Zweiter Auftritt


[286] Damis. Chrysander.


CHRYSANDER. Immer über den verdammten Büchern! Mein Sohn, zu viel ist zu viel. Das Vergnügen ist so nötig, als die Arbeit.

DAMIS. O Herr Vater, das Studieren ist mir Vergnügens genug. Wer neben den Wissenschaften noch andere Ergötzungen sucht, muß die wahre Süßigkeit derselben noch nicht geschmeckt haben.

CHRYSANDER. Das sage nicht! Ich habe in meiner Jugend auch studiert; ich bin bis auf das Mark der Gelehrsamkeit gekommen. Aber daß ich beständig über den Büchern gelegen hätte, das ist nicht wahr. Ich ging spazieren; ich spielte; ich besuchte Gesellschaften; ich machte Bekanntschaft mit Frauenzimmern. Was der Vater in der Jugend getan hat, kann der Sohn auch tun; soll der Sohn auch tun. A bove majori discat arare minor! wie wir Lateiner reden. Besonders das Frauenzimmer laß dir, wie wir Lateiner reden, de meliori empfohlen sein! Das sind Narren, die einen jungen Menschen vor das Frauenzimmer ärger als vor Skorpionen warnen; die es ihm, wie wir Lateiner reden, cautius sanguine viperino zu fliehen befehlen. –

DAMIS. Cautius sanguine viperino? Ja, das ist noch Latein! Aber wie heißt die ganze Stelle?


Cur timet flavum Tiberim tangere? cur olivum

Sanguine viperino

Cautius vitat? – –


O ich höre schon, Herr Vater, Sie haben auch nicht aus der Quelle geschöpft! Denn sonst würden Sie wissen, daß Horaz in eben der Ode die Liebe als eine sehr nachteilige Leidenschaft beschreibt, und das Frauenzimmer – –

CHRYSANDER. Horaz! Horaz! Horaz war ein Italiener, und meinet das italienische Frauenzimmer. Ja vor dem italienischen warne ich dich auch! das ist gefährlich! Ich habe einen guten Freund, der in seiner Jugend – – Doch still! man muß kein Ärgernis geben. – Das deutsche Frauenzimmer[286] hingegen, o das deutsche! mit dem ist es ganz anders beschaffen. – – Ich würde der Mann nicht geworden sein, der ich doch bin, wenn mich das Frauenzimmer nicht vollends zugestutzt hätte. Ich dächte, man sähe mirs an. Du hast tote Bücher genug gelesen; guck einmal in ein lebendiges!

DAMIS. Ich erstaune – –

CHRYSANDER. O du wirst noch mehr erstaunen, wenn du erst tiefer hinein sehen wirst. Das Frauenzimmer, mußt du wissen, ist für einen jungen Men schen eine neue Welt, wo man so viel anzugaffen, so viel zu bewundern findet – –

DAMIS. Hören Sie mich doch! Ich erstaune, will ich sagen, Sie eine Sprache führen zu hören, in der wahrhaftig diejenigen Vorschriften nicht ausgedrückt waren, die Sie mir mit auf die hohe Schule gaben.

CHRYSANDER. Quae, qualis, quanta! Jetzt und damals! Tempora mutantur, wie wir Lateiner sagen.

DAMIS. Tempora mutantur? Ich bitte Sie, legen Sie doch die Vorurteile des Pöbels ab. Die Zeiten ändern sich nicht. Denn lassen Sie uns einmal sehen: was ist die Zeit? – –

CHRYSANDER. Schweig! die Zeit ist ein Ding, das ich mir mit deinem unnützen Geplaudre nicht will verderben lassen. Meine damaligen Vorschriften waren nach dem damaligen Maße deiner Erfahrung und deines Verstandes eingerichtet. Nun aber traue ich dir von beiden so viel zu, daß du Ergötzlichkeiten nicht zu Beschäftigungen machen wirst. Aus diesem Grunde rate ich dir also – –

DAMIS. Ihre Reden haben einigen Schein der Wahrheit. Allein ich dringe tiefer. Sie werden es gleich sehen. Der Status Controversiä ist – –

CHRYSANDER. Ei, der Status Controversiä mag meinetwegen in Barbara oder in Celarent sein. Ich bin nicht hergekommen mit dir zu disputieren, sondern – –

DAMIS. Die Kunstwörter des Disputierens zu lernen? Wohl! Sie müssen also wissen, daß weder Barbara noch Celarent den Statum – –

CHRYSANDER. Ich möchte toll werden! Bleib Er mir, Herr Informator, mit den Possen weg, oder – –[287]

DAMIS. Possen? diese seltsamen Benennungen sind zwar Überbleibsel der scholastischen Philosophie, das ist wahr; aber doch solche Überbleibsel – –

CHRYSANDER. Über die ich die Geduld verlieren werde, wann du mich nicht bald anhörst. Ich komme in der ernsthaftesten Sache von der Welt zu dir, – – denn was ist ernsthafter als heiraten? – – und du – –

DAMIS. Heiraten? Des Heiratens wegen zu mir? zu mir?

