G. E. Lessings Schriften

Erster Teil

Vorrede

[515] So sind die Schriftsteller. Das Publikum gibt ihnen einen Finger, und sie nehmen die Hand.

Meine Freunde – – es versteht sich, daß meine Eigenliebe mit darunter gehört – – wollen mich bereden, daß einige Bogen von mir den Beifall der Kenner erlangt hätten. Daß ich es glaube, weil ich meine Rechnung dabei finde, ist natürlich. Und daß ich mich jetzt der Gefahr aussetze, dasjenige Alphabetweise zu verlieren, was ich Bogenweise gewonnen habe, ist zwar auch natürlich, ob es aber eben so gar klug sei, das ist eine andere Frage. Wann der Hund, der in der Fabel nach dem Schatten schnappt, auch zu meinem Vorbilde wird, so mag ich es haben.

Die Bogen, deren ich jetzt gedacht, sind eine Sammlung kleiner Lieder. Sie erschienen vor zwei Jahren unter dem Titel »Kleinigkeiten«. Man darf nicht glauben, daß ich sie eben deswegen so nennte, damit ich der unerbittlichen Kritik mit Höflichkeit den Dolch aus den Händen winden möchte. Ich erklärte schon damals, daß ich der erste sein wolle, das jenige mit zu verdammen, was sie verdammt; sie, der zum Verdruß ich wohl einige mittelmäßige Stücke könnte gemacht haben; der zum Trotze ich aber nie diese mittelmäßige Stücke für schön erkennen würde. Ich griff ihr so gar vor, und bat meine Leser gewisse Blätter zu überschlagen, die ich damit entschuldigte, daß die Handschrift schon seit drei Jahren nicht mehr in meiner Gewalt gewesen sei.

Ob diese Versicherung unter die Autorstreiche gehörte, wird man jetzt aus dem zweiten Drucke sehen. Ich habe geändert; ich habe weggeworfen, und bin so strenge gewesen,[515] als es nur immer meine Einsicht hat zulassen wollen. Es ist wahr, ich hätte noch strenger sein können; wenn ich nämlich alles durchgestrichen, oder wenigstens alles, ohne mich jemals zu entdecken, so wie es war, gelassen hätte: Denn das elende streicht sich selbst durch, und schlechte Verse, die niemand liest, sind so gut, als wären sie nicht gemacht worden. Doch es mag drum sein; ich bekenne es, daß ich gegen die kleinen Denkmäler meiner Arbeit nicht ganz ohne Zärtlichkeit bin; und daß sich diese Zärtlichkeit doppelt fühlen läßt, wenn ich sie namenlos ein Raub des ersten des besten werden sehe.

Aber überlege ich es auch? Diese Lieder enthalten nichts, als Wein und Liebe, nichts als Freude und Genuß; und ich wage es, ihnen vor den Augen der ernsthaften Welt meinen Namen zu geben? Was wird man von mir denken? – – Was man will. Man nenne sie jugendliche Aufwallungen einer leichtsinnigen Moral, oder man nenne sie poetische Nachbildungen niemals gefühlter Regungen; man sage, ich habe meine Ausschweifungen darinne verewigen wollen, oder man sage, ich rühme mich darinne solcher Ausschweifungen, zu welchen ich nicht einmal geschickt sei; man gebe ihnen entweder einen allzuwahren Grund, oder man gebe ihnen gar keinen: alles wird mir einerlei sein. Genug sie sind da, und ich glaube, daß man sich dieser Art von Gedichten, so wenig als einer andern, zu schämen hat.

Ich weiß, daß auch andre so denken, und wenigstens bin ich es von einem gewissen Herrn H** überzeugt. Dieser Herr hat meine Kleinigkeiten mit dem alleraußerordentlichsten Beifalle beehrt, indem er sie für seine Arbeit ausgegeben. Und wann es nicht darauf ankäme, daß entweder er oder ich ein Lügner sein müßte, so würde ich mir ein Vergnügen daraus gemacht haben, ihm niemals zu widersprechen: denn die Ehre, die ihm daraus hätte zufließen können, wäre ohne Zweifel so klein gewesen, daß sie meinen Neid nicht würde erweckt haben. Damit ich ihn aber nicht durch diese Erklärung gänzlich zu Schanden mache, so will ich ihm dasjenige, was er sich wider mein Wissen angemaßt hat, hier vor den Augen der ganzen Welt schenken. Ich würde dieses am besten in einer Zueignungsschrift haben tun können, und[516] würde es auch wirklich getan haben, wann ich von dem Zueignen nicht ein allzu abgesagter Feind wäre. Diese Schenkung, wann es ihm beliebt, kann er auch auf alles das übrige erstrecken, und ich will gar nicht böse werden, wenn ich höre, daß auch meine Oden, meine Fabeln, meine Sinnschriften, und meine Briefe ein andrer gemacht hat.

