Zehntes Capitel

[274] Der Mond stand schon hell am Himmel, als der Abbé, von dem erzbischöflichen Palaste kommend, über die Brücke ging und sich dem schönen Uferwege zuwendete, an welchem das Palais der Herzogin gelegen war. Er hatte zu jeder Stunde des Tages Zutritt zu demselben, und auch jetzt befand er sich bereits vor dem großen Portale, aber als er die Schelle ziehen wollte, hielt er die Hand zurück. Er mochte Eleonore jetzt nicht sehen, er mochte Niemanden sehen; er mußte mit sich allein sein.

Er schlug den langen, schwarzen Mantel fest um sich und entfernte sich von dem Palaste. Bald langsam, bald in heftiger Bewegung ging er an der Seite des Flusses auf und nieder. Wie goldene Knospen schienen die funkelnden Sterne an den dichten und kahlen Aesten der Bäume zu hängen, die sich in vielfachen Reihen an dem Ufer hinziehen. Der Mond goß sein volles Licht über die prächtigen Gebäude aus, deren Fenster zum Theile hell erglänzten. Es war die Stunde, in welcher die vornehme Gesellschaft ihre Tafel hielt. Vor den einzelnen Häusern fuhren die Wagen vor, hier und dort öffneten sich gastlich die Flügel der Einfahrtsthüren. Die Stadt erschien, so weit man sie deutlich übersehen konnte, heiter und glänzend, und fern ab zeichneten sich die Spitzen der Kirchen unbestimmt und schattenhaft an dem nächtlich klaren Himmel ab.

Aber was jedem Anderen an dieser Stelle das Auge erfreut und den Sinn erheitert haben würde, was auch ihn sonst[274] mit Wohlgefallen erfüllt hatte, heute sah der Abbé es nicht. Ein gewaltiger Kampf durchwühlte seine Seele; in raschestem Wechsel zogen abenteuerliche Plane, wilde Vorsätze und Entschlüsse durch sein Gehirn, und aus der glühenden Leidenschaft, die in ihm brannte, loderten in einzelnen Augenblicken zuckend die Flammen der Verzweiflung in ihm empor. Und doch war es ihm nichts Neues, was er in sich wahrnahm. Er hatte auch nichts Unerwartetes erlebt. Warum traf es ihn denn so furchtbar, was er lange hatte kommen sehen? Warum zerriß sie ihm denn das Herz, die Entscheidung, die er längst getroffen hatte?

Seit er Eleonore gesehen, war er nie über die Empfindung im Zweifel oder im Unklaren gewesen, die sie in ihm wachgerufen hatte. Von früh auf zur strengsten Selbstprüfung gewöhnt, hatte er sich nicht darüber täuschen können, daß er sie mit glühendem Verlangen begehrte, daß er sie leidenschaftlich liebte, aber sein stolzer Sinn hatte sich nicht entschließen mögen, die Gefahr zu meiden; er hatte seinen geistigen Ruhm darein gesetzt, sich zu besiegen, und wie er bis dahin auf der Welt nichts Höheres gekannt hatte, als seine Kirche und ihre Macht, so hatte er sich gelobt, seine Aufgabe in ihrem Dienste zu lösen und ihr mit Verleugnung und Ueberwindung seiner selbst die starke Seele und das reiche Erbe Eleonorens zuzuführen und zu gewinnen.

Tage und Nächte hatte er mit sich gerungen in wildem Schmerze, in brünstigem Gebete. Er wußte, was Eleonore sich nie deutlich gemacht hatte, daß es nur eines Wortes von ihm bedurfte, um sie ihm anzueignen ganz und gar, und heute zum ersten Male fühlte er sich nicht sicher, daß er dieses Wort nicht sprechen, daß sein Blick ihr nicht verrathen würde, was in seiner Seele vorging.

