Anti-Goeze
Vierter

[224] Tonto sin saber Latin,

Nunca es gran tonto.

Francis. de Roxas


Wenn doch indes das eine ohne dem andern sehr füglich sein könnte? – Wenn es gar wohl möglich wäre, »daß die christliche Religion objective allen Vorteil aus den Einwürfen der Freigeister ziehen könnte, ohne subjective den geringsten Schaden zu besorgen?«

Das wäre allerdings das Bessere. Aber wie? wodurch? – Hier ist es, wo man mit einem Einfalle aufgezogen kömmt, der pedantisch genug klingt, um gründlich sein zu können. Ein andrer würde ihn bloß lächerlich machen: ich, ich will ihn prüfen. Denn mir ist das Pedantische fast Empfehlung.

Es dürfte, sagt man, nur ausgemacht sein, daß der Streit nie anders, als in der Sprache der Gelehrten geführt würde. »Schreibt lateinisch, ihr Herrn! schreibt lateinisch! – Ja! wer fleißiger in den Klassen gewesen wäre! wer lateinisch könnte!«

– Nicht weiter, Herr Subconrector: oder man merkt Ihre wahre Absicht. Sie möchten Ihrem lieben Latein nur gern eine Empfehlung mehr verschaffen. »Lernt Latein, Jungens, lernt Latein! Alle Einwürfe gegen die Religion sind lateinisch geschrieben! Wenn ihr auch selbst keine schreiben wollt: müßt ihr die geschriebenen doch kennen.« – Und nun lernen die Jungens Latein, daß ihnen der Kopf raucht.

Doch ich habe gesagt, daß ich den Einfall nicht bloß lächerlich machen: sondern prüfen will. – Es wäre denn, wie ich fast besorge, daß dieses auf jenes hinaus liefe. Und das wäre doch meine Schuld wohl nicht. Genug, ich will ernsthaft und ordentlich zu Werke gehen.[224]

Also: wer gegen die Religion schreiben will, soll nicht anders, als lateinisch schreiben dürfen; damit der gemeine Mann nicht geärgert werde.

Und in den Ländern, wo der gemeine Mann ziemlich Latein verstehet, als in Polen, Ungarn – da müssen wohl sonach die Einwürfe gegen die Religion griechisch geschrieben werden? – Natürlich! Was für ein schöner pädagogischer Handgriff, nun auch die griechische Sprache in diesen Ländern gemein zu machen! Denn es versteht sich, daß die in andern Ländern wider die Religion geschriebenen lateinischen Bücher in diese Länder nicht kommen.

Aber schon wieder auf das Lächerliche zu, das ich so gern vermeiden möchte! – »Was läge daran, wenn der Vorschlag in Polen und Ungarn nicht hülfe? er hülfe doch vors erste in Deutschland.« –

Gewiß? er hülfe? – Kann ein Vorschlag helfen, der weder tulich, noch billig, noch klug, noch christlich ist? – Das ist, was ich so ernsthaft erweisen will, als möglich.

Zwar, daß er tulich wäre, müßte ich wohl voraussetzen lassen. Ich müßte zugeben, daß ein Reichsgesetz darüber gemacht werden könne und dürfe. Denn ein geringers Verbot, als ein Reichsgesetz, würde nichts fruchten. Der Kopf, oder wenigstens ewige Gefangenschaft bei Wasser und Brod, und ohne Dinte und Feder, müßte im ganzen heiligen römischen Reiche darauf stehen, wenn jemand wider heilige Sachen anders als römisch schriebe. Das Gesetz läge schon in dem Namen des heiligen römischen Reichs, und sollte nicht tulich sein?

Nun gut; so sei es tulich: aber wäre es denn billig? – Kann überhaupt ein Gesetz billig sein, das eben so viel unfähige Leute zu etwas berechtigen, als fähige davon ausschließen würde? – Und wer sieht nicht, daß dieses hier geschähe? Oder ist es das Latein selbst, welches die Fähigkeit gewähret, Zweifel gegen die Religion zu haben, und vorzutragen? Ist es die Urkunde des Lateins selbst, welche diese Fähigkeit allen Menschen ohne Ausnahme aberkennet? Ist kein gewissenhafter, nachdenklicher Mann ohne Latein möglich? Gibt es keinen Dummkopf, keinen Narren mit Latein? Ich will auf dem Einfalle des de Roxas nicht bestehen, daß das Latein erst den rechten Narren macht:[225] aber den rechten Philosophen macht es doch auch nicht. – Darzu; von was für einem Latein können ist die Rede? Von dem, bis zum schreiben. Wenn nun Baco, der kein Latein schreiben konnte, Zweifel gegen die Religion gehabt hätte: so hätte auch Baco diese Zweifel unterdrücken müssen? So hätte jeder Schulkollege, der ein lateinisches Programma zusammen raspeln kann, eine Erlaubnis, die Baco nicht hatte? Ich finde zwar nicht, daß Baco wie Huart dachte, der es gerade zu für das Zeichen eines schiefen Kopfes, eines Stümpers hielt, zu glauben, daß er sich in einer fremden Sprache besser werde ausdrücken können, als in seiner. Aber Baco konnte vielleicht doch denken: wie ich Latein schreiben möchte, kann ich nicht; und wie ich kann, mag ich nicht. – Wenn mehrere wüßten, welch Latein sie schrieben: so würden noch weniger Latein schreiben. Es wäre denn freilich, daß sie müßten. Ein Muß, das vielleicht der Sprache zuträglich sein könnte; aber nimmermehr den Sachen.

