Fünfter Auftritt


[250] Nathan und bald darauf der Tempelherr.


NATHAN.

Fast scheu' ich mich des Sonderlings. Fast macht

Mich seine rauhe Tugend stutzen. Daß

Ein Mensch doch einen Menschen so verlegen

Soll machen können! – Ha! er kömmt. – Bei Gott!

Ein Jüngling wie ein Mann. Ich mag ihn wohl

Den guten, trotzgen Blick! den prallen Gang!

Die Schale kann nur bitter sein: der Kern

Ists sicher nicht. – Wo sah' ich doch dergleichen? –

Verzeihet, edler Franke ...

TEMPELHERR.

Was?

NATHAN.

Erlaubt ...

TEMPELHERR.

Was, Jude? was?

NATHAN.

Daß ich mich untersteh',

Euch anzureden.

TEMPELHERR.

Kann ichs wehren? Doch

Nur kurz.

NATHAN.

Verzieht, und eilet nicht so stolz,

Nicht so verächtlich einem Mann vorüber,

Den Ihr auf ewig Euch verbunden habt.

TEMPELHERR.

Wie das? – Ah, fast errat' ichs. Nicht? Ihr seid ...

NATHAN.

Ich heiße Nathan; bin des Mädchens Vater,

Das Eure Großmut aus dem Feu'r gerettet;

Und komme ...

TEMPELHERR.

Wenn zu danken: – sparts! Ich hab'

Um diese Kleinigkeit des Dankes schon

Zu viel erdulden müssen. – Vollends Ihr,

Ihr seid mir gar nichts schuldig. Wußt' ich denn,

Daß dieses Mädchen Eure Tochter war?

Es ist der Tempelherren Pflicht, dem ersten

Dem besten beizuspringen, dessen Not

Sie sehn. Mein Leben war mir ohnedem

In diesem Augenblicke lästig. Gern,

Sehr gern ergriff ich die Gelegenheit,[250]

Es für ein andres Leben in die Schanze

Zu schlagen: für ein andres – wenns auch nur

Das Leben einer Jüdin wäre.

NATHAN.

Groß!

Groß und abscheulich! – Doch die Wendung läßt

Sich denken. Die bescheidne Größe flüchtet

Sich hinter das Abscheuliche, um der

Bewundrung auszuweichen. – Aber wenn

Sie so das Opfer der Bewunderung

Verschmäht: was für ein Opfer denn verschmäht

Sie minder? – Ritter, wenn Ihr hier nicht fremd,

Und nicht gefangen wäret, würd' ich Euch

So dreist nicht fragen. Sagt, befehlt: womit

Kann man Euch dienen?

TEMPELHERR.

Ihr? Mit nichts.

NATHAN.

Ich bin

Ein reicher Mann.

TEMPELHERR.

Der reichre Jude war

Mir nie der beßre Jude.

NATHAN.

Dürft Ihr denn

Darum nicht nützen, was dem ungeachtet

Er Beßres hat? nicht seinen Reichtum nützen?

TEMPELHERR.

Nun gut, das will ich auch nicht ganz verreden;

Um meines Mantels willen nicht. Sobald

Der ganz und gar verschlissen; weder Stich

Noch Fetze länger halten will: komm' ich

Und borge mir bei Euch zu einem neuen,

Tuch oder Geld. – Seht nicht mit eins so finster!

Noch seid Ihr sicher; noch ists nicht so weit

Mit ihm. Ihr seht; er ist so ziemlich noch

Im Stande. Nur der eine Zipfel da

Hat einen garstgen Fleck; er ist versengt.

Und das bekam er, als ich Eure Tochter

Durchs Feuer trug.

NATHAN der nach dem Zipfel greift und ihn betrachtet.

Es ist doch sonderbar,

Daß so ein böser Fleck, daß so ein Brandmal[251]

Dem Mann ein beßres Zeugnis redet, als

Sein eigner Mund. Ich möcht ihn küssen gleich –

Den Flecken! – Ah, verzeiht! – Ich tat es ungern.

TEMPELHERR.

Was?

NATHAN.

Eine Träne fiel darauf.

TEMPELHERR.

Tut nichts!

Er hat der Tropfen mehr. – (Bald aber fängt

Mich dieser Jud' an zu verwirren.)

NATHAN.

Wär't

Ihr wohl so gut, und schicktet Euern Mantel

Auch einmal meinem Mädchen?

TEMPELHERR.

Was damit?

NATHAN.

Auch ihren Mund auf diesen Fleck zu drücken.

