Achter Auftritt

[42] Hannah erschrocken. Marwood. Mellefont.


MELLEFONT. Hast du es gehört, Hannah, welche Furie deine Gebieterin ist? Wisse, daß ich Arabellen von deinen Händen fodern werde.

HANNAH. Ach Madam, wie sind Sie außer sich!

MELLEFONT. Ich will das unschuldige Kind bald in völlige Sicherheit bringen. Die Gerechtigkeit wird einer so grausamen Mutter die mörderischen Hände schon zu binden wissen. Er will gehen.

MARWOOD. Wohin, Mellefont? Ist es zu verwundern, daß die Heftigkeit meines Schmerzes mich des Verstandes nicht mächtig ließ? Wer bringt mich zu so unnatürlichen Ausschweifungen? Sind Sie es nicht selbst? Wo kann Bella sicherer sein, als bei mir? Mein Mund tobet wider sie, und mein Herz bleibt doch immer das Herz einer Mutter. Ach, Mellefont! vergessen Sie meine Raserei, und denken, zu ihrer Entschuldigung, nur an die Ursache derselben.

MELLEFONT. Es ist nur Ein Mittel, welches mich bewegen kann, sie zu vergessen.

MARWOOD. Welches?

MELLEFONT. Wenn Sie den Augenblick nach London zurückkehren. Arabellen will ich in einer an dern Begleitung wieder dahin bringen lassen. Sie müssen durchaus ferner mit ihr nichts zu tun haben.

MARWOOD. Gut, ich lasse mir alles gefallen; aber eine einzige Bitte gewähren Sie mir noch. Lassen Sie mich Ihre Sara wenigstens einmal sehen.

MELLEFONT. Und wozu?

MARWOOD. Um in ihren Blicken mein ganzes künftiges Schicksal zu lesen. Ich will selbst urteilen, ob sie einer Untreue, wie Sie an mir begehen, würdig ist; und ob ich Hoffnung haben kann, wenigstens einmal einen Anteil an Ihrer Liebe wieder zu bekommen.

MELLEFONT. Nichtige Hoffnung!

MARWOOD. Wer ist so grausam, daß er einer Elenden auch[42] nicht einmal die Hoffnung gönnen wollte? Ich will mich ihr nicht als Marwood, sondern als eine Anverwandte von Ihnen zeigen. Melden Sie mich bei ihr als eine solche; Sie sollen bei meinem Besuche zugegen sein, und ich verspreche Ihnen, bei allem was heilig ist, ihr nicht das geringste Anstößige zu sagen. Schlagen Sie mir meine Bitte nicht ab; denn sonst möchte ich vielleicht alles anwenden, in meiner wahren Gestalt vor ihr zu erscheinen.

MELLEFONT. Diese Bitte, Marwood, Nachdem er einen Augenblick nachgedacht. – – könnte ich Ihnen gewähren. Wollen Sie aber auch alsdann gewiß diesen Ort verlassen?

MARWOOD. Gewiß; ja, ich verspreche Ihnen noch mehr; ich will Sie, wo nur noch einige Möglichkeit ist, von dem Überfalle ihres Vaters befreien.

MELLEFONT. Dieses haben Sie nicht nötig. Ich hoffe, daß er auch mich in die Verzeihung mit einschließen wird, die er seiner Tochter widerfahren läßt. Will er aber dieser nicht verzeihen: so werde ich auch wissen, wie ich ihm begegnen soll. – Ich gehe, Sie bei meiner Miß zu melden. Nur halten Sie Wort, Marwood! Geht ab.

MARWOOD. Ach Hannah! daß unsere Kräfte nicht so groß sind, als unsere Wut! Komm, hilf mich ankleiden. Ich gebe mein Vorhaben nicht auf. Wenn ich ihn nur erst sicher gemacht habe. Komm!


Ende des zweiten Aufzugs.[43]


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 2, München 1970 ff., S. 42-44.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Miß Sara Sampson
Gotthold Ephraim Lessings Sämmtliche Schriften: Teil 19. Miss Sara Sampson. Philotas. Emilia Galotti
Miss Sara Sampson
Emilia Galotti. Miss Sara Sampson. Philotas.
Miß Sara Sampson: Ein bürgerliches Trauerspiel in fünf Aufzügen (Suhrkamp BasisBibliothek)
Miß Sara Sampson