Zweiundzwanzigstes Kapitel

[384] Vierzehn Tage nach der Abreise des Königs empfing ich einen Brief von August Lewald. Er schrieb mir, daß er gern eine recht genaue Schilderung der Huldigungsfeierlichkeiten für die »Europa« haben möchte, und daß ich ihm einen Gefallen thun könnte, wenn ich ihm eine solche machen wolle. Mir war das sehr erwünscht, denn ich war froh, wenn ich Etwas zu schreiben hatte, und da ich selbst noch unter dem frischen Eindruck des eben Erlebten war, so sprach sich das bis zu einem gewissen Grade in der Skizze aus, die ich meinem Vetter sendete. Er druckte sie so ab, wie ich sie geschrieben, und es war noch vor Weihnachten, als mein Vater eines Tages einen Brief von Lewald erhielt, in welchem dieser meinem Vater sein Wohlgefallen an meiner kleinen Arbeit aussprach. Er lobte das Sachliche der Beschreibung, lobte den Styl und machte die Bemerkung: »Fanny hat ein so entschiedenes Talent der Darstellung, daß ich nicht begreife, wie sie nicht von selbst darauf gekommen ist, sich mehr darin zu versuchen. Sie ist ohne Frage eine dichterische Natur, und es wäre nicht zu verantworten, wenn sie eine solche Begabung nicht benutzte und ein Feld[384] brach liegen ließe, von dem sie für ihre Zukunft gute Früchte erndten könnte.«

Mir stieg, als ich diese Worte las, das Blut vom Herzen schnell und warm zu Kopfe; ich sah meinen Vater an, er mochte mir die Freude von den Augen ablesen. Ja! das war es! das konnte mir helfen!

Es war mir ein Blick aus der Wüste in das gelobte Land, es war eine Aussicht auf Befreiung, es war die Verwirklichung eines Gedankens, die Erfüllung eines Wunsches, die ich mir einzugestehen nicht getraut hatte.

Ich suchte aus meines Vaters Mienen zu errathen, was er zu dem Briefe Lewald's dächte. Er verstand das. »Ich habe anfänglich Bedenken getragen, Dir den Brief zu geben,« sagte er, »weil ich glaube, wenn Du wirklich ein Talent zum Dichten hättest, würdest Du es von selbst gethan haben, und Du weißt nebenher, daß ich für das Heraustreten der Frauen aus ihrer Sphäre nicht bin. Anderseits aber bist Du in einem Alter, in welchem ich Dir nicht verheimlichen mag, was Lewald über Dich urtheilt, und wenn Du in der Muße, die Du hast, Deinen Styl ausbilden willst, so kann das in jedem Falle Dir für Dein ganzes Leben nur vortheilhaft sein. Nur sprich nicht darüber, denn wer über die Dinge spricht, die er thun möchte und vielleicht einmal thun wird, ist ein Narr!«

Mir war zu Muthe, als wären mir Flügel verliehen! Ich konnte den Augenblick nicht erwarten, in welchem ich mich an meinem Schreibtisch befinden würde, und als ich nun in meine kleine Stube eintrat, als ich mich vor dem Schreibtisch niedersetzte, kam mir der kleine Raum,[385] so hübsch er mir immer erschienen war, doch wie erleuchtet und verwandelt vor. Es war ein klarer Wintertag ohne Frost und Schnee, wie sie bei uns vor Weihnachten, nach langem Regenwetter bisweilen vorkommen. Die Straße war trocken, es sah hell aus, wenn ich das Auge hinauswendete. Die Mittagssonne schien auf die Bilder, die über meinem Schreibtisch hingen, auf die Statuette der Jungfrau von Orleans, die zwischen ihnen auf ihrer kleinen Console stand, auf mein großes Epheuspalier und meinen Lehnstuhl, der noch heute, dreißig Jahre später, an meinem Schreibtisch steht, und mir jetzt den damaligen Tag recht lebhaft in das Gedächtniß ruft. Ich kam mir wie in einem Mährchen, wie verzaubert vor, denn es dünkte mir, als sei mir die Herrschaft über die Welt geschenkt, als brauchte ich nur den Zauberstab, die Feder in die Hand zu nehmen, um für mich und Andere Welten, Menschen, Ereignisse und Schicksale aus dem Nichts hervorzuzaubern. Was mir in früher Kindheit mein Lehrer, Herr von Tippelskirch, vorausgesagt, was mir oft dunkel, oft klarer vorgeschwebt und was mir einzugestehen nur der große Begriff mich abgehalten, welchen ich von der Würde und von der Bedeutung dichterischen Schaffens gehabt hatte, das erkannte mir jetzt ein Mann un bedenklich zu, der so viele Talente sich unter seinen Augen hatte bilden sehen, so vielen ein Rath und ein Führer geworden war. Ich sollte die Fähigkeit des Dichters haben, ich sollte ein Dichter werden können! Ich war über alles Sagen glücklich!

