Zwölfter Auftritt


[596] Anselmo. Ein andrer Träger.


DER TRÄGER. Was steht zu Ihren Diensten, mein Herr?

ANSELMO. Wollt Ihr Euch ein gut Trinkgeld verdienen, mein Freund?

DER TRÄGER. Das wäre wohl meine Sache.

ANSELMO. So nehmt geschwind den Koffer, und bringt mich zu dem Kaufmann Lelio.

DER TRÄGER. Zu dem Kaufmann Lelio?

ANSELMO. Ja. Er soll da in der Straße, in dem neuen Eckhause wohnen.

DER TRÄGER. Ich kenne in der ganzen Stadt keinen Kaufmann Lelio. In dem neuen Eckhause, da unten, wohnt jemand ganz anders.

ANSELMO. Ei nicht doch! Lelio muß da wohnen. Sonst hat er hier in diesem Hause gewohnt, welches ihm auch gehört.

DER TRÄGER. Nun merke ich, wen Sie meinen. Sie meinen den lüderlichen Lelio. O! den kenn ich wohl!

ANSELMO. Was? den lüderlichen Lelio?

DER TRÄGER. Je nu! die ganze Stadt nennt ihn so; warum soll ich ihn anders nennen? Sein Vater war der alte Anselmo. Das war ein garstiger, geiziger Mann, der nie genug kriegen konnte. Er reisete vor vielen Jahren hier weg; Gott weiß, wohin? Unterdessen, daß er sichs in der Fremde sauer werden läßt, oder wohl gar darüber schon ins Gras gebissen hat, ist sein Sohn hier guter Dinge. Der wird zwar nun wohl auch allmählig auf die Hefen gekommen sein; aber es ist schon recht. Ein Sammler will einen Zerstreuer[596] haben. Das Häuschen, höre ich, hat er nun auch verkauft – –

ANSELMO. Was? verkauft? – – Nun ists klar! Ach, du verwünschter Maskarill! – Ach ich unglücklicher Vater! Du gottloser, ungeratner Sohn!

DER TRÄGER. Ei! – Sie sind doch wohl nicht gar der alte Anselmo selber? Nehmen Sie mirs nicht übel, wenn Sie es sind; ich habe Sie wirklich nicht gekannt. Sonst hätte ich es wohl bleiben lassen. Sie einen garstigen, geizigen Mann zu nennen. Es ist niemanden an die Stirne geschrieben, wer er ist. Mögen Sie mich doch immerhin das Trinkgeld nicht verdienen lassen.

ANSELMO. Ihr sollt es verdienen, guter Freund, Ihr sollt es verdienen. Sagt mir nur geschwind: Ist es wirklich wahr, daß er das Haus verkauft hat? Und an wen hat er es verkauft?

DER TRÄGER. Der alte Philto hats gekauft.

ANSELMO. Philto? – O du ehrvergeßner Mann! Ist das deine Freundschaft? – Ich bin verraten! Ich bin verloren! – Er wird mir nun alles leugnen. – –

DER TRÄGER. Die Leute haben es ihm übel genug ausgelegt, daß er sich mit dem Kaufe abgegeben hat. Hat er nicht sollen in Ihrer Abwesenheit bei Ihrem Sohne gleichsam Vormunds Stelle vertreten? Ein schöner Vormund! das hieß ja wohl den Bock zum Gärtner setzen. Er ist alle sein Lebtage für einen eigennützigen Mann gehalten worden, und was ein Rabe ist, das bleibt wohl ein Rabe. – – Da eben seh ich ihn kommen! Ich will gern mein Trinkgeld im Stiche lassen; die Leute sind gar zu wunderlich, wenn sie hören, daß man sie kennt. Geht ab.


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 1, München 1970 ff., S. 596-597.
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