Drittes Buch

Mein gewöhnliches Reiseleben nahm denn nun wieder seinen Anfang. Schon in Venedig traf ich den Fürsten, der in Paris durch meinen Kammerdiener erfahren hatte, daß ich mich von Friedrich getrennt habe und wieder reisen würde. Diesen Zeitpunkt hatte er abgewartet, um mir aufs neue seine Dienste anzubieten, die mir sehr willkommen waren. Ich liebte ihn nicht, aber ich war gewöhnt an ihn, ich hatte sogar eine Art von Vorliebe für ihn bekommen und seine Zufriedenheit war mir nicht indifferent.

Ich klagte ihm, wie ich wieder um eine Illusion ärmer geworden, jetzt reisen müsse, ohne Unterbrechung, bis ich den Rechten entdeckte, und bat ihn, mir seine Begleitung zu gönnen, da ich vielleicht gezwungen sein könnte, meiner Recherchen wegen Europa zu verlassen. Er war bereitwillig dazu wie immer. Es lag etwas wahrhaft Chevalereskes in dieser Beharrlichkeit, das ich sehr estimirte.

Wir durchstreiften noch einmal Italien, Frankreich,[147] Deutschland, damit vergingen einige Jahre; ich machte einen Reiseversuch nach Norden, aber vergebens! – Die Herzen der Skandinavier sind von einer impatientirenden Kälte, ich fühlte, dies sei kein Feld für meine Bestrebungen, und drehte bald wieder um. Wir gingen nach Rußland und England; aber Länder, in denen die Männer aus Zärtlichkeit ihre Frauen züchtigen und aus Ueberdruß mit einem Stricke um den Hals verkaufen, hatten keine Reize für mich, boten mir keine Hoffnung auf Succeß. Ich war förmlich decouragirt. Ich sah bleich und leidend aus, meine Kräfte waren usirt, meine Nervosität nahm zu und meine Lebensgeister waren dermaßen deprimirt, daß der Fürst, von diesem état de langueur das Aergste befürchtend, mir einen decidirten Wechsel von Klima und Zuständen proponirte, um mich neu zu animiren.

Wir gingen durch die Türkei und Griechenland nach dem Orient. O, welche Sympathie flößte er mir ein. Nie, niemals hatte ich zwischen Himmel und Erde Etwas gefunden, das mir mit meiner Seele zu correspondiren geschienen hätte, nie ein Emblem für meine Seele entdeckt. Jetzt lag es vor mir da.

Ja, die Wüste war das Bild meiner Seele! Immens, leer, von glühendem Sonnenbrande verdorrt,[148] tödtlich dem Pilger, der sie glaubensvoll betritt, und dessen Dasein spurlos verlöschend; ohne Blüthe, ohne Erquickung für den Menschen, voll trügerischer Phantome, die ihn verlocken, um ihn zu vernichten. – O, die unabsehbare Wüste war das Bild meiner immens leeren Seele!

Ich warf mich auf den Boden nieder, ich küßte die glühende Erde, ich fühlte mich in meiner Heimath. Die Nomaden, die heute hier und morgen dort das luftige Lager etabliren, wie homogen waren sie meinen eignen Alluren, wie ähnlich ihr Leben dem zigeunerhaften Umherziehen der großen Welt, das so sehr bon genre ist. Der Orient entzückte, inspirirte mich, die wunderbaren urtypischen Männernaturen imponirten mir, indeß hier konnte ich nicht einmal zu suchen wagen, weil bei der mohammedanischen Uncultur der Geister auf jene Blüthe des Seelenlebens gar nicht zu rechnen war, die ich als Resultat erstrebte.

Eines Abends hatten wir unser Lager bereits wieder etablirt, die Kameele waren abgezäumt und ruhten in der Nähe meines Zeltes, der Kavaß ging geräuschlos hin und her, die Zurüstungen für unser Souper zu machen. Ich lag auf meinen Polstern, der Fürst hielt an der Thüre Wache. Rund um uns her waren die Feuer angezündet,[149] in deren rother Beleuchtung die Burnus der Araber erglänzten, welche unsere Escorte bildeten. Der Himmel mit seinen goldenen Sternen ruhte wie ein superber Baldachin über uns, und Nichts unterbrach die sublime Stille, als das Heulen der Schakals.

Der Ton drang mit terribler Gewalt in meine Seele. – So, gerade so rief es oft wild, klagend und furchtbar in der Wüste meiner Seele nach dem Rechten – und ich fand ihn nicht. All diese Reisen waren ja nur Versuche, ihn zu finden, mein Leben epanchirte sich in diesen Versuchen, ich hatte nur Distractionen, nur temporäre Occupationen gefunden und jetzt seit Jahren mich einer Art von Indolenz ergeben, die aus gänzlicher Verzweiflung entsprungen war. Hier in der Wüste, in der sublimen Stille der Nacht, ward mir urplötzlich wieder der Glaube an die intensive Macht meines Naturells und der Vorsatz rege, noch einmal das Werk zu beginnen. Das Andenken des edeln Robert Bruce schwebte vor meinem Geiste, der durch eine, den zerrissenen Faden immer neu knüpfende Spinne zu perseverirender Thatkraft angespornt wurde, nachdem er schon förmlich decouragirt gewesen war.