Mit einer wahren Scheu nahm ich mein grünes Maroquinbuch aus der Schieblade hervor, in welcher ich[386] es aufbewahrte. Heinrich Simon hatte es mir im Jahre achtzehnhundert vierunddreißig von Breslau zum Geburtstage gesendet. Mit goldenen Buchstaben stand das Wort: Erlebtes! darauf gedruckt. Innen als Einleitung hatte er am 15. März 1834 die Worte geschrieben: Was bildet den Menschen, als seine Lebensgeschichte? – Wahrlich eine recht ermüdende Bildung! Erfahrungen rings, daß man eine Ewigkeit brauchte, sie zu würdigen, und, kaum wahrgenommen, schon wieder von andern verdrängt, die eben so unbegriffen verschwinden. Auch der Versuch lohnt, sie festzuhalten. Das Höchste aber, sagt Goethe, wozu der Mensch gelangen kann, ist das Bewußtsein eigener Gesinnungen und Gedanken, das Erkennen seiner selbst, welches ihm die Anleitung giebt, auch fremde Gemüthsarten zu durchschauen.

Das alte Buch mit seinen vergilbten Blättern liegt in diesem Augenblicke vor mir, ein Zeuge der Wandlungen im Menschenleben und im Sinn des Menschen.

Denn unter jene Zeilen von Heinrich Simon's Hand hat vierzehn Jahre später der Mann, an dessen Seite mein Leben seinen Abschluß und sein Glück gefunden, die Worte hingeschrieben: »Was bildet den Menschen als Liebe, die ihm Glauben giebt an sich selber und an die Menschheit. Leidenserfahrungen sind die scharf geschliffene Pflugschar, die das Erdreich des Herzens aufreißt, aber die Liebe ist der Samen, der hineingestreut wird und Frucht bringt tausendfältig.«

Und als wir dann, wieder nach Jahren einmal zu Dreien, das Buch in Händen hatten und diese beiden Motto's lasen, da hatte auch Heinrich's Sinn sich lange schon[387] gewandelt, und das Beobachten und Durchschauen der Menschennatur dünkte ihn nicht mehr als das Höchste. Auch er war dahin gelangt, die Liebe als das Höchste zu erkennen, die Liebe für den Einzelnen und für die Menschheit, die im Ertragen und Dienen, im Helfen, Fördern, Nützen und Wirken für das eine große Ziel, ihr Glück und ihren Beruf erkennt, und der sein Dasein gewidmet war, bis es zu früh erlosch.

Grade hundert Seiten des Oktavbandes hatte ich in sechs Jahren vollgeschrieben, nun schlug ich das Buch auf. Es fanden sich die Mährchen darin, die ich in Zeiten der Langweile begonnen, aber sie waren nie über die ersten zwei Seiten hinaus gekommen, denn wer mit einem reifen Verstande und einem durch gute Lektüre gebildeten Geschmacke an das eigene Schaffen geht, der hat es nicht leicht. Ihm fehlt jene sogenannte naive Ursprünglichkeit, welche in den meisten Fällen Nichts ist, als die Selbstzufriedenheit der Unkultur – eine Eigenschaft, welche manchen Dichtern zu ihrer großen Bequemlichkeit, wenn auch nicht zum Vortheil ihrer Leser, durch ihr ganzes Leben und Schaffen eigen bleibt.

