Siebenter Brief

[59] Berlin, 8. Mai 1869.


Als ich in diesen Tagen in der »Kölnischen Zeitung« den Artikel über die gelehrte Geologin und Naturforscherin Mrs. Somerville las, trat mir äußerst lebhaft die Zeit in die Erinnerung, in welcher ich die edle Frau zu wiederholten Malen gesehen und gesprochen hatte Es war in Rom im Winter von Eintausend achthundert fünf und vierzig auf sechs und vierzig. Damals hatte die nun schon lange verstorbene Kölnerin Frau Sibylle Mertens-Schaaffhausen im großen Palazzo Poli, durch dessen Mauern die Aqua Virgo ihre Wasserfluthen in das Riesenbecken der Fontana Trevi ergießt, an jedem Dienstag einen Empfangsabend, und es kam dort eine Gesellschaft zusammen, wie sie sich eben nur in den großen Mittelpunkten des Weltverkehrs begegnen kann.

Frau Mertens war selbst eine gelehrte Archäologin, war von großer allgemeiner Bildung, in hohem Grade musikalisch und besaß dabei ein Talent des Erzählens, das geradezu unvergleichlich war. Wer sie nicht in einsamen Stunden am Clavier phantasiren, wer sie nicht hatte mit überwältigender Klarheit die verwickeltsten[59] Lebens- und Staatsverhältnisse auseinandersetzen und vielleicht gleich darauf mit echt niederdeutschen Humor die drolligsten Geschichten im Kölner Volksdialecte erzählen hören, der kannte sie nicht in ihrer ganzen Wesenheit. Dabei war sie die Gastfreiheit selbst, und nie habe ich eine Frau die Gesellschaft in einem Salon besser zusammenhalten und unscheinbarer leiten sehen, als sie.

Neben ihr fanden sich in jenem Winter noch eine Anzahl von bedeutenden Frauen in ihrer Gesellschaft: Frauen, die alle als Künstlerinnen ihre Stellung in der Welt behaupteten. Irre ich nicht, so wird Frau Somerville die Aelteste unter Ihnen gewesen sein. Sie war mittelgroß, eine Engländerin in jedem Zuge ihres Aeußern, ruhig, selbstbewußt, aber freundlich und zwanglos im Verkehr. Sie hatte zwei Töchter mit sich, große, junonische Gestalten, die immer zur Rechten und zur Linken der Mutter, mit dem entschiedenen Schritt der Engländerinnen, die Arme über einander gelegt, den Fächer in der Hand, in den Saal zu treten pflegten. Es waren ebenfalls sehr gebildete Frauenzimmer. Jahre hindurch hatte ich nichts von ihnen allen gehört, als daß sie sich in Italien aufhielten. Im Frühjahr von 1867, als wir in Neapel waren und den Vorsatz hegten, dort vielleicht einen längeren Aufenthalt zu machen, sprachen wir mit dem in Neapel ansässigen vortrefflichen Arzte Dr. Pincoffs von den Vorzügen und Nachtheilen, welche das Klima von Neapel während der kälteren Jahreszeit für den Leidenden[60] darbiete, und erfuhren bei der Gelegenheit, daß Frau Somerville sich eben damals dauernd in Neapel niedergelassen habe, um den Abend ihres Lebens mit ihren Töchtern, die noch bei ihr lebten, in dem Süden von Italien zuzubringen. Wir dachten zu ihr zu gehen, sie zu fragen, ob sie sich unserer erinnere, – indeß es kam nicht dazu, denn wir mußten aus Gesundheits-Rücksichten schnell von Neapel fort – und ich habe Frau Somerville nicht mehr gesehen.

