Achte Szene

[221] In Lille.

Der Gräfin La Roche Wohnung.

Die Gräfin. Ein Bedienter.


GRÄFIN sieht nach ihrer Uhr. Ist der junge Herr noch nicht zurückgekommen?

BEDIENTER. Nein gnädige Frau.

GRÄFIN. Gebt mir den Hauptschlüssel und legt Euch schlafen. Ich werde dem jungen Herrn selber aufmachen. Was macht Jungfer Cathrinchen?

BEDIENTER. Sie hat den Abend große Hitze gehabt.[221]

GRÄFIN. Geht nur noch einmal hinein und seht ob die Mademoiselle auch noch munter ist. Sagt ihr nur, ich gehe nicht zu Bett, um ein Uhr werde ich kommen und sie ablösen.

BEDIENTER ab.

GRÄFIN allein. Muß denn ein Kind seiner Mutter bis ins Grab Schmerzen schaffen? Wenn du nicht mein Einziger wärst und ich dir kein so empfindliches Herz gegeben hätte – Man pocht. Sie geht heraus und kommt wieder herein mit ihm.

JUNGER GRAF. Aber gnädige Mutter, wo ist denn der Bediente, die verfluchten Leute, wenn es nicht so spät wäre ich ließ den Augenblick nach der Wache gehen und ihm alle Knochen im Leibe entzweischlagen.

GRÄFIN. Sachte, sachte mein Sohn. Wie wenn ich mich nun gegen dich so übereilte, wie du gegen den unschuldigen Menschen.

JUNGER GRAF. Aber es ist doch nicht auszuhalten.

GRÄFIN. Ich selbst habe ihn zu Bett geschickt. Ist's nicht genug daß der Kerl den ganzen Tag auf dich passen muß, soll er sich auch die Nachtruhe entziehen um deinetwillen. Ich glaube du willst mich lehren die Bedienten anzusehen wie die Bestien.

JUNGER GRAF küßt ihr die Hand. Gnädige Mutter.

GRÄFIN. Ich muß ernsthaft mit dir reden, junger Mensch! Du fängst an, mir trübe Tage zu machen. Du weißt ich habe dich nie eingeschränkt, mich in alle deine Sachen gemischt als deine Freundin, nie als Mutter. Warum fängst du mir denn jetzt an, ein Geheimnis aus deinen Herzensangelegenheiten zu machen, da du doch sonst keine deiner jugendlichen Torheiten vor mir geheim hieltest und ich, weil ich selbst ein Frauenzimmer bin, dir allezeit den besten Rat zu geben wußte. Sieht ihn steif an. Du fängst an lüderlich zu werden mein Sohn.

JUNGER GRAF ihr die Hand mit Tränen küssend. Gnädige Mutter, ich schwöre Ihnen, ich habe kein Geheimnis für Sie. Sie haben mich nach dem Nachtessen mit Jungfer[222] Wesenern begegnet, Sie haben aus der Zeit und aus der Art mit der wir sprachen Schlüsse gemacht – es ist ein artig Mädchen und das ist alles.

GRÄFIN. Ich will nichts mehr wissen. Sobald du Ursache zu haben glaubst mir was zu verhehlen – aber bedenk auch daß du hernach die Folgen deiner Handlungen nur dir selber zuzuschreiben hast. Fräulein Anklam hat hier Verwandte, und ich weiß daß Jungfer Wesenern nicht in dem besten Ruf steht, ich glaube, nicht aus ihrer Schuld, das arme Kind soll hintergangen worden sein.

JUNGER GRAF kniend. Eben das gnädige Mutter! eben ihr Unglück – Wenn Sie die Umstände wüßten, ja ich muß Ihnen alles sagen, ich fühle daß ich einen Anteil an dem Schicksal des Mädchens nehme – Und doch – wie leicht ist sie zu hintergehen gewesen, ein so leichtes offenes unschuldiges Herz – es quält mich Mama! daß sie nicht in bessere Hände gefallen ist.

GRÄFIN. Mein Sohn, überlaß das Mitleiden mir. Glaube mir Umarmt ihn. glaube mir, ich habe kein härteres Herz als du. Aber mir kann das Mitleiden nicht so gefährlich werden. Höre meinen Rat, folge mir. Um deiner Ruhe willen, geh nicht mehr hin, reis aus der Stadt, reis zu Fräulein Anklam – und sei versichert daß es Jungfer Wesenern hier nicht übel werden soll. Du hast ihr in mir ihre zärtlichste Freundin zurückgelassen – Versprichst du mir das?

JUNGER GRAF sieht sie lang zärtlich an. Gut Mamma, ich verspreche Ihnen alles – Nur noch ein Wort eh ich reise. Es ist ein unglückliches Mädchen, das ist gewiß.

GRÄFIN. Beruhige dich nur. Ihm auf die Backen klopfend. Ich glaube dir's mehr als du mir es sagen kannst.

JUNGER GRAF steht auf und küßt ihr die Hand. Ich kenne Sie – Beide gehen ab.[223]


Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 221-224.
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