Und wenn schon in diesem Betracht, daß man sonach dem kleinern Nutzen den größern aufopferte, das unbillige Gesetz auch nicht klug wäre: wäre es nur in diesem Betracht unklug? Wäre es nicht auch darum unklug, weil es dem gemeinen Manne notwendig Verdacht gegen die Güte einer Sache erwecken müßte, die man sich unter seinen Augen zu behandeln nicht getraute? von deren Prüfung ihm die Lateinischen Männer durch ihre Dolmetscher nur so viel mitteilen ließen, als sie für dienlich erachteten? – Wäre es nicht auch darum unklug, weil es den Schaden, dem es vorbauen soll, gerade vermehret? Die Einwendungen gegen die Religion sollen lateinisch geschrieben werden, damit sie unter weniger Leuten Schaden anrichten. Unter wenigern? Ja, unter wenigern in jedem Lande, in welchem das Lateinische nur bei einer gewissen Klasse von Leuten üblich wäre: aber auch in ganz Europa? in der ganzen Welt? Schwerlich wohl. Denn sollten, auch nur in Europa zusammen, nicht mehr Menschen sein, welche Lateinisch könnten, und doch nicht im Stande wären, jedem übeln Eindrucke wahrscheinlicher Zweifel zu widerstehen und zu begegnen: als dergleichen schwache Menschen, die nicht Lateinisch könnten, in jedem einzeln Lande? Seele ist für den Teufel Seele: oder, wenn er einen Unterschied unter Seelen macht, so gewänne er ja wohl noch dabei. Er[226] bekäme, z.E. für die Seele eines deutschen Michels, der nur durch deutsche Schriften hätte verführt werden können, die Seele eines studierten Franzosen oder Engländers. Er bekäme für einen trocknen Braten, einen gespickten.

Sein Votum also, das Votum des Teufels, hätte das unkluge Gesetz gewiß: wenn es auch nicht, noch oben darein, unchristlich wäre; wie schon daraus zu vermuten, daß es unbillig ist. – Ich verstehe aber unter unchristlich, was mit dem Geiste des Christentums, mit der letzten Absicht desselben streitet. Nun ist, so viel ich, mit Erlaubnis des Herrn Hauptpastor Goeze, davon verstehe, die letzte Absicht des Christentums nicht unsere Seligkeit, sie mag herkommen woher sie will: sondern unsre Seligkeit, vermittelst unsrer Erleuchtung; welche Erleuchtung nicht bloß als Bedingung, sondern als Ingredienz zur Seligkeit notwendig ist; in welcher am Ende unsre ganze Seligkeit besteht. Wie ganz also dem Geiste des Christentums zuwider, lieber zur Erleuchtung so vieler nichts beitragen, als wenige vielleicht ärgern wollen! Immer müssen diese Wenige, die niemals Christen waren, niemals Christen sein werden, die bloß unter dem Namen Christen ihr undenkendes Leben so hinträumen; immer muß dieser verächtliche Teil der Christen vor das Loch geschoben werden, durch welches der bessere Teil zu dem Lichte hindurch will. Oder ist dieser verächtlichste Teil nicht der wenigste? Muß er wegen seiner Vielheit geschont werden? – Was für ein Christentum hat man denn bisher geprediget, daß dem wahren Christentume noch nicht einmal der größere Haufe so anhängt, wie sichs gehöret? – Wenn nun auch von diesen Namenchristen sich einige ärgerten; einige von ihnen, auf Veranlassung in ihrer Sprache geschriebener freigeisterischen Schriften, so gar erklärten, daß sie nicht länger sein wollten, was sie nie waren: was wäre es denn nun mehr? Tertullian fragt, und ich mit ihm: Nonne ab ipso Domino quidam discentium scandalizati diverterunt? Wer, ehe er zu handeln, besonders zu schreiben, beginnt, vorher untersuchen zu müssen glaubt, ob er nicht vielleicht durch seine Handlungen und Schriften, hier einen Schwachgläubigen ärgern, da einen Ungläubigen verhärten, dort einem Bösewichte, der Feigenblätter sucht, dergleichen in die Hände spielen werde: der entsage doch nur gleich allem Handeln, allem Schreiben. Ich mag[227] gern keinen Wurm vorsätzlich zertreten; aber wenn es mir zur Sünde gerechnet werden soll, wenn ich einen von ungefähr zertrete: so weiß ich mir nichts anders zu raten, als daß ich mich gar nicht rühre; keines meiner Glieder aus der Lage bringe, in der es sich einmal befindet; zu leben aufhöre. Jede Bewegung, im Physischen entwickelt und zerstöret, bringt Leben und Tod; bringt diesem Geschöpfe Tod, indem sie jenem Leben bringt: soll lieber kein Tod sein, und keine Bewegung? oder lieber, Tod und Bewegung?