Ich kannte das Beste, ich wußte es voll und ganz zu schätzen, und ich hatte dadurch ein Ideal vor Augen, das, statt mich im Beginne zu heben, mich entmuthigte. Alle meine Anfänge erschienen mir so unbedeutend, so gänzlich nichtig, ich selber mußte darüber lachen, wie konnte ich also daran denken, daß sie einem Unbetheiligten gefallen würden? Versuchen wollte ich aber dennoch, was ich vermöchte! Indeß vor lauter Wollen brachte ich Nichts zu Stande. Denn kaum hatte ich eine kleine[388] Fabel ausgedacht, so fiel mir eine andere ein, die mir hübscher däuchte, und fing ich diese zu schreiben an, so sagte ich mir: wie dumm und nichtig ist das Alles gegen den Wilhelm Meister, gegen die Wahlverwandtschaften, gegen die Romane von Jean Paul und Ernst Wagner, gegen Sand und Balzac, gegen Bulwer und Walter Scott! Und etwas Albernes wollte ich doch nicht thun! Lächerlich, wie so viele sogenannten Schriftsteller und Schriftstellerinnen mir waren, wollte ich nicht werden!

Indeß die Verlockung, die Lust zu schreiben waren gar zu groß; und wenn ich auch an jenem Tage nicht eine Zeile auf das Papier brachte, so verließ mich doch der Gedanke an das Schaffen nicht. Ich stand am Fenster und sah auf die Straße hinaus, und betrachtete die erhobenen Linien, die sich auf den kleinen gefrorenen Wasserflächen zwischen den trockenen Steinen gebildet hatten, und Alles, was mich durch Jahre und Jahre bewegt und erschüttert, worüber ich mich gefreut und worunter ich gelitten hatte, wogte in mir auf und nieder, zog wie fliehendes Gewölk an meinem innern Auge vorbei, und ich dachte: wenn du das sagen, wenn du das darstellen könntest, was du durch diese sieben Jahre an dir erfahren, an Andern beobachtet hast! Und es formte sich in mir so deutlich, daß ich im Stande gewesen wäre, es außer mir hinzustellen, es ruhig und völlig abgelöst von mir zu beobachten, zu betrachten, zu beurtheilen, aber ich sagte mir: das würde ja ein Roman! Und ein Roman kam mir dann wieder als etwas so Großes vor, daß ich es für unmöglich hielt, ihn durchzuführen.

Tage lang kämpfte ich mit meinem Verlangen und[389] mit meinem Mißtrauen gegen mich selbst, und eine ganze Reihenfolge persönlicher Beweggründe trieben mich daneben vorwärts zu gehen. Ich stellte mir vor, wie die Meinen es begreifen würden, was ich vor ihnen voraus hätte, welches innere Walten mir oft das enge Dasein, die täglichen unnützen Beschäftigungen und Quälereien so lästig, so unaushaltbar gemacht, wenn ich in einer Dichtung es ihnen im Bilde zeigen könnte. Ich weidete mich an der Vorstellung, es vor Heinrich, ohne von mir selbst zu reden, einmal Alles aussprechen zu können, was ich sei, was ich durch ihn erlitten, und was er an mir verloren habe, weil er es nicht zu erkennen oder nicht zu schätzen gewußt. Dann wieder, und der Gedanke wurde mir der liebste und kam auch zur Ausführung, dann wieder wollte ich mir sein Bild malen, so treu, so warm, daß ich es lebenslang in seiner Schönheit vor Augen haben könnte, daß Alle, die ihn liebten, sich daran erfreuen sollten; und endlich bemächtigte sich der Ehrgeiz meiner. Ich sah meinen Namen von den Besten gekannt und werth gehalten, ich sah meinen Vater stolz auf mich, sah mir alle Vorzüge des Lebens sich eröffnen: die Bekanntschaft hervorragender großer Menschen, Reisen, Kunstgenüsse, und vor Allem, vor allem Andern – Freiheit und Selbstbestimmung mir ein für allemal gesichert!

