Zweiter Auftritt


[444] Laura. Lelio.


LAURA. Armer Lelio, haben Sie sich von der verdrüßlichen Gesellschaft meines Vaters endlich los gemacht? Wie sehr wünschte ich, daß doch nur eine Person in unserm Hause sein möchte, deren angenehmere Gesellschaft Sie schadlos halten könnte.

LELIO bei Seite. Sie weiß ein verliebtes Gespräch vortrefflich einzufädeln! Schwerlich werde ich die Vorbereitungen zu meinem Rückzuge eben so fein zu machen wissen.

LAURA. Sie antworten mir nicht?

LELIO. Was soll ich Ihnen antworten?

LAURA. Es ist wahr, was soll man antworten, wenn einem die Antwort in den Mund gelegt wird? Sie hätten mir es eben so galant, gerade heraussagen können: daß wenigstens ich die gedachte Person nicht sei.

LELIO. Grausame Laura!

LAURA. Barmherziger Lelio!

LELIO. Barbarische Schöne!

LAURA. Noch mehr? – Haben Sie Mitleiden, und machen mich menschlicher.

LELIO. Sie spotten meiner? – Ich Unglücklicher! O, daß ich Sie niemals, oder wenigstens eher gekannt hätte![444]

LAURA. Noch kein Ende mit Ihren Ausrufungen? Aber was wollen Sie damit?

LELIO. Was habe ich Ihnen getan, daß Sie eine Flamme in mir ernähren, die mich ohne Hülfe verzehren wird?

LAURA. Nun kommen Sie doch allmählig ins Fragen, und ich habe Hoffnung bald aus Ihnen klug zu werden.

LELIO. Womit habe ich es verschuldet, daß Sie mich in eine hoffnungslose Liebe verwickeln?

LAURA. Fragen Sie weiter, vielleicht findet sich doch etwas, worauf ich antworten kann.

LELIO. War Ihnen denn so viel daran gelegen, mich zu einem unschuldigen Schlachtopfer Ihrer Reize zu machen? Was für ein Vergnügen versprachen Sie sich aus meiner Verzweiflung? Genießen Sie es nur, genießen Sie es. Aber daß es ein andrer mit genießen soll, der Sie unmöglich so zärtlich lieben kann, als ich Sie liebe, das geht mir durch die Seele!

LAURA. Im Vorbeigehen: Sie sind doch wohl nicht gar eifersüchtig?

LELIO. Eifersüchtig? Nein, man hört auf, eifersüchtig zu sein, wenn man alle Hoffnung verloren hat, und man kann weiter nichts sein, als neidisch.

LAURA bei Seite. Was soll ich von ihm denken? – Darf man den Glücklichen nicht wissen, den Sie beneiden?

LELIO. Fahren Sie nur fort, sich zu verstellen. Ihre Verstellung eben hat mein Unglück gemacht. Je schöner ein Frauenzimmer ist, desto aufrichtiger sollte es sein; denn nur durch ihre Aufrichtigkeit kann es dem Schaden vorbauen, den seine Schönheit verüben würde. Gleich nach den ersten Höflichkeitsbezeigungen, wenigstens gleich nach den ersten zärtlichen Blicken, die ich auf Sie richtete, gleich nach den ersten Seufzern, die mir meine neue Liebe auspreßte, hätten Sie zu mir sagen sollen: »Mein Herr, ich warne Sie, sein Sie auf ihrer Hut. Lassen Sie sich meine Schönheit nicht zu weit führen; Sie kommen zu spät, mein Herz ist bereits versagt.« – Das hätten Sie zu mir sagen sollen, und ich würde mich nicht mehr unterstanden haben, eines andern Gut zu begehren.[445]

LAURA bei Seite. Hui, daß ihm mein Bruder von Leandern etwas in den Kopf gesetzt hat?

LELIO. Allzuglücklicher Leander!