Außer ihr waren noch Frau Ottilie v. Goethe, Adele Schopenhauer, die Sängerin Adelaide Kemble, damals schon von der Bühne abgetreten und mit einem Herrn Sartoris verheirathet, und ihre schöne Schwester Fanny Kemble-Buttler, die als Vorleserin berühmt war und in Newyork ein Journal redigirte, häufig in dem vorhin erwähnten Salon; und die Malerin Elisabeth Jerichow-Baumann und ich waren die beiden Jüngsten unter dem verhältnißmäßig sehr beträchtlichen Contingent, welches die damalige Fremdengesellschaft in Rom als Beweis für die Entwicklungsfähigkeit des weiblichen Geschlechtes aufzustellen vermochte. Frau Somerville war ein gelehrter Astronom und Geologe, Frau Mertens Archäologe, Adele Schopenhauer hatte sich als Dichter versucht, war vollendete Meisterin im Vorlesen und Künstlerin im Ausschneiden und Zeichnen von Arabesken. Adelaide Kemble componirte Lieder und war als Bühnensängerin ein Stern erster Größe gewesen; Fanny's Talente habe ich erwähnt;[61] meine Freundin Elisabeth Jerichow ist Mitglied der kopenhagener Academie und Besitzer so und so vieler goldener Preismedaillen – und ich? – Nun, den Satz ergänzen Sie!

Aber es geht uns Frauen eigen! Wir müssen noch immer wie die Neger es besonders darthun, daß wir, wie ich es vorhin nannte, entwicklungsfähig sind. Rahel Varnhagen sagt einmal in irgend einem ihrer Briefe: »Häßliche Frauenzimmer und Jüdinnen sind immer übel daran. Sie müssen erst immer beweisen, daß sie liebenswürdig sind.« Im Großen und Ganzen genommen, befinden sich alle Frauen mit ihrer geistigen Begabung in der gleichen Lage. Man streitet ihnen die Befähigung für diesen und jenen Zweig des Wissens ab und bedenkt nicht, daß ihnen bisher fast jede Gelegenheit versagt war, sich in den Wissenschaften auszubilden. Wir sollen schwimmen und haben es nicht gelernt! Und nun man an die Möglichkeit zu glauben anfängt, daß wir so gut wie die Männer vorwärts kommen könnten – verfällt man wieder in den alten Fehler, für uns ausnahmsweise ganz besondere Unterrichtswege einzuschlagen oder vorzubereiten.

Das ist mir lebhaft entgegengetreten, als man hier in Berlin vor etwa einem Vierteljahre das Victoria-Lyceum eröffnet hat, und fällt mir immer wieder ein, wenn man davon spricht, eine Universität für Frauen zu errichten.[62]

Gegen das Victoria-Lyceum ist gar nichts einzuwenden. Frl. Archer, die es zu Stande gebracht hat, ist eine verständige, Deutsch sprechende und sehr unterrichtete Engländerin, die Schwester eines recht tüchtigen Malers, die seit Jahren hier in Berlin als Lehrerin der englischen Sprache lebt und auch die Kinder des kronprinzlichen Paares im Englischen unterrichtet.

Ihre Königliche Hoheit die Frau Kronprinzessin wohnte denn auch der Eröffnung des Institutes bei. Die Herren, welche das Comité oder das Protectorat desselben bilden und eine beträchtliche Anzahl von Frauen und Männern aus den gebildeten Ständen waren ebenfalls dort; es wurde eine schickliche Eröffnungsrede gehalten, und statt der fünfzig, sechszig Theilnehmerinnen, auf die man im Ganzen sich für die verschiedenen Curse Rechnung gemacht hatte, ließen sich gleich Anfangs mehr als die doppelte Zahl als Zuhörerinnen einschreiben. Jeder Cursus – man lehrt Geschichte, Geographie, Kunstgeschichte, Literaturgeschichte der verschiedenen lebenden Sprachen u.s.w. – ist auf sechszehn Stunden angelegt und wird mit drei Thalern bezahlt. Unter den Zuhörern befinden sich Frauen aller Lebensalter: Matronen, junge Frauen und Mädchen.

Fragt man sich nun, was dieses Lyceum, dessen Lehrgegenstände man, wie Frl. Archer mir sagte, wenn es gefordert wird, zu vermehren und dessen Lectionszahl man eben so nach Bedürfniß für jede Wissenschaft auszudehnen[63] denkt, für die allgemeine Bildung des weiblichen Geschlechtes leisten könne, so dünkt mich, daß es eine Organisirung des Privatunterrichtes ist, den gebildete und begüterte Frauen sich gelegentlich zu verschaffen pflegten, und der auf diese Weise von guten Lehrern gemeinsam und weit billiger gegeben wird, als man ihn sich bisher ermöglichen konnte. Das ist etwas sehr Dankenswerthes, eine große Annehmlichkeit für eine Menge von Frauen. Es kommt auch denen zu Statten, die als Lehrerinnen und Gouvernanten ihr Brod verdienen sollen; aber solche Institute sind nicht der Hebel oder das Mittel, welches den ganzen Culturstand und damit die Stellung der Frauen in der Staatsgesellschaft verbessert und erhöht.