Hatte ich mir solche Wonne erträumt und setzte ich mich zum Schreiben nieder, so blickte mich die kleine Büste von Goethe, die auf meinem Schreibtisch stand, mit ihren ernsten Augen und den nachdenklichen Falten an den Wangen so ermahnend an, daß ich schnell wieder zur Besinnung kam, d.h. daß ich wieder an mir zu[390] zweifeln anfing, bis ich am Neujahrstage von achtzehnhundert vierzig der Lust, mich zu erproben, nicht länger widerstehen konnte. Da mir nun das Mährchen, das ich früher gemacht, immer gut gefallen hatte, so meinte ich, ein Mährchen, wenn auch sonst nichts Anderes, das würde ich sicherlich wieder machen können; und so nahm ich denn mein grünes Buch vor, und schrieb ein kleines Geschichtchen zusammen, das ich ein »Modernes Mährchen« nannte, und dessen vierundzwanzig Seiten ich in Einem Zuge auf das Papier warf. Es verdankte einem Gespräche seine Entstehung, dem ich einige Zeit vorher beigewohnt hatte. Es war dabei von der Aehnlichkeit die Rede gewesen, welche die obern Gesichtstheile vieler Menschen mit den Thieren aufwiesen. Man hatte die Probe durch die Gesellschaft gemacht, war dann auf die Lehre von der Seelenwanderung gekommen, und ich hatte im Stillen daran gedacht, in wie weit die äußere Thierähnlichkeit sich im Innern der betreffenden Personen wiederfinden würde, und wie die Anzahl derjenigen gar nicht klein sei, deren unkultivirte Instinkte sie den Thieren verwandter machten, als dem durchgebildeten Menschen. So hatte ich denn in meinem Mährchen sich ein junges Frauenzimmer in einen Herrn von Salm verlieben lassen, der nur ein Mensch gewordener Fisch war; und die junge Schöne entging dem Schicksal, sich mit einem solchen Halbwesen zu verbinden, nur dadurch, daß eine alte hellseherische Tante, die durch ähnliche Lebenserfahrungen gegangen, das Mysterium verrieth, und das Mädchen errettete. Ein paar andere solcher Wandelgestalten liefen noch nebenher, einige Salonscenen gingen dazwischen vor,[391] das Ganze hatte, obgleich das sachlich Geschilderte ziemlich scharf bezeichnet und sichtbar war, doch noch einen gewissen Briefstyl-Diktus, und ich hatte auch nicht daran gedacht, es drucken zu lassen, denn ich hatte es in das grüne Buch geschrieben, das damals all' meine Schreibereien in sich aufnahm.

Ich las es aber dennoch eines Abends dem Vater und den Schwestern vor. Den Letztern gefiel es gut, dem Vater gar nicht. Er fand dies Hin und Her von Wirklichkeit und Phantastik nicht nach seinem Geschmack, meinte, ein Mährchen müsse man in fremde Länder oder in vergangene Zeiten hinein verlegen, bei denen man ohnehin die Dinge auf Treue und Glauben nehme. So mitten aus seiner Umgebung heraus Wunder hervorspringen zu lassen, habe etwas zu Unvernünftiges selbst für die Phantasie, und man müsse den Menschen nicht das Unmögliche zu glauben zumuthen. Er verwies mich in Bezug auf das Mährchen auf meine Lieblingsmährchen, die der tausend und einen Nacht und Musäus Volksmährchen, vergaß aber, daß Callot-Hoffmann die Zügellosigkeit und Willkür der Phantastik in die Gegenwart übertragen hatte, und daß die Berechtigung dies zu thun, für das Mährchen von dem Augenblicke an vorhanden war, in welchem Jemand sich die Gegenwart mit phantastischer Willkür belebt und zerstört vorstellen konnte.

Ich vertheidige damit nicht im Entferntesten die Spielerei, die ich in jenem »Modernen Mährchen« gemacht habe, und das auch der Vertheidigung nicht verlohnt; ich gebe nur eine ganz allgemeine Bemerkung mit den letzten Worten.[392]

Wir lebten den Winter über sehr still. Meine Mutter, die von einer vollkommenen Ruhe viel Gutes für sich erwartete, hatte den Wunsch ausgesprochen, einmal auch den Winter hindurch außerhalb der Stadt und der Familie zu leben, und war, da mein Vater auf diesen, wie auf jeden ihrer Wünsche bereitwillig einging, mit einer der Töchter auf den Hufen in der Sommerwohnung geblieben. Dadurch brachte der Vater ebenfalls mehrere Abende in der Woche auf den Hufen zu, Eine von uns begleitete ihn dann in der Regel, um ihm auf dem Wege Gesellschaft zu leisten, an andern Tagen gingen ein paar von uns Schwestern zur Mutter hinaus, der man ihre freiwillige Entfernung von den Ihrigen so wenig als möglich empfindlich machen wollte, und während so eine Art von äußerer Unruhe in das Familienleben hinein kam, so hatten doch Diejenigen, welche sich zu Hause befanden, viel stille Tage und Abende, da die Geselligkeit unter diesen Verhältnissen natürlich auch nur eine beschränkte sein konnte.

