Fünfzehntes Kapitel

[269] Während ich so mich geistig auszubreiten und meinen bestimmten Platz in dem Kreise meiner Jugendgenossen einzunehmen begann, blieb die strenge häusliche Zucht und des Vaters eiserner Wille immer über mir schweben. Ich konnte denken und empfinden, was und so viel ich wollte, aber ich mußte thun, was mir oblag; und je freier ich mich innerlich zu entwickeln geneigt schien, um so unerbittlicher und strenger wurden die Forderungen, welche mein Vater an meinen Gehorsam und an meine Pflichterfüllung stellte.

Nicht die kleinste Lässigkeit wurde mir jemals nachgesehen, Nichts, was ich mir einmal vorgenommen hatte, durfte ich unausgeführt lassen, und ich erinnere mich dabei an ein Paar Vorfälle, welche meines Vaters Weise, mich zu behandeln, charakterisiren.

Ich hatte seit Jahren gewünscht, meiner Mutter, wie es damals Mode war, einen Pompadour in petit point zu sticken, hatte aber vom Vater weder die Erlaubniß, noch das Geld dazu erlangen können. Endlich im Sommer von sechsundzwanzig, als ich vor der Mutter Geburtstag meine Bitte erneuerte, mußte ich einen »Kostenanschlag« des Cannevas, der Stickseide, der Muster, Borten, Schnüre[269] und des silbernen Schlosses machen, der sich zusammen auf sechs, sieben Thaler belief, was damals in unsern Verhältnissen allerdings eine sehr große Ausgabe für einen Luxusgegenstand war. Weil ich aber eine förmliche Ehre darein setzte, die Mutter mit solch einer Handarbeit zu überraschen, erhielt ich das Geld und machte mich an die Arbeit, an der ich jedoch nur Morgens, ehe die Mutter aufstand, und Nachmittags von zwei bis vier Uhr nähen konnte, wenn sie schlief.

Unglücklicher Weise hatte ich jedoch, um meinen Pompadour recht schön zu machen, den Cannevas so fein gekauft, daß sich Muster, die für große Rückenkissen ausreichend gewesen wären, auf den kleinen Raum eines Pompadours zusammenzogen, und während ich in dem Gedanken schwelgte, daß die Taube, welche auf Rosen und Vergißmeinnicht lag, und der Kranz von Sommerblumen auf der andern Seite wie gemalt aussehen würden, sah ich einen Tag um den andern verstreichen und an jedem Tage die Unmöglichkeit wachsen, diese Arbeit bis zum zwanzigsten August, dem Geburtstag meiner Mutter, auch nur zur Hälfte fertig zu bekommen.

Mit einer vorgesetzten Arbeit nicht fertig zu werden war aber etwas, was mein Vater »nicht statuirte«; und obschon ich mir nicht klar machen mochte, was geschehen würde, wenn ich im Rückstand bliebe, so hatte ich doch die Ahnung eines mir drohenden Unheils, das ich um jeden Preis zu vermeiden wünschte. Ich stand, was mir immer sehr schwer wurde, in der größten Frühe auf, ich nahm meinen Stickrahmen mit, so oft ich einen Besuch außer dem Hause machen durfte, meine ganze Seele war[270] auf die Taube mit ihren Rosen gestellt, und mein Vater, der wohl sah, in welcher Noth ich mich befand, schwieg ganz still. – Endlich, etwa acht Tage vor dem Geburtstag, kam er eines Nachmittags, als ich auch wieder an meinem Rahmen saß, in meine Stube, und fragte, wann ich fertig sein würde? –

Sehr beklommenen Herzens steckte ich die Arbeit auf, bekannte, daß ich nicht einmal die erste Hälfte beendet hätte, betheuerte, daß ich Alles gethan, was in meinen Kräften gestanden habe, aber ich hätte die Arbeit unterschätzt, und es werde mir nicht möglich sein, auch nur die eine Seite bis zum Geburtstag herzustellen.