CHRYSANDER. Ha! ha! macht dich das aufmerksam? Also ausculta et perpende!

DAMIS. Ausculta et perpende? ausculta et perpende? Ein glücklicher Einfall –

CHRYSANDER. O, ich habe Einfälle –

DAMIS. Den ich da bekomme!

CHRYSANDER. Du?

DAMIS. Ja, ich. Wissen Sie, wo sich dieses ausculta et perpende herschreibt? Eben mache ich die Entdeckung: aus dem Homer. O was finde ich nicht alles in meinem Homer!

CHRYSANDER. Du und dein Homer, ihr seid ein Paar Narren!

DAMIS. Ich und Homer? Homer und ich? wir beide? Hi! hi! hi! Gewiß, Herr Vater? O ich danke, ich danke. Ich und Homer! Homer und ich! – Aber hören Sie nur: so oft Homer – er war wirklich kein Narr, so wenig wie ich – so oft er, sag ich, seine Helden den Soldaten zur Tapferkeit ermuntern, oder in dem Kriegsrate eine Beratschlagung anheben läßt; so oft ist auch der Anfang ihrer Rede: höret, was ich vortragen werde, und überlegt es! Zum Exempel in der Odyssee:

Κεκλψτε δὲ νψν μευ, Ιτηακέσιοι, ηοττι κεν ειπὸ.

Und darauf folgt denn auch oft:

Οσ επηατη᾽ ηοι δ᾽ αρα του μαλα μαν κλψον, ὲδ᾽ επιτηοντο.

Das ist: so sprach er, und sie gehorchten dem, was sie gehöret hatten.

CHRYSANDER. Gehorchten sie ihm? Nu, das ist vernünftig! Homer mag doch wohl kein Narr sein. Sieh zu, daß ich von dir auch widerrufen kann. Denn wieder zur Sache: ich kenne, mein Sohn –

DAMIS. Einen kleinen Augenblick Geduld, Herr Vater! Ich[288] will mich nur hinsetzen, und diese Anmerkung aufschreiben.

CHRYSANDER. Aufschreiben? was ist hier aufzuschreiben? Wem liegt daran, ob das Sprüchelchen aus dem Homer, oder aus dem Gesangbuche ist?

DAMIS. Der gelehrten Welt liegt daran; meiner und Homers Ehre lieget daran! Denn ein halb Hundert solche Anmerkungen machen einen Philologen. Und sie ist neu, muß ich Ihnen sagen, sie ist ganz neu.

CHRYSANDER. So schreib sie ein andermal auf.

DAMIS. Wenn sie mir aber wieder entfiele? Ich würde untröstlich sein. Haben Sie wenigstens die Gütigkeit, mich wieder daran zu erinnern.

CHRYSANDER. Gut, das will ich tun; höre mir nur jetzt zu. Ich kenne, mein Sohn, ein recht allerliebstes Frauenzimmer; und ich weiß, du kennst es auch. Hättest du wohl Lust – –

DAMIS. Ich soll ein Frauenzimmer, ein liebenswürdiges Frauenzimmer kennen? O, Herr Vater, wenn das jemand hörte, was würde er von meiner Gelehrsamkeit denken? – – Ich ein liebenswürdiges Frauenzimmer? – –

CHRYSANDER. Nun wahrhaftig; ich glaube nicht, daß ein Gastwirt so erschrecken kann, wenn man ihm Schuld gibt, er kenne den oder jenen Spitzbuben, als du erschrickst, weil du ein Frauenzimmer kennen sollst. Ist denn das ein Schimpf?