Er sah sie, als er so umherwandelte, mit seines Geistes Augen deutlich vor sich, wie sie auf das Geständniß seiner Liebe[275] in seine Arme sinken, er kannte sie darauf, daß sie nicht zurückschrecken würde, mit ihm zu fliehen, um in irgend einem fernen Winkel der Erde sein Weib zu werden, das Weib des geweihten Priesters, des Meineidigen Weib. – Aber wer hinderte ihn, sich mit Offenheit von diesem Eide loszusagen? Wer hinderte ihn, einem Glauben zu entsagen, der seinem Menschenrechte, seiner Manneskraft und Würde unnatürliche Schranken setzte, unwürdige Gewalt anthat? Wer hinderte ihn, zu thun, was vor zweihundert Jahren, in den Zeiten der großen kirchlichen Umwälzung, Tausende von Priestern vor ihm gethan hatten? Was hielt Eleonoren ab, einem durch sie bekehrten Manne ihre Hand zu geben? Sie war unabhängig und reich genug, in Haughton Castle, in ihrem freien Vaterlande, von dem Gesetze unangefochten und die öffentliche Meinung stolz verachtend, glücklich mit ihm zu sein.

Die Stirn brannte ihm wie im Fieber, alle seine Pulse klopften. Trotz der winterlichen Kälte riß er den Mantel auf, entblößte er sein Haupt. Er fühlte seine ganze, ungebrochene Kraft in seinen Adern, er sah jetzt auch mit Einem Male die glänzende Anmuth der Stadt und der Gegend, er empfand die Schönheit dieser milden Winternacht. Unwillkürlich breitete er seine Arme aus, als wolle er sich mit der Natur vereinen, und ein Seufzer, der wie ein unterdrückter Aufschrei klang, riß sich aus seinem Busen los.

Es war vorüber! – Müde, wie einer, der aus einem ihn erschöpfenden Traume erwacht, ließ er sich auf eine der Bänke fallen, die unter den Bäumen stehen. Er stützte den Kopf in die Hand, sein Haupt sank schwer hernieder, schwer und still fielen ein paar glühende Tropfen aus seinen Augen auf die Wangen herab.

Nicht zum ersten Male hatte er den Kampf gekämpft, aus dem er jetzt wieder als Ueberwinder hervorging; nicht zum ersten[276] Male hatte sein Gewissen seine Phantasie bemeistert, aber noch nie zuvor hatte er so lebhaft wie heute den Wunsch gehegt, sich nicht gebunden zu haben oder jene ungebrochene Willenskraft, jene muthige Rücksichtslosigkeit der Menschen zu besitzen, die sich selbst als den Mittelpunkt der Schöpfung, ihr Wohlbefinden als den letzten Zweck derselben ansehen. Er? – Er konnte nicht vergessen, daß er von früher Jugend an gelernt hatte, sich als einen mitwirkenden Theil der großen Gemeinschaft anzusehen, welche sich das Recht der Herrschaft über die Geister zuerkennt, welche die Anwartschaft zu diesem Rechte aus Gottes Hand empfangen zu haben behauptet, aus der Hand des Gottes, dessen Anerkennung und Verehrung zu predigen die Aufgabe der katholischen Kirche ist. Wohin hatten sein Geist, seine Phantasie sich verirrt, daß er wachend in Träume verfallen konnte, die ein Verbrechen für ihn waren? Und was konnte andererseits die Kirche ihm denn bieten und gewähren, ihn schadlos zu halten für die furchtbare Entsagung, die er über sich genommen hatte?

Er schauderte zusammen, als er sich mit seinen Gedanken wieder auf demselben Wege, wieder auf denselben Bildern fand, von denen er sich gewaltsam abzuwenden beschlossen hatte. Er stand an dem Abgrunde, an welchem Mächtige gestanden hatten und zu Grunde gegangen waren, er erlebte und erlitt, was er selber über sich heraufbeschworen, als er sich die Kraft, die Festigkeit und den Glauben zugetraut hatte, die ihm alle jetzt versagten.