Mein Vater verzog keine Miene. Wenn diese erste Hälfte nicht zum Zwanzigsten fertig ist, sagte er, so werde ich sie zerschneiden, damit Du einen Denkzettel daran hast, daß ein vernünftiger Mensch Nichts anfängt, was er nicht durchführen kann. Danach richte Dich! –

Nun saß ich da! – Daß der Vater Wort halten würde, daß ihm an der zerstörten Arbeit, an meinem Kummer, an der unnützen Geldausgabe gar Nichts gelegen sei, wenn es galt, seinen Willen durchzusetzen und mir eine Lektion zu geben, darauf kannte ich ihn, und wollte ich dem angedrohten Schicksal entgehen, so blieb mir Nichts übrig, als die Nacht für meine Arbeit zu Hilfe zu nehmen, was ich denn auch that, obschon es wirklich eine Sünde gegen meine Augen war. – Ich hatte aber am bestimmten Tage wenigstens die erste Hälfte meiner Arbeit fertig und die Genugthuung, daß die Mutter sich freute und der Vater mir sagte, es sei ihm lieb, daß ich mich zusammengenommen hätte.[271]

Um dieselbe Zeit hatte ich mir angewöhnt, die Stubenthüre schlecht zuzumachen, oder sie, wenn ich eilig war, auch aufzulassen, und mehrfache Erinnerungen waren vergeblich dagegen gewesen. Da befand ich mich eines Abends sehr heiter in einer Gesellschaft bei einer meiner Tanten, man tanzte, und ich fühlte mich sehr als Dame, als plötzlich das Dienstmädchen mit der Meldung hereintrat, unser Hausknecht sei unten, und der Vater lasse mir sagen, gleich nach Hause zu kommen. Sehr erschrocken, und überzeugt, daß meiner Mutter, die damals schon viel kränkelte, etwas zugestoßen sein müsse, eilte ich fort. Der Hausknecht wußte mir nicht zu sagen, was geschehen sei, und in der größten Sorge kam ich die beiden Treppen hinauf und in das Wohnzimmer. Da saß mein Vater ruhig lesend auf dem Sopha, die Mutter mit dem Strickzeug neben ihm, die Geschwister mit ihren Schularbeiten an dem Tische; und ohne mir Zeit zu einer Frage zu lassen, sagte mein Vater mit völliger Gelassenheit: Du hast, als Du fortgegangen bist, wieder die Thüre aufgelassen; mache die Thüre zu! – Ich stand wie angenagelt, die Thränen kamen mir in die Augen, und ich wollte still Mantel und Hut ablegen, um zu Hause zu bleiben; aber auch das gab mein Vater nicht zu. Ich mußte mich wieder zurecht machen, der Hausknecht begleitete mich abermals, und mit einer nicht zu beschreibenden Empfindung kehrte ich in die Gesellschaft zurück, wo dann freilich nach einer Stunde die Lust an Spiel und Tanz die Oberhand über meine innere Demüthigung gewann.

Alle solche Gewaltmaßregeln entsprangen aber bei meinem Vater nicht aus Launen, sondern aus dem[272] Grundsatz, mich verläßlich, fest und selbstständig zu machen. Hatte ich gegen irgend Etwas eine Abneigung, so mußte ich grade das thun; war im Hause Etwas zu leisten, wogegen weibliche Empfindlichkeit sich sträubt, so mußte ich es übernehmen, und ich erinnere mich noch, wie schwer es mir wurde, als ich meinen jüngern Schwestern die Ohrlöcher einstechen mußte, nachdem eine alte Frau es mir an ein paar armen Kindern vorgemacht hatte. Wagte ich es einmal, irgend etwas Derartiges von mir ablehnen zu wollen, so hieß es: ich habe in Dir das Vorbild für sieben Geschwister zu erziehen. Gebe ich Dir nach, so habe ich mit jedem Einzelnen von vorn anzufangen, und da Du das Glück hast, die Aelteste zu sein, hast Du auch die Pflicht, uns Eltern in Dir die Erziehung für die Andern erleichtern zu helfen.

