Drittes Kapitel

[472] Lukretia erregt bei Hofe großes Aufsehn und spielt vor dem König, der sich in sie verliebt, was jedoch nicht zu ihrem Glück ausschlägt


Das Debüt der beiden neuen Schauspielerinnen erregte bei Hofe bald Aufsehn: gleich folgenden Tages sprach man beim Lever des Königs davon. Ein paar Edelleute vor allem rühmten[472] die junge Lukretia: sie entwarfen von ihr ein so schönes Bild, daß der Monarch aufmerksam wurde; aber er verbarg den Eindruck, den ihre Worte auf ihn machten, bewahrte Schweigen und tat, als beachtete er sie nicht.

Sowie er sich jedoch mit dem Grafen-Herzog allein sah, fragte er, wer die Schauspielerin wäre, die man so sehr lobte. Der Minister erwiderte, es sei eine junge Komödiantin aus Toledo, die am Abend zuvor unter großem Erfolg debütiert habe. Sie heißt, fügte er hinzu, Lukretia, ein Name, der für Mädchen ihres Berufes gut paßt: sie ist eine Bekannte Santillanas, der mir so viel Gutes von ihr sagte, daß ich es für geboten hielt, sie in die Truppe Eurer Majestät aufzunehmen. Der König lächelte, als er meinen Namen hörte; vielleicht entsann er sich in diesem Augenblick, daß ich ihn mit Catalina bekanntgemacht hatte, und eine Ahnung sagte ihm, ich würde ihm auch bei dieser Gelegenheit jenen Dienst leisten. Graf, sagte er zu dem Minister, ich will morgen diese Lukretia spielen sehn; ich überlasse es Euch, sie davon in Kenntnis zu setzen.

Der Graf-Herzog berichtete mir diese Unterhaltung, teilte mir die Absicht des Königs mit und schickte mich zu den beiden Komödiantinnen, um sie zu benachrichtigen. Ich begab mich eiligst in ihr Logierhaus. Ich komme, sagte ich zu Laura, der ich zuerst begegnete, mit einer großen Nachricht: Ihr werdet morgen das Oberhaupt des Reiches unter Euren Zuschauern haben; davon soll ich Euch im Auftrag des Ministers unterrichten. Ich zweifle nicht, daß Ihr und Eure Tochter alles aufbieten werdet, um der Ehre, die der Monarch Euch antun will, gerecht zu werden; aber ich rate Euch, wählt ein Stück, in dem Tanz und Musik vorkommen, damit er alle Talente Lukretias bewundern kann. Wir werden Eurem Rat folgen, erwiderte Laura: es soll nicht an uns liegen, wenn der Fürst nicht zufriedengestellt wird. Er wird es sicher werden, sagte ich, als ich Lukretia in einem Negligé[473] eintreten sah, das ihr mehr Reiz verlieh als ihre prachtvollsten Theaterkostüme: er wird um so mehr von Eurer reizenden Nichte entzückt sein, als er den Tanz und den Gesang über alles liebt; er könnte sogar in Versuchung geraten, ihr das Taschentuch zuzuwerfen. Ich wünsche durchaus nicht, versetzte Laura, daß er in diese Versuchung gerät; wenn er auch ein mächtiger Monarch ist, so könnte er doch vor der Erfüllung seiner Wünsche Hindernisse finden. Lukretia ist trotz ihrer Erziehung in den Kulissen eines Theaters tugendhaft; und so sehr es sie freut, wenn sie auf der Bühne Beifall findet, lieber noch will sie im Ruf eines anständigen Mädchens stehn als in dem einer guten Schauspielerin.

Liebe Tante, sagte da die kleine Marialva, indem sie in das Gespräch eingriff, wozu einen Kampf mit eingebildeten Ungeheuern führen? Ich werde nie in die Notlage kommen, die Seufzer des Königs abweisen zu müssen; sein wählerischer Geschmack wird ihn vor den Vorwürfen bewahren, die er verdiente, wenn seine Blicke sich bis zu mir herabließen. Aber, reizende Lukretia, sagte ich, wenn es sich träfe, daß der Fürst sich von Euch fesseln ließe und Euch zur Geliebten erwählen wollte, wäret Ihr grausam genug, ihn wie einen gewöhnlichen Liebhaber schmachten zu lassen? Weshalb nicht? erwiderte sie. Ja, ohne Zweifel; und von meiner Tugend abgesehn, fühle ich, daß es meiner Eitelkeit mehr schmeicheln würde, seiner Leidenschaft zu widerstehn, als mich ihr zu fügen. Ich war nicht wenig erstaunt, eine Schülerin Lauras so sprechen zu hören, und ich ließ die Damen allein, indem ich die eine lobte, weil sie der andern eine so schöne Erziehung gegeben hatte.