Immer wieder hatte er sich in diesen letzten Jahren wiederholt, daß er nicht zu der großen Masse jener entsagenden, demüthigen Seelen gehöre, die in frommem Glauben, in nicht wankender Hingebung an ein stilles Thun, ihres Geistes Befriedigung, ihres Herzens Beseligung genießen. Von früher Jugend auf hatten seine Lehrer und Meister ihm in der Schule und in[277] in den Seminarien ein weites, ein hohes Ziel gesteckt. Er hatte Herrschaft gewonnen, wo immer er mit Anderen in Gemeinschaft gewesen war, Herrschaft hatte ihm das höchste Glück, Herrschaft im Dienste der Kirche, die ihn trug, so lange er sie stützen half, das höchste, erstrebenswertheste Ziel gedünkt, und Herrschaft, Herrschaft über die Anderen, das hatte er immer gefühlt, war das Einzige, das Ersatz zu bieten vermochte für Selbstbefriedigung, für Liebe und für Glück.

Er kannte die Kirche und den Clerus, denen er angehörte. Er wußte, was der Abtrünnige von der Kirche zu erwarten hat. Er selber hatte in verschiedenen Fällen dazu mitgewirkt, dem Verirrten wie einem gehetzten Wilde die Wege zu verstellen, bis er müde und verblutend an dem Altare niedergesunken war, von dem er sich hatte entfernen wollen. Er fühlte sich nicht dazu geschaffen, solcher Verfolgung Stand zu halten, er konnte sich nicht vor sich selbst erniedrigen durch den nicht endenden Kampf, in welchen er sich unrettbar verstrickte, wenn er sich nicht überwand. Für ihn gab es nur Freiheit innerhalb des Bannes und des Eides, die er freiwillig und mit stolzem Ehrgeize über sich genommen hatte; und der bloße Gedanke, daß er als ein Büßender, als ein unwirksam Befundener, als ein Ausgestoßener vor denen stehen solle, die in ihm eine Kraft geehrt, in ihm einen künftigen Pfeiler der Kirche gesehen hatten und über die er sich einst zu erheben gehofft, ward endlich sein Erretter aus dem Zwiespalte, in dem er sich in dieser Stunde bewegt und ermattet hatte.

Aber der starke und gesunde Mensch reißt die schönste und gewaltigste seiner Kräfte, die Liebe, nicht aus seinem Herzen, ohne Schaden an seiner Seele zu leiden, und heute mehr als je zuvor hatte der Abbé es erkannt, daß er auf die Liebe nicht verzichten könne, ohne sich mit Wollust an die Herrschsucht hinzugeben, und daß es ihm nicht erspart sei, die Qualen der[278] Eifersucht zu leiden, auch wenn er darauf verzichte, für sich selber einen Anspruch an Glück zu erheben.

Oftmals schon hatte er es durchgekostet, wie nahe der Haß und die zum Entsagen gezwungene Liebe in ihm an einander grenzten, oftmals hatte er es mit dem kühlen Blicke eines Beobachters in sich wahrgenommen, wie die Grausamkeit sich der Seele bemächtigt, die keine milde Hoffnung für sich selber hegen darf. Warum sollte er das Weib nicht hassen, vor dem alle glückversprechenden Möglichkeiten offen ausgebreitet lagen, während er sich mit unlöslichem Eide von allen Freuden des Daseins geschieden hatte, ehe er vorausgesehen, das eine Eleonore Haughton leben und daß sie ihm der Güter höchstes, des Glückes begehrenswerthestes erscheinen würde?

Wenn kein Gebet, wenn kein noch so festes Wollen ihm Ruhe zu schaffen vermocht, dann hatte er mit grausamer Wonne daran gedacht, daß Eleonore einst die gleichen Qualen leiden werde; wenn er sich unglücklich gefühlt bis in das Innerste seines Herzens, so hatte der Gedanke ihm gelächelt, daß auch sie sich elend fühlen werde, die ihn also leiden machte, daß auch sie unglücklich sein werde, die ihn herunterzustoßen drohte von der Höhe, auf die er sich gestellt hatte und von der er in den Abgrund sinken mußte, wenn er nicht hoch über seinen jetzigen Standpunkt emporstieg.

