Vierter Auftritt

[69] Mellefont. Marwood.


MARWOOD. Sie sehen mich ohne Zweifel sehr ungern wiederkommen.

MELLEFONT. Ich sehe es sehr gern, Marwood, daß Ihre Unbäßlichkeit ohne Folgen gewesen ist. Sie befinden sich doch besser?

MARWOOD. So, so!

MELLEFONT. Sie haben also nicht wohl getan, sich wieder hieher zu bemühen.

MARWOOD. Ich danke Ihnen, Mellefont, wenn Sie dieses aus Vorsorge für mich sagen. Und ich nehme es Ihnen nicht übel, wenn Sie etwas anders damit meinen.

MELLEFONT. Es ist mir angenehm, Sie so ruhig zu sehen.

MARWOOD. Der Sturm ist vorüber. Vergessen Sie ihn, bitte ich nochmals.

MELLEFONT. Vergessen Sie nur Ihr Versprechen nicht, Marwood, und ich will gern alles vergessen. – Aber, wenn ich wüßte, daß Sie es für keine Beleidigung annehmen wollten, so möchte ich wohl fragen – –

MARWOOD. Fragen Sie nur, Mellefont. Sie können mich nicht mehr beleidigen. – Was wollten Sie fragen?

MELLEFONT. Wie Ihnen meine Miß gefallen habe?

MARWOOD. Die Frage ist natürlich. Meine Antwort wird so natürlich nicht scheinen, aber sie ist gleichwohl nichts weniger wahr. – Sie hat mir sehr wohl gefallen.

MELLEFONT. Diese Unparteilichkeit entzückt mich. Aber wär' es auch möglich, daß der, welcher die Reize einer Marwood zu schätzen wußte, eine schlechte Wahl treffen könnte?

MARWOOD. Mit dieser Schmeichelei, Mellefont, wenn es anders[69] eine ist, hätten Sie mich verschonen sollen. Sie will sich mit meinem Vorsatze, Sie zu vergessen, nicht vertragen.

MELLEFONT. Sie wollen doch nicht, daß ich Ihnen diesen Vorsatz durch Grobheiten erleichtern soll? Lassen Sie unsere Trennung nicht von der gemeinen Art sein. Lassen Sie uns mit einander brechen, wie Leute von Vernunft, die der Notwendigkeit weichen. Ohne Bitterkeit, ohne Groll und mit Beibehaltung eines Grades von Hochachtung, wie er sich zu unserer ehmaligen Vertraulichkeit schickt.

MARWOOD. Ehmaligen Vertraulichkeit? – Ich will nicht daran erinnert sein. Nichts mehr davon! Was geschehen muß, muß geschehen; und es kömmt wenig auf die Art an, mit welcher es geschieht. – Aber ein Wort noch von Arabellen. Sie wollen mir sie nicht lassen?

MELLEFONT. Nein, Marwood.

MARWOOD. Es ist grausam, da Sie ihr Vater nicht bleiben können, daß Sie ihr auch die Mutter nehmen wollen.

MELLEFONT. Ich kann ihr Vater bleiben; und will es auch bleiben.

MARWOOD. So beweisen Sie es gleich itzt.

MELLEFONT. Wie?

MARWOOD. Erlauben Sie, daß Arabella die Reichtümer, welche ich von Ihnen in Verwahrung habe, als ihr Vaterteil besitzen darf. Was ihr Mutterteil anbelangt, so wollte ich wohl wünschen, daß ich ihr ein beßres lassen könnte, als die Schande, von mir geboren zu sein.

MELLEFONT. Reden Sie nicht so. – Ich will für Arabellen sorgen, ohne ihre Mutter wegen eines anständigen Auskommens in Verlegenheit zu setzen. Wenn sie mich vergessen will, so muß sie damit anfangen, daß sie etwas von mir zu besitzen vergißt. Ich habe Verbindlichkeiten gegen sie, und werde es nie aus der Acht lassen, daß sie mein wahres Glück, obschon wider ihren Willen, befördert hat. Ja, Marwood, ich danke Ihnen in allem Ernste, daß Sie unsern Aufenthalt einem Vater verrieten, den bloß die Unwissenheit desselben verhinderte, uns nicht eher wieder anzunehmen.

MARWOOD. Martern Sie mich nicht mit einem Danke, den ich niemals habe verdienen wollen. Sir William ist ein zu guter[70] alter Narr: er muß anders denken, als ich an seiner Stelle würde gedacht haben. Ich hätte der Tochter vergeben, und ihrem Verführer hätt' ich – –

MELLEFONT. Marwood! – –

MARWOOD. Es ist wahr; Sie sind es selbst. Ich schweige. – Werde ich der Miß mein Abschiedskompliment bald machen dürfen?

MELLEFONT. Miß Sara würde es Ihnen nicht übel nehmen können, wenn Sie auch wegreiseten, ohne sie wieder zu sprechen.

MARWOOD. Mellefont, ich spiele meine Rollen nicht gern halb, und ich will, auch unter keinem fremden Namen, für ein Frauenzimmer ohne Lebensart gehalten werden.

MELLEFONT. Wenn Ihnen Ihre eigne Ruhe lieb ist, so sollten Sie sich selbst hüten, eine Person nochmals zu sehen, die gewisse Vorstellungen bei Ihnen rege machen muß – –

MARWOOD spöttisch lächelnd. Sie haben eine bessere Meinung von sich selbst, als von mir. Wenn sie es aber auch glaubten, daß ich Ihrentwegen untröstlich sein müßte, so sollten Sie es doch wenigstens ganz in der Stille glauben. – Miß Sara soll gewisse Vorstellungen bei mir rege machen? Gewisse? O ja – aber keine gewisser, als diese, daß das beste Mädchen oft den nichtswürdigsten Mann lieben kann.

MELLEFONT. Allerliebst, Marwood, allerliebst! Nun sind Sie gleich in der Verfassung, in der ich Sie längst gern gewünscht hätte: ob es mir gleich, wie ich schon gesagt, fast lieber gewesen wäre, wenn wir einige gemeinschaftliche Hochachtung für einander hätten behalten können. Doch vielleicht findet sich diese noch, wenn nur das gährende Herz erst ausgebrauset hat. – Erlauben Sie, daß ich Sie einige Augenblicke allein lasse. Ich will Miß Sampson zu Ihnen holen.


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 2, München 1970 ff., S. 69-71.
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