Ich muß oftmals lachen, wenn ich davon sprechen höre, daß man jetzt schon Universitäten für Frauen in Deutschland gründen will, da es doch noch keinem Menschen eingefallen ist, Universitäten für Tertianer zu gründen; und die Arbeitssolidität und das wirkliche positive Wissen der großen Masse unter den Frauen werden doch bis jetzt schwerlich mit einem soliden Tertianer, der für die Secunda reif ist, eine erfolgreiche Concurrenz aushalten können. Es ist immer dasselbe verderbliche System der Ausnahmestellung, das die Frauen zu keiner gründlichen Ausbildung und deshalb zu keiner vollständigen Entwickelung ihrer Fähigkeiten gelangen läßt. Das aber: die vollständige Entwickelung und der dadurch allein[64] mögliche freie Gebrauch der Fähigkeiten, das ist die wahre Emancipation (zu Deutsch Befreiung aus dem Sclavenbande) des weiblichen Geschlechts, wenigstens wie ich diesen so vielfach gemißbrauchten Ausdruck verstehe.

Das Victoria-Lyceum ist, ich wiederhole das ausdrücklich, ein sehr gutes Institut, aber es ist im gewissen Sinne ein Luxus-Institut. Was uns fehlt, ist jedoch nicht die Thurmspitze, sondern ein ordentliches Fundament. Wir brauchen Schulen, Realschulen für die Frauen wie für die Männer. Nicht ein Comité von wohlwollenden und hochgebildeten Männern kann hier mit seinem Protectorate und mit seinem guten Willen helfen, sondern die Städte und der Staat, denen wir Frauen von jedem Thaler, den wir selbständig erwerben, in ganz gleichem Maßstabe wie die Männer unsere Steuern zahlen müssen, sind uns diese Bildungs-Anstalten schuldig.

Es muß den Eltern möglich gemacht werden, ihre Töchter von ihrem siebenten bis zu ihrem achtzehnten Jahre ganz eben so wie ihre Söhne, durch alle Classen einer Bildungs-Anstalt durchgehen zu lassen, die sie für weitere gründliche Studien vorbereitet, wenn in den Töchtern der Trieb und die Befähigung für diese letzteren vorhanden sind. Das wird es nicht hindern, daß man die Mädchen, wie es ja auch mit den Knaben geschieht, je nach dem Lebensberuf, welchen man sich für sie vorgezeichnet[65] hat, von der Tertia oder von der Secunda in das Vaterhaus zurücknimmt, sie in eine Lehre für den Erwerb, sie in eine Stelle unterzubringen, für welche die Kenntnisse eines Tertianers oder Secundaners ausreichen, oder sie im Haushalt der eigenen Familie zu verwenden; und ich bin fest überzeugt, daß keinem Frauenzimmer die mehrjährige strenge Disciplin einer ordentlichen Lehranstalt, daß ein folgerechtes Arbeiten ihm schaden, daß es die Frauen weniger geeignet machen kann, ihren Pflichten innerhalb des Hauses und der Familie vorzustehen. Gerade im Gegentheil.