Ich nahm die ganze Energie des Geistes zusammen und fragte mich, was bleibt mir jetzt zu[150] thun? Die christlich europäische Civilisation, die orientalische Polygamie sind es nicht, welche den Gottmenschen der Liebe hervorbringen, den ich finden muß. Europa entnervt durch Lurus und macht kalte Raisonneurs aus den Männern, die philosophiren, von Principien schwatzen, Ansprüche machen, wo man nur das Nieendliche empfinden soll. Der Orient, der Mohammedanismus stehen auf dem tiefsten Punkte der Entsittlichung, denn das Weib, dieser Mittelpunkt der Creation, ist Sklavin der männlichen Willkür, wie der Mann es sein sollte der weiblichen Caprice. Es muß einen normalen Zustand geben, sagte ich mir, der, unberührt von der Civilisation, eine naturgemäße Position der Geschlechter gegeneinander zeigt; in diesem normalen Zustande allein kann sich der Culminationspunkt der Liebe präsentiren. Es lag in meinem Charakter neben aller Eleganz der Weltfrau ein gewisses sauvages je ne sais quoi, das mir immer die Cooper'schen, wohlgewaschenen, durch die Liebe dressirten, nobeln Wilden interessant gemacht hatte. Ich glaube nicht daran, daß sie ausgestorben seien; ich hoffte noch einen Descendenten dieser edlen Race zu entdecken, ich ahnte, in ihm könne ich den Rechten finden.

Wie ein Lichtstrahl fiel dieser Gedanke in meine[151] Seele. Ich rayonnirte von der animirenden Hoffnung und rief den Fürsten, um ihm meine Ideen mitzutheilen. Als der Fürst aufstand und mich erblickte, sagte er, ganz bewildert von dem neuen Leben, das aus der sammetweichen Iris meines Auges strahlte: »Aber, meine Gräfin! was haben Sie begonnen, Sie sehen aus, als hätten Sie aus dem Quell der Jugend getrunken, Sie sind wieder die blendende, fascinirende Diogena, die ich zuerst in Baden-Baden erblickte. Das sind nun doch fast ein zehn Jahre her.«

Das Entzücken des Fürsten freute mich, aber seine letzte Aeußerung machte mich pensive. Zehn Jahre! ein Decennium rastloser, vergeblicher Anstrengungen – O, welch ein trauriges Loos war mir geworden! Ich gestand mir, daß ich sieben und zwanzig Jahre alt, daß ich nicht fern von der äußersten Grenze der Jugend sei. Das decidirte mich, um so schneller an die Realisirung meines Planes zu gehen.

Ich setzte ihn dem Fürsten auseinander, er hatte Capacität genug, ihn zu begreifen, obgleich er ihm nicht vollkommen angenehm war. Indessen mir zu folgen, war seine Vocation, wir erkannten es Beide dafür und ließen die Kameele am nächsten Morgen auf der Straße nach Kairo retourniren.[152]

Wir durchflogen Meere und Länder, Nichts reizte mich mehr, ich hatte ja schon Alles gesehen, und oft kam mir Lord Ermanby's Ausspruch in den Sinn, »man kann ja nicht immer wieder von Neuem anfangen zu bewundern.« In kürzester Zeit erreichten wir Deutschland und den Rhein. Die Anwesenheit eines Monarchen hatte die ganze schöne Welt an seinen Ufern versammelt. Eines Tages saßen wir in Koblenz an der table d'hôte, der Fürst und ich. Plötzlich sehe ich den Erstern erbleichen und höre, wie er sich bei dem Kellner erkundigt, ob keine andern Plätze für uns zu haben wären.

»Und was misfällt Ihnen an diesen, lieber Fürst?« fragte ich graziös lächelnd.

»O, ich meine wegen des vis-à-vis!« entgegnete er verlegen.

Ich nahm mein Lorgnon und blickte hinüber, da saß Graf Bonaventura, mein Mann, mit Aurora Elsleben, die er geheirathet hatte, wie ich wußte. Bonaventura schien überrascht und bewegt; Aurora war in sichtlicher Unruhe, man sah Beiden die Emotion ihres Innern an. Mich ließ es ganz kalt. Ich dachte an das Begegnen von des Fürsten Mutter, Gräfin Cornelie, mit ihrem frühern Geliebten Lenor Brand, und richtete mein[153] Lorgnon, als ob es gleichgültige Bekannte wären, freundlich grüßend, fest auf die mir Gegenübersitzenden. Und in der That, was ist uns ein Mann, den wir nicht mehr lieben? Warum haftet man an Impressionen des Herzens mit so ridiculer Consequenz? Männer sind für Frauen meines geistigen Ranges Mittel, sich durch die Langeweile des Lebens zu kämpfen. Wer aber ist thöricht genug, ein Ding festhalten zu wollen in der Pietät des Andenkens, das ihm Nichts mehr ist, weil er einmal glaubte, es könne ihm Etwas sein? Dies sind Schwächen kleinlicher Naturen, die mir vollkommen fremd sind.

Das Ehepaar war nicht auf dieser Seelenhöhe. Sie hielten kaum die Hälfte des Diners aus und entfernten sich. Der Fürst athmete auf. »Meine Gräfin!« sagte er, »wie froh bin ich, daß der Graf sich entfernte, ich litt für Sie.«

»Zu gütig!« rief ich lachend, denn ich befand mich vortrefflich und hatte niemals bessern Appetit.

»So quälte Sie die Anwesenheit Ihres Mannes nicht?«

»Sie war mir lästig, als er noch mein Mann war, jetzt ist sie mir indifferent. Lernen Sie doch endlich die Göttlichkeit meiner Natur begreifen. Ich behalte Alles, was mir schmeichelt, ich ignorire[154] Alles, was mir unbequem ist. Ich lebe nur im Moment, und die Vergangenheit versinkt spurlos in die Eisschluchten meiner immensen Seele, wie die unglücklichen Bergersteiger in den Eisspalten der Gletscher. Das ist der Vorzug einer immensen Seele.«

»Und das wird auch mein Loos sein?« fragte der Fürst.

»O, gewiß! wenn ich Sie nicht mehr brauche, wenn ich einen Remplaçant für Sie habe, ohne Zweifel!« rief ich mit entzückender Naivetät.

Der Fürst schien nachdenklich, aber ein süßer Blick meiner sammetweichen Augen verscheuchte seine Launen und er blieb wie immer befriedigt unter dem Lächeln meiner Huld.

