Erster Auftritt


[490] Juliane. Henriette. Lisette.


LISETTE. Vor allen Dingen, meine lieben Mamsells, ehe ich Ihre kleine Streitigkeit schlichte, lassen Sie uns ausmachen, welcher von Ihnen ich heute zugehöre. Sie wissen wohl, Ihre Herrschaft über mich ist umzechig. Denn weil es unmöglich sein soll, zweien Herren zu dienen, so hat Ihr wohlweiser Papa – – neigen Sie sich, Mamsells, neigen Sie sich! – – so hat, sage ich, Ihr wohlweiser Papa wohlbedächtig mich damit verschonen wollen, das Unmögliche möglich zu machen. Er hat jede von Ihnen einen Tag um den andern zu meiner hauptsächlichen Gebieterin gemacht; so daß ich den einen Tag, der sanften Juliane ehrbares Mädchen, und den andern der muntern Henriette wilde Lisette sein muß. Aber jetzt, seit dem die fremden Herren im Hause sind – –

HENRIETTE. Unsre Anbeter meinst du – –

LISETTE. Ja, ja! Ihre Anbeter, welche bald Ihre hochbefehlenden Ehemänner sein werden – – Seit dem, sage ich, diese im Hause sind, geht alles drüber und drunter; ich werde aus einer Hand in die andere geschmissen; und ach! unsere schöne Ordnung liegt mit dem Nähzeuge, das Sie seit eben der Zeit nicht angesehen haben, unterm Nachttische. Hervor wieder damit! Ich muß wissen woran ich mit Ihnen bin, wenn ich ein unparteiisches Urteil fällen soll.

HENRIETTE. Das wollen wir bald ausrechnen. – – Du besinnst dich doch wohl auf den letzten Feiertag, da dich meine Schwester mit in die Nachmittagspredigt schleppte, so gerne du auch mit mir auf unser Vorwerk gefahren wärest? Du warst damals sehr strenge, Juliane! – – –

JULIANE. Ich habe doch wohl nicht einer ehrlichen Seele einen vergeblichen Weg nach ihr hinaus gemacht?

HENRIETTE. Lisette – –[490]

LISETTE. Stille, Mamsell Henriette! nicht aus der Schule geschwatzt, oder – –

HENRIETTE. Mädchen drohe nicht! Du weißt wohl, ich habe ein gut Gewissen.

LISETTE. Ich auch. – – Doch lassen Sie uns nicht das Hundertste ins Tausendste schwatzen. – – Recht! an den Feiertag will ich gedenken! Er war der letzte in unsrer Ordnung; denn noch den Abend kam Theophan an.

HENRIETTE. Und also, mit Erlaubnis meiner Schwester, bist du heute meine.

JULIANE. Ohne Widerrede.

LISETTE. Juchhei! Mamsellchen. Ich bin also heute Ihre: Juchhei!

JULIANE. Ist das dein Lösungswort unter ihrer Fahne?

LISETTE. Ohne weitre Umstände; erzählen Sie mir nunmehr Ihre Streitigkeit. – – Unterdessen lege ich mein Gesicht in richterliche Falten.

JULIANE. Streitigkeit? Eine wichtige Streitigkeit? Ihr seid beide Schäkerinnen. – – Ich will nichts mehr davon hören.

HENRIETTE. So? Du willst keinen Richter erkennen? Ein klarer Beweis, daß du Unrecht hast. – Höre nur, Lisette! wir haben über unsre Anbeter gezankt. Ich will die Dinger immer noch so nennen, mag doch zuletzt daraus werden, was da will.

LISETTE. Das dachte ich. Über was könnten sich zwei gute Schwestern auch sonst zanken? Es ist freilich verdrießlich, wenn man sein künftiges Haupt verachten hört.

HENRIETTE. Schwude! Mädchen; du willst ganz auf die falsche Seite. Keine hat des andern Anbeter verachtet; sondern unser Zank kam daher, weil eine des andern Anbeter – – schon wieder Anbeter! – – allzu sehr erhob.

LISETTE. Eine neue Art Zanks! wahrhaftig, eine neue Art!

HENRIETTE. Kannst du es anders sagen, Juliane?

JULIANE. O! verschone mich doch damit.

HENRIETTE. Hoffe auf kein Verschonen, wenn du nicht widerrufst. – – Sage, Lisette, hast du unsre Männerchen schon einmal gegeneinander gehalten? Was dünkt dich? Juliane[491] macht ihren armen Theophan herunter, als wenn er ein kleines Ungeheuer wäre.

JULIANE. Unartige Schwester! Wann habe ich dieses getan? Mußt du aus einer flüchtigen Anmerkung, die du mir gar nicht hättest aufmutzen sollen, solche Folgen ziehen?

HENRIETTE. Ich seh, man muß dich böse machen, wenn du mit der Sprache heraus sollst. – – Eine flüchtige Anmerkung nennst du es? Warum strittest du denn über ihre Gründlichkeit?

