Achter Auftritt


[616] Just. Von Tellheim.


VON TELLHEIM. Bist du da?

JUST indem er sich die Augen wischt. Ja!

VON TELLHEIM. Du hast geweint?

JUST. Ich habe in der Küche meine Rechnung geschrieben, und die Küche ist voll Rauch. Hier ist sie, mein Herr![616]

VON TELLHEIM. Gib her.

JUST. Haben Sie Barmherzigkeit mit mir, mein Herr. Ich weiß wohl, daß die Menschen mit Ihnen keine haben; aber –

VON TELLHEIM. Was willst du?

JUST. Ich hätte mir ehr den Tod, als meinen Abschied vermutet.

VON TELLHEIM. Ich kann dich nicht länger brauchen; ich muß mich ohne Bedienten behelfen lernen. Schlägt die Rechnung auf, und lieset. »Was der Herr Major mir schuldig: Drei und einen halben Monat Lohn, den Monat 6 Taler, macht 21 Taler. Seit dem Ersten dieses, an Kleinigkeiten ausgelegt, 1 Taler 7 Gr. 9 Pf. Summa Summarum, 22 Taler 7 Gr. 9 Pf.« – Gut, und es ist billig, daß ich dir diesen laufenden Monat ganz bezahle.

JUST. Die andere Seite, Herr Major –

VON TELLHEIM. Noch mehr? Lieset. »Was dem Herrn Major ich schuldig: An den Feldscher für mich bezahlt, 25 Taler. Für Wartung und Pflege, während meiner Kur, für mich bezahlt, 39 Tlr. Meinem abgebrannten und geplünderten Vater, auf meine Bitte, vorgeschossen, ohne die zwei Beutepferde zu rechnen, die er ihm geschenkt, 50 Taler. Summa Summarum, 114 Taler. Davon abgezogen vorstehende 22 Tl. 7 Gr. 9 Pf. bleibe dem Herrn Major schuldig, 91 Tlr. 16 Gr. 3 Pf.« – Kerl, du bist toll! –

JUST. Ich glaube es gern, daß ich Ihnen weit mehr koste. Aber es wäre verlorne Dinte, es dazu zu schreiben. Ich kann Ihnen das nicht bezahlen, und wenn Sie mir vollends die Liverei nehmen, die ich auch noch nicht verdient habe, – so wollte ich lieber, Sie hätten mich in dem Lazarette krepieren lassen.

VON TELLHEIM. Wofür siehst du mich an? Du bist mir nichts schuldig, und ich will dich einem von meinen Bekannten empfehlen, bei dem du es besser haben sollst, als bei mir.

JUST. Ich bin Ihnen nichts schuldig, und doch wollen Sie mich verstoßen?

VON TELLHEIM. Weil ich dir nichts schuldig werden will.

JUST. Darum? nur darum? – So gewiß ich Ihnen schuldig bin, so gewiß Sie mir nichts schuldig werden können, so gewiß[617] sollen Sie mich nun nicht verstoßen. – Machen Sie, was Sie wollen, Herr Major; ich bleibe bei Ihnen; ich muß bei Ihnen bleiben. –

VON TELLHEIM. Und deine Hartnäckigkeit, dein Trotz, dein wildes ungestümes Wesen gegen alle, von denen du meinest, daß sie dir nichts zu sagen haben, deine tückische Schadenfreude, deine Rachsucht – –

JUST. Machen Sie mich so schlimm, wie Sie wollen; ich will darum doch nicht schlechter von mir denken, als von meinem Hunde. Vorigen Winter ging ich in der Dämmerung an dem Kanale, und hörte etwas winseln. Ich stieg herab, und griff nach der Stimme, und glaubte ein Kind zu retten, und zog einen Budel aus dem Wasser. Auch gut; dachte ich. Der Budel kam mir nach; aber ich bin kein Liebhaber von Budeln. Ich jagte ihn fort, umsonst; ich prügelte ihn von mir, umsonst. Ich ließ ihn des Nachts nicht in meine Kammer; er blieb vor der Tür auf der Schwelle. Wo er mir zu nahe kam, stieß ich ihn mit dem Fuße; er schrie, sahe mich an, und wedelte mit dem Schwanze. Noch hat er keinen Bissen Brod aus meiner Hand bekommen; und doch bin ich der einzige, dem er hört, und der ihn anrühren darf. Er springt vor mir her, und macht mir seine Künste unbefohlen vor. Es ist ein häßlicher Budel, aber ein gar zu guter Hund. Wenn er es länger treibt, so höre ich endlich auf, den Budeln gram zu sein.

VON TELLHEIM bei Seite. So wie ich ihm! Nein, es gibt keine völlige Unmenschen! – – Just, wir bleiben beisammen.

JUST. Ganz gewiß! – Sie wollten sich ohne Bedienten behelfen? Sie vergessen Ihrer Blessuren, und daß Sie nur eines Armes mächtig sind. Sie können sich ja nicht allein ankleiden. Ich bin Ihnen unentbehrlich; und bin, – – ohne mich selbst zu rühmen, Herr Major – und bin ein Bedienter, der – wenn das Schlimmste zum Schlimmen kömmt, – für seinen Herrn betteln und stehlen kann.

VON TELLHEIM. Just, wir bleiben nicht beisammen.

JUST. Schon gut![618]


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 1, München 1970 ff., S. 616-619.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Minna von Barnhelm, oder das Soldatenglück
Minna von Barnhelm, oder das Soldatenglück: Ein Lustspiel in fünf Aufzügen
Klassische Schullektüre: Klassische Schullektüre, Minna von Barnhelm oder Das Soldatenglück. Text und Materialien
Minna von Barnhelm, oder Das Soldatenglück: Ein Lustspiel in fünf Aufzügen (Suhrkamp BasisBibliothek)
Minna von Barnhelm oder das Soldatenglück