Wir fuhren den Rhein hinab und schifften nach London über, wo wir einen längern Aufenthalt machen mußten, uns für die projectirte Excursion nach Nordamerika zu arrangiren. Ich kaufte eine neue Equipage, auf deren Thüre statt des Wappens mein Emblem, die trostlose Wüste, gemalt war. Oben über dem Wagen war von Gold die Laterne des Diogenes, meine Laterne, angebracht, die ich aus einer gewissen Superstition von jetzt an brennend zu erhalten beschloß. Ich ließ mir und dem Fürsten passende Costume machen[155] und dann schifften wir uns auf dem Great-Western ein.

Während der ganzen Reise verhielt ich mich absolut passiv, wie ein königlicher Tiger, der ruhig daliegt, bis die Zeit gekommen ist, in der er sein Opfer zu erreichen hoffen darf. Ich las alle Cooper'schen und Sealsfield'schen Romane, um die Sitten der Wilden kennen zu lernen, studirte die Sprache der Delawaren, und lernte alle Reden auswendig, welche Parthenia in Halm's miraculosem Sohn der Wildniß, dem Tektosagen-Häuptling Ingomar, hält.

So vorbereitet landete ich in Neuyork und trat meine Excursion in das Innere an. Man muß jetzt in Amerika lange reisen, ehe man Wilden begegnet; die Welt ist terribel civilisirt, nirgend mehr ein Zug lieblicher Sauvagerie. Als wir bis zu den Grenzen der von Europäern bewohnten Gegenden gekommen waren, ließ ich meine Equipage in einem der Blockhäuser und veränderte mein Costume in der Weise, daß es dem der Myrrha im unterbrochenen Opferfeste einigermaßen nahe kam. Der Fürst legte ein bequemes Jagdkleid an, nahm ein Paar Pistolen, eine Flinte und ein Seitengewehr mit sich, und so gingen wir, von einem Führer geleitet, den Urwäldern zu.

Als ich im Blockhause zum letzten Male in[156] den Spiegel schaute, mußte ich mir selbst bekennen, daß ich unwiderstehlich sei. Ich sah vollkommen wie eine indianische Squaw aus, ins Deutsch-Aristokratische übersetzt. Denn selbst in der leichten Bemalung meines Körpers, die aus lauter kleinen wunderlich verschlungenen Laternchen bestand, in dem Federschmuck meines Hauptes, in meinen Fuß- und Armspangen, wie in den Mokassins, welche der erste Schuhmacher Londons gearbeitet hatte, lag die ganze reizende Nonchalance einer nobeln Gräfin. Ich trug einen Plaid, den ich für alle Fälle mitgenommen hatte, einige Bouillon-Tafeln und verschiedene Confituren in einem Körbchen an dem rechten Arme. In der Linken hielt ich die brennende Laterne.

Es war hoch am Tage, als das flache Land, die fetten Wiesengründe zwischen den Flüssen sich in Waldungen zu verwandeln anfingen. Die Erhabenheit dieser Urwälder wirkte gewaltig auf mich. Riesenbäume verschlangen liebend ihre Aeste zu einem festen Dache, Blumen rankten sich daran empor und hingen wie Sterne von den höchsten Zweigen hernieder. Ein Teppich von weichem Moose bewegte sich elastisch selbst unter meinem federleichten Tritte. Einzelne Vögel wiegten sich in ruhiger Sicherheit auf den Aesten und ein[157] wunderbarer Duft voll entzückender Frische wehte durch die Luft.

Niedergeworfen von dieser Erhabenheit, sank ich in das Knie; unwillkürlich falteten sich meine Händchen zum Gebete, und auf Delawarisch sagte ich: O! Du mein Gott! der Du jeder Creatur das Glück der Existenz gewährst, der Du jedem Thiere ein Genügen gönnst, Du wirst ein Auge haben für eine Gräfin aus altem Hause, Du wirst ihr geben, was sie bedarf, ein immenses, nie dagewesenes Glück für ihre immense Seele! – O! es wäre unbarmherzig, es wäre ein immenses Unrecht an meiner Seele, könntest Du es mir versagen.

Ich erhob mich neugestärkt durch die Conviction der Erhörung. Ich war froh geworden und harmlos wie ein Kind. Ich fand die neue Position entzückend und sah mit klopfendem Herzen dem ersten Wilden entgegen. Unser Führer, der seit Jahren Handel trieb zwischen den letzten Blockhäusern und den ersten Wigwams, berichtete uns, daß wir uns einem solchen näherten.

Als es dunkel ward, hörte ich plötzlich einen leisen Ton, als ob ein scheues Reh durch die Zweige schlüpfe. Der Führer gab ein Zeichen durch eigenthümliches Pfeifen, ein ähnlicher Laut[158] antwortete ihm, und wie aus der Erde hervorgezaubert, stand die Gestalt eines Kriegers vom Delawarenstamme vor uns.

Ich hob die brennende Laterne in die Höhe und nahm mein Lorgnon, das ich natürlich nicht zurückgelassen hatte, um ihn zu beobachten. Es war eine Gestalt wie ein jugendlicher Antinous aus rothem Granit. Schwarze ruhige Augensterne tauchten aus der weißen Iris mit miraculöser Intensität hervor, die Nüstern seiner Nase hoben sich aristokratisch stolz, wie bei einem jungen Schlachtrosse; ich sah, ich hatte keinen gemeinen Krieger, ich hatte einen Häuptling vor mir. Da er fühlen mochte, daß ihm von uns keine Gefahr drohe, hielt er sich ruhig und erwartete die Anrede unsers Führers.

»Warum ist Coeur de Lion nicht bei seinem Volke im Wigwam, sondern einsam streifend zu dieser Stunde?« fragte der Führer.

»Weil die Blaßgesichter ihm den Frieden an seinem Feuer genommen haben, weil ihre Habsucht ihm das Land seiner Väter misgönnt.«

»Aber das Kriegsbeil ist begraben,« sagte der Führer.