Am folgenden Tage ging der König voll Ungeduld, Lukretia zu sehn, ins Schauspiel. Man spielte ein Stück, in das Tänze und Gesänge eingelegt waren, und unsre junge Schauspielerin glänzte sehr. Vom Anfang bis zum Schluß hielt ich die Blicke auf den Monarchen geheftet, und ich bemühte mich,[474] seine Gedanken in seinen Augen zu lesen; aber er spottete durch den Ernst, den er stets bewahrte, meines Scharfsinns. Erst am Tage darauf erfuhr ich, was ich wissen wollte. Santillana, sagte der Minister zu mir, ich komme vom König, der mir so lebhaft von Lukretia gesprochen hat, daß ich nicht mehr zweifle, er ist in die junge Komödiantin verliebt; und da ich ihm gesagt habe, daß du sie hast aus Toledo kommen lassen, so hat er mir bedeutet, er möchte dich insgeheim darüber sprechen: zeige dich sofort an der Tür seines Schlafzimmers, wo der Befehl, dich einzulassen, schon gegeben ist; und kehre sofort zurück, um mir über deine Unterredung Bericht zu erstatten.

Ich flog alsbald zum König, den ich allein fand. Er ging mit großen Schritten umher; er wartete auf mich und schien in Verlegenheit zu sein. Er stellte mir mehrere Fragen über Lukretia, deren Geschichte ich ihm erzählen mußte; dann fragte er mich, ob die kleine Person schon Abenteuer gehabt hätte. Ich versicherte ihn kühn des Gegenteils, obgleich solche Behauptungen stets verwegen sind. Das schien dem Fürsten große Freude zu machen. Dann, fuhr er fort, wähle ich dich zu meinem Vermittler bei Lukretia; aus deinem Munde soll sie ihren Sieg erfahren. Melde ihn ihr, fügte er hinzu, indem er mir ein Kästchen gab, in dem für mehr als fünfzigtausend Taler Edelsteine lagen, und sage ihr, daß ich sie bitte, dies Geschenk anzunehmen und bedeutendere Zeichen meiner Neigung zu erwarten.

Ehe ich diesen Auftrag ausführte, ging ich zum Grafen-Herzog, dem ich getreu berichtete, was der König zu mir gesagt hatte. Ich glaubte, der Minister würde eher betrübt als erfreut sein, denn ich dachte, er hätte Liebesabsichten auf Lukretia und würde voll Kummer hören, daß sein Herr sein Rivale sei; aber ich täuschte mich. Statt betroffen zu sein, war er von so großer Freude erfüllt, daß er sich ein paar Worte entschlüpfen ließ, die nicht zu Boden fielen. Oh, bei Gott! Philipp,[475] rief er aus, ich habe Euch; jetzt werden die Geschäfte Euch lästig werden! Dieser Ausruf enthüllte mir das ganze Manöver des Grafen-Herzogs: ich ersah daraus, daß dieser Edelmann besorgte, der Fürst wolle sich mit ernsten Dingen befassen, und daß er ihn durch die zu seiner Anlage am besten passenden Genüsse ablenken wollte. Santillana, sagte er dann, verliere keine Zeit; eile, mein Freund, und führe den wichtigen Befehl aus, den man dir gegeben hat und auf den viele Edelleute vom Hofe stolz sein würden. Bedenke, fuhr er fort, daß dir hier kein Graf von Lemos den größern Teil der Ehre raubt; du hast sie und auch den ganzen Nutzen allein.