Hundertmal habe ich in solchen Momenten das Glück meiner Erstgeburt verwünscht. Wollte ich keine Fische essen, die mir damals wirklich widrig waren, so mußte ich sie des Beispiels wegen genießen; wehrte ich mich, einen Frosch, eine Spinne zu berühren, so bekamen die Brüder die Anweisung, sie mir in die Hand zu drücken; sah mein Vater, daß gewisse Töne, wie das Quitschen von Messen auf Porzellan, mich unangenehm berührten, so erhielten die Brüder Erlaubniß, mir solch ein Tellerkonzert vorzumachen. Und wie mit diesen äußern Dingen, verfuhr der Vater unerbittlich, sobald ich eine Gemüthsschwäche, einen Schreck, ein Zeichen von Unüberlegtheit oder von Fassungslosigkeit verrieth. Seine eigenen Schwestern tadelten ihn deshalb, und ich hörte einmal, wie die Aelteste ihm sagte, man müsse mit weiblichen Schwächen[273] Nachsicht haben, und er werde mich mit seinen Abhärtungs-Experimenten für mein ganzes Leben nervenschwach machen. – Sei so gut und überlaß das mir! antwortete er ganz kurz; und heute noch, so schwer mir damals häufig seine Strenge wurde, segne ich es, daß er kein unnützes Mitleid mit mir, daß er kein Erbarmen mit jenen Weichlichkeiten hatte, welche die Frauen in sich als weibliche Zartheiten kultiviren, und daß er nicht sowohl daran dachte, mir die Tage der Jugend leicht, als mich für das Leben zu meinem und zu anderer Menschen Nutzen brauchbar zu machen. –

Daß mein Vater übrigens streng oder ungerecht gegen mich sei, das zu denken fiel mir bei dem unbedingten Zutrauen, das ich in seine Einsicht, bei der Verehrung, die ich vor seiner ernsten Selbstbeherrschung und seiner unermüdlichen Thätigkeit hatte, gar nicht ein; und seine Güte und seine milde Gerechtigkeit waren auf der andern Seite so überwiegend und so überwältigend, daß ich die Empfindung, mit welcher ich und alle Geschwister an ihm hingen, nur mit der Bezeichnung einer anbetenden Liebe zu bezeichnen weiß.

Nie ist es ihm begegnet, einer heftigen Aufwallung gegen uns Raum zu geben oder ein schmähendes Wort gegen uns zu sprechen; nie habe ich, seit ich erwachsen war, ihn einen Tadel oder einen Vorwurf gegen mich anders als unter vier Augen aussprechen hören. Selbst die Gegenwart der Mutter suchte er dabei zu vermeiden, weil deren nervösere Natur leicht gereizt wurde und Tadel oder Vorwürfe herbeizog, die mit dem vorliegenden Falle Nichts zu schaffen hatten. Bei allen seinen Ermahnungen[274] waltete immer der ausgesprochene Grundsatz vor: »der Mensch kann nicht zurückleben! Ueber das, was geschehen ist, ist also nur insofern zu sprechen, als es in Zukunft vermieden werden soll.«

Thränen, Reue, Zerknirschung waren Dinge, die ihm im höchsten Grade zuwider waren; und wie er die Meinung hatte, daß jeder Mensch sich täglich im Spiegel betrachten müsse, um Herr und Meister über sich und seine Mienen zu bleiben, so führte er uns an den Spiegel, wenn wir weinend uns gedemüthigt zeigten. –

»Sieh, wie Du aussiehst! Verdirb Dir das Gesicht nicht! Die Sache ist abgethan, mache es künftig besser!« Das waren die Worte, mit denen er uns fast immer entließ, wenn er uns nach einem Verweise die Hand gab und uns küßte. Sein ganzes Verlangen war darauf gerichtet, uns zu besonnenen Menschen heranzubilden, denen ihre eigene Vernunft der Gesetzgeber, ihr Bewußtsein der Richter, und das Gute und Rechte üben, weil es das Gute und Rechte sei, der Beweggrund der Handlungen sein sollte. Dabei suchte er unser Selbstgefühl auf das Entschiedenste zu kräftigen. Als kleine Kinder durften wir sogar von unsern Onkeln und Tanten nicht das geringste Geschenk an baarem Gelde annehmen. Geld, hieß es, dürfe man nur von seinem Vater erhalten, sonst müsse man Nichts annehmen, was man nicht verdient habe. Du hast Dich gut benommen! Du hast vernünftig gehandelt! Das waren aber die höchsten Lobsprüche, die wir je von ihm erhalten haben.