»Die Blaßgesichter wissen, wo es liegt, und können es ausgraben zu jeder Stunde. Was wollen[159] der Jäger und die weiße Squaw in dem Schatten dieser Wälder?«

»Sie wollen wandern durch das Land des Delawaren hinab zu den großen Seen, und haben die Kleidung der rothen Leute angelegt, zu zeigen, daß sie in friedlicher Absicht kommen.«

Coeur de Lion sah uns prüfend an, die Waffen des Fürsten schienen ihm Zweifel zu erregen; da legte ich mich in das Mittel und sagte delawarisch: »Ist Coeur de Lion kein Sohn seines Volkes, daß er einem müden Weibe das Blätterlager und das Feuer seines Heerdes versagt, wenn sie ihn darum bittet?«

»Komm!« rief er, »und folge mir! Du hast die Haut der Blaßgesichter, aber Deine Zunge redet unsere Sprache und Deine Augen sind flammend und nächtlich dunkel, wie die großen Sterne am Himmel der Nacht. Laß die Männer zurück und Du sollst mit mir gehen zu dem Wigwam unseres Volkes in das Zelt unserer Weiber.«

Der Fürst hatte ein zauderndes Bedenken, ich war ohne alle Apprehension. Mit voller Zuversicht sagte ich Coeur de Lion, er möge vorgehen und ich wolle ihm folgen. Dieses Vertrauen schien ihn stolz zu machen. Er stieß jenes eigenthümliche »Hugh« aus, mit welchem die Indianer alle ihre Emotionen bezeichnen, und ging vor mir dem tiefen[160] Walde zu. Aber kaum waren wir einige Schritte gegangen, als mir glücklicher Weise einfiel, daß mein sale volatile und meine Nägelbürste in dem portativen Necessaire des Fürsten geblieben waren. Ich drehte also um, es mir zu holen, und schritt dann mit meinem Begleiter ruhig und anfangs schweigend vorwärts.

Es waren mysteriöse Sensationen, welche durch meinen Geist wogten. Tiefe Nacht und tiefe Stille lagerten sich über die Erde, nicht einmal unsere Fußtritte waren hörbar auf dem weichen Moose. Durch dichtes Gesträuch führte mich Coeur de Lion mit einer Sicherheit, als ob wir im Bois de Boulogne spazierten. Vorsichtig bog er jeden Zweig zurück, der mich hindern konnte, und blickte mich an, als wolle er sehen, ob ich Nichts entbehre. Ich hatte im Cooper gelesen, daß die Indianer die Schweigsamkeit auf Märschen estimiren und richtete danach mein ganzes Maintien mit jener vornehmen Entschlossenheit ein, die eigentlich ein angeborenes Zeichen der Aristokratie ist. Dies imponirte dem jungen Häuptlingssohne, denn daß er dies wirklich sei, hatte der Führer uns mitgetheilt.

Wir waren wol schon anderthalb Stunden gegangen, mich fing zu dursten an und ich verzehrte[161] heimlich etwas chocolat praliné, als der Delaware sich umwendete. »Die Füße der weißen Frau sind klein und der Weg ist lang,« sagte er, »wird ihre Kraft reichen, sie bis zum Wigwam zu bringen?«

»Wenn der Häuptling die Straße sieht in der Dunkelheit der Nacht, daß er die weiße Frau nicht irre führt, so soll ihre Kraft die Squaws seines Volkes beschämen.«

»Der Delaware kennt seine Straße und die Augen der weißen Frau können sie ihm erleuchten, denn sie sind hell!« entgegnete er.

Mein Herz klopfte in vorahnender Freude. O! dies war eine Erhörung meines heißen Gebetes. Gleich in dem ersten Wilden, dem wir begegneten, sandte er mir den Ersehnten entgegen. Die Zeichen konnten nicht trügen. Warum war es ein Fürst seines Volkes, der an jenem Abende die Wacht in den Wäldern hielt, wenn ihn nicht ein günstiges Geschick in meinen Weg schicken wollte. Ja, nur die ungebrochene Kraft des Männerherzens konnte die Blüthe der Liebe erzeugen, die ich suchte. Wohl war ich Friedrich's erste Liebe gewesen, wohl hatte er mir die frische Gluth seines Herzens geweiht, aber nur sein Herz war mein. Sein Geist gehörte nicht mir allein, es lebte noch Etwas in ihm außer mir, er hatte Erinnerungen, Intensionen,[162] Plane, die nicht mit mir zusammenhingen. Das war ein Malheur. Dieses Delawaren Seele war rein, ein leeres Blatt, ein großer Tempel, auf dessen Altar nur die Gottheit fehlte – er war es werth, in seiner frischen Naturwüchsigkeit, das Bild Diogenens allein in sich aufzunehmen.

In tiefer Mitternacht langten wir vor dem Wigwam an. Einzelne Feuer brannten umher, die Wölfe fern zu halten. Das rothe Licht der Flamme beleuchtete magisch die dunkeln, grünen Baumhallen, die Zelte sahen wie davon vergoldet aus. Ein leiser Anruf der Wachen und wir schritten in das Lager ein.

Coeur de Lion führte mich an eines der größern Zelte, hob das Bärenfell empor, das davor herunterhing, und hieß mich eintreten. Er schritt mit einer brennenden Kienfackel neben mir und schickte die anwesenden Weiber und Kinder heraus. »Hier ist die weiße Frau sicher, wie in dem Hause ihres Vaters,« sagte er, steckte die Fackel zwischen das Laubgeflecht der Innenwand und wollte sich entfernen.

Dies war gegen meine Erwartung. Ich gestand ihm, daß ich lange keine Speise erhalten hätte und daß ich deren bedürfte. Er ging hinaus und kehrte bald mit einem gerösteten Rehrücken, einem Kruge Wasser und einer Flasche Arack zurück.[163]

In dem Hintergrunde der Höhle befand sich ein duftiges Lager von frischem Sassafras, auf dem ich mich niederließ. Draußen um das Zelt hatten sich indeß eine Menge neugieriger Männer und Weiber versammelt, die nur durch die Autorität des Coeur de Lion von dem Eintreten zurückgehalten wurden.

