Vierzehnter Brief

[299] An den Herrn F.


Wahrhaftig, mein Herr, Sie haben Lust mich zu versuchen, und mir einen übeln Streich zu spielen. Würden Sie wohl[299] sonst von einem jungen Schriftsteller, der sich von Leipzigern und Schweizern umringt sieht, ein offenherziges Bekenntnis von dem Reime fordern? Welche soll ich vor den Kopf stoßen? Welcher Spöttereien soll ich mich aussetzen? Mit mindrer Gefahr kann ein heimlicher Anhänger des Prätendenten, mitten in London, seine wahren Gesinnungen gegen das jetzt regierende Haus verraten. – – Doch bei nahe fühlte ich mich geneigt, gegen diese Gefahr meine Augen zu verschließen, wenn ich nur wüßte, daß Sie reinen Mund halten könnten. Zwar bin ich wohl wunderlich. Zeuge ich nicht schon selbst wider mich? Ich, der ich mir noch nie einen reimlosen Vers habe abgewinnen können? ich, dem es schwerer fallen würde, den Reim überall zu vermeiden, als ihn zu suchen? Hören Sie also, was ungefähr meine Gedanken wären. Es scheint mir, daß diejenigen, welche gegen den Reim unerbittlich sind, sich vielleicht an ihm rächen wollen, weil er ihnen niemals hat zu Willen sein wollen. Ein kindisches Geklimper, nennen sie ihn mit einer verächtlichen Miene. Gleich als ob der kützelnde wiederkommende Schall, das einzige wäre, warum man ihn beibehalten solle. Rechnen sie das Vergnügen, welches aus der Betrachtung der glücklich überstiegnen Schwierigkeit entstehet, für nichts? Ist es kein Verdienst, sich von dem Reime nicht fortreißen zu lassen, sondern ihm, als ein geschickter Spieler den unglücklichen Würfen, durch geschickte Wendungen eine so notwendige Stelle anzuweisen, daß man glauben muß, unmöglich könne ein ander Wort anstatt seiner stehen? Zweifelt man aber an der Möglichkeit dieser Anwendung, so verrät man nichts, als seine Schwäche in der Sprache, und die Armut an glücklichen Veränderungen. Haller, Hagedorn, Gellert, Utz zeigen genugsam, daß man über den Reim herrschen, und ihm das vollkommene Ansehen der Natur geben könne. Die Schwierigkeit ist mehr ein Lob für ihn, als ein Grund ihn abzuschaffen. – – Und also, mein Herr, schließen Sie wohl, daß ich ganz und gar wider die reimlosen Dichter bin? Nein; sondern ich dringe nur auch hier auf eine republikanische Freiheit, die ich überall einführen würde, wenn ich könnte. Den Reim für ein notwendiges Stück der deutschen Dichtkunst halten, heißt einen[300] sehr gotischen Geschmack verraten. Leugnen aber, daß die Reime oft eine dem Dichter und Leser vorteilhafte Schönheit sein können, und es aus keinem andern Grunde leugnen, als weil die Griechen und Römer sich ihrer nicht bedient haben, heißt das Beispiel der Alten mißbrauchen. Man lasse einem Dichter die Wahl. Ist sein Feuer anhaltend genug, daß es unter den Schwierigkeiten des Reims nicht erstückt, so reime er. Verliert sich die Hitze seines Geistes, während der Ausarbeitung, so reime er nicht. Es gibt Dichter, welche ihre Stärke viel zu lebhaft fühlen, als daß sie sich der mühsamen Kunst unterwerfen sollten, und diese offendit limae labor et mora. Ihre Werke sind Ausbrüche des sie treibenden Gottes, quos nec multa dies nec multa litura coërcuit. Es gibt andre welche Horaz sanos nennt, und welche nur allzuviel Demokrite unsrer Zeit Helicone excludunt. Sie wissen sich nicht in den Grad der Begeistrung zu setzen, welcher jenen eigen ist; sie wissen sich aber in demjenigen länger zu erhalten, in welchem sie einmal sind. Durch Genauigkeit und immer gleiche mäßige Lebhaftigkeit ersetzen sie die blendenden Schönheiten eines auffahrenden Feuers, welche oft nichts als eine unfruchtbare Bewundrung erwecken. Es ist schwer zu sagen, welche den Vorzug verdienen. Sie sind beide groß, und beide unterscheiden sich unendlich von den mittelmäßigen Köpfen, welchen weder die Reime eine Gelegenheit zur fleißigern Ausarbeitung, noch die abgeschafften Reime eine Gelegenheit desto feuriger zu bleiben sind. – – Was meinen Sie, sollte ich wohl Recht haben? Es wird mir lieb sein, wenn Sie ja! sagen; und ich werde es nicht ungerne sehen, wenn Sie nein! sprechen. Denn nichts kann mir an einem Freunde angenehmer sein, als verschiedne Meinungen in gleichgültigen Sachen. Leben Sie wohl. Ich bin etc.[301]

Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 3, München 1970 ff., S. 299-302.
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