Was den Frauen fehlt, ist ja nach der Männer Urtheil eben die nachhaltige Tüchtigkeit. Man sagt uns, unser Wissen sei oberflächlich, und man hat vollkommen Recht – aber die Art, in der wir in den »höheren Töchterschulen« (der bloße Titel ist schon eine Abgeschmacktheit) unterrichtet werden, ist darauf angelegt, uns oberflächlich zu machen. In wenig Jahren, mit mäßiger Mühe sollen wir erlernen, wozu man dem jungen Manne ruhig seine zehn, zwölf Jahre vergönnt, und daneben sollen wir von unserm achten bis in unser fünfzehntes Jahr, wo möglich noch Claviervirtuosin werden, Englisch und Französisch und Italienisch lernen, nach der Natur zeichnen, in feinen Handarbeiten und in häuslichen Handarbeiten bewandert und geübt sein, und Tanzen gelernt haben. – Da das nun eine reine Unmöglichkeit ist, so bringt man uns von dem allem ein klein Bischen[66] bei, und wir kommen aus den Schulen, wie man von einem der Diners mit fünfzehn Gängen aufsteht: überfüttert und im Grunde doch nicht satt; voll Einbildungen, voll Selbstüberschätzung und mit einem wahren Schrecken über unsere Unwissenheit, wenn eines schönen Tages die harte Wirklichkeit der Lebensnoth an uns herantritt und uns mit ihrem blassen, ernsten Antlitz zuruft: Mein elegantes Fräulein! Meine reizende Salon-Erscheinung! Hilf dir jetzt einmal gefälligst durch das Leben und durch die Welt!

Wer wirklich ein Befreier des weiblichen Geschlechts werden will, muß daher vor Allem dazu thun, es von seiner unheilbaren Sonderstellung zu erlösen. – Der Schneider klagt: kein Frauenzimmer kann ein solides Knopfloch machen! – Natürlich! ein Frauenzimmer lernt in sechszehn Stunden schneidern; der Schneiderlehrling hat eine Lehrzeit von drei Jahren. – Die Kritik sagt: Gründlichkeit ist nicht der Frauen Sache! – und selbst mein eigener Mann sagt mir hundertmal: auf Deine Jahreszahlen und Thatsachen verlasse Dich lieber nicht, sondern sieh immer gründlich nach! – Und Alle, die uns diese Fehler vorwerfen, und wir Alle, die der Masse der sogenannten guten Hausfrauen kleinliche Vorurtheile, schwere Zugänglichkeit für bessere Einsichten und Gott weiß es, welche Schwächen vorwerfen – haben Alle Recht. Aber die Frauen sind an ihrer Oberflächlichkeit nicht schuld.[67]

Man hält die geistigen Anlagen der Frauen für weniger groß, als die der Männer, und wir werden behandelt, als wären wir lauter Genies, und obenein, als fände das Genie ohne Mühe, ohne Fleiß und ohne ordentlichen Unterricht seinen Weg. Behandelt uns wie Männer, damit wir tüchtige Frauen werden können – und – dies kann ich aus Erfahrung betheuern, wir werden demüthiger werden, wenn wir ermessen können, welche Arbeit für den Mann dazu gehört, einer Familie das Brod zu schaffen, und wenn wir so viel, nur so viel wirkliches Wissen in uns aufgenommen haben werden, daß es uns nicht wie bis jetzt gleich ganz und gar verschwindet, sobald die Sorge für das Haus und für das Wohlbefinden der Familie an uns herantritt. Sind denn die Gelehrten, die Beamten, sind denn die gebildeten Männer alle, die einen Beruf in der Welt erfüllen, schlechte Gatten? unzärtliche Väter? üble Haushalter? unordentlich und unhäuslich? Und es sollte für uns allein unmöglich sein, den einfachen Beruf in unseren Familien zu erfüllen, wenn wir die Bildung erhielten, die jetzt kaum noch einem Manne fehlt? –

Es hat noch Zeit mit der Frauen-Universität; aber Realschulen haben wir zu fordern – da wir Steuern zahlen wie die Männer – und wir müssen anfangen, sie zu fordern, und nicht aufhören, sie zu fordern, bis wir sie erlangen.[68]

Es ist keine Wohlthat, die man uns zu erzeigen hat, es ist ein Recht, das man uns einräumen muß und wird; aber die Machthaber, und die Männer sind uns gegenüber Machthaber, sind in der Regel geneigter, Wohlthaten zu erweisen, als Rechte anzuerkennen. So hat man denn auch hier in Berlin eher an die Asyle für die obdachlosen Frauen als an solide Realschulen für uns gedacht – und freilich waren die Asyle dringend nöthig. – Ich schreibe Ihnen nächstens, was ich davon gesehen und erfahren habe.[69]

Quelle:
Fanny Lewald: Für und wider die Frauen. Berlin 1870, S. 59-70.
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