Ich nöthigte den jungen Häuptling, sich neben mich niederzusetzen und dies frugalste aller Soupers mit mir zu theilen. Er that es, und ich versuchte ihm geistig näher zu treten, während wir aßen.

»Warum kehrt keine der Frauen zurück, die weiße Frau zu begrüßen unter dem Wigwam ihres Häuptlings?« fragte ich.

»Coeur de Lion hat keine Frau, und auch die Frauen seines Vaters sind todt. Seine Mutter ist heimgegangen in die Wohnungen des großen Geistes und die andere ist getödtet worden, weil sie ungehorsam war den Befehlen ihres Mannes.«

»Und der junge Häuptling hat keine Todtenklage für sie? Er hat keine Liebe für sie?«

»Was ist das, Liebe?« fragte er, während er mit miraculoser Gourmandise die Knochen des Rehes benagte.

Diese Frage elektrisirte mich. Sie war das Stichwort, das Centrum aus Halm's Sohn der[164] Wildniß, und mit Parthenia antwortete ich sogleich:


Zwei Seelen und ein Gedanke, zwei Herzen und ein Schlag! –


Ich hatte von dem Herzensinstinkt des Häuptlings erwartet, daß er nun wie der Tektosage Ingomar weiter mit Fragen über dies interessante Sujet in mich dringen werde, aber so war es nicht. Ach! das Leben bleibt überall hinter unsern gerechtesten Prätensionen zurück. Der junge Wilde sah mich ganz bewildert an, schlang ein horribles Stück des Rehes hinunter und trank die Hälfte des Aracks dazu.

Aber ich wollte mich nicht decouragiren lassen, obgleich diese Verocität des Jünglings mir so degoutant erschien, daß ich zu meinem sale volatile meine Zuflucht nehmen mußte; galt es doch die Entwickelung einer primitiven, nobeln Natur zu unserer Beider höchstem Glücke.

»Hat Coeur de Lion nie daran gedacht, ein Weib zu suchen, die ihm sein Haupthaar flechte und seinen Kopf ruhen lasse auf ihren Knien, wenn er heimkehrt, beladen mit der Beute der Jagd und dem Wampum, geziert mit den Skalpen seiner besiegten Feinde?«

»Es ist noch nicht Gras gewachsen auf dem Grabe seines Vaters,« antwortete er, »aber ehe[165] es hoch genug ist, die Sohle seines Mokassin zu bedecken, wird Coeur de Lion sich Weiber gefunden haben; denn der Weiber sind viele und der Häuptling besitzt Felle und Reichthum genug, sich die schönsten zu kaufen.«

»Und wenn aus den Wolken hernieder, aus den Wohnungen des großen Geistes ein Weib herniederstiege in den Wigwam des Häuptlings, ihm gesandt vom großen Geiste, eine schöne weiße Frau, um in freier Liebe, ohne Kaufpreis sein eigen zu sein, was würde der junge Häuptling ihr bieten?«

Mein Herz zitterte vor seiner Entscheidung, diese Antwort mußte mir ausdrücken, auf welcher Stufe geistigen Developements er stände. Er sah mich an mit einem Ausdruck gänzlichster Bewilderung, er hatte mich gar nicht verstanden. O, in solchen Positionen hat die Civilisation doch ihr Gutes. Es ist so süß, verstanden zu werden. Meinem jungen bewilderten Wilden mußte ich es deutlicher machen.

»Coeur de Lion,« sagte ich, ein unbarmherziger Häuptling, dem mich mein Vater verkaufte, hat mich verjagt aus seinem Wigwam und mein Volk hat mich verstoßen.«

»Ein Weib, das ihr Herr verjagt, verdient nicht mehr zu leben bei ihrem Volke, Dein Volk hat recht gethan,« entgegnete Coeur de Lion.[166]

»Aber die weiße Frau irrt heimathlos durch die Wälder und sucht ein neues Leinwandhaus und einen neuen Herrn. Will Coeur de Lion sie behalten und sie seine Magd sein lassen an seinem Feuer?«

Der Häuptling fuhr auf von dem Lager, eine plötzliche Gluth loderte in ihm empor. »Die weiße Frau gefällt dem Auge des Häuptlings, sie soll bei ihm bleiben,« sagte er. »Sie soll sein Wasser schöpfen, sein Kornfeld hacken und sein Wildpret kochen, sie soll ihn pflegen, wenn er von seinen Kämpfen heimkehrt, sie soll sein Weib werden, und seine Kinder tragen auf ihrem Rücken, und er wird schlafen in ihren Armen.«

Coeur de Lion schwieg, und ich wartete doch auf die Fortsetzung seiner Rede, auf die Aufzählung der Compensationen, die er mir dafür zudenke, aber er war zu Ende, wie es schien. So mußte ich mich entschließen zu sprechen.

»Und was wird Coeur de Lion der weißen Frau dafür gewähren, wenn sie sein Wasser schöpft, sein Kornfeld hackt und sein Wildpret kocht?« fragte ich.