Meine Aussichten und Plane beschäftigten mich dadurch nur um so lebhafter, da ich ihnen jetzt ungestörter nachhängen konnte. Weil ich bei meinem Vater mit meinem Mährchen kein sonderliches Glück gemacht, und nebenher selbst gefunden hatte, daß die Schilderung der Wirklichkeit mir gelang, so machte ich mich bald nachher daran, eine kleine Erzählung »der Stellvertreter« zu schreiben, die auch nur einige Bogen umfaßte, und die erdichteten Erlebnisse eines jungen zum Manöver kommandirten Offiziers zum Mittelpunkt hatte. Ich genoß eine ganz neue Freude, während ich die Stoffe zurecht legte, die Einzelnheiten aussann, und wenn ich nun daran[393] ging, sie niederzuschreiben, war ich im eigentlichen Sinn des Wortes seelenvergnügt. Ich konnte es gar nicht erwarten, sie den Andern vorzulesen; aber, und das war ohne alle Frage ein Glück für mich, der Beifall, den ich erndtete, kam meiner Lust beim Schaffen gar nicht gleich. Mein Vater und mein älterer Bruder, an deren Urtheil und Zustimmung mir gelegen war, fanden die Dinge der Wirklichkeit nicht bestimmt genug ausgeprägt, mein Bruder riß bei einigen langen Perioden im Scherze seine Cravatte vom Halse, um mir anzudeuten, daß man an so langen Sätzen ersticken müsse, und das Endresultat blieb: »es sind gewöhnliche Journalgeschichten, und ob Du die machst oder nicht, ob von denen überhaupt ein paar mehr oder weniger gemacht werden, das ist ganz gleichgültig. Versprichst Du Dir Etwas davon, oder glaubst Du uns nicht, so schicke sie dem August Lewald, und höre, was der davon hält.«

Hart und selbst bitter wie diese Ablehnungen sich gaben, waren sie für mich, was die einzelnen kalten Tage eines sehr warmen Frühjahrs für die Pflanzen sind. Sie hielten mich von Uebereilung und Ueberschätzung zurück; sie lehrten mich gleich beim Beginne meines Schaffens, neben der Phantasie auch den Verstand und die Vernunft zu brauchen, und mich von Anfang an fest an die Wirklichkeit und Wahrheit anzuschließen.

Ich änderte und korrigirte eine ganze Weile an der kleinen Erzählung herum, dann aber wollte ich mein Schicksal kennen, und schickte sie mit Erlaubniß meines Vaters an August Lewald, der damals in Baden-Baden lebte. Er schrieb mir bald danach, daß er in dem Augenblicke[394] nicht Zeit habe, das Manuscript zu lesen, fügte aber hinzu: »Dein Hang zum Schreiben ist sehr natürlich. Wer so wie Du gesunde Gedanken auf schöne Weise darzustellen weiß, hat Beruf dazu und darf ihn nicht durch bloße äußerliche Rücksichten auf gewaltsame Weise ersticken.« Und da ich ihm auch alle Ausstellungen und Einwendungen der Meinen gegen die kleinen Arbeiten selbst mitgetheilt hatte, so sagte er mir in einem zweiten Briefe vom vierundzwanzigsten Juni achtzehnhundert vierzig: »Dein Streben, Dein Geist, Deine Bildung, Dein selbstständiger Sinn, das Alles gefällt mir wohl, Denn Du paarst damit Gemüth und Seele. Das Stillleben in Deinem elterlichen Hause, Deine späte Entwicklung zum Blaustrumpf – wenn ich so sagen darf – hat Dich vor gar Vielem bewahrt, was sonst unzertrennlich davon scheint. – Was ich Dir über Dein Talent gesagt habe, wiederhole ich Dir hiermit; lasse Dich von Deinem Bruder nicht beirren. Du magst Dir sein Urtheil immerhin, wenn Du es aus dem rechten Standpunkte betrachtest, zu Deinem Nutzen wenden – ja es kann Dir sogar heilbringend sein, – allein über Deinen Beruf brauchst Du ihn gar nicht zu befragen. Glaube mir! – Dein Mährchen ist sehr hübsch und mir lieber als Dein ›Stellvertreter‹, wenn auch dieser wieder manche Vorzüge hat. Eine gewöhnliche Journalerzählung, wie sie es bei Dir zu Hause nannten, ist sie aber nun einmal gar nicht; denn da müßte sie spannender und anziehender verwickelt sein, überhaupt mehr Schilderung enthalten. Dafür ist sie aber besser. Du kannst gestalten. Dein ›alter Stellvertreter‹ ist eine wahrhaft originelle[395] Figur und die ironische Farbe, die Du über das Ganze hinzuhauchen verstehst, verräth einen Grad von Kunstbegabung, zu dem man Dir Glück wünschen kann. Wie ich Dir aber schon bemerkte, hält Plan und Anlage – die Erfindung, wie man's zu benennen pflegt – mit der Ausführung nicht gleichen Schritt. Darauf mußt Du nun Dein Augenmerk richten.«

