Letzter Auftritt


[729] Oronte. Die Witwe. Leander. Damon. Lisette.


DIE WITWE. Wertester Damon, ich habe die betrübte Nachricht von Ihrem Herrn Vetter vernommen. Ich versichre Sie, daß mir Ihr Unglück nicht näher hätte können gehen, wenn mir es auch selbst widerfahren wäre.

LEANDER. Mein liebster Freund, das Glück ist Ihnen zuwider gewesen. Ich weiß, Ihr Gemüt ist viel zu gesetzt, als daß es dieser eitle Verlust sehr beunruhigen sollte. Ich hoffe übrigens, daß Sie leicht mit dem Glücke werden auszusöhnen sein. Es wird Ihnen vielleicht dasjenige, was es Ihnen itzo entzogen, ein andermal desto reichlicher ersetzen.

ORONTE. Ja, Vetter, ja, versteh Er mich. Ein andermal. Ein andermal. Ha ha ha!

LEANDER. Sie, Madam, haben die Gütigkeit gehabt, sich für den glücklichsten unter uns zu erklären. Der Himmel hat gewollt, daß ich es sei. Doch ich werde mich alsdenn erst wirklich für das halten, wenn Sie durch das kostbare Geschenk Ihres Herzens mir – – –

DIE WITWE. Und diesen Antrag, Leander, können Sie in Gegenwart Ihres Freundes wiederholen?

DAMON. Gerechter Himmel! was höre ich?[729]

LEANDER. O, Madam, ich kenne meinen Freund allzu wohl. Er wird sich nicht unterstehen, Ihnen in Ihrem Glücke hinderlich zu sein. Er wird Ihnen nichts, als sein Herz, darbieten können. Ich kann das meinige mit einer Tonne Goldes begleiten – – –

DAMON. Leander, Sie wollen – – – Verdruß und Erstaunen lassen mich kein Wort aufbringen.

ORONTE. Höre Er, Herr Vetter, ich will Ihm doch was sagen, versteh Er mich. Er kann die hübsche Witwe nun nicht heiraten. So viel ist gewiß, versteh Er mich. Leandern wird sie wohl auch nicht viel nütze sein. Versteh Er mich. Sie gefällt mir ganz wohl. Versteh Er mich. Ich möchte sie schon haben. Ich dächte, Er schlüge mich ihr vor. Versteh Er mich. Ich bin zu schamhaft dazu. Versteh Er mich. Mache Er, tue Er Sein möglichstes, ich will Ihn auch nicht in meinem Testamente vergessen. Versteh Er mich. Zwei Tonnen Goldes kann ich ihr mitbringen, versteh Er mich.

LEANDER. Ich bitte Sie inständig, Madam. Erklären Sie sich; damit auch mein Freund weiß, woran er ist.

ORONTE. Madam, erklären Sie sich nicht so geschwind. Verstehn Sie mich. Mein Vetter weiß einen hübschen Bräutigam für Sie, verstehn Sie mich, der Ihnen wohl anstehen möchte. Mit dem können Sie zwei, zwei Tonnen Goldes bekommen. Verstehn Sie mich. Vetter, Vetter, sage Er ihr ihn doch! versteh Er mich.

DIE WITWE. Es wird unnötig sein. Mein Schluß ist schon fest gestellt. Leander, es ist wahr, ich habe mein Wort von mir gegeben den glücklichsten von Ihnen zu erwählen. Ich will es auch halten. Der glücklichste, liebster Damon, sind Sie.

DAMON. Ich?

LEANDER. Damon?

ORONTE. Was? Was? Mein Vetter? Ja, dem sein Schiff ist ja untergegangen Madame. Verstehn Sie mich. Leander hat eine Tonne Goldes, verstehn Sie mich. Und ich habe ihrer zwei, verstehn Sie mich. Notwendig, notwendig müssen Sie mich meinen.