LAURA bei Seite. Ja, ja, es ist richtig. Das will ich ihm gedenken. – Mein Herr, –

LELIO. Nur keine Entschuldigungen, Madmoisell! Sie könnten leicht das Übel ärger machen, und ich könnte anfangen zu glauben, daß Sie mich wenigstens betauerten. Ich kenne die geheiligten Rechte einer ersten Liebe, wofür ich Ihre Liebe gegen Leandern halte. Ich will mich des törichten Unternehmens, sie zu schwächen, nicht schuldig machen. Alles würde vergebens sein –

LAURA. Ich erstaune über Ihre Leichtgläubigkeit.

LELIO. Sie haben Recht, darüber zu erstaunen. Konnte ich mir etwas Törichters einbilden, als daß Ihre bezaubernden Reize auf mich sollten gewartet haben, ihre Macht über ein empfindliches Herz zu äußern?

LAURA. Diese Leichtgläubigkeit würde Ihnen zu vergeben gewesen sein. Merken Sie denn aber nicht, oder wollen Sie es nicht merken? –

LELIO. Und was, schönste Laura? –

LAURA. Daß es eine ganz andere Leichtgläubigkeit ist, die mich an Ihnen ärgert. –

LELIO. Eine andere? – Sie haben Recht! – Ah, ich Dummkopf! –

LAURA. Nun?

LELIO. Ich kann meine Augen, vor Scham, nicht aufschlagen. –

LAURA. Vor Scham?

LELIO. Wie lächerlich muß ich Ihnen vorkommen? –

LAURA. Ich wüßte nicht –

LELIO. Wie abgeschmackt erscheine ich mir selbst! –

LAURA. Mit Ihren Erscheinungen! – Und warum denn?

LELIO. Ja wohl, wie lächerlich, wie abgeschmackt, daß ich Höflichkeit für Zärtlichkeit, gesellschaftliche Verbindlichkeiten für Merkmale einer werdenden Liebe gehalten habe! Das, das ist die Leichtgläubigkeit, die Ihnen an mir so ärgerlich ist; eine Leichtgläubigkeit, die desto sträflicher wird, je mehr Stolz sie voraussetzt.[446]

LAURA. Lelio!

LELIO. Aber vergeben Sie mir; sein Sie großmütig, schönste Laura; richten Sie mich nicht nach aller Strenge. Meine Jugend verdient Ihre Nachsicht. Welche Mannsperson von meinen Jahren, von meiner Bildung, von meiner Lebhaftigkeit, ist nicht ein wenig Geck? Es ist unsere Natur. Jeder lächlende Blick, dünkt uns der Zoll unsrer Verdienste, oder die Huldigung unsres Werts; ohne zu untersuchen, ob er nicht bloß aus Zerstreuung, ob er nicht aus Mitleid, ob er nicht wohl gar aus Hohn auf uns gefallen. –

LAURA. O, Sie machen mich ungeduldig. – Ich weiß gar nicht, wie es mit Ihrem kleinen Gehirne dann und wann steht.

LELIO. Nicht immer zum besten. – Aber besorgen Sie von mir weiter nichts. Sie haben mich in die Schranken meiner Geringfügigkeit zurück gewiesen –

LAURA. Noch mehr? – Ich sehe meinen Vater kommen, ich muß es kurz machen – Daß Sie ein albernes Märchen von einem gewissen Leander sich so leicht für Wahrheit aufbinden lassen, das, das ist die Leichtgläubigkeit, die mich an Ihnen verdrießt – Ich verlasse Sie; folgen Sie mir unvermerkt in das Gartenhaus. – Sie sollen Beweise haben, daß man Sie hintergehen will. – Gehet ab.


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 1, München 1970 ff., S. 444-447.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Misogyn
Sämmtliche Schriften: Sinngedichte, Lieder, Oden, Etc.-Junge Gelehrte.-Juden.-Misogyn.-Der Freygeist.-Schatz.-Minna Von Barnhelm (German Edition)

Buchempfehlung

Klopstock, Friedrich Gottlieb

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Von einem Felsgipfel im Teutoburger Wald im Jahre 9 n.Chr. beobachten Barden die entscheidende Schlacht, in der Arminius der Cheruskerfürst das römische Heer vernichtet. Klopstock schrieb dieses - für ihn bezeichnende - vaterländische Weihespiel in den Jahren 1766 und 1767 in Kopenhagen, wo ihm der dänische König eine Pension gewährt hatte.

76 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon