Achter Auftritt

[190] Claudia Galotti. Die Vorigen.


CLAUDIA die im Hereintreten sich umsiehet, und sobald sie ihren Gemahl erblickt, auf ihn zuflieget. Erraten! – Ah, unser Beschützer, unser Retter! Bist du da, Odoardo? Bist du da? – Aus ihren Wispern, aus ihren Mienen schloß ich es. – Was soll ich dir sagen, wenn du noch nichts weißt? – Was soll ich dir sagen, wenn du schon alles weißt? – Aber wir sind unschuldig. Ich bin unschuldig. Deine Tochter ist unschuldig. Unschuldig, in allem unschuldig!

ODOARDO der sich bei Erblickung seiner Gemahlin zu fassen gesucht. Gut, gut. Sei nur ruhig, nur ruhig, – und antworte mir. Gegen die Orsina. Nicht Madame, als ob ich noch zweifelte – Ist der Graf tot?

CLAUDIA. Tot.

ODOARDO. Ist es wahr, daß der Prinz heute Morgen Emilien in der Messe gesprochen?

CLAUDIA. Wahr. Aber wenn du wüßtest, welchen Schreck es ihr verursacht; in welcher Bestürzung sie nach Hause kam –

ORSINA. Nun, hab' ich gelogen?

ODOARDO mit einem bittern Lachen. Ich wollt' auch nicht, Sie hätten! Um wie vieles nicht!

ORSINA. Bin ich wahnwitzig?

ODOARDO wild hin und her gehend. O, – noch bin ich es auch nicht.

CLAUDIA. Du gebotest mir ruhig zu sein; und ich bin ruhig. – Bester Mann, darf auch ich – ich dich bitten –

ODOARDO. Was willst du? Bin ich nicht ruhig? Kann man ruhiger sein, als ich bin? – Sich zwingend. Weiß es Emilia, daß Appiani tot ist?[190]

CLAUDIA. Wissen kann sie es nicht. Aber ich fürchte, daß sie es argwohnet; weil er nicht erscheinet. –

ODOARDO. Und sie jammert und winselt –

CLAUDIA. Nicht mehr. – Das ist vorbei: nach Ihrer Art, die du kennest. Sie ist die Furchtsamste und Entschlossenste unsers Geschlechts. Ihrer ersten Eindrücke nie mächtig; aber nach der geringsten Überlegung, in alles sich findend, auf alles gefaßt. Sie hält den Prinzen in einer Entfernung; sie spricht mit ihm in einem Tone – Mache nur, Odoardo, daß wir wegkommen.

ODOARDO. Ich bin zu Pferde. – Was zu tun? – Doch, Madame, Sie fahren ja nach der Stadt zurück?

ORSINA. Nicht anders.

ODOARDO. Hätten Sie wohl die Gewogenheit, meine Frau mit sich zu nehmen?

ORSINA. Warum nicht? Sehr gern.

ODOARDO. Claudia, – Ihr die Gräfin bekannt machend. Die Gräfin Orsina; eine Dame von großem Verstande; meine Freundin, meine Wohltäterin. – Du mußt mit ihr herein; um uns sogleich den Wagen heraus zu schicken. Emilia darf nicht wieder nach Guastalla. Sie soll mit mir.

CLAUDIA. Aber – wenn nur – Ich trenne mich ungern von dem Kinde.

ODOARDO. Bleibt der Vater nicht in der Nähe? Man wird ihn endlich doch vorlassen. Keine Einwendung! – Kommen Sie, gnädige Frau. Leise zu ihr. Sie werden von mir hören. – Komm, Claudia. Er führt sie ab.[191]

Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 2, München 1970 ff., S. 190-192.
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