Drittes Kapitel

[271] Gil Blas wird der Günstling des Erzbischofs und der Vermittler seiner Gnadenbeweise


Ich hatte mir am Nachmittag aus dem Gasthof, in dem ich gewohnt hatte, meine Sachen und mein Pferd geholt, inzwischen hatte man im Palast ein Zimmer und ein Daunenbett für mich bereitgemacht. Am folgenden Tage ließ der Erzbischof mich frühmorgens rufen. Ich sollte eine Predigt abschreiben. Aber er empfahl mir, sie mit jeder nur möglichen Genauigkeit zu kopieren. Ich ließ es nicht daran fehlen; ich vergaß keinen Akzent, keinen Punkt und kein Komma. Seine Freude war mit Überraschung gemischt. Ewiger Vater! rief er entzückt, als er die Blätter meiner Abschrift durchgesehn hatte, kann man etwas Korrekteres sehn? Ihr seid ein zu guter Kopist, als daß Ihr nicht auch Grammatiker sein solltet. Sagt mir im Vertrauen, mein Freund: habt Ihr beim Abschreiben[271] nichts gefunden, was Euch mißfallen hat? keine Nachlässigkeit im Stil, keinen ungehörigen Ausdruck? Mir könnte im Feuer des Schreibens recht wohl dergleichen entschlüpft sein. O Hochwürden, sagte ich mit bescheidener Miene, ich bin nicht erleuchtet genug, um kritische Anmerkungen zu machen; und wäre ich es, ich bin überzeugt, die Werke Eurer Gnaden würden jedem Tadel trotzen. Der Prälat lächelte über meine Antwort. Er erwiderte nichts; aber ich konnte durch seine ganze Frömmigkeit hindurch bemerken, daß er nicht ungestraft Autor war.

Durch diese Schmeichelei gewann ich mir vollends seine Gunst. Ich wurde ihm von Tag zu Tag teurer, und schließlich erfuhr ich durch Don Fernando, der ihn oft besuchte, wie sehr er mich liebte, so daß ich mein Glück als gemacht ansehen konnte. Das wurde mir bald darauf von meinem Herrn selber bestätigt; der Anlaß war der folgende. Eines Abends trug er mir voll Enthusiasmus eine Predigt vor, die er am folgenden Tag in der Kathedrale halten wollte. Er fragte mich nicht nur nach meinem allgemeinen Eindruck, er nötigte mich auch, ihm die Stellen zu nennen, die mir am besten gefallen hätten. Ich war glücklich genug, ihm die Stellen zu nennen, die er selber am höchsten schätzte, seine Lieblingsstellen. Jetzt galt ich bei ihm als ein Mensch, der eine feine Empfindung für die wahren Schönheiten eines Werkes hat. Das, rief er aus, nenne ich Geschmack und Empfindung! Nun, mein Freund, ich versichere dir, du hast kein böotisches Ohr. Mit einem Wort, er war mit mir so zufrieden, daß er lebhaft sagte: Gil Blas, sei künftig ohne Sorge um dein Schicksal; ich nehme es auf mich, dir ein angenehmes Los zu bereiten. Ich liebe dich, und um es dir zu beweisen, mache ich dich zu meinem Vertrauten.

Kaum hatte ich diese Worte vernommen, so warf ich mich Seiner Hochwürden zu Füßen, ganz durchdrungen von Dankbarkeit. Aus vollem Herzen umarmte ich seine krummen[272] Beine, und ich sah mich als einen Menschen an, der im Begriff stand, reich zu werden. Ja, mein Sohn, fuhr der Erzbischof fort, dessen Rede ich mit meiner Bewegung unterbrochen hatte, ich will dich zum Gefäß meiner geheimsten Gedanken machen. Höre aufmerksam an, was ich dir sagen will. Ich predige gern. Der Herr segnet meine Predigten; sie rühren die Sünder, so daß sie in sich gehen und bereuen. Ich habe die Genugtuung, daß ein Geiziger, entsetzt durch die Bilder, die ich seiner Habgier entgegenhalte, seine Schätze auftut und mit freigebiger Hand ausstreut; daß ich den Lüstling der Wollust entreiße, daß Ehrgeizige Einsiedler werden und Frauen, die Verführer wankend machten, in ihrer Pflicht verharren. Schon diese häufigen Bekehrungen müßten mich zur Arbeit stacheln. Aber ich will dir meine Schwäche gestehn, ich strebe noch nach einem andern Preis, einem Preis, den mir das Feingefühl meiner Tugend vergeblich vorwirft: nämlich der Achtung der Welt vor feinen, ausgefeilten Schriften. Die Ehre, als vollendeter Redner zu gelten, hat ihre Reize für mich. Man findet meine Werke zugleich stark und fein; aber ich möchte den Fehler vieler guter Autoren meiden, die zu lange schreiben, und mich mit meinem vollen Ruhm zurückziehen.

