Erster Auftritt

[129] DER PRINZ an einem Arbeitstische, voller Briefschaften und Papiere, deren einige er durchläuft. Klagen, nichts als Klagen! Bittschriften, nichts als Bittschriften! – Die traurigen Geschäfte; und man beneidet uns noch! – Das glaub' ich; wenn wir allen helfen könnten: dann wären wir zu beneiden. – Emilia? Indem er noch eine von den Bittschriften aufschlägt, und nach dem unterschriebnen Namen sieht. Eine Emilia? – Aber eine Emilia Bruneschi – nicht Galotti. Nicht Emilia Galotti! – Was will sie, diese Emilia Bruneschi? Er lieset. Viel gefodert; sehr viel. – Doch sie heißt Emilia. Gewährt! Er unterschreibt und klingelt; worauf ein Kammerdiener hereintritt. Es ist wohl noch keiner von den Räten in dem Vorzimmer?

DER KAMMERDIENER. Nein.

DER PRINZ. Ich habe zu früh Tag gemacht. – Der Morgen ist so schön. Ich will ausfahren. Marchese Marinelli soll mich begleiten. Laßt ihn rufen. Der Kammerdiener geht ab. – Ich kann doch nicht mehr arbeiten. – Ich war so ruhig, bild' ich mir ein, so ruhig – Auf einmal muß eine arme Bruneschi, Emilia heißen; – weg ist meine Ruhe, und alles! –

DER KAMMERDIENER welcher wieder herein tritt. Nach dem Marchese ist geschickt. Und hier, ein Brief von der Gräfin Orsina.

DER PRINZ. Der Orsina? Legt ihn hin.

DER KAMMERDIENER. Ihr Läufer wartet.

DER PRINZ. Ich will die Antwort senden; wenn es einer bedarf. – Wo ist sie? In der Stadt? oder auf ihrer Villa?[129]

DER KAMMERDIENER. Sie ist gestern in die Stadt gekommen.

DER PRINZ. Desto schlimmer – besser; wollt' ich sagen. So braucht der Läufer um so weniger zu warten. Der Kammerdiener geht ab. Meine teure Gräfin! Bitter, indem er den Brief in die Hand nimmt. So gut, als gelesen! Und ihn wieder wegwirft. – Nun ja; ich habe sie zu lieben geglaubt! Was glaubt man nicht alles? Kann sein, ich habe sie auch wirklich geliebt. Aber – ich habe!

DER KAMMERDIENER der nochmals herein tritt. Der Maler Conti will die Gnade haben – –

DER PRINZ. Conti? Recht wohl; laßt ihn herein kommen. – Das wird mir andere Gedanken in den Kopf bringen. – Steht auf.


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 2, München 1970 ff., S. 129-130.
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