Gottsched, Gedichte

[52] Leipzig. Allen nach Standesgebühr höchst und hochzuehrenden Liebhabern, Gönnern, und Beförderern einer echten deutschen Poeterey kündigen und preisen wir folgendes Werk an. Herrn Johann Christoph Gottscheds, der Weltw. und Dichtkunst öffentl. Lehrers in Leipzig, Gedichte, bei der jetzigen zweiten Auflage übersehen und mit dem II. Teile vermehrt, nebst einer Vorrede ans Licht gestellet von M. Joh. Joachim Schwaben. Leipzig, verlegts B. Chr. Breitkopf. 1751. in groß 8t. Das Äußerliche dieser Gedichte ist so vor trefflich, daß sie, wie wir hoffen, den Buchläden große Ehre machen werden, und wie wir wünschen lange Zeit machen mögen. Von dem innerlichen aber einen zureichenden Entwurf zu geben, das übersteigt unsre Kräfte. Der erste Teil ist alt, und nur die Ordnung ist neu, welche der schärfsten Hof-Etiquette Ehre machen würde. Wenn der Verfasser den Einfall dazu nicht in Wien bekommen hat, so hat er ihn wenigstens nicht bei dem Horaz gelernt, dem er sonst ein sehr wichtiges Kunststück abgestohlen hat, das große Kunststück nämlich seine Jübeloden allezeit fein zum Schlusse der Abteilung von den Oden zu setzen. Der andre Teil ist größten Teils neu, und mit eben der Rangordnung ausgeschmückt, welche bei dem ersten so vorzüglich angebracht ist; so daß nämlich alle Gedichte auf hohe Häupter und fürstliche Personen in das erste Buch; die auf gräfliche, adeliche und solche die ihnen gewissermaßen gleich kommen, ins zweite; alle freundschaftliche Lieder aber ins dritte Buch gekommen sind. Uns ist die Ode auf den Herrn von Leibniz sogleich in die Augen gefallen. Der größte Teil derselben beschäftiget sich mit dem Lobe der Stadt Leipzig. Das ist Pindarisch! Wann dieser erhabne Sänger das Lob eines olympischen Siegers vergöttern sollte, von dem er auf der Gottes Welt nichts rühmlichers zu sagen hatte, als etwa die Geschwindigkeit seiner Füße, oder die Stärke seiner Fäuste, so geschah es dann und[52] wann, daß er statt seiner, seine Vaterstadt lobte. O wahrhaftig! das heißt die Alten mit Überlegung nachahmen, wenn es anders der Herr Prof. Gottsched zur Nachahmung der Alten getan hat. Wer kann übrigens ernsthaft bleiben, wenn er das Lob dieses Weltweisen auf die Erfindung verschiedner Kleinigkeiten stützt, wie zum Exempel seine Dyadik ist, welche er zu erfinden eben nicht Leibniz hätte sein dürfen. Doch die Dyadik ist für den Hrn. Prof. vielleicht ein eben so unbegreifliches Ding als ihm die Analysis infinitorum zu sein scheint, die er, mit vieler Einsicht, die Rechenkunst in den unendlich Kleinen nennt. Dem poetischen Geiste des Hrn. Professors das völligste Recht widerfahren zu lassen, dürften wir nur eine Stelle aus einem Schreiben an den Herrn von Scheyb anführen, wo er sein zu entbehrendes Urteil über den Messias fällt; allein wir wollen es immer in einem Buche lassen, in welchem es nur bei denen einen Eindruck machen wird, welche gestraft genug sind, dieses große Gedicht nicht zu verstehen. Gesetzt es hat einige Flecken, so bleibt es doch allezeit ein Stück, durch welches unser Vaterland die Ehre schöpferische Geister zu besitzen verteidigen kann. Eine Anmerkung aber müssen wir aus angeführtem Schreiben hersetzen: »Herr Bodmer, sagt der Herr Prof. Gottsched, hat an den Herrn Schuch, Prinzipal einer deutschen Schauspielergesellschaft, nach Basel geschrieben, und ihn eingeladen nach Zürich zu kommen, nicht etwa tragische und komische Schauspiele daselbst aufzuführen, sondern durch seine geschicktesten Personen beiderlei Geschlechts den Messias auf öffentlicher Bühne hersagen zu lassen. Der Brief ist vorhanden.« Die Wahrheit dieser Anekdote vorausgesetzt, so ist sie eben so gar lächerlich nicht, als sie dem Herrn Prof. scheinet. Wäre es nicht sehr gut, wenn man auch unsre Schauplätze zu den Vorlesungen verschiedner Arten von Gedichten anwendete, wie es in der Tat bei den Römern üblich war. Hat er vergessen, daß Virgil selbst sein Heldengedicht auf öffentlichem Theater dem Volke vorgelesen hat? Diese Gedichte kosten in den Vossischen Buchläden hier und in Potsdam 2 Tlr. 4 Gr. Mit 2 Tlr. bezahlt man das Lächerliche, und mit 4 Gr. ohngefähr das Nützliche.[53]

Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 3, München 1970 ff., S. 52-54.
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