Gotthold Ephraim Lessing

Gespräche

über die Soldaten und Mönche

[560] A. Muß man nicht erschrecken, wenn man bedenkt, daß wir mehr Mönche haben als Soldaten?

B. Erschrecken? Warum nicht eben sowohl erschrecken, daß es weit mehr Soldaten gibt als Mönche? Denn eins gilt nur von[560] dem und jenem Lande in Europa; und nie von Europa überhaupt. Was sind Mönche? und was sind denn Soldaten?

A. Soldaten sind Beschützer des Staats etc!

B. Mönche sind Stützen der Kirche!

A. Mit eurer Kirche!

B. Mit eurem Staate!


A. – – – – –

B. Du willst sagen: daß es weit mehr Soldaten gibt als Mönche.

A. Nein, nein, mehr Mönche als Soldaten.

B. In dem und jenem Lande von Europa magst du Recht haben. Aber in Europa überhaupt? Wenn der Landmann seine Saat von Schnecken und Mäusen vernichtet siehet: was ist ihm dabei das Schreckliche? daß der Schnecken mehr sind als der Mäuse? Oder daß es der Schnecken oder der Mäuse so viel gibt?

A. Das versteh' ich nicht.

B. Weil du nicht willst. – Was sind denn Soldaten?

A. Beschützer des Staats.

B. Und Mönche sind Stützen der Kirche.

A. Mit eurer Kirche!

B. Mit eurem Staate!

A. Träumst du? der Staat! der Staat! das Glück, welches der Staat jedem einzelnen Gliede in diesem Leben gewährt.

B. Die Seligkeit, welche die Kirche jedem Menschen nach diesem Leben verheißt.

A. Verheißt!

B. Gimpel![561]

Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 8, München 1970 ff., S. 560-563.
Entstanden vermutl. Ende der 70er Jahre, Erstdruck in: Karl Lessing: G.E. Lessings Leben, Berlin (Voss) 1795.
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