Er hatte die Stunde der Entscheidung oft vorausgesehen, die jetzt an ihn herangetreten war. Er oder sie! – Denn sie glücklich zu sehen und zu entsagen, sie glücklich und frei zu denken, während er sich seinem Vorgesetzten als müßiger Knecht mit gebundenen Händen zu überliefern und in dumpfer Unterordnung enge, vorgeschriebene Wege zu gehen hatte, das überstieg seine Kräfte. Er oder sie! – Es gab kein Drittes! –

Er war schon lange wieder an dem Ufer umhergegangen. Die Nacht begann kalt zu werden, der Wind, welcher vom[279] Wasser aufstieg, strich ihm mit eisigem Hauche über die Schläfen hin. Er zog die Uhr heraus, es war später, als er es vermuthet hatte. Jetzt, er wußte es, jetzt befand sich Eleonore schon in dem Empfangszimmer ihrer Tante, jetzt erwartete sie ihn sicherlich. Er lächelte, als er sich ihr Bild vergegenwärtigte, aber wer dieses Lächeln hätte sehen können, hätte sich seines Ausdruckes nicht erfreut.

An der Ecke der Seitenstraße lag ein bescheidenes Speisehaus. Er hatte sonst nicht die Gewohnheit, ähnliche Orte zu besuchen, indeß die Aufregung machte ihn, da er die Mahlzeit versäumt hatte, nach Speise und Trank verlangen. Er ließ sich zu Essen geben, trank etwas Wein, ordnete mit rascher Hand sein reiches Haar, das durch die schnelle Bewegung seines langen Ganges in Unordnung gerathen war, und gefaßt und wieder seiner selber Meister, kehrte er auf der Straße, von der er gekommen war, nach dem Palaste der Herzogin zurück.

Es waren heute noch mehr Besucher als gewöhnlich in ihrem schönen Saale erschienen. Die auffallende Gunst, mit welcher der König sie bei der letzten Mittagsgesellschaft beehrt, hatte ihre Freunde eifriger als je gemacht, und jeder derselben schmeichelte sich mit der Hoffnung, daß es ihm gelingen werde, den Inhalt jener langen und geheimen Unterhaltung zu erfahren und sich darüber zu vergewissern, was von dem Gerüchte über die Freiwerbung Sr. Majestät zu halten sei. Die Gräfin allein schien nicht zu wissen, was die Uebrigen beschäftigte. Sie saß weit zurückgelehnt, so daß die schöne Länge ihres Leibes ersichtlich war, auf einem niedrigen Sopha, nahe an einem der beiden Kamine. Das Licht der Kerzen und das Licht des Feuers vereinten sich, sie magisch zu überstrahlen. Ihr Haar glänzte wie von einer Aureole umleuchtet, und nie meinte der Abbé sie schöner gesehen zu haben, als eben jetzt, da sie bei seinem Eintritte mit schneller Bewegung die Augen zu ihm wendete.[280]

Eine Gruppe von Männern umgab sie, der Prinz und der junge deutsche Freiherr saßen ihr zur Seite. Die Unterhaltung war heiter und lebhaft gewesen, wie sie es immer wird, wo die Männer zu gefallen wünschen und die Frau mit dem sicheren Bewußtsein ihrer Schönheit jede ihr dargebrachte Huldigung nur als einen schuldigen Tribut, ohne Dank und ohne besonderen Anreiz aufnimmt. Der Prinz hatte sich im Gefühle eines nahen Sieges freier gehen lassen, ohne daß die Haltung der Gräfin ihm dazu das Recht gegeben hätte, und kaum hatte der Abbé sich der Herzogin vorgestellt, so klagte Eleonore, daß die Gluth des Feuers sie belästige, und erhob sich.

Mitten in dem Saale traf sie mit dem Abbé zusammen. Ich habe Sie heute am Morgen und heute am Mittage vergebens erwartet, und Sie kommen spät! sagte sie im Tone des Vorwurfes. Es ist Ihr Wort, das ich Ihnen zurückgebe, Herr Abbé! Man soll uns nicht zur Gewohnheit werden lassen, was man nicht sicher oder nicht geneigt ist, uns dauernd zu gewähren!