Und so ist es mit diesem Wunsche beschaffen, daß die Feinde der Religion sich nie einer andern, als der lateinischen Sprache bedienen dürften; mit diesem Wunsche, der so gern Gesetz werden möchte! So ist es schon itzt damit beschaffen: und wie meinet man, daß es mit aller Untersuchung der Wahrheit überhaupt aussehen würde, wenn er nun erst Gesetz wäre? – Man urteile aus den Krallen, welche die geistliche Tyrannei in einem ihrer grimmigsten, zum Glück noch gefesselten Tiger, bereits zu entblößen wagt!

Ich ziele hiermit auf das, was der Herr Hauptpastor S. 79 und 80 über diesen Punkt sagt: und wer es noch nicht riecht, wohin alle die Einschränkungen und Bedingungen abzielen, mit und unter welchen es vergönnt bleiben könne, Einwürfe gegen die Religion zu machen: der hat den Schnupfen ein wenig zu stark.

»Verständigen, – heißt es alldort – verständigen und gesetzten Männern kann es vergönnt bleiben, bescheidene Einwürfe gegen die christliche Religion, und selbst gegen die Bibel zu machen.« – Aber von wem soll die Entscheidung abhangen, wer ein gesetzter und verständiger Mann ist? Ist der bloß ein verständiger Mann, der Verstand genug hat, die Verfolgung zu erwägen, die er sich durch seine Freimütigkeit zuziehen würde? Ist der bloß ein gesetzter Mann, der gern in dem bequemen Lehnstuhle, in den ihn sein Amt gesetzt hat, ruhig sitzen bliebe, und daher herzlich wünscht, daß auch andre, wenn sie schon so weich nicht sitzen, dennoch eben so ruhig sitzen bleiben möchten? Sind nur das bescheidene Einwürfe, die sich bescheiden, der Sache nicht ans Leben zu kommen? die sich bescheiden, nur so weit sich zu entwickeln, als ohngefähr noch eine Antwort abzusehen ist?

Das letztere muß wohl. Denn der Herr Hauptpastor fährt fort:[228] »Es wird solches nötig sein, um die Lehrer in Otem zu erhalten« – So? nur darum? So soll alle Bestreitung der Religion nur eine Schulübung, nur ein Spiegelgefechte sein? Sobald der Präses dem Opponenten einen Wink gibt; sobald der Opponent merkt, daß der Respondent nichts zu antworten haben werde, und daß den Herrn Präses zu sehr hungert, als daß dieser selbst, mit gehöriger Ruhe und Umständlichkeit, darauf antworten könne: muß die Disputation aus sein? müssen Präses und Opponent freundschaftlich mit einander zum Schmause eilen? – Doch wohl, nein: denn der Herr Hauptpastor setzt ja noch hinzu: »und um solche Zeiten der Ruhe zu verhüten, unter welchen die Christenheit von dem 9ten bis zum 15ten Jahrhundert beinahe völlig zu Grunde gegangen wäre.« – Vortrefflich! Aber weiß der Herr Hauptpastor wohl, daß selbst in diesen barbarischen Zeiten doch noch mehr Einwürfe gegen die christliche Religion gemacht wurden, als die Geistlichen zu beantworten Lust hatten? Bedenkt er wohl, daß diese Zeiten nicht darum der christlichen Religion so verderblich wurden, weil niemand Zweifel hatte: sondern darum, weil sich niemand damit an das Licht getrauen durfte? darum, weil es Zeiten waren, wie der Herr Hauptpastor will, daß unsere werden sollen?[229]

Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 8, München 1970 ff., S. 224-230.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Nachtstücke

Nachtstücke

E.T.A. Hoffmanns zweiter Erzählzyklus versucht 1817 durch den Hinweis auf den »Verfasser der Fantasiestücke in Callots Manier« an den großen Erfolg des ersten anzuknüpfen. Die Nachtstücke thematisieren vor allem die dunkle Seite der Seele, das Unheimliche und das Grauenvolle. Diese acht Erzählungen sind enthalten: Der Sandmann, Ignaz Denner, Die Jesuiterkirche in G., Das Sanctus, Das öde Haus, Das Majorat, Das Gelübde, Das steinerne Herz

244 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon