Erster Auftritt

[174] Der Prinz. Marinelli.


DER PRINZ als aus dem Zimmer von Emilien kommend. Kommen Sie, Marinelli! Ich muß mich erholen – und muß Licht von Ihnen haben.

MARINELLI. O der mütterlichen Wut! Ha! ha! ha!

DER PRINZ. Sie lachen?

MARINELLI. Wenn Sie gesehen hätten, Prinz, wie toll sich hier, hier im Saale, die Mutter gebärdete – Sie hörten sie ja wohl schreien! – und wie zahm sie auf einmal ward, bei dem ersten Anblicke von Ihnen – – Ha! ha! – Das weiß ich ja wohl, daß keine Mutter einem Prinzen die Augen auskratzt, weil er ihre Tochter schön findet!

DER PRINZ. Sie sind ein schlechter Beobachter! – Die Tochter stürzte der Mutter ohnmächtig in die Arme. Darüber vergaß die Mutter ihre Wut: nicht über mir. Ihre Tochter schonte sie, nicht mich; wenn sie es nicht lauter, nicht deutlicher sagte, – was ich lieber selbst nicht gehört, nicht verstanden haben will.

MARINELLI. Was, gnädiger Herr?

DER PRINZ. Wozu die Verstellung? – Heraus damit. Ist es wahr? oder ist es nicht wahr?

MARINELLI. Und wenn es denn wäre!

DER PRINZ. Wenn es denn wäre? – Also ist es? – Er ist tot? tot? – Drohend. Marinelli! Marinelli!

MARINELLI. Nun?

DER PRINZ. Bei Gott! bei dem allgerechten Gott! ich bin unschuldig an diesem Blute. – Wenn Sie mir vorher gesagt hätten, daß es dem Grafen das Leben kosten werde – Nein, nein! und wenn es mir selbst das Leben gekostet hätte! –[174]

MARINELLI. Wenn ich Ihnen vorher gesagt hätte? – Als ob sein Tod in meinem Plane gewesen wäre! Ich hatte es dem Angelo auf die Seele gebunden, zu verhüten, daß niemanden Leides geschähe. Es würde auch ohne die geringste Gewalttätigkeit abgelaufen sein, wenn sich der Graf nicht die erste erlaubt hätte. Er schoß Knall und Fall den einen nieder.

DER PRINZ. Wahrlich; er hätte sollen Spaß verstehen!

MARINELLI. Daß Angelo sodann in Wut kam, und den Tod seines Gefährten rächte –

DER PRINZ. Freilich, das ist sehr natürlich!

MARINELLI. Ich hab' es ihm genug verwiesen.

DER PRINZ. Verwiesen? Wie freundschaftlich! – Warnen Sie ihn, daß er sich in meinem Gebiete nicht betreten läßt. Mein Verweis möchte so freundschaftlich nicht sein.

MARINELLI. Recht wohl! – Ich und Angelo; Vorsatz und Zufall: alles ist eins. – Zwar ward es voraus bedungen, zwar ward es voraus versprochen, daß keiner der Unglücksfälle, die sich dabei eräugnen könnten, mir zu Schulden kommen solle –

DER PRINZ. Die sich dabei eräugnen – könnten, sagen Sie? oder sollten?

MARINELLI. Immer besser! – Doch, gnädiger Herr, – ehe Sie mir es mit dem trocknen Worte sagen, wofür Sie mich halten – eine einzige Vorstellung! Der Tod des Grafen ist mir nichts weniger, als gleichgültig. Ich hatte ihn ausgefodert; er war mir Genugtuung schuldig; er ist ohne diese aus der Welt gegangen; und meine Ehre bleibt beleidiget. Gesetzt, ich verdiente unter jeden andern Umständen den Verdacht, den Sie gegen mich hegen: aber auch unter diesen? – Mit einer angenommenen Hitze. Wer das von mir denken kann! –

DER PRINZ nachgebend. Nun gut, nun gut –

MARINELLI. Daß er noch lebte! O daß er noch lebte! Alles, alles in der Welt wollte ich darum geben – Bitter. selbst die Gnade meines Prinzen, – diese unschätzbare, nie zu verscherzende Gnade – wollt' ich drum geben!

DER PRINZ. Ich verstehe. – Nun gut, nun gut. Sein Tod war Zufall, bloßer Zufall. Sie versichern es; und ich, ich glaub' es.[175] – Aber wer mehr? Wer wird es mehr glauben? Auch der Vater? Auch die Mutter? Auch Emilia? – Auch die Welt?

MARINELLI kalt. Schwerlich.

DER PRINZ. Und wenn man es nicht glaubt, was wird man denn glauben? – Sie zucken die Achsel? – Ihren Angelo wird man für das Werkzeug, und mich für den Täter halten –

MARINELLI noch kälter. Wahrscheinlich genug.

DER PRINZ. Mich! mich selbst! – Oder ich muß von Stund an alle Absicht auf Emilien aufgeben –

MARINELLI höchst gleichgültig. Was Sie auch gemußt hätten – wenn der Graf noch lebte. –

DER PRINZ heftig, aber sich gleich wieder fassend. Marinelli! – Doch, Sie sollen mich nicht wild machen. – Es sei so – Es ist so! Und das wollen Sie doch nur sagen: der Tod des Grafen ist für mich ein Glück – das größte Glück, was mir begegnen konnte, – das einzige Glück, was meiner Liebe zu statten kommen konnte. Und als dieses, – mag er doch geschehen sein, wie er will! – Ein Graf mehr in der Welt, oder weniger! Denke ich Ihnen so recht? – Topp! auch ich erschrecke vor einem kleinen Verbrechen nicht. Nur, guter Freund, muß es ein kleines stilles Verbrechen, ein kleines heilsames Verbrechen sein. Und sehen Sie, unseres da, wäre nun gerade weder stille noch heilsam. Es hätte den Weg zwar gereiniget, aber zugleich gesperrt. Jedermann würde es uns auf den Kopf zusagen, – und leider hätten wir es gar nicht einmal begangen! – Das liegt doch wohl nur bloß an Ihren weisen, wunderbaren Anstalten?

MARINELLI. Wenn Sie so befehlen –

DER PRINZ. Woran sonst? – Ich will Rede!

MARINELLI. Es kömmt mehr auf meine Rechnung, was nicht darauf gehört.

DER PRINZ. Rede will ich!

MARINELLI. Nun dann! Was läge an meinen Anstalten? daß den Prinzen bei diesem Unfalle ein so sichtbarer Verdacht trifft? – An dem Meisterstreiche liegt das, den er selbst meinen Anstalten mit einzumengen die Gnade hatte.

DER PRINZ. Ich?

MARINELLI. Er erlaube mir, ihm zu sagen, daß der Schritt, den[176] er heute Morgen in der Kirche getan, – mit so vielem Anstande er ihn auch getan – so unvermeidlich er ihn auch tun mußte – daß dieser Schritt dennoch nicht in den Tanz gehörte.

DER PRINZ. Was verdarb er denn auch?

MARINELLI. Freilich nicht den ganzen Tanz: aber doch voritzo den Takt.

DER PRINZ. Hm! Versteh' ich Sie?

MARINELLI. Also, kurz und einfältig. Da ich die Sache übernahm, nicht wahr, da wußte Emilia von der Liebe des Prinzen noch nichts? Emiliens Mutter noch weniger. Wenn ich nun auf diesen Umstand baute? und der Prinz indes den Grund meines Gebäudes untergrub? –

DER PRINZ sich vor die Stirne schlagend. Verwünscht!

MARINELLI. Wenn er es nun selbst verriet, was er im Schilde führe?

DER PRINZ. Verdammter Einfall!

MARINELLI. Und wenn er es nicht selbst verraten hätte? – Traun! ich möchte doch wissen, aus welcher meiner Anstalten, Mutter oder Tochter den geringsten Argwohn gegen ihn schöpfen könnte?

DER PRINZ. Daß Sie Recht haben!

MARINELLI. Daran tu' ich freilich sehr Unrecht – Sie werden verzeihen, gnädiger Herr –


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 2, München 1970 ff., S. 174-177.
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