Wie sie so neben einander standen, beide hoch und majestätisch gewachsen, daß Auge in Auge traf, beide mit herrischer Miene, war es kaum möglich, sich ein Menschenpaar zu denken, das mehr für einander geschaffen, mehr auf einander angewiesen zu sein schien, sei es, daß sie in Liebe oder in Abneigung zusammentrafen. Es war neben Eleonorens vollkommener Schönheit stets ihr Stolz gewesen, der den Abbé angezogen und ihn gereizt hatte, ihr seine Herrschaft aufzudringen, und man hätte sagen können, daß sie sich im Streite nahe getreten waren, daß sie im Widerstreben gegen einander ihre Herzen und ihren Geist verstrickt hatten, daß Sieg und Niederlage zwischen ihnen stets gewechselt hatten und beides ihnen zum Genuß geworden war.

Auch jetzt empfand der Abbé den alten Zauber wieder mächtig auf sich wirkend, aber er hatte Grund, sich demselben nicht mehr wie sonst zu überlassen, und auf ihre Anrede eingehend,[281] versetzte er: Schlimm genug für mich, daß ich aus meiner eigenen Erfahrung keinen Nutzen zog, daß ich sie nicht zu beherzigen verstand!

Was soll das heißen? fragte sie voll banger Ahnung, weil ihr in seinem Wesen etwas Fremdes entgegentrat.

Wir müssen scheiden, Eleonore! sprach er tonlos.

Er hatte sie niemals bei diesem Namen genannt, er hatte es stets vermieden, sie und sich als Einheit zu bezeichnen, und nun, da ihr Name, von seinen Lippen ausgesprochen, ihr mit unsäglicher Wonne das eigene Herz berührte, nun das beglückende »Wir« ihr von seinem Munde entgegenklang, nun sollte sie sich von ihm trennen – nun?

Scheiden? wiederholte sie. Und weßhalb das? – weßhalb?

Er blickte mit schnellem Auge um sich her; als er sah, daß Niemand nahe genug stand, seine Worte zu vernehmen, sagte er: Ich komme von Seiner Eminenz dem Erzbischof. Auf seinem Tische sah ich einen Brief von Ihrer Hand. Es war offenbar das kleine Billet, das Sie mir neulich gesendet und das ich nicht erhalten hatte. Ein Brief der Frau Herzogin lag daneben.

Eleonore erbleichte, aber ihre Fassung und ihr Selbstgefühl verließen sie nicht. Ich habe nie ein Wort geschrieben, sprach sie, das eines Anderen Blick zu scheuen hätte, und von Seiten meiner Tante überrascht mich nichts, wennschon....

Auch nicht, fiel der Abbé ihr leise in die Rede, daß sie gewagt hat, Ihnen, Ihnen, Eleonore, eine Leidenschaft anzudichten, deren Mitschuldiger ich sein sollte und die ein Verbrechen für mich wäre?

Er war selbst blaß geworden und die Stimme hatte ihm versagt, da er diese Worte aussprach. Sie trafen das Herz des unglücklichen Mädchens wie ein tödtender Blitz. Sie sah, sie entdeckte in sich, was sie sich bisher mit stolzer Scham verborgen[282] hatte. Sie fühlte die Flamme einer verzehrenden Leidenschaft in sich auflodern, und der Mann, der sie in ihr angefacht und genährt hatte, stand ihr kalt gegenüber, sprach zu ihr in einer Weise, als wäre es undenkbar, daß er jemals etwas für sie empfunden habe, etwas für sie fühlen könne.

Ihre Füße wankten, sie faßte krampfhaft die Lehne eines Sessels, der in ihrer Nähe stand, sie fürchtete, sich nicht aufrecht halten zu können; aber mehr noch als Alles peinigte sie der Gedanke, dem ungerührten Manne zu verrathen, was in ihrer Seele vorging, ihn ahnen zu lassen, was sie in diesem Augenblicke um ihn litt. Und die bleichen Lippen zu einem Lächeln zwingend, das ihr das Herz zerriß, fragte sie ihn: Deßhalb also will man Sie entfernen?

Der Abbé bejahte es. Die Thränen traten der Gräfin vor diesem kalten, nackten Ja in's Auge.

