Sechste Szene

[195] Marianens Zimmer.

Sie sitzt auf ihrem Bett, hat die Zitternadel in der Hand und spiegelt damit, in den tiefsten Träumereien. Der Vater tritt herein, sie fährt auf und sucht die Zitternadel zu verbergen.


MARIANE. Ach Herr Jesus – –

WESENER. Na so mach Sie doch das Kind nicht. Geht einigemal auf und ab, dann setzt er sich zu ihr. Hör Marianel! du weißt ich bin dir gut, sei du nur recht aufrichtig gegen mich, es wird dein Schade nicht sein. Sag mir hat dir der Baron was von der Lieb vorgesagt?

MARIANE sehr geheimnisvoll. Pappa! – er ist verliebt in mich, das ist wahr. Sieht Er einmal, diese Zitternadel hat er mir auch geschenkt.[195]

WESENER. Was tausend Hagelweeter – Potz Mord noch einmal Nimmt ihr die Zitternadel weg. hab ich dir nicht verboten –

MARIANE. Aber Papa ich kann doch so grob nicht sein und es ihm abschlagen. Ich sag Ihm er hat getan wie wütig, als ich's nicht annehmen wollte Läuft nach dem Schrank. hier sind auch Verse die er auf mich gemacht hat. Reicht ihm ein Papier.

WESENER liest laut.

Du höchster Gegenstand von meinen reinen Trieben

Ich bet dich an, ich will dich ewig lieben.

Weil die Versicherung von meiner Lieb und Treu

Du allerschönstes Licht mit jedem Morgen neu.


Du allerschönstes Licht, ha ha ha.

MARIANE. Wart Er, ich will Ihm noch was weisen, er hat mir auch ein Herzchen geschenkt mit kleinen Steinen besetzt in einem Ring.


Wieder zum Schrank. Der Vater besieht es gleichgültig.


WESENER liest noch einmal. Du höchster Gegenstand von meinen reinen Trieben. Steckt die Verse in die Tasche. Er denkt doch honett seh ich. Hör aber Marianel, was ich dir sage, du mußt kein Präsent mehr von ihm annehmen. Das gefällt mir nicht daß er dir soviele Präsente macht.

MARIANE. Das ist sein gutes Herz Pappa.

WESENER. Und die Zitternadel gib mir her, die will ich ihm zurückgeben. Laß mich nur machen, ich weiß schon was zu deinem Glück dient, ich hab länger in der Welt gelebt als du mein' Tochter und du kannst nur immer allesfort mit ihm in die Komödien gehn, nur nimm jedesmal die Madam Weyher mit, und laß dir nur immer nichts davon merken als ob ich davon wüßte sondern sag nur, daß er's recht geheim hält und daß ich sehr böse werden würde wenn ich's erführe. Nur keine Präsente von ihm angenommen Mädel, um Gotteswillen.

MARIANE. Ich weiß wohl daß der Pappa mir nicht übel[196] raten wird. Küßt ihm die Hand. Er soll sehen, daß ich Seinem Rat in allen Stücken folgen werde. Und ich werde Ihm alles wiedererzählen darauf kann Er sich verlassen.

WESENER. Na so denn. Küßt sie. Kannst noch einmal gnädige Frau werden närrisches Kind. Man kann nicht wissen was einem manchmal für ein Glück aufgehoben ist.

MARIANE. Aber Papa. Etwas leise. Was wird der arme Stolzius sagen?

WESENER. Du mußt darum den Stolzius nicht so gleich abschröcken, hör einmal. – Nu ich will dir schon sagen, wie du den Brief an ihm einzurichten hast. Unterdessen schlaf Sie gesund Meerkatze.

MARIANE küßt ihm die Hand. Gute Nacht Pappuschka! – Da er fort ist, tut sie einen tiefen Seufzer und tritt ans Fenster indem sie sich aufschnürt. Das Herz ist mir so schwer. Ich glaub es wird gewittern die Nacht. Wenn es einschlüge – Sieht in die Höhe, die Hände über ihre offene Brust schlagend. Gott was hab ich denn Böses getan? – – Stolzius – ich lieb dich ja noch – aber wenn ich nun mein Glück besser machen kann – und Pappa selber mir den Rat gibt. Zieht die Gardine vor. Trifft mich's so trifft mich's, ich sterb nicht anders als gerne. Löscht ihr Licht aus.

Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 195-197.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Soldaten
Die Soldaten (Dodo Press)
Die Soldaten. ( Literatur- Kommentar, 8). Texte, Materialien, Kommentar
Jakob Michael Reinhold Lenz, Der Hofmeister/Die Soldaten
Die Soldaten / Der Hofmeister: Dramen (Fischer Klassik)