Denn Eure Kniee selber zu umfassen,

Wünscht sie nun wohl vergebens.

TEMPELHERR.

Aber, Jude –

Ihr heißet Nathan? – Aber, Nathan – Ihr

Setzt Eure Worte sehr – sehr gut – sehr spitz –

Ich bin betreten – Allerdings – ich hätte ...

NATHAN.

Stellt und verstellt Euch, wie Ihr wollt. Ich find'

Auch hier Euch aus. Ihr wart zu gut, zu bieder,

Um höflicher zu sein. – Das Mädchen, ganz

Gefühl; der weibliche Gesandte, ganz

Dienstfertigkeit; der Vater weit entfernt –

Ihr trugt für ihren guten Namen Sorge;

Floht ihre Prüfung; floht, um nicht zu siegen.

Auch dafür dank' ich Euch –

TEMPELHERR.

Ich muß gestehn,

Ihr wißt, wie Tempelherren denken sollten.

NATHAN.

Nur Tempelherren? sollten bloß? und bloß

Weil es die Ordensregeln so gebieten?

Ich weiß, wie gute Menschen denken; weiß,

Daß alle Länder gute Menschen tragen.

TEMPELHERR.

Mit Unterschied, doch hoffentlich?

NATHAN.

Ja wohl;

An Farb', an Kleidung, an Gestalt verschieden.

TEMPELHERR.

Auch hier bald mehr, bald weniger, als dort.

NATHAN.

Mit diesem Unterschied ists nicht weit her.[252]

Der große Mann braucht überall viel Boden;

Und mehrere, zu nah gepflanzt, zerschlagen

Sich nur die Äste. Mittelgut, wie wir,

Findt sich hingegen überall in Menge.

Nur muß der eine nicht den andern mäkeln.

Nur muß der Knorr den Knuppen hübsch vertragen.

Nur muß ein Gipfelchen sich nicht vermessen,

Daß es allein der Erde nicht entschossen.

TEMPELHERR.

Sehr wohl gesagt! – Doch kennt Ihr auch das Volk,

Das diese Menschenmäkelei zu erst

Getrieben? Wißt Ihr, Nathan, welches Volk

Zu erst das auserwählte Volk sich nannte?

Wie? wenn ich dieses Volk nun, zwar nicht haßte,

Doch wegen seines Stolzes zu verachten,

Mich nicht entbrechen könnte? Seines Stolzes;

Den es auf Christ und Muselmann vererbte,

Nur sein Gott sei der rechte Gott! – Ihr stutzt,

Daß ich, ein Christ, ein Tempelherr, so rede?

Wenn hat, und wo die fromme Raserei,

Den bessern Gott zu haben, diesen bessern

Der ganzen Welt als besten aufzudringen,

In ihrer schwärzesten Gestalt sich mehr

Gezeigt, als hier, als itzt? Wem hier, wem itzt

Die Schuppen nicht vom Auge fallen ... Doch

Sei blind, wer will! – Vergeßt, was ich gesagt;

Und laßt mich!


Will gehen.


NATHAN.

Ha! Ihr wißt nicht, wie viel fester

Ich nun mich an Euch drängen werde. – Kommt,

Wir müssen, müssen Freunde sein! – Verachtet

Mein Volk so sehr Ihr wollt. Wir haben beide

Uns unser Volk nicht auserlesen. Sind

Wir unser Volk? Was heißt denn Volk?

Sind Christ und Jude eher Christ und Jude,

Als Mensch? Ah! wenn ich einen mehr in Euch

Gefunden hätte, dem es gnügt, ein Mensch

Zu heißen![253]

TEMPELHERR.

Ja, bei Gott, das habt Ihr, Nathan!

Das habt Ihr! – Eure Hand! – Ich schäme mich

Euch einen Augenblick verkannt zu haben.

NATHAN.

Und ich bin stolz darauf. Nur das Gemeine

Verkennt man selten.

TEMPELHERR.

Und das Seltene

Vergißt man schwerlich. – Nathan, ja;

Wir müssen, müssen Freunde werden.

NATHAN.

Sind

Es schon. – Wie wird sich meine Recha freuen! –

Und ah! welch eine heitre Ferne schließt

Sich meinen Blicken auf! – Kennt sie nur erst!

TEMPELHERR.

Ich brenne vor Verlangen – Wer stürzt dort

Aus Euerm Hause? Ists nicht ihre Daja?

NATHAN.

Ja wohl. So ängstlich?

TEMPELHERR.

Unsrer Recha ist

Doch nichts begegnet?


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 2, München 1970 ff., S. 250-254.
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