JULIANE. Du hast doch närrische Ausdrücke! Fingst du nicht den ganzen Handel selbst an? Ich glaubte, wie sehr ich dir schmeicheln würde, wenn ich deinen Adrast den wohlgemachtesten Mann nennte, den ich jemals gesehen hätte. Du hättest mir für meine Gesinnungen danken, nicht aber widersprechen sollen.

HENRIETTE. Sieh, wie wunderlich du bist! Was war mein Widerspruch anders, als ein Dank? Und wie konnte ich mich nachdrücklicher bedanken, als wenn ich den unverdienten Lobspruch auf deinen Theophan zurück schob? –

LISETTE. Sie hat Recht!

JULIANE. Nein, sie hat nicht Recht. Denn eben dieses verdroß mich. Muß sie auf einen so kindischen Fuß mit mir umgehen? Sähe sie mich nicht dadurch für ein kleines spielendes Mädchen an, das zu ihr gesagt hätte: Deine Puppe ist die schönste; und dem sie also, um es nicht böse zu machen, antworten müßte: Nein, deine ist die schönste?

LISETTE. Nun hat sie Recht!

HENRIETTE. O! geh, du bist eine artige Richterin. Hast du schon vergessen, daß du mir heute angehörst?

LISETTE. Desto schärfer eben werde ich gegen Sie sein, damit ich nicht parteiisch lasse.

JULIANE. Glaube mir nur, daß ich bessere Eigenschaften an einer Mannsperson zu schätzen weiß, als seine Gestalt. Und es ist genug, daß ich diese bessern Eigenschaften an dem Theophan finde. Sein Geist –

HENRIETTE. Von dem ist ja nicht die Rede. Jetzt kömmt es auf den Körper an, und dieser ist an dem Theophan schöner, du magst sagen, was du willst. Adrast ist besser[492] gewachsen: gut; er hat einen schönern Fuß: ich habe nichts dawider. Aber laß uns auf das Gesicht kommen. – –

JULIANE. So stückweise habe ich mich nicht eingelassen.

HENRIETTE. Das ist eben dein Fehler. – Was für ein Stolz, was für eine Verachtung aller andern blickt nicht dem Adrast aus jeder Miene! Du wirst es Adel nennen; aber machst du es dadurch schön? Umsonst sind seine Gesichtszüge noch so regelmäßig: sein Eigensinn, seine Lust zum Spotten hat eine gewisse Falte hineingebracht, die ihm in meinen Augen recht häßlich läßt. Aber ich will sie ihm gewiß heraus bringen: laß nur die Flitterwochen erst vorbei sein. – – Dein Theophan hingegen hat das liebenswürdigste Gesicht von der Welt. Es herrscht eine Freundlichkeit darin, die sich niemals verleugnet. – –

JULIANE. Sage mir doch nur nichts, was ich eben so gut bemerkt habe, als du. Allein eben diese seine Freundlichkeit ist nicht sowohl das Eigentum seines Gesichts, als die Folge seiner innern Ruhe. Die Schönheit der Seele bringt auch in einen ungestalteten Körper Reize; so wie ihre Häßlichkeit dem vortrefflichsten Baue und den schönsten Gliedern desselben, ich weiß nicht was eindrückt, das einen unzuerklärenden Verdruß erwecket. Wenn Adrast eben der fromme Mann wäre, der Theophan ist; wenn seine Seele von eben so göttlichen Strahlen der Wahrheit, die er sich mit Gewalt zu verkennen bestrebet, erleuchtet wäre: so würde er ein Engel unter den Menschen sein; da er jetzt kaum ein Mensch unter den Menschen ist. Zürne nicht, Henriette, daß ich so verächtlich von ihm rede. Wenn er in gute Hände fällt, kann er noch alles das werden, was er jetzt nicht ist, weil er es nie hat sein wollen. Seine Begriffe von der Ehre, von der natürlichen Billigkeit sind vortrefflich. – –

HENRIETTE spöttisch. O! du machst ihn auch gar zu sehr herunter. – – Aber im Ernste, kann ich nicht sagen, daß du mich nunmehr für das kleine spielende Mädchen ansiehst? Ich mag ja nicht von dir seinetwegen zufrieden gestellt sein. Er ist, wie er ist, und lange gut für mich. Du sprachst von guten Händen, in die er fallen müßte, wenn noch was aus[493] ihm werden sollte. Da er in meine nunmehr gefallen ist, wird er wohl nicht anders werden. Mich nach ihm zu richten, wird mein einziger Kunstgriff sein, uns das Leben erträglich zu machen. Nur die verdrießlichen Gesichter muß er ablegen; und da werde ich ihm die Gesichter deines Theophans zum Muster vorschlagen.

JULIANE. Schon wieder Theophan, und seine freundlichen Gesichter?

LISETTE. Stille! Mamsell – –


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 1, München 1970 ff., S. 490-494.
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