Auf diese Weise, und das ist die Hauptsache bei aller Erziehung, waren die Erörterungen, welche sich auf[275] dieselbe bezogen, ungemein kurz und selten. Jenes keifende Tadeln, das immer die Gegenrede, die Vertheidigung hervorruft, und damit zu dem ganz verwerflichen Parlamentiren zwischen Eltern und Kindern führt, das unter dem Titel der zutrauensvollen Ueberlegung mit den zu erziehenden Kindern nur zu sehr Mode geworden ist, waren bei uns eine Unmöglichkeit. Es fiel dem Vater nicht ein, unreife Menschen als seines Gleichen anzusehen. Selbst als er uns in spätern Jahren in seinem Herzen wohl mündig sprechen mochte, hielt er uns an dem Gedanken fest, daß wir Nichts thun dürften, was wir vor ihm nicht vertreten könnten.

Neben dem ernsten Verkehr, den er mit uns Allen hatte, gab er mir sehr früh auch ernste Bücher in die Hand. Ich war im sechszehnten Jahre, als ich zum erstenmale und mit der größten Erbauung die Kant'sche Anthropologie las. Mein ganzes Leben, meine ganze Erziehung hatten mich darauf vorbereitet, mir die einfachen Begriffsbestimmungen einleuchtend und werth zu machen, und mehr noch, als mein Vater es vielleicht erwarten und wissen mochte, wirkten Kapitel, wie die vom Begehrungsvermögen, vom Charakter der Person, vom Charakter des Geschlechtes, auf mich ein. Sich frei zu machen von üblen Eigenschaften, um in ihnen den Andern keine Handhaben für ihre Herrschaft über uns zu bieten; sich zu überwachen und zu veredlen, um frei und selbstherrlich zu werden, das waren Lehren, die meinem innersten Wesen begegneten. Die bestimmte Definition der Charaktereigenschaften und der Charakterfehler brachten mich zu einem Nachdenken über mich selbst, das mir[276] förderlich war, und zu dem festen Vorsatz, nach allen Seiten Herrschaft über mich selbst zu erlangen, damit Andere sie nicht über mich gewinnen könnten.

Einzelne Auseinandersetzungen, wie die über das Wesen der Frauen, machten mich am meisten betroffen. Es hieß z.B., die Weiblichkeiten heißen Schwächen; man spaßt darüber; Thoren treiben damit ihren Spott, Vernünftige aber sehen sehr gut, daß sie grade die Hebezeuge sind, die Männlichkeit zu lenken und sie zu jener ihrer Absicht zu gebrauchen. Der Mann ist leicht zu erforschen, die Frau verräth ihr Geheimniß nicht, obgleich Anderer ihres (wegen ihrer Redseligkeit) schlecht bei ihr verwahrt ist. Er liebt den Hausfrieden und unterwirft sich gern ihrem Regiment, um sich in seinen Geschäften nicht behindert zu sehen. Sie scheut den Hauskrieg nicht, den sie mit der Zunge führt, und zu welchem Behuf die Natur ihr Redseligkeit und affektvolle Beredtheit gab, die den Mann entwaffnet. Er fußt sich auf das Recht des Stärkern, im Hause zu befehlen, weil er es gegen äußere Feinde schützen soll; sie auf das Recht des Schwächern: vom männlichen Theile gegen Männer geschützt zu werden, und macht durch Thränen der Erbitterung den Mann wehrlos, indem sie ihm seine Ungroßmüthigkeit vorrückt.

Das gab mir eine große Abneigung gegen die sogenannte schwache Weiblichkeit. Ich wollte einmal, das nahm ich mir fest vor, bei den Männern weder durch meine Schwäche Mitleid erregen, noch über sie durch Schwächen herrschen, welche ihnen lästig fielen; und statt des Verlangens meiner Kindheit, so viel zu lernen wie die Knaben, ward nun das Streben in mir wach, in[277] meinem Kreise so tüchtig zu werden, wie die Männer in dem ihren, und nicht ihren Schutz und ihre Galanterie, sondern ihre Anerkennung und ihre Achtung zu gewinnen. Da aber in einem jungen Kopfe vernünftige Ansichten meist einige kleine unvernünftige Schößlinge erzeugen, so bekam ich einen Widerwillen gegen gewisse Arten der gewöhnlichen männlichen Höflichkeit. Ich mochte es nicht leiden, wenn man mir anbot, meinen Schirm oder meinen Schawl zu tragen, oder mir einen ähnlichen Dienst zu leisten. Es kam mir das wie eine den Männern nicht geziemende Dienstbarkeit vor, zu der sie sich nur verständen, weil sie uns wie hilflose Kinder betrachteten; und je mehr meine ganze Seele voll war von einem Ideal von männlicher Würdigkeit, das ich mir aus den Eigenschaften meines Vaters erbaut und mit der jugendlichen Liebenswürdigkeit verschiedener Romanhelden geschmückt hatte, um so mehr wollte ich werth werden, die Liebe eines solchen Mannes zu verdienen, und eine ihm zupassende Frau zu werden.

