XI

[47] Ferapont stand nun vor dem Graben. Er schien aufs Höchste erregt, handelte aber entschlossen und energisch. Ohne gegen den Befehl zu mucksen, nahm er vom Schlitten den Strick, mit dem vorhin das Stroh zusammengebunden war, und band ihn an das herausragende Ende des Balkens, wo sich eine Einkerbung befand, fest. Das andere Ende des Strickes nahm er in die Hand und begann langsam in den Graben zu steigen.

Das schreckliche Gebrüll Sganarells hörte sofort auf, und man hörte nur noch ein dumpfes Brummen.

Es klang, wie wenn sich das Tier bei seinem Freunde über die grausame Behandlung beklagte; nun verstummte aber auch dieses Brummen, und es wurde ganz still.

»Er umarmt und leckt Chraposchka!« meldete einer der Männer, die am Grabenrande standen.[47]

Unter den Leuten, die in den Schlitten saßen, holten die einen tief Atem, und die andern verzogen das Gesicht.

Viele hatten offenbar mit dem Bären Mitleid und erwarteten von der Hetzjagd kein Vergnügen mehr. Alle diese flüchtigen Eindrücke wurden plötzlich von einem Ereignis unterbrochen, das noch unerwarteter, als alles Vorhergehende und ungewöhlich rührend war.

Aus der Öffnung des Grabens tauchte wie aus der Unterwelt Chraposchkas lockiger Kopf in der runden Jägermütze auf. Er stieg auf die gleiche Weise heraus, wie er hinuntergestiegen war; er schritt über den Balken, sich an dem einen Ende des gespannten Strickes festhaltend, Ferapont kam aber nicht allein: an seiner Seite war Sganarell, der ihm seine große zottige Tatze auf die Schulter gelegt hatte. Der Bär war übler Laune und sah recht jämmerlich aus. Matt und abgemagert, wohl weniger durch die körperlichen Leiden, als durch die moralische Erschütterung erschöpft, erinnerte er auffallend an König Lear. Seine blutunterlaufenen Augen brannten vor Zorn und Empörung. Er war ebenso wie König Lear zerzaust, voller Strohhalme und stellenweise versengt. Seltsamerweise hatte sich Sganarell, ebenso wie jener unglückliche König, eine Art Krone bewahrt. Vielleicht Ferapont zu Gefallen, vielleicht auch rein zufällig trug er unter der Tatze den Hut, den ihm Chraposchka einst geschenkt und den er in den Graben mitgenommen hatte. Der Bär hatte dieses Freundesgeschenk aufbewahrt; als sein Herz nun in der Umarmung des Freundes eine plötzliche Erleichterung fühlte, holte er, sobald er oben war, den arg zerknitterten Hut aus der Achselhöhle hervor und setzte ihn sich auf.[48]

Viele lachten über den Anblick, vielen erschien er aber auch schmerzlich. Manche wandten sich sogar weg, um das unvermeidliche grausame Ende des Tieres nicht mit ansehen zu müssen.

Quelle:
Ljesskow, Nikolai: Eine Teufelsaustreibung und andere Geschichten. München 1921, S. 47-49.
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