Dritter Auftritt

[145] Pirro, und bald darauf Angelo.


PIRRO. Die sich nur aus Neugierde melden lassen. – Was bin ich seit einer Stunde nicht alles ausgefragt worden! – Und wer kömmt da?

ANGELO noch halb hinter der Szene, in einem kurzen Mantel, den er über das Gesicht gezogen, den Hut in die Stirne. Pirro! – Pirro!

PIRRO. Ein Bekannter? – In dem Angelo vollends hereintritt, und den Mantel auseinander schlägt. Himmel! Angelo? – Du?

ANGELO. Wie du siehst. – Ich bin lange genug um das Haus herumgegangen, dich zu sprechen. – Auf ein Wort! –

PIRRO. Und du wagst es, wieder ans Licht zu kommen? – Du bist seit deiner letzten Mordtat vogelfrei erkläret; auf deinen Kopf steht eine Belohnung –

ANGELO. Die doch du nicht wirst verdienen wollen? –

PIRRO. Was willst du? Ich bitte dich, mache mich nicht unglücklich.

ANGELO. Damit etwa? Ihm einen Beutel mit Gelde zeigend. – Nimm! Es gehöret dir!

PIRRO. Mir?

ANGELO. Hast du vergessen? Der Deutsche, dein voriger Herr, – –

PIRRO. Schweig davon![145]

ANGELO. Den du uns, auf dem Wege nach Pisa, in die Falle führtest –

PIRRO. Wenn uns jemand hörte!

ANGELO. Hatte ja die Güte, uns auch einen kostbaren Ring zu hinterlassen. – Weißt du nicht? – Er war zu kostbar, der Ring, als daß wir ihn sogleich ohne Verdacht hätten zu Gelde machen können. Endlich ist mir es damit gelungen. Ich habe hundert Pistolen dafür erhalten: und das ist dein Anteil. Nimm!

PIRRO. Ich mag nichts, – behalt' alles.

ANGELO. Meinetwegen! – wenn es dir gleich viel ist, wie hoch du deinen Kopf feil trägst – Als ob er den Beutel wieder einstecken wollte.

PIRRO. So gib nur! Nimmt ihn. – Und was nun? Denn daß du bloß deswegen mich aufgesucht haben solltest – –

ANGELO. Das kömmt dir nicht so recht glaublich vor? – Halunke! Was denkst du von uns? – daß wir fähig sind, jemand seinen Verdienst vorzuenthalten? Das mag unter den so genannten ehrlichen Leuten Mode sein: unter uns nicht. – Leb wohl! – Tut als ob er gehen wollte, und kehrt wieder um. Eins muß ich doch fragen. – Da kam ja der alte Galotti so ganz allein in die Stadt gesprengt. Was will der?

PIRRO. Nichts will er: ein bloßer Spazierritt. Seine Tochter wird, heut' Abend, auf dem Gute, von dem er herkömmt, dem Grafen Appiani angetrauet. Er kann die Zeit nicht erwarten –

ANGELO. Und reitet bald wieder hinaus?

PIRRO. So bald, daß er dich hier trifft, wo du noch lange verziehest. – Aber du hast doch keinen Anschlag auf ihn? Nimm dich in Acht. Er ist ein Mann –

ANGELO. Kenn' ich ihn nicht? Hab' ich nicht unter ihm gedient? – Wenn darum bei ihm nur viel zu holen wäre! – Wenn fahren die junge Leute nach?

PIRRO. Gegen Mittag.

ANGELO. Mit viel Begleitung?

PIRRO. In einem einzigen Wagen: die Mutter, die Tochter und der Graf. Ein Paar Freunde kommen aus Sabionetta als Zeugen.[146]

ANGELO. Und Bediente?

PIRRO. Nur zwei; außer mir, der ich zu Pferde vorauf reiten soll.

ANGELO. Das ist gut. – Noch eins: wessen ist die Equipage? Ist es eure? oder des Grafen?

PIRRO. Des Grafen.

ANGELO. Schlimm! Da ist noch ein Vorreiter, außer einem handfesten Kutscher. Doch! –

PIRRO. Ich erstaune. Aber was willst du? – Das Bißchen Schmuck, das die Braut etwa haben dürfte, wird schwerlich der Mühe lohnen –

ANGELO. So lohnt ihrer die Braut selbst!

PIRRO. Und auch bei diesem Verbrechen soll ich dein Mitschuldiger sein?

ANGELO. Du reitest vorauf. Reite doch, reite! und kehre dich an nichts!

PIRRO. Nimmermehr!

ANGELO. Wie? ich glaube gar, du willst den Gewissenhaften spielen. – Bursche! ich denke, du kennst mich. – Wo du plauderst! Wo sich ein einziger Umstand anders findet, als du mir ihn angegeben! –

PIRRO. Aber, Angelo, um des Himmels willen! –

ANGELO. Tu, was du nicht lassen kannst! Geht ab.

PIRRO. Ha! Laß dich den Teufel bei Einem Haare fassen; und du bist sein auf ewig! Ich Unglücklicher!


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 2, München 1970 ff., S. 145-147.
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