»Sie soll sich wärmen an seinem Feuer, sie soll sich sättigen von den Ueberbleibseln seines Mahles und sie soll sein Weib sein.«[167]

»Und wird er sie lieben, wie er den großen Geist liebt, wird er sie ehren und anbeten wie ihn?«

»Der Delaware ehrt den großen Geist, denn der große Geist ist furchtbar und kann ihn strafen und ihn vernichten; aber der Delaware ehrt nicht ein Weib, denn es ist ein schwaches Weib und er verachtet die Schwäche.«

»Und wird der Delaware kein Weib kaufen, wenn die weiße Frau sein Eigenthum wird?«

»Die weiße Frau ist schön und gefällt dem jungen Häuptling,« antwortete er, »aber es sind schon viele Lenze und viele Winter über ihrem gelben Haupthaare hingezogen. Er wird sie behalten, so lange ihr Haar gelb ist und sie seinem Auge gefällt, und wenn ihr Haar grau wird, will er sie nicht tödten, sondern sie leben lassen und jüngere Frauen kaufen.«

Mir schauderte vor dieser unbezwingbaren Roheit. O, wo blieben meine Hoffnungen! was fand ich in dieser horribeln Realität von den Idealen Cooper's? Wo fand ich die Perfectibilität des jungen Tektosagenhäuptlings? Ich begriff die geschmacklose Unwahrheit jenes Gedichtes, ich fluchte ihr, denn sie hatte mit zu meiner Excursion beigetragen. Ich verzweifelte daran, diesen Barbaren in so viel Monaten zu civilisiren, als Parthenia[168] Secunden gebraucht hatte. Ich sollte Waffen und Kinder tragen, Sklavin sein! und der Tektosage trug für Parthenia ein Körbchen Erdbeeren und zerbrach seine Waffen, ihr ein Feuer daraus zu machen!

Ich konnte die Thränen nicht unterdrücken, Thränen des Zornes, der bittersten Enttäuschung. Coeur de Lion sah es. Er trank den Rest seines Aracks hinunter und sagte, sich zu mir wendend und seine Arme nach mir breitend: »Warum weint die weiße Frau? Der Häuptling will sie ja behalten und gleich jetzt sollen die Männer seines Volkes den Hochzeitsgesang für ihn anstimmen. Noch an diesem Tage, dessen Sonne emporsteigt, soll sie sein Weib werden.«

Mit tiefer Indignation über seine Insolenz stieß ich ihn von mir, er schien dies nicht zu achten und fragte mich verwundert: »Warum weigert sich das Blaßgesicht, mein Weib zu werden, da es zu mir kam in dieser Absicht?«

Ich war außer mir, ich empfand, daß er nicht eine Ahnung habe von den erhabenen Intentionen, welche mich in die Wälder geführt hatten, ich warf mich vor ihm nieder, umklammerte seine Kniee und sagte ihm Alles, was mein Herz mir eingab. Ich sprach von dem Leid verkannter Frauenherzen mit der Inspiration einer Prophetin, er verstand es nicht. Ich blickte nach der Thüre und[169] dachte an Flucht. Der Delaware beobachtete mich scharf, er schien meine Gedanken zu errathen. »Coeur de Lion ist leichtfüßig wie der Hirsch und sein Auge scharf wie das Auge des Luchses. Wohin will das weiße Weib sich flüchten, ohne daß er sie entdeckte und einholte?« sagte er lächelnd.

Da faßte ich eine Resolution. Ich ergriff den Tomahawk, der in der Ecke lehnte, und rief, ich wolle mich tödten. Und wieder lachte der Barbar höhnisch bei den Worten: »Die Hand der weißen Frau ist klein und der Tomahawk ist schwer.«

Er nahm ihn mir spielend aus den Händchen und band mir diese auf den Rücken zusammen. Dann sah er mich ruhig an und rief, indem er hinausging: »Die weiße Frau zieht morgen mit uns in das Innere der großen Wälder zu den Winterquartieren des Volkes. Drei Tage wird der Häuptling warten, ob sie ihn bittet, sein Weib zu werden; am vierten Tage wird sie sterben, wenn sie es weigert, denn Coeur de Lion ist kein Blaßgesicht, das erzittert vor den Thränen eines Weibes.«

Die Angst, die Qualen dieser drei Tage waren über jede Schilderung groß, und nirgend eine Aussicht auf Rettung. Ich war meines Erfolges in der Männerwelt so gewiß gewesen, daß ich den Fürsten gebeten hatte, mich ruhig im Blockhause[170] zu erwarten. Ich sah nur zwei Auswege, beide gleich entsetzlich. Ich konnte mich nicht entschließen, die Frau dieses Barbaren zu werden, dessen unsoignirte Hände mir ein Horreur waren, wie sein Branntweintrinken und sein Tabackrauchen; und ich wollte nicht sterben. Ich war ja noch jung und meine Mission noch nicht zu Ende, ich hatte ja den Rechten noch nicht gefunden, die Laterne des Diogenes durfte noch nicht erlöschen.

Die Nacht des vierten Tages war ihrem Ende nahe. Mit wunden Füßchen ruhte ich in dem Zelte des Häuptlings, umgeben von einigen Weibern des Stammes, deren wüstes Schnarchen mein Ohr beleidigte. Man hatte mich gezwungen, bei den Vorkehrungen zu den Mahlzeiten zu helfen, ich hatte kochen, Wasser tragen und Arbeiten verrichten sollen, von denen meine Händchen bluteten. Wie wenig glichen sie jetzt weißem Mousselin mit Rosa-Taffet gefüttert. Die forcirten Märsche, die widerwärtigen Nahrungsmittel, die ich, durch Hunger gezwungen, zu mir nehmen mußte, hatten meine Nervosität auf das Höchste gesteigert. Ich fieberte und drohte den Fatiguen und der Angst meiner immensen Seele zu unterliegen. Todesbang spähte ich nach der Thüre und ein Schrei der Verzweiflung rang sich aus meiner Brust, als[171] die ersten Schimmer des Tages in das Zelt fielen und der Häuptling eintrat.

Die Körper- und Seelenleiden mochten meine Schönheit alterirt haben. Der Häuptling blickte mich prüfend an, und wendete sich dann mit einem Blicke von mir ab, den ich mir nicht zu deuten wußte, während er befahl, die Zelte abzubrechen und sich zum Marsche zu rüsten. In wenig Momenten war dieser Befehl executirt. Die Weiber beluden sich mit dem Gepäcke und machten sich auf den Weg, die Krieger gingen theils voraus, theils zur Bedeckung hintennach.

