Erster Auftritt


[381] Dücret, Fuetter, Richard, Wyß.


DÜCRET.

Kommt Freunde! Uns vereint gemeinschaftliche Rache.

Kämpft, wenn ihr kämpft, für Bern, doch auch für eure Sache.

Der Tag ist endlich da. Und – – wär er schon vorbei!

Und stürzte Nacht und Tod die lange Tyrannei!

Ich seh gerechte Scham durch eure Wangen dringen.

Doch kann die Scham allein die Freiheit wieder bringen?


Fuetter sieht ihn zornig an.


So! zeiget allgemach des Zornes edle Spur!

FUETTER.

Schweig! diesen edlen Zorn reizt deine Frechheit nur.

Wahr ists; wir schämen uns der ungeerbten Ketten,

Doch schämen wir uns mehr, mit Schimpf uns zu erretten.

Des unterdrückten Staats großmütge Rächer sein;

Sich für das Vaterland, und nicht für sich, befrein;

Verwegne Richter nur, nicht das Gericht abschaffen;

Den Mißbrauch ihres Amts, und nicht ihr Amt zu strafen,

Ist ein zu heilig Werk, als daß ein Geist wie du,

Voll Rach und Eigennutz, ein Feind gemeiner Ruh,[381]

Ein Fremdling, der sich uns nur schrecklich sucht zu machen,

Es würdig unternähm –

DÜCRET.

Dein Stolz ist zu verlachen.

Denn gleichwohl braucht ihr mich.

FUETTER.

So braucht ein Arzt das Gift,

Das außer seiner Hand nur hämsche Morde stift.

DÜCRET.

Das Gleichnis ist gewählt! Auch Henzi würd es loben,

Der nur von Tugend träumt und läßt Tyrannen toben.

Doch lieber sprich mit Ernst, als oratorisch schön,

Den Helden minder gleich, die auf der Bühne stehn,

Und auf des Sittenspruchs geborgte Stelzen steigen,

Dem Volk die Tugenden im falschen Licht zu zeigen.

Sprich ungekünstelt! Sprich! Was habt ihr bis anitzt

Der Freiheit eures Berns, auf das ihr trotzt, genützt?

Hab ich das Schwerste nicht stets auf mich nehmen müssen?

Denn ihr könnt weiter nichts, als raten, zweifeln, schließen,

So tugendhaft ihr seid, so durstig nach der Ehr;

Und eine Heldentat erfordert etwas mehr.

Hab ich das Landvolk nicht zu unserm Zweck gelenket?

Hat euch nicht meine List manch mächtig Glied geschenket?

Vielleicht wär euer Mut zwar ohne mich gleich groß,

Doch wär er ohne mich, zum mindsten, waffenlos.

Zur Kühnheit in der Brust gehört auch Stahl in Händen,

Was dem entflieht muß dann ein donnernd Rohr vollenden.

Geht! schickt den kühnsten Held ohn dieses in den Streit

Die Feigheit zielt; er fällt. O weibisch tapfre Zeit!

Jedoch, was brauch ich viel zu meinem Ruhm zu sagen?

Wer seine Taten rühmt, will keine größern wagen.

Nur darum seht ihr mich mit neidschem Hochmut an,

Daß ich kein Bürger bin, doch mehr als er getan.

Ein großes Herz muß sich an keinen Undank kehren.

Beschimpfet ihr mich gleich, und wünscht mich zu entbehren,

Und nennt mich eures Ruhms gewisses Hindernis;

Die Strafe wär zu hart, wann Dücret euch verließ.

Er kennet seinen Wert. O möchtet ihr ihn kennen,

Und ihm der Treue Lohn, euch zu erretten, gönnen.

Für alle seine Müh, für alle die Gefahr,

Verlangt er statt des Danks: man stell ihn größrer dar.[382]

Für Bern und seinen Schwur wünscht er Glück, Blut und Leben,

Ja, dem dies alles weicht, die Tugend aufzugeben.

Sie, die nur allzu oft den ihr geweihten Geist,

Von großen Taten ab, zu kleinen Skrupeln reißt;

Die selten Helden schafft, doch öfters sie ersticket,

Noch eh der kühnen Faust ein nützlich Laster glücket;

Die sich für Blut entsetzt, auch wann es büßend fließt,

Und der ein Heldenmord die größte Schandtat ist:

Die opfr ich für euch auf. Was ihr abscheulich schätzet,

Das überlaßt nur mir, der sich für nichts entsetzet.

Folgt mir. Geht nicht in Rat; und spart euch auf die Nacht,

Eh das verlangte Recht euch ihm verdächtig macht.

Was sollen Recht und Flehn bei einem Wütrich nützen,

Der seine Laster muß mit neuen Lastern stützen?

Gnug, daß er unbereut, zum Sterben unbeschickt,

Sein Unrecht und den Tod in einem Nu erblickt.

WYSS.

Wahr ists; wir sind der Welt ein strafend Beispiel schuldig.

