Fünfter Auftritt


[485] Johann. Adrast.


JOHANN. Ist er fort?

ADRAST. Was hast du mir denn zu sagen? Ich wette, es ist eine Kleinigkeit; und der Alte wird sich einbilden, daß es Halssachen sind.[485]

JOHANN. Eine Kleinigkeit? – – Mit einem Worte, Herr Adrast, wir sind verloren. Und Sie konnten verlangen, daß ich es in Gegenwart des Lisidors sagen sollte?

ADRAST. Verloren? Und wie denn? Erkläre dich.

JOHANN. Was ist da zu erklären? Kurz, wir sind verloren. – – Aber so unvorsichtig hätte ich mir Sie doch nimmermehr eingebildet, daß Sie es sogar Ihren künftigen Schwiegervater wollten hören lassen – –

ADRAST. So laß mich es nur hören – –

JOHANN. Wahrhaftig, er hätte die Lust auf einmal verlieren können, es jemals zu werden. – – So ein Streich!

ADRAST. Nun? was denn für ein Streich? Wie lange wirst du mich noch martern?

JOHANN. Ein ganz verdammter Streich. – – Ja, ja! wenn der Bediente nicht oft behutsamer wäre, als der Herr: es würden artige Dinge herauskommen.

ADRAST. Nichtswürdiger Schlingel – –

JOHANN. Ho, ho! ist das mein Dank? Wenn ich es doch nur gesagt hätte, wie der Alte da war. Wir hätten wollen sehen! wir hätten wollen sehen –

ADRAST. Daß dich dieser und jener – –

JOHANN. Ha, ha! nach dem Diesen und Jenen wird nicht mehr gefragt. Ich weiß doch wohl, daß Sie den Teufel meinen, und daß keiner ist. Ich müßte wenig von Ihnen gelernt haben, wenn ich nicht der ganzen Hölle ein Schnippchen schlagen wollte.

ADRAST. Ich glaube, du spielst den Freigeist? Ein ehrlicher Mann möchte einen Ekel davor bekommen, wenn er sieht, daß es ein jeder Lumpenhund sein will. – – Aber ich verbiete dir nunmehr, mir ein Wort zu sagen. Ich weiß doch, daß es nichts ist.

JOHANN. Ich sollte es Ihnen nicht sagen? Ich sollte Sie so in Ihr Unglück rennen lassen? Das wollen wir sehen.

ADRAST. Gehe mir aus den Augen!

JOHANN. Nur Geduld! – – Sie erinnern sich doch wohl so ohngefähr, wie Sie Ihre Sachen zu Hause gelassen haben?

ADRAST. Ich mag nichts wissen.

JOHANN. Ich sage Ihnen ja auch noch nichts. – – Sie erinnern[486] sich doch wohl auch der Wechsel, die Sie an den Herrn Araspe vor Jahr und Tag ausstellten?

ADRAST. Schweig, ich mag nichts davon hören.

JOHANN. Ohne Zweifel, weil Sie sie vergessen wollen? Wenn sie nur dadurch bezahlt würden. – – Aber wissen Sie denn auch, daß sie verfallen sind?

ADRAST. Ich weiß, daß du dich nicht darum zu bekümmern hast.

JOHANN. Auch das verbeiße ich. – Sie denken freilich: weit davon, ist gut für den Schuß; und Herr Araspe hat eben nicht nötig, so sehr dahinter her zu sein. Aber, was meinen Sie, wenn ich den Herrn Araspe – –

ADRAST. Nun was?

JOHANN. Jetzt den Augenblick vom Postwagen hätte steigen sehen?

ADRAST. Was sagst du? Ich erstaune – –

JOHANN. Das tat ich auch, als ich ihn sah.

ADRAST. Du, Araspen gesehen? Araspen hier?

JOHANN. Mein Herr, ich habe mich auf den Fuß gesetzt, daß ich Ihre und meine Schuldner gleich auf den ersten Blick erkenne; ja ich rieche sie schon, wenn sie auch noch hundert Schritt von mir sind.

ADRAST nachdem er nachgedacht. Ich bin verloren!

JOHANN. Das war ja mein erstes Wort.

ADRAST. Was ist anzufangen?

