Vierter Auftritt


[462] Lelio in ihrer wahren Gestalt als Hilaria. Die Vorigen.


VALER. Ach! schönste Hilaria, wie erfreut, wie glücklich machen Sie mich! Wie soll ich Ihnen genug dafür danken, daß Sie eine Familie zu besuchen würdigen, die auf eine nähere Verbindung mit Ihnen schon zum voraus stolz ist.

LELIO. Erlauben Sie, Valer, daß ich vor jetzt Ihre Schmeichelei unbeantwortet lasse, und vor allen Dingen demjenigen Gegen Wumshätern. meine Ehrerbietigkeit bezeuge, der es mir so gütig erlauben will, ihn als einen Vater zu lieben.

WUMSHÄTER. Es ist mir ange – sehr unange – nicht ganz unangenehm, Madmoisell, Sie kennen zu lernen; nur muß ich[462] Ihnen gleich Anfangs sagen, daß Sie ein wenig zu geschwind gehen. Ich werde von zweien bereits Vater genennt –

VALER. Und es ist sein einziger Wunsch, auch von Ihnen dafür erkannt zu werden. –

WUMSHÄTER. Nein doch, mein Sohn.

VALER indem er die Hilaria der Laura zuführt. Lassen Sie sich, Hilaria, von einer Schwester umarmen, die ihre Freude nicht mehr mäßigen kann.

LELIO indem sie sich umarmen. Ich bin so frei, schönste Laura, um Ihre Freundschaft zu bitten. –

LAURA. Ich bin beschämt, daß ich mir in dieser Bitte habe zuvor kommen lassen.

VALER. Nun, Herr Vater? Erstaunen Sie nicht über die Gleichheit, die Hilaria mit ihrem Bruder hat?

LAURA. Gewiß, man muß darüber erstaunen. Ich kann mich nicht satt sehen. Wo ist Herr Lelio? Warum können wir nicht das Vergnügen haben, ihn mit diesem Ebenbilde zu vergleichen?

WUMSHÄTER. Wenn Lelio nur da wäre; wenn er nur da wäre! Ich weiß nicht, wo ihr die Augen haben müßt, ihr Leute. Ich will zwar nicht sagen, Madmoisell, daß Sie gar nichts Ähnliches mit Ihrem Bruder haben sollten; allein, man muß wirklich genau darauf sehen, wenn man es bemerken will. Vors erste, ist Lelio wenigstens eine Hand breit größer; der hohen Absätze an Ihren Schuhen ungeachtet.

LELIO. Und doch haben wir uns hundertmal mit einander gemessen, und nicht den geringsten Unterschied wahrnehmen können.

WUMSHÄTER. Mein Augenmaß trügt nicht, ich kann mich darauf verlassen. Vors andere, ist Herr Lelio auch nicht völlig so stark; er ist besser gewachsen und schlanker, ob er gleich keine Schnierbrust trägt. Ich will Sie dadurch nicht beleidigen, Madmoisell; sondern Ihrem Bruder bloß Gerechtigkeit widerfahren lassen.

LAURA. Ich kann Ihrer Meinung nicht sein, Herr Vater. Es ist zwar wahr, man wird schwerlich an einer Mannsperson einen schönern Wuchs finden, als an dem Herrn Lelio;[463] aber sehen Sie doch nur recht! Hilaria hat vollkommen eben denselben Wuchs, nur daß sie durch den Zwang der Kleidung eher schmächtiger, als stärker scheinet.

WUMSHÄTER. Und das Gesicht!

VALER. Nun? das Gesicht?

WUMSHÄTER. Ich will davon gar nicht reden. Lelio hat seine frische natürliche Farbe, aber auf Ihrem Gesichte, Madmoisell, liegt die Schminke ja Fingers dicke.

LELIO. Ich glaube zwar nicht, daß es etwas Unerlaubtes für ein Frauenzimmer sei, sich zu schminken; aber doch habe ich noch nie für gut befunden, meiner Bildung auf diese Art zu Hülfe zu kommen. Ich will dieses nicht zu meinem Lobe gesagt haben; denn vielleicht habe ich das, was andere aus Stolz tun, aus größerm Stolze unterlassen.

WUMSHÄTER. Ich versteh, ich versteh – Die Augen, mein Sohn! Hast du noch nicht bemerkt, daß dieses graue Augen sind, und Lelio schwarze Augen hat?

VALER. Was sagen Sie? Sind dieses graue Augen?

WUMSHÄTER. Ja wohl graue Augen, und dabei sind sie eben so matt, als des Lelio Augen feurig sind.

LAURA. Je, Herr Vater –

WUMSHÄTER. Je, Jungfer Tochter! Schweig Sie doch! Ich weiß so wohl, daß keine Krähe der andern die Augen aushacken wird. Du willst gewiß, daß sie deine gelben Augen auch einmal schwarz nennen soll. Macht ihr mich nur blind! – Und diese Nase – So eine kleine stumpfe Habichtsnase, hat Lelio nicht. Wollt ihr das auch leugnen?

VALER. Ich erstaune! –

WUMSHÄTER. Über deine Verblendung mußt du erstaunen – Auch der Mund ist noch einmal so groß, als ihn Lelio hat. Was für eine aufgeworfene Lippe! Was für ein spitziges Kinn! Die rechte Schulter ist eine Hand breit höher, als die linke! – Mit einem Worte, mein Sohn, die vorgegebene Gleichheit war eine List, dem Vater seine Einwilligung abzulocken. Und freilich wäre sie ein großer Punkt wider mich gewesen, wenn sie sich gefunden hätte. Desto besser, daß sie sich nicht gefunden hat, und daß es nunmehr desto wahrscheinlicher bleibt, daß in einem Körper,[464] der von dem Körper des Bruders so gar sehr unterschieden ist, auch eine ganz verschiedene Seele wohnen werde. Ihr Herr Bruder, Mademoisell, ist ein verständiger junger Mensch, der meine Ursachen, warum ich unmöglich zu der Verheiratung meines Sohnes Ja sagen kann, weiß und billiget. Er wird mich also bestens entschuldigen, daß ich mit Ihnen so wenig Umstände mache. Ich kann mich jetzt nicht länger aufhalten, sondern muß sorgen, daß ich mit Leandern je eher je lieber richtig werde. Du, Laura, halte dich gefaßt! Ich kann dir sie nunmehr nicht mitgeben, Valer; ich kann hier meinen Prozeß mit ihr gewinnen, und das geht vor.

LAURA. Laß dich nicht irre machen, Bruder, ich reise gewiß mit. Ihr Prozeß ist verloren, wenn Sie ihn durch mich gewinnen sollen.

WUMSHÄTER. Spare dein Widersprechen für deinen Mann. Geht ab.


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 1, München 1970 ff., S. 462-465.
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