DAMIS. Wenigstens ist es keine Ehre, besonders für einen Gelehrten. Mit wem man umgeht, dessen Sitten nimmt man nach und nach an. Jedes Frauenzimmer ist eitel, hoffärtig, geschwätzig, zänkisch und Zeitlebens kindisch, es mag so alt werden, als es will. Jedes Frauenzimmer weiß kaum, daß es eine Seele hat, um die es unendlich mehr besorgt sein sollte, als um den Körper. Sich ankleiden, auskleiden, und wieder anders ankleiden; vor dem Spiegel sitzen, seinen eignen Reiz bewundern; auf ausgekünstelte Mienen sinnen; mit neugierigen Augen müßig an dem Fenster liegen: unsinnige Romane lesen, und aufs höchste zum Zeitvertreibe die Nadel zur Hand nehmen: das sind seine Beschäftigungen; das ist sein Leben. Und Sie glauben,[289] daß ein Gelehrter, ohne Nachteil seines guten Namens, solche närrische Geschöpfe weiter, als ihrer äußerlichen Gestalt nach, kennen dürfe?

CHRYSANDER. Mensch, Mensch! deine Mutter kehret sich im Grabe um. Bedenke doch, daß sie auch ein Frauenzimmer war! Bedenke doch, daß die Dinger von Natur nun einmal nicht anders sind! Ob schon, wie wir Lateiner zu reden pflegen, nulla regula sine exceptione. Und so eine Exzeption, ist sicherlich das Mädchen, das ich jetzt im Kopfe habe, und das du kennst. – –

DAMIS. Nein, nein! ich schwöre es Ihnen zu: unsere Muhmen ausgenommen, und Julianen –

CHRYSANDER. Und Julianen? bene! –

DAMIS. Und ihr Mädchen ausgenommen, kenn ich kein einziges Weibsbild. Ja, der Himmel soll mich strafen, wenn ich mir jemals in den Sinn kommen lasse, mehrere kennen zu lernen!

CHRYSANDER. Je nun, auch das! wie du willst! Genug, Julianen die kennst du.

DAMIS. Leider!

CHRYSANDER. Und eben Juliane ist es, über die ich deine Gedanken vernehmen möchte. – –

DAMIS. Über Julianen? meine Gedanken über Julianen? O Herr Vater, wenn Sie noch meine Gedanken über Erinnen, oder Corinnen, über Telesillen oder Praxillen verlangten – –

CHRYSANDER. Schock tausend! was sind das für Illen? Den Augenblick schwur er, er kenne kein Frauenzimmer, und nun nennt er ein halb Dutzend Menscher. –

DAMIS. Menscher? Herr Vater.

CHRYSANDER. Ja, Herr Sohn, Menscher! Die Endung gibts gewiß nicht? Netrix, Lotrix, Meretrix. –

DAMIS. Himmel, Menscher! griechische berühmte Dichterinnen Menscher zu nennen! – –

CHRYSANDER. Ja, ja, Dichterinnen! das sind mir eben die rechten. Lotrix, Meretrix, Poetrix – –

DAMIS. Poetrix! O wehe, meine Ohren! Poetria müßten Sie sagen; oder Poetris –

CHRYSANDER. Is oder ix, Herr Buchstabenkrämer![290]


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 1, München 1970 ff., S. 286-291.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der junge Gelehrte
Der Junge Gelehrte Ein Lustspiel in Drei Aufzugen
Der junge Gelehrte.
Der junge Gelehrte
Sämmtliche Schriften: Sinngedichte, Lieder, Oden, Etc.-Junge Gelehrte.-Juden.-Misogyn.-Der Freygeist.-Schatz.-Minna Von Barnhelm (German Edition)

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

Im Jahre 1758 kämpft die Nonne Marguerite Delamarre in einem aufsehenerregenden Prozeß um die Aufhebung ihres Gelübdes. Diderot und sein Freund Friedrich Melchior Grimm sind von dem Vorgang fasziniert und fingieren einen Brief der vermeintlich geflohenen Nonne an ihren gemeinsamen Freund, den Marquis de Croismare, in dem sie ihn um Hilfe bittet. Aus dem makaberen Scherz entsteht 1760 Diderots Roman "La religieuse", den er zu Lebzeiten allerdings nicht veröffentlicht. Erst nach einer 1792 anonym erschienenen Übersetzung ins Deutsche erscheint 1796 der Text im französischen Original, zwölf Jahre nach Diderots Tod. Die zeitgenössische Rezeption war erwartungsgemäß turbulent. Noch in Meyers Konversations-Lexikon von 1906 wird der "Naturalismus" des Romans als "empörend" empfunden. Die Aufführung der weitgehend werkgetreuen Verfilmung von 1966 wurde zunächst verboten.

106 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon