Vierter Auftritt

[88] Sara. Mellefont. Betty.


SARA. Lassen Sie doch einen abgematteten Feind, der den letzten fruchtlosen Sturm gewagt hat, ruhig abziehen. Ich würde ohne Marwood vieles nicht wissen – –

MELLEFONT. Vieles? Was ist das viele?

SARA. Was Sie mir selbst nicht gesagt hätten, Mellefont. – Sie werden stutzig? – Nun wohl, ich will es wieder vergessen; weil Sie doch nicht wollen, daß ich es wissen soll.

MELLEFONT. Ich will nicht hoffen, daß Sie etwas zu meinem Nachteile glauben werden, was keinen andern Grund hat, als die Eifersucht einer aufgebrachten Verleumderin.

SARA. Auf ein andermal hiervon! – Warum aber lassen Sie es nicht das erste sein, mir von der Gefahr zu sagen, in der sich Ihr kostbares Leben befunden hat? Ich, Mellefont, ich würde den Stahl geschliffen haben, mit dem Sie Marwood durchstoßen hätte – –

MELLEFONT. Diese Gefahr war so groß nicht. Marwood ward von einer blinden Wut getrieben, und ich war bei kaltem Blute. Ihr Angriff also mußte mißlingen – Wenn ihr ein andrer, auf der Miß Sara gute Meinung von ihrem Mellefont, nur nicht besser gelungen ist! Fast muß ich es fürchten – Nein, liebste Miß, verschweigen Sie mir es nicht länger, was Sie von ihr wollen erfahren haben.

SARA. Nun wohl. – Wenn ich noch den geringsten Zweifel an Ihrer Liebe gehabt hätte, Mellefont, so würde mir ihn die tobende Marwood benommen haben. Sie muß es gewiß wissen, daß sie durch mich um das Kostbarste gekommen sei; denn ein ungewisser Verlust würde sie bedächtiger haben gehen lassen.

MELLEFONT. Bald werde ich also auf ihre blutdürstige Eifersucht, auf ihre ungestüme Frechheit, auf ihre treulose List einigen Wert legen müssen! – Aber, Miß, Sie wollen mir wieder ausweichen, und mir dasjenige nicht entdecken – – –

SARA. Ich will es; und was ich sagte war schon ein näherer Schritt dazu. Daß mich Mellefont also liebt, ist unwidersprechlich[88] gewiß. Wenn ich nur nicht entdeckt hätte, daß seiner Liebe ein gewisses Vertrauen fehle, welches mir eben so schmeichelhaft sein würde, als die Liebe selbst. Kurz, liebster Mellefont – Warum muß mir eine plötzliche Beklemmung das Reden so schwer machen? Ich werde es schon sagen müssen, ohne viel die behutsamste Wendung zu suchen, mit der ich es Ihnen sagen sollte. – Marwood erwähnte eines Pfandes, und der schwatzhafte Norton – Vergeben Sie es ihm nur – nannte mir einen Namen; einen Namen, Mellefont, welcher eine andre Zärtlichkeit bei Ihnen rege machen muß, als Sie gegen mich empfinden –

MELLEFONT. Ist es möglich? Hat die Unverschämte ihre eigne Schande bekannt? – Ach, Miß, haben Sie Mitleiden mit meiner Verwirrung. – Da Sie schon alles wissen, warum wollen Sie es auch noch aus meinem Munde hören? Sie soll nie vor Ihre Augen kommen die kleine Unglückliche, der man nichts vorwerfen kann, als ihre Mutter.

SARA. Sie lieben sie also doch? –

MELLEFONT. Zu sehr, Miß, zu sehr, als daß ich es leugnen sollte.

SARA. Wohl! Mellefont. – Wie sehr liebe ich Sie, auch um dieser Liebe willen. Sie würden mich empfindlich beleidiget haben, wenn Sie die Sympathie Ihres Bluts, aus mir nachteiligen Bedenklichkeiten, verleugnet hätten. Schon haben Sie mich dadurch beleidiget, daß Sie mir drohen, sie nicht vor meine Augen kommen zu lassen. Nein, Mellefont; es muß eine von den Versprechungen sein, die Sie mir vor den Augen des Höchsten angeloben, daß Sie Arabellen nicht von sich lassen wollen. Sie läuft Gefahr, in den Händen ihrer Mutter, ihres Vaters unwürdig zu werden. Brauchen Sie Ihre Rechte über beide, und lassen mich an die Stelle der Marwood treten. Gönnen Sie mir das Glück, mir eine Freundin zu erziehen, die Ihnen ihr Leben zu danken hat; einen Mellefont meines Geschlechts. Glückliche Tage, wenn mein Vater, wenn Sie, wenn Arabella, meine kindliche Ehrfurcht, meine vertrauliche Liebe, meine sorgsame Freundschaft um die Wette beschäftigen werden! Glückliche Tage! Aber ach! – sie sind noch fern in der Zukunft. – Doch vielleicht weiß auch die Zukunft nichts von ihnen, und sie sind bloß in meiner Begierde[89] nach Glück! – Empfindungen, Mellefont, nie gefühlte Empfindungen wenden meine Augen in eine andre Aussicht! Eine dunkle Aussicht in ehrfurchtsvolle Schatten! – Wie wird mir? – Indem sie die Hand vors Gesicht hält.

MELLEFONT. Welcher plötzliche Übergang von Bewundrung zum Schrecken! – Eile doch, Betty! Schaffe doch Hülfe! – Was fehlt Ihnen, großmütige Miß! Himmlische Seele! Warum verbirgt mir diese neidische Hand Indem er sie wegnimmt. so holde Blicke? – Ach es sind Mienen, die den grausamsten Schmerz, aber ungern, verraten! – Und doch ist die Hand neidisch, die mir diese Mienen verbergen will. Soll ich Ihre Schmerzen nicht mit fühlen, Miß? Ich Unglücklicher, daß ich sie nur mit fühlen kann! – Daß ich sie nicht allein fühlen soll! – So eile doch, Betty – –

BETTY. Wohin soll ich eilen? –

MELLEFONT. Du siehst und fragst? – nach Hülfe!

SARA. Bleib nur! – Es geht vorüber. Ich will Sie nicht wieder erschrecken, Mellefont.

MELLEFONT. Betty, was ist ihr geschehen? – Das sind nicht bloße Folgen einer Ohnmacht.


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 2, München 1970 ff., S. 88-90.
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