So versüßte mir Seine Exzellenz die Pille, die ich langsam, und nicht ohne ihre Bitterkeit zu schmecken, schluckte; denn seit meiner Gefangenschaft hatte ich mich daran gewöhnt, die Dinge vom moralischen Standpunkt aus anzusehn, und ich fand das Amt eines Obermerkurs nicht so ehrenvoll, wie er es darstellte. Wenn ich jedoch nicht verderbt genug war, es ohne Gewissensbisse anzunehmen, so war ich doch auch nicht tugendhaft genug, es abzulehnen. Ich gehorchte also dem König um so lieber, als ich zugleich sah, daß mein Gehorsam auch dem Minister angenehm war, dem ich gern gefallen wollte.

Ich hielt es für geraten, mich zunächst an Laura zu wenden und insgeheim mit ihr zu reden. Ich setzte ihr meine Botschaft in maßvollen Worten auseinander und reichte ihr zum Schluß meiner Rede das Kästchen. Beim Anblick der Edelsteine ließ die Dame ihrer Freude, die sie nicht mehr verbergen konnte, freien Lauf. Herr Gil Blas, rief sie aus, vor dem besten und ältesten meiner Freunde darf ich mir keinen Zwang antun; es wäre albern, wollte ich mich mit falscher Sittenstrenge schmücken und mich vor Euch zieren. Ja, zweifelt nicht, fuhr sie fort, ich bin entzückt, daß meine Tochter eine so kostbare Eroberung gemacht hat; ich sehe alle Vorteile,[476] die sie bringen kann. Aber, unter uns, ich fürchte, Lukretia wird sie mit anderm Auge ansehn als ich: obgleich sie ein Theaterkind ist, das habe ich Euch schon gesagt, schätzt sie die Sittsamkeit so sehr, daß sie schon die Werbung zweier liebenswürdiger und reicher junger Edelleute abgewiesen hat. Ihr werdet sagen, fuhr sie fort, diese Edelleute seien keine Könige gewesen: das gebe ich zu, und wahrscheinlich wird die Liebe eines gekrönten Liebhabers Lukretias Tugend ins Wanken bringen; immerhin muß ich Euch sagen, es ist sehr ungewiß, und ich erkläre Euch, ich werde meine Tochter nicht zwingen. Wenn sie, statt sich durch die flüchtige Neigung des Königs geehrt zu fühlen, diese Ehre vielmehr als eine Schmach ansieht, so möge der große Fürst es ihr nicht übelnehmen, wenn sie sich ihr entzieht. Kommt morgen wieder, fuhr sie fort, dann will ich Euch sagen, ob Ihr ihm eine günstige Antwort geben könnt oder seine Juwelen zurückbringen müßt.

Ich zweifelte durchaus nicht, daß Laura Lukretia eher ermahnen würde, von ihrer Pflicht zu weichen, als an ihr festzuhalten, und ich zählte sehr auf diese Ermahnung. Trotzdem vernahm ich andern Tags mit Erstaunen, daß es Laura so viel Mühe gemacht hatte, ihre Tochter zum Bösen zu verführen, wie es andern Müttern macht, sie zum Guten zu leiten, und das Erstaunlichste war dies: nachdem Lukretia mit dem Monarchen ein paar heimliche Zusammenkünfte gehabt hatte, bereute sie so sehr, sich seinen Wünschen gefügt zu haben, daß sie plötzlich die Welt verließ und sich im Kloster der Menschwerdung Christi einschloß, wo sie bald darauf erkrankte und vor Kummer starb. Laura aber konnte sich über den Verlust ihrer Tochter nicht trösten, weil sie sich ihren Tod vorwerfen mußte; sie zog sich ins Kloster der Büßerinnen zurück und bereute dort die Vergnügungen ihrer heiteren Tage. Dem König waren Lukretias unerwartete Flucht in die Weltabgeschiedenheit und ihr Tod nahegegangen,[477] aber da er keine Anlage dazu hatte, lange zu trauern, so tröstete er sich allmählich. Der Graf-Herzog ließ sich zwar nicht merken, wie peinlich ihn dieses Ereignis traf; doch war er äußerst bestürzt; was der Leser leicht glauben wird.

Quelle:
Le Sage, Alain René: Die Geschichte des Gil Blas von Santillana. Wiesbaden 1957, S. 472-478.
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