Doch ich eile von diesen allen meinen Lesern nur einige Worte zu sagen. Wann durch das Ausstreichen in den Liedern keine Lücken entstanden wären, und wann ich diese Lücken zu erfüllen nicht meinen ganzen poetischen Vorrat hätte durchlaufen müssen, so würde ich vielleicht an eine Sammlung aller meiner Versuche noch lange nicht gedacht haben; und sie würden noch lange zerstreut und verstümmelt in der Irre und im Vergessen geblieben sein. Doch so gehts; wenn man ein Schriftsteller werden soll, so muß sich alles schicken. Die väterliche Liebe ward auf einmal bei mir rege, und ich wünschte meine Geburten beisammen zu sehen. Ich weiß nicht was es für ein Geschicke ist, daß solche Wünsche immer am ersten erfüllt werden; das aber weiß ich, daß wir oft durch die Erfüllung unsrer Wünsche gestraft werden. Ob mir es auch so gehen soll, wird die Aufnahme dieser zwei Teile entscheiden, von welchen ich dem Publico ganz im Vertrauen eröffne, daß sie nichts als ein Paar verwegne Kundschafter sind.

Der erste enthält dasjenige, was ich in den kleinen Gattungen von Gedichten versucht habe. Der Lieder habe ich schon gedacht, und die verschiedenen neuen Stücke, welche darzu gekommen sind, haben mich genötiget, sie in zwei Büchern abzuteilen. Für diese bin ich am wenigsten besorgt, weil sie größten Teils das Licht schon kennen, und bei diesem Abdrucke mehr gewonnen, als verloren haben.

Den wenigen Oden, welche darauf folgen, gebe ich nur mit Zittern diesen Namen. Sie sind zwar von einem stärkern Geiste als die Lieder, und haben ernsthaftere Gegenstände; allein ich kenne die Muster in dieser Art gar zu gut, als daß ich nicht einsehen sollte, wie tief mein Flug unter dem ihrigen ist. Und wenn zum Unglücke gar etwa nur das Oden sein sollten, was ich, der schmalen Zeilen ungeachtet, für Lehrgedichte[517] halte, die man anstatt der Paragraphen in Strophen eingeteilet hat; so werde ich vollends Ursache mich zu schämen haben.

Die Fabeln, die ich gemacht habe, sind von verschiedener Art, und ich begreife unter diesem Namen auch die Erzählungen, weil ich finde, daß sie selbst Phädrus mit darunter begriffen hat. Andere mögen dem Beispiele des Fontaine folgen, welcher freilich Ursache hatte, seine Erzählungen, von den Fabeln, die der Unterweisung gewidmet sind, zu unterscheiden. Die ganze Sache ist eine Kleinigkeit. In Ansehung der Erfindung, glaube ich, werden sie größtenteils neu sein, und ich will es andern überlassen, dasjenige noch besser zu erzählen, was hundert andere schon gut erzählt haben. Was wird man aber von dem Ausdrucke sagen? Ich hätte der Art des nur gedachten französischen Dichters folgen müssen, wann ich die Mode hätte mitmachen wollen. Allein ich fand, daß unzählige, weil sie ihm ohne Geschicklichkeit nachgeahmet haben, so läppisch geworden sind, daß man sie eher für alte Weiber, als für Sittenlehrer halten könnte; ich sahe, daß es nur einem Gellert gegeben sei, in seine Fußstapfen glücklich zu treten. Ich band mich also lieber an nichts; und schrieb sie so auf, wie es mir jedesmal am besten gefiel. Daher kommt es, daß einige niedrig genung sind; andere aber ein wenig zu poetisch. Daher kommt es so gar, daß ich verschiedene lieber in Prosa habe erzählen wollen, als in Versen, zu welchen ich vielleicht damals nicht aufgelegt war.

