Fünfter Auftritt


[718] Leander. Damon.


LEANDER. Ich darf ihm also nichts von meinem Unglücke sagen; weswegen ich ihn doch herbestellet hatte. – – – Was werde ich also mit ihm zu reden haben? – – Es wird sich schon geben.

DAMON. O wertester Leander, verzeihen Sie mir, daß Sie auf mich haben warten müssen.[718]

LEANDER. Ich Ihnen verzeihen? Womit haben Sie mich beleidiget? Legen Sie doch endlich einmal, allerliebster Freund, das mir so nachteilige Vorurteil ab, daß Sie im Stande wären, mich zu beleidigen. Ein Freund wird über den andern nie verdrießlich. Der Pöbel, dem die süße Vereinigung der Gemüter unbekannt ist, und ewig zu seinem unersetzlichen Schaden, unbekannt bleiben wird, der Pöbel, die Schande des menschlichen Geschlechts, mag untereinander zürnen. Die Freundschaft bewaffnet eine edle Seele mit einer unüberwindlichen Sanftmut. Was ihr Freund tut, was von ihrem Freunde kömmt, ist ihr billig und angenehm. Die Beleidigungen werden nur durch die bösen Absichten dessen, der beleidiget, und durch die Empfindlichkeit dessen, der beleidiget wird, zu Beleidigungen. Wo niemand also böse Absichten hat, wo niemand empfindlich wird, da haben auch keine Beleidigungen Statt. Wird aber ein Freund gegen den andern wohl böse Absichten hegen? Oder wird ein Freund über den andern wohl empfindlich werden? Nein. Drum, liebster Damon, wenn mir auch durch Sie der größte Schimpf widerführe; wenn ich durch Sie um Ehre und Ansehen käme; wenn ich durch Sie Gut und Geld verlöre; wenn ich durch Sie ungesund, lahm, blind und taub würde; wenn Sie mich um Vater und Mutter brächten; wenn Sie mir selbst das Leben nähmen; glauben Sie, liebster Damon, daß Sie mich alsdenn beleidiget hätten? Nein. So viel Unrecht Sie auch hätten, so viel Recht würden Sie bei mir haben. Würde Sie auch die ganze Welt verdammen; ich würde Sie entschuldigen, ich würde Sie lossprechen.

DAMON. Ich will wünschen, Leander, daß ich Ihnen mit gleichem Feuer antworten könnte. Ich will mich bemühen, Ihre Freundschaft nie auf eine so harte Probe zu setzen.

LEANDER. Ei, liebster Freund, wie so kaltsinnig? Zweifeln Sie an der Aufrichtigkeit meiner Rede? Zweifeln Sie, ob meine Freundschaft diese Probe aushalten würde? Wollte doch Gott, ja wollte doch Gott, daß Sie mich, je eher je lieber auf eine Art beleidigten, welche bei andern unvergeblich sein würde! wie vergnügt, wie entzückt wollte ich[719] sein, die süße Rache einer großmütigen Verzeihung an Ihnen auszuüben.

DAMON. Und ich will mir dagegen wünschen, daß ich dieser großmütigen Verzeihung niemals möge nötig haben.

LEANDER. Ja, Damon, und ich würde, in gleichen Fällen, auch ein Gleiches von Ihnen erwarten. O! ich kenne Sie zu wohl. Ihre Seele ist edel und großmütig. Und diese läßt mich nicht daran zweifeln.

DAMON. Sie trauen mir zu viel zu, wertester Leander. Voll Scham gesteh ich Ihnen, daß ich mich zu schwach dazu befinde. Die Gedanken davon scheinen mir edel und wahr. Die Erfüllung aber unmöglich. Ich zittere schon im voraus, wenn ich mir vorstelle, daß meine Freundschaft einen so harten Versuch vielleicht einmal auszuhalten habe. Doch Ihre Tugend ist mir gut dafür. Und ist ein Freund wohl auch zu einer so allzu großmütigen Sanftmut verbunden? Ich weiß es, es ist die Pflicht eines Freundes, dem andern zu verzeihen. Doch ist es auch des andern Pflicht, ihm so wenig Gelegenheit dazu zu geben, als ihm nur möglich ist.

LEANDER. Freund, im Verzeihen müssen wir dem Himmel gleich sein. Unsere Verbrechen, so groß und so häufig sie sind, machen ihn in dieser, ihm würdigen, Beschäftigung nicht müde. Wen man einmal zu seinem Freunde erwählt hat, den muß man behalten. Weder seine Fehler noch seine Beleidigungen müssen vermögend sein, ihn aus unsrer Gunst zu setzen. Man beschimpfet sich selbst, wenn man es dazu kommen läßt. Oder ist es etwan kein Schimpf, wenn man mit Scham gestehen muß, daß man in der Wahl gröblich geirret habe?

DAMON. Aber, liebster Leander, sagen Sie mir doch, weswegen Sie mit mir zu reden verlangt? Was ist denn das Wichtige, das Sie mir zu entdecken haben?

LEANDER. Werden Ihnen meine Reden beschwerlich? Ich kann es nicht glauben. Sie wissen, wie gern man von Sachen redet, die uns angenehm sind. Und ich weiß, man höret auch eben so gern davon. Sie scheinen mir aber heute zu beiden ein wenig verdrießlich. Was beunruhiget Sie? Ist Ihnen ein Unglück zugestoßen? Entdecken Sie mir es. Machen[720] Sie mir das Vergnügen, Ihren Schmerz mit Ihnen zu teilen. Sie sollen alsdenn alles erfahren, was ich Ihnen zu sagen habe.