Also, mein lieber Gil Blas, fuhr der Prälat fort, fordere ich eins von deinem Eifer: wenn du merkst, daß meine Feder nach dem Alter riecht, wenn du siehst, daß ich schwächer werde, dann verfehle nicht, mich zu warnen. Ich verlasse mich da nicht auf mich selber; meine Eitelkeit könnte mich irre führen. Dazu bedarf es eines unbeteiligten Geistes. Ich wähle den deinen, den ich als gut erkannt habe; ich werde mich auf dein Urteil verlassen. Dem Himmel sei Dank, Euer Gnaden, sagte ich, Ihr seid noch weit von diesem Zeitpunkt entfernt. Und dann wird sich ein Geist von der Art Eurer Hochwürden besser erhalten als ein andrer, oder genauer, Ihr werdet stets der gleiche bleiben. Ich sehe Euch als einen[273] zweiten Kardinal Ximenes an, dessen überlegenes Genie aus der Fülle der Jahre, statt unter ihr schwächer zu werden, nur neue Kräfte zu sammeln schien. Keine Schmeichelei, mein Freund! unterbrach er mich. Ich weiß, ich kann plötzlich versagen. In meinem Alter merkt man schon, daß man gebrechlich wird, und die Gebrechen des Körpers verändern den Geist. Ich wiederhole es dir, Gil Blas, sobald du meinst, mein Kopf werde schwächer, so warne mich sofort. Fürchte dich nicht vor der Offenheit; ich werde diese Warnung als ein Zeichen deiner Liebe ansehn. Übrigens handelt es sich um dein eignes Interesse: wenn mir etwa zu deinem Unglück zu Ohren käme, daß man in der Stadt sagt, meine Reden hätten nicht mehr die gewohnte Kraft und ich sollte mich ausruhen, so erkläre ich dir, du würdest mit meiner Freundschaft auch die glänzende Stellung verlieren, die ich dir versprochen habe. Das wäre die Frucht deiner törichten Vorsicht.

Hier hielt der Kirchenfürst inne, um meine Antwort zu erwarten; und ich versprach ihm, was er wünschte. Von dieser Zeit an hatte er kein Geheimnis mehr vor mir; ich wurde sein Günstling. Außer Melchior de la Ronda sah das niemand ohne Neid. Es war ein Schauspiel, wie die Kammerherren und Knappen fortan mit dem Vertrauten Seiner Hochwürden umgingen: sie schämten sich nicht vor Niedrigkeiten, um mein Wohlwollen zu gewinnen; ich konnte kaum mehr glauben, daß sie Spanier waren. Trotzdem leistete ich ihnen Dienste, freilich ohne mich von ihren berechnenden Höflichkeiten betrügen zu lassen. Der Herr Erzbischof verwandte sich auf meine Bitte für sie. Er ließ dem einen eine Kompanie zuerteilen, so daß er in der Truppe eine Rolle spielen konnte; einen andern schickte er nach Mexiko, wo er ein bedeutendes Amt bekleiden sollte, und für meinen Freund Melchior erhielt ich eine gute Versorgung. Ich erprobte dadurch, daß der Prälat, wenn er auch für niemanden von selber sorgte, wenigstens selten abschlug, worum man ihn bat.[274]

Aber was ich für einen Priester tat, scheint mir eine genauere Schilderung zu verdienen. Eines Tages wurde mir von unserm Haushofmeister ein Lizentiat namens Luis Garcias vorgestellt, ein noch junger Mann von sehr angenehmem Äußern. Herr Gil Blas, sagte der Haushofmeister, Ihr seht in diesem ehrenwerten Geistlichen einen meiner besten Freunde. Er ist bei den Nonnen Almosenpfleger gewesen. Böse Zungen haben seine Tugend nicht geschont. Man hat ihn bei Seiner Hochwürden angeschwärzt; er hat ihn seines Amtes enthoben und ist so gegen ihn eingenommen, daß er kein Gesuch zu seinen Gunsten anhören will. Vergebens haben wir die ersten Persönlichkeiten von Granada aufgeboten, um ihn wieder einsetzen zu lassen: unser Herr ist ganz unbeugsam.