Von mir nahm Niemand Notiz; ich blieb allein zurück mit dem Häuptlinge, ahnend, daß er meinen Tod nun vollziehen werde, wenn ich länger seinen Wünschen Widerstand leistete.

Wie ein strenger Richter, wie ein junger Kriegsgott im Stolze seiner vollkräftigen Männlichkeit stand er vor mir. Ich mußte, so sehr ich ihn fürchtete, mir in diesem Momente gestehen, daß er von admirabler Schönheit und sein Maintien, so weit es bei einem Wilden möglich, vollkommen das eines Gentlemans sei. Weinend warf ich mich ihm zu Füßen – O! das war ein schwerer Moment. Ich, die göttliche Gräfin Diogena, vor der die Elite der civilisirten Nationen gekniet, kniend[172] zu den Füßen eines hochmüthigen, unbezähmten Sohnes der Wildniß. Der ganze prächtige Stolz des aristokratischen Weibes revoltirte sich dagegen und doch mußte ich knien.

Er betrachtete mich und meine Thränen mit supremer Verachtung, dann sagte er: »Das weiße Weib ist in wenigen Tagen alt geworden und krank in der Freiheit der Wälder. Es ist die frische Luft des großen Geistes nicht werth, nicht mehr werth, das Weib des jungen Kriegers zu werden, der die kranke Frau nicht begehren kann. Sie kann nicht kochen und nicht die Waffen tragen, sie weint und würde elende, feige Memmen gebären. Sie mag heimgehen zu den Städten der elenden Blaßgesichter, für deren Männer sie gut genug ist, mit ihren zitternden Händen und ihren Thränen. Coeur de Lion wird sich ein gesundes, junges, schönes Weib seines Stammes kaufen. Die schwache, weiße Frau ist ihm ein Greuel!«

Stolz wendete er sich ab, rief einen alten Krieger seines Stammes herbei und befahl ihm, mich an das Blockhaus zurückzugeleiten. Fast sterbend erreichte ich es, der Fürst kannte mich kaum wieder. Tage und Wochen hindurch lag ich in einem Zustande, der es nicht gestattete, mich nach[173] Neuyork zurückzubringen. Meine Seele litt mehr noch als mein Körper.

Im Frühjahr war ich so weit genesen, daß ich Neuyork verlassen konnte. Der Fürst führte mich nach Bagnères. Meine Nervosität war unglaublich, er blieb ewig voller Soins für mich, was ich natürlich in der Ordnung fand. Ich war sehr sauvage geworden, ich hatte eine Apprehension meinen Bekannten zu begegnen, wegen des Changements, das in Folge aller meiner Aventuren in meinem Aeußern visibel geworden war. Mein Körper war sehr debil und doch lebte die alte ungestillte Sehnsucht in meiner Seele noch in all ihrer Intensität.

Ich fing an, Astronomie zu studiren in der Einsamkeit, in der ich lebte. Ich strengte die ganze Kraft meines Geistes an, zu combiniren, ob ich vielleicht auf andern Sternen das Ziel meines Strebens erreichen könne. Ich las Alles, was über die Bewohner des Mondes geschrieben ist und erkundigte mich nach der Construction eines Luftballons, um zu wissen, ob man diesen mit Comfort für längere Reisen versehen könne.

Bisweilen war ich unglaublich maussade, der Fürst selbst impatientirte sich. Er war es müde, da er auch nicht mehr ganz jung war, den Cavaliere[174] servente zu machen, und ewig auf Reisen und an den Ruheorten für meinen Comfort zu sorgen, ohne selbst den geringsten zu genießen. Er hatte jetzt oft Momente, in denen er mir Vorwürfe machte, über Langeweile klagte und davon sprach, sich auf seine Güter in Steiermark zurückzuziehen, die er um meinetwillen negligirt hatte.

Ein solcher Tag war es, an dem wir Beide moros dasaßen. Ich dachte über die Möglichkeit nach, den Rechten zu finden, und die ganze Trostlosigkeit des Alters dehnte sich vor mir aus, während ich mir es vergegenwärtigte, was aus mir werden solle, falls ich ihn nicht entdeckte. Ich war noch jung, aber durch Leidenschaft und Strapazen usirt, vollkommen passirt. Rosalindens Nachhilfe bei meiner Toilette wurde immer nöthiger. Meine immense Seele war leerer denn je. Ich fing bisweilen an, zwischen meinen astronomischen Studien, bei dem Scheine meiner ewig brennenden Laterne, die Bibel und andere Erbauungsbücher zu lesen. Ich suchte mit Verzweiflung die Spur, die Andeutung des Rechten in der Apokalypse; ich dachte daran, ob vielleicht der Heiland der Rechte sei, den ich zu finden verlangte.

Mitten in diesen Meditationen unterbrach mich der Fürst mit der Nachricht der Einnahme von[175] Canton, die er in einem Zeitungsblatte entdeckte. Ein Lichtstrahl fiel in meine Seele. »Nach Canton!« rief ich aus.

Der Fürst sah mich an und sagte ruhig: »Dann gehe ich nach Steiermark.«

Ich war empört. »Mein Freund,« rief ich, »soll ich auch an der absoluten Treue verzweifeln, da ich schon so unglücklich war, die rechte Liebe nicht zu finden? Sehen Sie, Sie dürfen mich jetzt nicht abandonniren, in China, jenseits der großen Mauer, muß ich ihn finden. Es ist incomprehensibel, daß ich darauf nicht lange gekommen bin. Die Chinesen sind die wahren Aristokraten. Sie haben die kleinsten Füßchen, die soignirtesten Nägel, die magnifiksten Bärte und keine Spur von Liberalismus. Bei so viel ungemeinen Vorzügen muß auch die Liebe zu finden sein, die endlich meine Seele füllt. O, eine unaussprechliche Zuversicht kommt über mich, nur diese eine Reise noch, mein Freund, nur diesen Reiseversuch nach China und –«

»Und?« fragte der Fürst.