DAMON. Sie betrügen sich nicht. Ich bin bestürzt und bekümmert.

LEANDER. Und worüber? O was zaudern Sie, mir Ihr Geheimnis anzuvertrauen. Setzen Sie in meine Verschwiegenheit ein Mißtrauen? Zweifeln Sie, daß ich Ihnen helfen werde, wenn es in meinen Kräften stehet? Oder zweifeln Sie gar an meinem Mitleiden? Wenn ich mein Herz gegen Sie ausschütten kann, so weichet gleich die Hälfte meines Grams. Und versuchen Sie es nur. Vielleicht bin ich so glücklich, daß Sie auch in meinem Vertrauen einige Erleichterung finden.

DAMON. Es betrifft mich und Sie.

LEANDER. Und desto eher; nur heraus damit. Müssen Sie es etwan verschweigen? O! was man nur seinem Freunde sagt, hat man noch niemanden gesagt. Ich und mein Freund sind eine Person. Und wenn ich den größten Eidschwur darauf getan hätte, gegen niemanden ein Wort von dem oder jenen zu gedenken, so könnte ich es doch, ohne den Eidschwur zu brechen, meinem Freunde sagen. Was ich dem vertraue, vertraue ich mir selbst. Und ich tue nichts mehr, als wenn ich es noch einmal für mich in den Gedanken wiederholte.

DAMON. Nein. Nein. Es soll Ihnen nicht verborgen sein. Könnten Sie sich wohl einbilden, zu was sich die Madam entschlossen?

LEANDER. Worinne?

DAMON. Nun raten Sie einmal, auf was sie es will ankommen lassen, welchem sie von uns beiden ihre Hand geben solle?

LEANDER. Und eben dieses, mein Damon, eben dieses hatte ich Ihnen auch zu sagen.

DAMON. Aufrichtig nun zu reden, ich bin über diesen niederträchtigen Entschluß erstaunet. Nein, Leander, ehe ich ihre Hand einer solchen schändlichen Ursache zu danken haben wollte, eher will ich sie Zeit Lebens ausschlagen.[721]

LEANDER. Und glauben Sie denn, daß ich sie annehmen würde? Wir haben die uneigennützigsten Absichten gegen sie. Wir würden sie lieben, wenn sie auch nichts besäße. Und sie ist gegen uns so eigennützig? Ist ein verachtungswürdiger Reichtum das einzige, was ihr an uns gefällt?

DAMON. Wie, wenn wir diesen Entschluß auf alle mögliche Art suchten zu nichte zu machen? Darf ich Ihnen wohl was vorschlagen? Was meinen Sie, wenn wir Schaden und Gewinst bei unserm Handel teilten?

LEANDER. St! das ist Wasser auf meine Mühle. So könnte das Tauschen gar bleiben – – – Ja, Sie haben Recht. Nichts könnte sie leichter wieder auf den rechten Weg bringen, einen von uns aus Neigung und Verdienst zu wählen. Wohl! Ich bin es zufrieden.

DAMON. O wie vergnügt machen Sie mich durch Ihren Beifall wieder. Ich besorgte immer, ich besorgte. Sie würden mir ihn hier entziehen. Und Sie hätten Recht dazu gehabt.

LEANDER. Wie wenig trauen Sie mir doch zu! So? Was könnte ich denn für Recht haben, hierinne nicht mit Ihnen einig zu sein? Alle Güter sind ja unter Freunden gemein. Was ich besitze, besitzen Sie. Und was Sie besitzen, darauf glaube ich auch ein kleines Recht zu haben. Verflucht sei der Eigennutz! wenn Ihnen das Unglück auch so sehr zuwider sein sollte, daß Sie alles, alles dabei verlören. Nicht die Hälfte meines Vermögens, mein ganzes Vermögen wäre allezeit so gut, als das Ihrige.

DAMON. Freund, Sie machen mich ganz beschämt!

LEANDER. Was ich sage, würde ich auch tun. Und wenn ich es getan hätte, so würde ich doch nichts mehr getan haben, als was die Pflicht eines Freundes verlangt.

DAMON. Aber ich weiß nicht, was ich bei mir für eine geheime Ursache finde, selbst an der Wahrheit dieses Entschlusses zu zweifeln. Könnte mir wohl Lisette – –

LEANDER. Und von der hab ich es auch. Doch dahinter wollen wir wohl kommen. Es liegt uns beiden nicht wenig dran. Erlauben Sie mir, daß ich Sie verlasse. Ich will selbst zu ihr gehen, und mich bei unserer Liebsten erkundigen.[722]

DAMON. Aber, Leander, wie wird sich das schicken? Wird sie über diese Neugierigkeit nicht empfindlich werden?

LEANDER. Sorgen Sie nicht, ich will es schon mit einer Art vorzubringen wissen – – – –

DAMON. Nun ich verlasse mich auf Ihre Geschicklichkeit. Kommen Sie bald wieder, mir Nachricht zu bringen.

LEANDER. – – So komme ich doch unter einem guten Vorwande wieder von ihm.


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 1, München 1970 ff., S. 718-723.
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