Ich komme auf die Sinngedichte. Ich habe hierinne keinen andern Lehrmeister als den Martial gehabt, und erkenne auch keinen andern, es müßten denn die sein, die er für die seinigen erkannt hat, und von welchen uns die Anthologie einen so vortrefflichen Schatz derselben aufbehalten. Aus ihm also und aus dieser Sammlung, wird man verschiedene übersetzt, und sehr viele nachgeahmt finden. Daß ich zu beißend und zu frei darinne bin, wird man mir wohl nicht vorwerfen können; ob ich gleich beinahe in der Meinung stehe, daß man beides in Sinnschriften nicht genug sein kann. Ich habe bei den wenigsten gewisse Personen im Sinne gehabt, und ich verbitte also im voraus alle Erklärungen.

Den Schluß in dem ersten Teile machen Fragmente; solche[518] Stücke nämlich die ich entweder nicht ganz zu Stande gebracht habe, oder die ich dem Leser nicht ganz mitzuteilen für gut befinde. Ich hätte sie also wohl ganz und gar zurück behalten können? Vielleicht; und es kömmt darauf an, ob man nicht etwas darunter findet, welches gleichwohl der Erhaltung nicht unwert ist.

Anfangs war ich willens einige kleine Stücke durch ein Zeichen merklich zu machen. Diejenigen nämlich, die ich mir nicht ganz zuschreiben kann, und wovon ich die Anlage aus dem oder jenem französischen Dichter geborgt zu haben, mir nicht verbergen kann. Doch da dieser Zeichen nur sehr wenige geworden wären, und ich außerdem überlegte, daß es dem Leser sehr gleichgültig sei, wem er eigentlich einen Einfall zu danken hat, wenn der Einfall ihm nur Vergnügen macht; so habe ich es gar unterlassen. Ich werde ohnedem der Gefahr nicht ausgesetzt sein, daß man auch aus meinen Poesien, zur Ehre des deutschen Witzes, Proben ins Französische übersetzt, und zum Unglück gleich auf solche fällt, die von einem Franzosen entlehnt sind.

Der zweite Teil enthält Briefe. Man wird ohne Zweifel galante Briefe vermuten. Allein ich muß bekennen, daß ich noch bis jetzt keine Gelegenheit gehabt habe, dergleichen zu schreiben. Mir Korrespondentinnen zu erdichten, und an Schönheiten zu schreiben, die nicht existieren, schien mir in Prosa ein wenig zu poetisch zu sein. Es sind also nichts als Briefe an Freunde, und zwar an solche, an die ich etwas mehr als Komplimente zu schreiben gewohnt bin. Ich schmeichle mir so gar, daß in den meisten etwas enthalten ist, was die Mühe sie zu lesen belohnt. Wenn man an Freunde schreibt, so schreibt man ohne ängstlichen Zwang, und ohne Zurückhaltung. Beides wird man auch in meinen Briefen finden, und ich will lieber, ein wenig nachlässig und frei scheinen, als ihnen diese Merkmale abwischen, welche sie von erdichteten Briefen unterscheiden müssen. Ich habe ihrer einen ziemlichen Vorrat, und die welche ich hier ohne Wahl, so wie sie mir in die Hände geraten, mitgeteilt, sind die wenigsten. Es wird mir angenehm sein, wenn meine Freunde nicht die einzigen sind, die etwas darinne zu finden glauben.[519]

Ich habe gesagt, daß diese beiden Teile nichts als Kundschafter sind. Einige ernsthafte Abhandlungen, und verschiedene größre Poesien, wozu ich die dramatischen Stücke vornehmlich rechne, möchten ihnen gerne folgen. Unter den letzten sind einige, welche schon die Probe der öffentlichen Vorstellung ausgehalten, und wenn ich sie selbst rühmen darf, auch Beifall gefunden haben. Die Probe des Drucks ist die letzte und wichtigste.

Ich kann hier meine Vorrede beschließen, und muß den Leser um Verzeihung bitten, daß ich von nichts als von mir geredet habe.[520]

Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 3, München 1970 ff., S. 515-521.
Lizenz:
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Vorreden
Gotthold Ephraim Lessings Sämmtliche Schriften: Teil 8. Gesammelte Vorreden. Beiträge zur Kenntniss der deutschen Sprache. Vom Alter der Ölmalerei aus dem Theophilus Presbyter

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