DIE WITWE. Ja ja. Damon, Sie sind bei diesem Handel der[730] glücklichste gewesen. Sie sind glücklich gewesen, daß Sie Gelegenheit gefunden haben, Ihre große Seele auf so eine ausnehmende Art zu zeigen. Ihr größtes Glück aber ist, daß Sie nun Licht bekommen, die Falschheit Ihres Freundes einzusehen, dessen prächtige Galimathias Sie bis hieher verblendet haben. Leander, erwägen Sie nicht Ihre Aufführung? Sie hatten Nachricht bekommen, daß Ihr Schiff verunglückt sei. Bei dieser Angst wollten Sie sich an mir erholen. Sie setzten Ihren Freund schändlich aus den Augen. Mein Entschluß, mich für den glücklichsten zu erklären, war Ihnen nur in so fern verhaßt, als Sie besorgten, daß Sie es nicht sein würden. Sie suchten mich zu bereden, Damon liebte mich nicht mehr. Und gedenken Sie endlich an den Tausch, zu dem ich den Damon habe verführen sollen, zu einer Zeit, da Sie vermuteten, seine Sachen stünden besser, als die Ihrigen. Überlegen Sie dieses alles, und schämen Sie sich, einen Freund hintergangen zu haben, der Sie über alles hoch schätzte. Gehen Sie. Genießen Sie Ihrer Reichtümer, die just an keinen Unwürdigern hätten kommen können.

DAMON. Leander, soll ich es glauben? Sie haben mich hintergehen wollen?

LEANDER. Damon – – Ich habe Sie beleidigt. Leben Sie wohl!

DAMON. Leander, liebster Leander! wohin? Verziehn Sie.

LEANDER. Lassen Sie mich, ich bitte Sie. Ich muß Ihr Angesicht fliehen, ich sterbe vor Scham. Es ist unmöglich. Sie können mir nicht verzeihen.

DAMON. Ich Ihnen nicht verzeihen? O Leander, wäre Ihnen mit meinen Verzeihungen was gedient! Ja ja. Es ist Ihnen schon alles verziehen. Bleiben Sie da, mein Freund. Sie haben sich übereilet. Und diese Übereilung hat der Mensch, und nicht der Freund, begangen. Madam, Sie sind erzürnet auf Leandern? Ich schlage alles aus, wo Sie nicht mit mir alles wider ihn vergessen. Wenn Sie uns trennen, so werde ich notwendig der unglücklichste sein. Ich weiß, wie schwer es ist, einen Freund zu finden. Und will man ihn schon des ersten Fehlers wegen verlassen, so wird man Zeit Lebens suchen, und keinen erhalten.[731]

LEANDER. Damon – – Urteilen Sie aus diesen Tränen, ob ich gerühret bin?

DIE WITWE. Wohl! Leander, Damon verzeiht Ihnen. Und ich weiß selbst nicht, ob ich über seine Großmut, oder über Ihre Reue, mehr gerühret bin. Lassen Sie auch uns unsre Freundschaft wieder von neuem anfangen. O Damon, wie zärtlich wird Ihre Liebe sein, da Ihre Freundschaft schon so zärtlich ist!

ORONTE. Da war meine Freierei also auch umsonst!

DAMON. Nun, gestehen Sie mir wenigstens, lieber Leander, daß es etwas schwerer sei, die Pflichten der Freundschaft auszuüben, als von ihr entzücket zu reden.

LEANDER. Ja, Damon, ich habe die Freundschaft oft genennt, aber sie heute erst von Ihnen kennen lernen.

DIE WITWE. Damon! Damon! ich befürchte, ich befürchte, ich werde eifersüchtig werden. Keines Frauenzimmers wegen zwar nicht, aber doch gewiß Leanders wegen!

Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 1, München 1970 ff., S. 729-732.
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Damon, oder die wahre Freundschaft
Damon, oder die wahre Freundschaft
Sämmtliche Schriften: Miss Sara Sampson.-Philotas.-Emilia Galotti.-Nathan Der Weise.-Damon; Oder, Die Wahre Freundschaft.-Die Alte Jungfer.-Theatralischer Nachlass (German Edition)