Meine Herren, sagte ich, das ist eine verfahrene Sache. Es wäre besser, man hätte noch nicht für den Herrn Lizentiaten gebeten. Man hat ihm einen schlechten Dienst geleistet, indem man ihm hat helfen wollen. Ich kenne Seine Gnaden: Bitten und Empfehlungen erschweren für ihn den Fehler eines Geistlichen nur; das habe ich vor nicht langem noch aus seinem eignen Munde gehört. Je mehr Personen, sagte er, ein Priester, der in Unregelmäßigkeiten verfallen ist, aufbietet, für ihn zu sprechen, um so mehr verbreitet er den Skandal, und um so mehr Strenge lasse ich walten. Das ist ärgerlich, sagte der Haushofmeister, und mein Freund wäre sehr in Verlegenheit, wenn er nicht eine gute Hand hätte. Zum Glück schreibt er wunderschön, und er zieht sich durch dies Talent aus der Not. Ich war neugierig, ob die Handschrift, die man mir rühmte, besser sei als die meine. Der Lizentiat zeigte mir ein Blatt, das ich bewundern mußte. Als ich die schöne Schrift sah, kam mir ein Gedanke. Ich bat Garcias, mir dies Blatt zu überlassen, und sagte ihm, ich könnte etwas damit beginnen, was ihm nützen würde; ich wolle mich im Augenblick nicht weiter erklären, aber am folgenden Tage würde ich ihm mehr sagen können. Der Lizentiat,[275] dem der Haushofmeister offenbar meinen Verstand gerühmt hatte, zog sich so zufrieden zurück, als wäre er in sein Amt schon wieder eingesetzt.

Ich wünschte wirklich, daß es geschähe; und noch selbigen Tages arbeitete ich folgendermaßen daran: Ich war mit dem Erzbischof allein und zeigte ihm Garcias' Schrift. Mein Herr schien entzückt. Da nutzte ich die Gelegenheit aus und sagte: Euer Gnaden, da Ihr Eure Predigten nicht drucken lassen wollt, so wünschte ich wenigstens, daß sie so abgeschrieben würden. Ich bin mit deiner Schrift zufrieden, erwiderte der Prälat; aber ich gestehe; dir, ich wäre nicht böse, wenn ich von dieser Hand eine Abschrift meiner Werke hätte. Euer Gnaden, versetzte ich, brauchen es nur zu sagen. Der Schreiber ist ein mir bekannter Lizentiat. Er wird um so mehr erfreut sein, Euch diesen Gefallen erweisen zu können, als er dadurch Eure Milde anrufen kann, ihn aus der traurigen Lage zu retten, in der er sich leider jetzt befindet.

Der Prälat verfehlte nicht zu fragen, wie dieser Lizentiat heiße. Er heißt, sagte ich, Luis Garcias. Er ist in Verzweiflung, daß er sich Eure Ungnade zugezogen hat. Dieser Garcias, unterbrach er mich, ist, wenn ich nicht irre, in einem Nonnenkloster Almosenpfleger gewesen. Er hat eine Kirchenstrafe erhalten. Ich entsinne mich noch der Eingaben gegen ihn. Seine Sitten sind nicht sehr gut, Hochwürden, unterbrach jetzt ich ihn meinerseits, ich will nicht versuchen, ihn zu rechtfertigen; aber ich weiß, er hat Feinde. Er behauptet, die Verfasser der Eingaben, die Ihr gelesen habt, hätten sich mehr bemüht, ihm schlechte Dienste zu leisten, als die Wahrheit zu sagen. Das kann sein, versetzte der Erzbischof; es gibt gefährliche Geister in der Welt. Übrigens zugegeben, daß seine Führung nicht immer einwandfrei war: er kann es bereut haben; schließlich, wir sollen uns auch des Sünders erbarmen. Führe mir diesen Lizentiaten zu; ich hebe die Amtsenthebung wieder auf.

So lassen die Strengsten in ihrer Strenge nach, wenn ihr teuerstes[276] Interesse sich ihr widersetzt. Der Erzbischof gewährte ohne Mühe dem eitlen Vergnügen, seine Werke schön geschrieben zu besitzen, was er den mächtigsten Fürsprechern verweigert hatte. Ich brachte diese Nachricht sofort dem Haushofmeister, der sie Garcias wissen ließ. Der Lizentiat kam gleich am folgenden Tage, um mir der erwirkten Gnade entsprechenden Dank abzustatten. Ich stellte ihn meinem Herrn vor, der sich auf einen leichten Verweis beschränkte und ihm Predigten zum Abschreiben gab. Garcias entledigte sich dieses Auftrags so gut, daß er wieder eingesetzt wurde. Er erhielt sogar die Pfarrei von Gabia, einem großen Ort in der Umgebung von Granada; was beweist, daß die Pfründen nicht immer der Tugend zuteil werden.

Quelle:
Le Sage, Alain René: Die Geschichte des Gil Blas von Santillana. Wiesbaden 1957, S. 271-277.
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