Zweite Szene

[211] Stolzius' Wohnung.

Er sitzt mit verbundenem Kopf an einem Tisch auf dem eine Lampe brennt, einen Brief in der Hand, seine Mutter neben ihm.


MUTTER die auf einmal sich ereifert. Willst du denn nicht schlafen gehen du gottloser Mensch! So red doch, so sag was dir fehlt. Das Luder ist deiner nicht wert gewesen. Was grämst du dich, was wimmerst du um eine solche – Soldatenhure.

STOLZIUS mit dem äußersten Unwillen vom Tisch sich aufrichtend. Mutter –

MUTTER. Was ist sie denn anders – du – und du auch, daß du dich an solche Menscher hängst.

STOLZIUS faßt ihr beide Hände. Liebe Mutter, schimpft nicht auf sie, sie ist unschuldig, der Offizier hat ihr den Kopf verrückt. Seht einmal wie sie mir sonst geschrieben hat. Ich muß den Verstand verlieren darüber. Solch ein gutes Herz.

MUTTER steht auf und stampft mit dem Fuß. Solch ein Luder – Gleich zu Bett mit dir, ich befehl es dir. Was soll daraus werden, was soll da herauskommen. Ich will dir weisen, junger Herr, daß ich deine Mutter bin.

STOLZIUS an seine Brust schlagend. Marianel – nein sie ist es nicht mehr, sie ist nicht dieselbige mehr – Springt auf. Laßt mich –

MUTTER weint. Wohin du Gottvergessener.

STOLZIUS. Ich will dem Teufel der sie verkehrt hat – Fällt kraftlos auf die Bank, beide Hände in die Höhe. Oh du sollst mir's bezahlen, du sollst mir's bezahlen. Kalt. Ein Tag ist wie der andere, was nicht heut kommt, kommt morgen, und was langsam kommt, kommt gut. Wie heißt's in dem Liede Mutter, wenn ein Vögelein von einem Berge alle Jahre ein Körnlein wegtrüge, endlich würde es ihm doch gelingen.[211]

MUTTER. Ich glaube du phantasierst schon Greift ihm an den Puls. leg dich zu Bett Karl, ich bitte dich um Gotteswillen. Ich will dich warm zudecken, was wird da herauskommen du großer Gott das ist ein hitziges Fieber – um solch eine Metze –

STOLZIUS. Endlich – endlich – – alle Tage ein Sandkorn, ein Jahr hat zehn zwanzig dreißig hundert – Die Mutter will ihn fortleiten. Laßt mich Mutter, ich bin gesund.

MUTTER. Komm nur komm Ihn mit Gewalt fortschleppend. Narre! – Ich werd dich nicht loslassen, das glaub mir nur. Ab.


Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 211-212.
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