Man dient schon halb mit Recht, murrt man bloß ungeduldig,

Wagt sich die feige Faust selbst an den Fessel nicht,

Der, wann er brechen soll, mit Blut gebeizt nur bricht.

Laßt, Freunde, länger nicht euch einen Fremdling treiben,

Und in des Mietlings Hand des Staates Wohlfahrt bleiben,

Sein Beispiel schimpfet uns – –

DÜCRET.

Zwar ist der Schimpf sehr klein,

Doch, möcht er euch ein Sporn, mich so zu schimpfen sein!

RICHARD.

Schweig Dücret! Gnug, wir sind aus unserm Schlaf erwachet.

Zorn, Rach und Wut entbrennt. Du hast sie angefachet.

Dein Ruhm ist Neides wert; und dieser gnüge dir.

Des Werkes schwerern Teil, den übernehmen wir.

Von uns, von uns nur will sich Bern befreien lassen.

Steh ab! Es möchte dich statt alles Dankes hassen.

Wir sind uns selbst genug. Es zeige diese Nacht,

Ob uns die Tugend nur zu feigen Bürgern macht;

Ob sie das Rachschwerd nie in fromme Hände fasset,

Ob sie des Wütrichs flucht und seinen Tod doch hasset.[383]

Ihr wißt es, Blut und Glück verbindet mich dem Rat.

Doch Blut und Glück gehört zu allererst dem Staat.

Sein Wink, sein Wohl sei uns die heiligste der Pflichten,

Und soll man Faust und Stahl auf einen Vater richten.

Umsonst hegt ein Tyrann mit mir verwandtes Blut;

Ich tue das an ihm, was er am Staate tut;

Er unterdrückt sein Recht; ich will sein Blut verspritzen.

Flieht von entheiligten, sonst frommen Richtersitzen!

Kommt, Wyß, Fuetter, kommt!

FUETTER.

Wohin erhitztes Paar?

RICHARD.

Wohin die Freiheit ruft; in rühmliche Gefahr.

Kommt, lasset nur den Rat noch heute sicher wüten,

Des künftgen Morgens Glück soll alles froh vergüten.

FUETTER.

Hat Dücret doch gesiegt? Und werdet ihr ihm gleich?

Pflanzt er durch grobe List auch seine Wut in euch?

Ihr seid des Haupts nicht wert, das uns der Himmel schenket,

Das nur auf Freiheit sinnt, da ihr nur Rache denket.

Euch kennet Henzi nicht; und euch verkenn auch ich.

Nennt mich nicht euer Glied, dies Bündnis schimpfte mich.

Geht! raset, mordet nur, und stürzet eure Brüder,

Sind es Tyrannen gleich, mit samt dem Staate nieder!

Doch wißt, ich werd es sein, der euch dem Rat entdeckt,

Und eurer blinden Wut gewißre Grenzen steckt.

Der Staat versprach in euch sich edle freie Bürger,

Und findet im voraus leichtsinnge Brüder Würger?

Welch Bubenstück, hebt ihr die Freiheit also an,

Ist schrecklich gnug, das er von euch nicht fürchten kann?

Nein, ewig drücke den der Knechtschaft Schand und Bürde,

Der seine Freiheit nur zu Lastern brauchen würde.

O Freiheit, welcher Schimpf! o Henzi, welche Qual

Steht deiner Tugend vor – –

DÜCRET.

Spar auf ein andermal

Sein unschmackhaftes Lob. Vielleicht wirds bald geschehen,

Daß ihr ihn unverlarvt, wie ich ihn sah, könnt sehen.

Geschicht es nicht zu spät, so dankt es einzig mir.

Du drohst uns mit Verrat, doch – – zittre selbst dafür!

Vielleicht – – ich zweifle nicht – – Wir sind wohl schon verraten.[384]

FUETTER.

Ha! Einem Dücret träumt von lauter Missetaten.

Geh nur! steck andere mit deinem Mißtraun an.

Wer täte so was? – – Doch, vielleicht hast dus getan?

Du nur – –

DÜCRET.

Ist das mein Dank, wann ich euch hinterbringe,

Daß Steiger selbst vielleicht in eur Geheimnis dringe?

Daß ein treuloses Glied den schweren Schwur verlacht,

Und Mitgenossen sich, die ihr nicht kennet, macht;

Daß es mit jedermann den großen Vorsatz teilet,

Der schon von Haus zu Haus, von Ohr zu Ohren eilet;

Daß es der Strafe trotzt, die es auf den Verrat

Mit euch selbst festgesetzt, mit euch beschworen hat.

RICHARD.

Er trotzt der Strafe? Wie? Wer ists? Du mußt ihn nennen.

Es soll nur eines sein, ihn töten und ihn kennen.

Er soll dem Himmel eh, als unsrer Straf entfliehn.

Wer ist es?

FUETTER.

Wer?

WYSS.

Wer ists?

DÜCRET.

Hier kömmt er! strafet ihn!


Geht ab.


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 2, München 1970 ff., S. 381-385.
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