Mein Vater nährte diese Ideen, so weit sie ihm im Leben zufällig sichtbar wurden, auf das Entschiedenste. Er fand die Stellung der Frauen traurig, und kam man bei uns darauf einmal zu sprechen, so pflegte er zu sagen, die Juden wüßten wohl, weshalb sie ihrem Gotte täglich dafür dankten, als Männer geboren zu sein. Er wies uns dann wohl auf die Goethe'schen Verse hin:


Der Frauen Zustand ist beklagenswerth.

Zu Haus' und in dem Kriege herrscht der Mann

Und in der Fremde weiß er sich zu helfen.

Ihn freuet der Besitz; ihn krönt der Sieg!

Ein ehrenvoller Tod ist ihm bereitet.[278]

Wie eng-gebunden ist des Weibes Glück!

Schon einem rauhen Gatten zu gehorchen,

Ist Pflicht und Trost; wie elend, wenn sie gar

Ein feindlich Schicksal in die Ferne treibt!


Aber er that das nur, um uns damit Fügsamkeit in das Unvermeidliche zu predigen, um danach seinen Grundsatz auszusprechen, daß jede Frau sich verheirathen müsse, daß die verheirathete Frau, auch wenn ihr ein beschränktes Loos und ein ihr nicht zupassender Mann zu Theil geworden sei, immer noch ein beneidenswerthes Schicksal neben der unverheiratheten habe, weil sie sich in dem ihr naturgemäßen Berufe bewege, und daß eine Frau, die in sich selbst gefestigt sei und neben ihrem naturgemäßen Berufe ein eignes inneres Leben habe, immer glücklich sein könne, wenn sie ihre Pflicht gegen ihren Mann erfülle, und ihre Kinder gut erziehe. Sie besitze dann alle Elemente der Zufriedenheit, sei vollkommen was sie sein solle, und außerdem stehe es fest, daß die Frau die beste sei, von der man außerhalb ihres Hauses gar Nichts wisse und Nichts spreche.

Er sagte das immer mit rühmendem Bezug auf unsere Mutter, aber er bedachte nicht, daß alle Anleitung, welche ich von ihm erhielt, darauf hinauslief, mich in vielem Betrachte zu dem Gegensatz von ihr zu machen. Während er mir unablässig vorhielt, daß ich bestimmt sei, eine fügsame, häusliche, von ihrem Manne abhängige Frau zu werden wie sie, hatte er mir längst eine Selbstständigkeit und Charakterfestigkeit eingeflößt, die er unterschätzte, weil meine Liebe und Verehrung vor ihm mich ihm in blindem Gehorsam unterwarfen. Seine Ansichten nicht[279] zu theilen, fühlte ich mich bereits durchaus berechtigt; und ich theilte sie z.B. in Bezug auf die Plane, welche er für meine einstige Verheirathung hatte, ganz und gar nicht. Aber, wenn ich mir auch immer vorhielt, daß ich mich nie zu einer mir nicht zusagenden Heirath zwingen lassen würde, so kam mir doch nicht der Gedanke, daß ich es wagen könnte, jemals eine Heirath oder sonst irgend einen Schritt ohne meines Vaters Zustimmung zu thun. Ich fühlte mich in dieser Beziehung durchaus als sein Eigenthum, – nur mich an einen Andern fortzugeben, wenn ich es nicht wollte, das Recht gestand ich ihm nicht zu.[280]

Quelle:
Fanny Lewald: Gesammelte Werke. Band 1, Berlin 1871, S. 269-281.
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