Er ermuthigte mich zugleich, mich ohne Weiteres an eine größere Arbeit zu machen, schrieb mir, daß er das »Moderne Mährchen« gleich habe abdrucken lassen, schickte mir das Honorar dafür, das in acht Thalern und einigen Groschen bestand, und – ich war im ersten Momente geradezu benommen von meiner Freude.

Ich las den Brief immer auf's Neue, es war mir, als müsse ich wachsen und sichtlich größer werden. Das Lob that mir so wohl, und daß ich mich um das Urtheil meines Bruders nicht bekümmern sollte, war mir vollends angenehm. Ich wußte noch nicht, wie sehr sein geschulter und tüchtiger Verstand mir später für meine ganze Art zu arbeiten maßgebend und belehrend sein würde, und mein Verlangen nach Unabhängigkeit war so groß!

Mitten in meiner Erregung traf mein Vater mich. Es war eilf Uhr, die Stunde, in welcher er sein Gabelfrühstück einzunehmen pflegte. Wir befanden uns im Hochsommer, und die Hitze war sehr groß. Vor den Fenstern der kleinen Wohnstube, die auf den Wolm hinaussahen, war die große Markise herunter gelassen, das Zimmer war dämmrig, auf den Tischen standen Blumen, die wir uns während der guten Jahreszeit alltäglich kauften.[396]

Um eilf Uhr war der Frühstückstisch immer gedeckt, damit der Vater nicht zu warten brauchte, und in der Regel waren dann so viele von uns in dem Zimmer, als eben abkommen konnten, um dem Vater während der Viertelstunde, die er zu verweilen pflegte, Gesellschaft zu leisten, und ihm zu erzählen, was etwa vorgegangen war. Den Morgen befand ich mich zufällig mit ihm allein, und mir schlug das Herz vor Aufregung und Freude, als ich ihn die acht Stufen zu dem Wolme hinaufkommen sah. Wie immer bei dem Eintritt küßte er mich, und setzte sich dann mit der gewohnten Phrase: »Na! was giebt's Neues?« zu seinem mäßigen Frühstück nieder.

Ich sagte, daß ich einen Brief aus Stuttgart bekommen. Er hatte das im Comptoir, vom Lizente kommend, bereits erfahren. »Was schreibt Dir Lewald?« fragte er wieder. Ich las ihm den Brief vor; er lächelte dabei.

»Das klingt sehr aufmunternd,« sagte er darauf, »und Lewald wird's wohl verstehen! Aber er irrt, wenn er Dir allein ein Urtheil über Deine Arbeiten zutraut. Im Gegentheil! man ist in der Regel incompetent über das, was man selbst gemacht hat.«

Ich versuchte das zu widerlegen, indeß der Vater unterbrach mich mit der Frage: »Und Du denkst also wirklich daran, eine größere Arbeit anzufangen, Du willst also Schriftstellerin werden?«

»Ja! wenn Du nichts dagegen hast, lieber Vater!«

Er zuckte mit den Schultern, wie er es zu thun pflegte, wenn er sich in Etwas fügte, was ihm nicht lieb war. Das that mir wehe und leid.

»Ueberlege Dir die Sache, lieber Vater!« fuhr ich[397] fort, »und das Eine bemerke ich dabei ausdrücklich: bedenke, daß ich Nichts halb zu thun pflege.«

»Was heißt das?« fragte er kurz und ernst.

»Ich meine, wenn ich arbeite, so ziehe ich die gelben Glacé-Handschuhe aus, und fasse die Dinge fest und mit nackter Hand an. Wenn ich schreiben soll, so muß ich ganz heraus sagen können, was ich denke, und jedes Thema berühren, das mir dazu angemessen scheint. Ich kann keine Rücksicht nehmen auf dasjenige, was Du von mir zu hören wünschest, oder was Du die Kinder (so wurden wir in Gesammtheit noch immer genannt) hören lassen willst.«

»Das begreife ich!« entgegnete er mir.

