Hogarth, Zergliederung der Schönheit

[206] Zergliederung der Schönheit, die schwankenden Begriffe von dem Geschmacke festzusetzen, geschrieben von Wilhelm Hogarth. Aus dem Englischen übersetzt von C. Mylius. London bei And. Linde 1754. in 4to auf 20 Bogen nebst zwei großen Kupfertafeln. Herr Hogarth ist unstreitig einer der größten Maler, welche England jemals gehabt hat. Was ihn besonders berühmt gemacht, ist dieses, daß er in alle seine Gemälde eine Art von satyrischer Moral zu bringen gewußt, die das Herz an dem Vergnügen der Augen Teil zu nehmen, nötiget. Natur, Leben und Reiz, hat man durchgängig darinne bewundert, und diese bei ihm für die Wirkungen eines glücklichen Genies gehalten, bis er in dem gegenwärtigen Werke zeigte, daß auch ein tiefes Nachdenken über die Gegenstände seiner Kunst damit verbunden gewesen. Und diesem Nachdenken eben haben wir eine Menge neuer Ideen zu danken, die in der ganzen Materie von der Schönheit ein Licht anzünden, das man nur von einem Manne erwarten konnte, dem auf der Seite des Gelehrten eben so wenig, als auf der Seite des Künstlers fehlte. Er hat seine Schrift in siebenzehn Hauptstücke abgeteilt. In den ersten sechsen handelt er von den schon bekannten Gründen, von welchen man durchgängig zugesteht, daß sie, wenn sie wohl vermischt werden, allen Arten von Zusammensetzungen, Annehmlichkeit und Schönheit geben. Diese Gründe sind: die Richtigkeit, die Mannigfaltigkeit, die Gleichförmigkeit, die Einfachheit, die Verwicklung und die Größe, welche alle bei Hervorbringung der Schönheit zusammen wirken, indem sie einander gelegentlich verbessern und einschränken. In dem siebenden Hauptstücke wendet er sich zu den Linien, in welche alle Formen eingeschlossen[206] sein müssen, und findet, daß die Wellenförmige Linie die wahre Linie der Schönheit, und die Schlangenlinie die wahre Linie des Reizes sei. Auf der Betrachtung dieser beiden Linien beruht das ganze Hogarthsche System von der Schönheit. Er zeigt nämlich, wie aus ihrer Zusammensetzung alle angenehme Formen entstehen, und wie wunderbar sie besonders in dem Meisterstücke aller sinnlichen Schönheit, in dem menschlichen Körper, angebracht sind. Auch in den übrigen Hauptstücken, wo er von den Verhältnissen, von dem Lichte und Schatten, und von den Farben redet, zeigt er ihren Einfluß, welcher sich besonders in dem 16ten Hauptstücke von der Stellung, am meisten äußert. Man darf nicht glauben, daß bloß Maler und Bildhauer oder Kenner diesen beiden Künste, das Hogarthsche Werk mit Nutzen lesen können. Auch Tanzmeister, Redner und Schauspieler, werden die vortrefflichsten Anmerkungen darinnen finden, und noch mehrere durch kleine Anwendungen selbst daraus ziehen können. Ja so gar Dichter und Tonkünstler, werden, vermöge der Verbindung welche alle Schönen Künste und Wissenschaften untereinander haben, ähnliche Gründe der Schönheit in den Werken des Geistes und der Töne darinne entdecken, und ihren schwankenden Geschmack auf feste und unwandelbare Begriffe zurückbringen lernen. Die zwei darbei befindlichen Kupfertafeln sind von der eignen Hand des Herrn Hogarths, die ihnen mit Fleiß nicht mehr Schönheit gegeben hat, als sie zum Unterrichten nötig haben. Von der Güte der Übersetzung dürfen wir hoffentlich nicht viel Worte machen, da sie sich von einem Manne herschreibt, der selbst mit dem Schönen in der Natur und Kunst bekannt war, und den wir zu beider Ausbreitung viel zu zeitig verloren haben. Sein Aufenthalt in London verschaffte ihm Gelegenheit, den Herrn Hogarth selbst bei der Übersetzung zu Rate zu ziehen, welches er auch so oft getan zu haben versichert, daß man seiner Übersetzung dadurch eine Art von Authentizität beilegen kann. Kostet in der Vossischen Buchhandlung hier und in Potsdam 5 Rtlr.[207]

Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 3, München 1970 ff., S. 206-208.
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