JOHANN. Das beste wird sein: wir packen auf, und ziehen weiter.

ADRAST. Das ist unmöglich.

JOHANN. Nun so machen Sie sich gefaßt zu bezahlen.

ADRAST. Das kann ich nicht; die Summe ist zu groß.

JOHANN. O! ich sagte auch nur so. – – Sie sinnen?

ADRAST. Doch wer weiß auch, ob er ausdrücklich meinetwegen hergekommen ist. Er kann andre Geschäfte haben.

JOHANN. Je nu! so wird er das Geschäfte mit Ihnen so beiher treiben. Wir sind doch immer geklatscht.

ADRAST. Du hast Recht. – – Ich möchte rasend werden, wenn ich an alle die Streiche gedenke, die mir ein ungerechtes Schicksal zu spielen nicht aufhört. – Doch wider wen[487] murre ich? Wider ein taubes Ohngefähr? Wider einen blinden Zufall, der uns ohne Absicht und ohne Vorsatz schwer fällt? Ha! nichtswürdiges Leben! –

JOHANN. O! lassen Sie mir das Leben ungeschimpft. So einer Kleinigkeit wegen sich mit ihm zu überwerfen, das wäre was Gescheutes!

ADRAST. So rate mir doch, wenn du es für eine Kleinigkeit ansiehst.

JOHANN. Fällt Ihnen im Ernste kein Mittel ein? – – Bald werde ich Sie gar nicht mehr für den großen Geist halten, für den ich Sie doch immer gehalten habe. Fortgehen wollen Sie nicht; bezahlen können Sie nicht: was ist denn noch übrig?

ADRAST. Mich ausklagen zu lassen.

JOHANN. O pfui! Worauf ich gleich zuerst fallen würde, wenn ich auch bezahlen könnte – –

ADRAST. Und was ist denn das?

JOHANN. Schwören Sie den Bettel ab.

ADRAST mit einer bittern Verachtung. Schurke!

JOHANN. Wie? Was bin ich? So einen brüderlichen Rat – –

ADRAST. Ja wohl ein brüderlicher Rat, den du nur deinen Brüdern, Leuten deines gleichen, geben solltest.

JOHANN. Sind Sie Adrast? Ich habe Sie wohl niemals über das Schwören spotten hören?

ADRAST. Über das Schwören, als Schwören, nicht aber als eine bloße Beteurung seines Wortes. Diese muß einem ehrlichen Manne heilig sein, und wenn auch weder Gott noch Strafe ist. Ich würde mich ewig schämen, meine Unterschrift geleugnet zu haben, und ohne Verachtung meiner selbst, nie mehr meinen Namen schreiben können.

JOHANN. Aberglauben über Aberglauben. Zu einer Türe haben Sie ihn herausgejagt, und zu der andern lassen Sie ihn wieder herein.

ADRAST. Schweig! ich mag dein lästerliches Geschwätze nicht anhören. Ich will Araspen aufsuchen. Ich will ihm Vorstellungen tun; ich will ihm von meiner Heirat sagen; ich will ihm Zinsen über Zinsen versprechen. – – Ich treffe ihn doch wohl noch in dem Posthause?[488]

JOHANN. Vielleicht. – – Da geht er, der barmherzige Schlucker. Das Maul ist groß genug an ihm; aber wenn es dazu kömmt, daß er das, was er glaubt, mit Taten beweisen soll, da zittert das alte Weib! Wohl dem, der nach seiner Überzeugung auch leben kann! So hat er doch noch etwas davon. Ich sollte an seiner Stelle sein. – – Doch ich muß nur sehen, wo er bleibt.


Ende des ersten Aufzugs.[489]


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 1, München 1970 ff., S. 485-490.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Freigeist
Der Freigeist

Buchempfehlung

Lohenstein, Daniel Casper von

Epicharis. Trauer-Spiel

Epicharis. Trauer-Spiel

Epicharis ist eine freigelassene Sklavin, die von den Attentatsplänen auf Kaiser Nero wusste. Sie wird gefasst und soll unter der Folter die Namen der Täter nennen. Sie widersteht und tötet sich selbst. Nach Agrippina das zweite Nero-Drama des Autors.

162 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon