter und klag's dem Papa.

CHARLOTTE. Denk doch, was mach ich mir daraus, er weiß ja doch daß du verliebt in ihn bist und daß du's nur nicht leiden kannst, wenn ein andrer ihn nur mit Namen nennt.

MARIANE. Lotte! Fängt an zu weinen und läuft herunter.


Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 183-184.
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