Wir waren Beide gleich ernsthaft, der Eine wie die Andre, denn ich wollte, wenn ich meinen neuen Lebensweg antrat, am wenigsten meinen Vater darüber im Unklaren lassen, wie ich über denselben dachte. »Auf die Weise wie bisher,« nahm ich noch einmal das Wort, »kann ich dauernd dann nicht weiter leben. Wenn ich die Mittel dazu erwerben kann, muß ich die Welt sehen, und freier mit Menschen, mit Männern, die mich fördern, verkehren können, als es hier bei uns am Theetisch, in Gegenwart von Euch und von fünf Schwestern geschehen konnte.«

Ich sah, daß diese Verlangnisse und Aussichten meinem Vater ungelegen und nicht erwünscht waren, und ich erklärte, wenn er mit dieser meiner Meinung nicht einverstanden sei, so wäre ich in diesem Momente noch bereit, auf die Erfüllung meiner Wünsche zu verzichten.

Mein Vater schwieg einen Augenblick und frühstückte[398] während der ganzen Unterredung ruhig fort. »Ich sehe nur nicht ab, was für ein Aequivalent ich Dir dafür zu bieten hätte!« meinte er nach einer Weile. »Du bist dreißig Jahre, bist unverheirathet, und ich kann nicht sagen: hier ist ein Vermögen, das Dich lebenslänglich unabhängig erhält. Auf der andern Seite bist Du immer verständig gewesen, hast mir nie Anlaß gegeben, mit Dir unzufrieden zu sein, und Du versprichst Dir Glück von der Ausübung Deines Talentes. Also thu' was Dir gut däucht, und Gott gebe, daß es zu Deinem Guten sei. Nur das Eine bedinge ich mir ganz ausdrücklich aus, es darf Niemand, auch Rath Crelinger und Doktor Kosch – der Letztere war unser Hausarzt – das Geringste von Deiner Schriftstellerei erfahren.«

»Verlaß Dich darauf!« betheuerte ich, »aber bedenke, lieber Vater, daß alle Kinder es wissen.«

»Ich werde ihnen verbieten, davon zu reden!« sagte er mit jener Zuversicht, die sicher ist, sich unbedingten Gehorsam zu verschaffen.

Er stand auf, nahm den Brief von Lewald, und betrachtete die Anweisung, welche darin lag. Sie war au porteur ausgestellt, und von seinem bisherigen Ernste zum Scherze übergehend, sagte er: »Da Du also heute angefangen hast, Geld zu verdienen, wirst Du es wohl auch gleich in Händen haben wollen. Ich werde die Anweisung nehmen und Dir das Geld herauf schicken.«

Er wendete sich nach der Thüre, kehrte noch einmal um, sagte mit einer unverkennbaren Bewegung: »Also eine Schriftstellerin!« – Dann zog er die schönen Augenbrauen ein wenig in die Höhe, diese Miene drückte[399] es bei ihm aus, daß etwas ihm nicht Erwartetes und nicht eben Angenehmes geschehen sei, und meinen Kopf in seine beiden Hände nehmend, und mich herzlich küssend, sprach er: »Gott gebe Dir Glück dazu!«

Damit ging er hinaus, und ich war so gerührt, daß mir die Thränen über das Gesicht flossen. Feierlicher war mir nicht zu Muthe, als ich mich meinem Manne für das ganze Leben angelobte. Denn das Eine wie das Andere war mir die freudige Uebernahme eines aus tiefster Ueberzeugung und innerster Nothwendigkeit übernommenen Berufs, dem mit allen meinen Kräften nachzuleben, dem mich in voller Liebe und Freiheit gänzlich hinzugeben, mir ein Glück war.

Es war kein unbewußtes Hineindämmern in die Zaubergärten der Poesie. Ich hatte eine große Vorstellung von der Macht des Dichters auf den Geist seines Volkes, und von der Gewalt des Wortes über das Herz der Menschen. Und weil ich die Wahrheit suchte, und die Wahrheit über Alles schätzte, wo ich sie erkannt hatte, so nahm ich mir vor, ihr in keiner Zeile und mit keinem Worte jemals abtrünnig zu werden, und wie groß oder wie gering mein Einfluß jemals werden könnte, ihn nie anders als im Dienste desjenigen zu verwenden, was mir Schönheit, Freiheit und Wahrheit hieß. Und dies Versprechen habe ich mir treu gehalten![400]

Quelle:
Fanny Lewald: Gesammelte Werke. Band 3, Berlin 1871.
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