»Und wenn ich den Rechten dort nicht finde, so werde ich Ihre Frau bei meiner Rückkehr, und begnüge mich, die Treue zu belohnen, da ich Niemand fand, der mich lieben zu lehren verstand.«

»Ich hoffe, Sie finden die Liebe, meine Gräfin!«[176] sagte er ruhig, »denn nach der Belohnung der Treue gelüstet mich nun nicht mehr.«

»Und Sie folgen mir dennoch? Und weshalb?« fragte ich. »Aber das ist sublim, lieber Fürst!«

»Bah! meine Gräfin!« entgegnete er, »was wollen Sie? Ich habe die Caprice der Fügsamkeit, und da ich Nichts zu thun habe, ist es ebenso gut, sich in China zu langweilen als anderwärts. Lassen Sie uns reisen.«

Wir schifften uns in London mit der ersten Handelsexpedition ein, die nach China absegelte.


So weit gehen die Memoiren der unglücklichen Frau, die weitern Nachrichten verdanken wir theils eigener Anschauung, theils den Mittheilungen eines Arztes, der in der Nähe von Paris Vorsteher eines Irrenhauses ist.

Wir hatten verschiedene Höfe und Zellen durchwandert, als wir an der Ringmauer der Anstalt ein kleines Häuschen mit einem äußerst sauber gehaltenen Gärtchen erblickten, das auf wunderliche Weise mit kleinen chinesischen Tempeln und andern Spielereien der Art besetzt war. Es mochte etwa Mittag sein, die Sonne stand hoch am Himmel, dennoch ging die Bewohnerin des kleinen Besitzes,[177] eine zusammengefallene, von Leiden gealterte Person, mit einer eigenthümlich geformten, brennenden Laterne umher und schien unruhig Etwas zu suchen. Ihr starrer Blick, ihre Rastlosigkeit hatten viel Trauriges für den Beschauer. Wir fragten, wer sie sei?

O! sagte der Doctor, ein geistreicher junger Mann, dies ist die einst durch ihre Schönheit in den Sälen der Gesellschaft bewunderte Gräfin Diogena. Ihr Wahnsinn ist das Product einer Geistesrichtung unter den müßigen Frauen der vornehmen Welt, die kaum ein anderes Resultat zuläßt. Unkluge Nachbeter der geistreichen George Sand haben in gänzlichem Misverstehen Dessen, was diese große Frau meinte und bezweckte, eine Theorie der weiblichen Selbstsucht geschaffen, deren Höhenpunkte in der deutschen Frauenliteratur jetzt erreicht sind. Die Frauen bilden sich ein, Ausnahmwesen zu sein und unfähig, etwas Anderes zu lieben, als sich selbst; sich für den Mittelpunkt der Welt haltend, fordern sie einerseits, wie die verderbten römischen Kaiser, göttliche Anbetung, und klagen andererseits, daß sie keinen Mann fänden, den sie zu lieben vermöchten. Sie verstehen ihren Egoismus nicht, und behaupten, nicht verstanden zu werden; sie sind unfähig zu lieben, und jammern, daß Niemand die Leere ihres Herzens und ihrer Seele fülle.[178]

Diese Gräfin Diogena ist durch die ganze Welt gereist, den Mann zu suchen, der ihr Herz ausfüllen, ihre Seele befriedigen könne: natürlich vergebens. Krank, und erschöpft, beschloß sie noch einen Versuch in China zu machen und langte glücklich dort an. Aber auch dort fand sie ihr Traumbild nicht, und dort entwickelte sich ein Fieberwahn zur fixen Idee, der sich schon auf der Reise mehrmals gezeigt hatte. Sie bildet sich ein, um der Sünden ihrer Voreltern oder um anderer Gründe willen verdammt zu sein, mit der Laterne des Diogenes den Rechten zu suchen, so nennt sie ihr Ideal, und meint, nicht eher sterben zu können, bis sie ihn gefunden haben wird.

Ein Fürst Callenberg, der sie begleitete, sah kaum eine Möglichkeit, sie in diesem trostlosen Zustande nach Europa zurückzubringen, als er in Canton einem gelehrten Deutschen, einem Professor der Anatomie, dem berühmten Friedrich Wahl, begegnete. Dieser hielt sich seiner Studien wegen in jenen Gegenden auf, und die Gräfin war während ihrer Entdeckungsversuche auch eine Zeit hindurch seine Geliebte gewesen. Gut und großmüthig wie er ist, jammerte ihn die traurige Lage der Frau, und mit seinem Beistande brachte der Fürst sie hierher, wo sie nun seit einigen Monaten lebt. Sie ist[179] fast immer ruhig, nur bisweilen tobt sie und schreit, daß sie den Rechten nicht fände. Dann muß man sie mit Strenge behandeln, bis der Paroxysmus vorüber ist. Sonst bringt sie ihre Zeit mit unschuldigen Toilettenspielereien hin, kauft Schuhe von den vorzüglichsten Fabrikanten, wäscht und putzt abwechselnd ihre Hände und ihre Laterne und gefällt sich in allerhand verbrauchten Minauderien und Koketterien, die uns eben nicht sehr gefährlich sind.

»Und haben Sie Aussicht, sie herzustellen?« fragte Einer von uns.

»Dasselbe wollte in diesen Tagen der Fürst Callenberg wissen, der nun auf seinen Gütern in Oestreich lebt. Wir haben aber nicht die geringste Hoffnung dazu. Wahnsinn aus Hochmuth und Egoismus pflegte immer unheilbar zu sein.«

Der Doctor führte uns weiter vorwärts; im Fortgehen wendete ich den Kopf nochmals nach der Wahnsinnigen zurück; sie suchte noch immer fort und wird suchen, bis sie stirbt. Es war ein unangenehmer, unheimlicher Eindruck.

Quelle:
Fanny Lewald: Diogena. Leipzig 1847, S. 145-180.
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