Freilich! das Scheiden von einer Freundin – das Scheiden von Eleonore Haughton – was ist das für Sie! sagte sie mit Bitterkeit.

Der Abbé ließ den vollen Strahl seines Auges in die ihrigen fallen, aber er schwieg.

So standen sie sich einige Sekunden gegenüber, und es dünkte Eleonore, als durchlebe sie eine lange Leidenszeit, denn großer Schmerz und große Freude rauben uns den wahren Maßstab für den Verlauf der Zeit. Es kam ihr vor, als sei der Augenblick lange her, in welchem sie das Wort, das niederschmetternde Wort von dem Munde des Geliebten vernommen hatte, als sei es lange her, daß sie sich allein gefunden, allein mit der verzehrenden Leidenschaft in ihrer Brust. Allein!

Nur das konnte sie nicht ertragen! Allein, ohne ihn konnte sie nicht leben. Und wie ein Versinkender verzagend und hoffend zugleich nach Rettung ausschaut, fragte sie: Und gibt es kein Mittel, keines, das Sie – mir erhält?[283]

Es war geschehen, sie hatte es ihm gesagt; aber besorgt, daß eben dieses Wort ihn bestimmen könne, sich von ihr zu trennen, fügte sie hinzu, als wolle sie ihn vergessen machen, ihn über dasjenige täuschen, was sie ihm eben verrathen und gestanden hatte: Ich weiß es, Sie verlassen Paris, den Hof nicht gern, Sie haben Hoffnungen an Ihren hiesigen Aufenthalt geknüpft. Gibt es kein Mittel, Ihre beabsichtigte Entfernung zu vermeiden? – Und wie von einer plötzlichen Eingebung ergriffen sprach sie: Ich will Paris verlassen, ich will in meine Heimath gehen! Sie sollen bleiben. Ich will gehen!

Das jedoch war es nicht, was der Abbé begehrte. Er schüttelte verneinend das Haupt. Fassen Sie sich, Gräfin, man beobachtet Sie und mich! sagte er leise. Ihre Entfernung von Paris würde nichts in meiner Lage ändern, nichts! Aber einen Ausweg gibt es, Einen! – Er zögerte, als falle es ihm schwer, ihr denselben zu nennen. Endlich, da sie auf seine Antwort bange harrte, sagte er: Nehmen Sie die Hand des Prinzen an, für den der König selber morgen um Sie werben wird!

Unmöglich, unmöglich! rief die Gräfin so laut, daß die Anwesenden alle es vernahmen.

Aber sie und der Abbé schlugen wie auf eine Verabredung ein Lachen auf, und mit lachender Miene fügte Eleonore leise hinzu: Soll ich der Herzogin den Triumph bereiten? Soll ich mich der Herrschsucht wider mein Empfinden in die Arme werfen, vor der Sie selbst mich warnten?

So treffen Sie schnell eine andere Wahl, Sie sind Herr darüber! warf der Abbé ihr ein.

Aber wen – wen? fragte die Gräfin, der in der Angst ihres Herzens und in der Verwirrung dieses Augenblickes jedes Mittel erwünscht kam, welches sie vor der Trennung von dem Abbé bewahren und ihm beweisen konnte, daß für ihn kein Opfer ihr zu schwer sei.[284]

Der Abbé wendete das Haupt in das Zimmer und zu der Gruppe zurück, welche die Gräfin vorhin verlassen hatte. Eine Frau wie Sie, sagte er, wird schwerlich einen Mann finden, der sie verdient; aber es müßte mich Alles täuschen, oder der Freiherr von Arten weiß es, was Sie werth sind, und seine liebende Verehrung wird mir den Antheil an Ihrer Freundschaft nicht mißgönnen. Er ist ein Mann von Ehre und er liebt Sie, Gräfin, dessen bin ich sicher!

Sie konnte ihm nichts erwiedern. Der Ausdruck der Verzweiflung und der Liebe, mit dem sie zu ihm emporsah, drohte, ihn seiner Fassung zu berauben, und sich vor ihr verneigend, sagte er so laut, daß die Anderen ihn vernehmen konnten: Denken Sie daran, Gräfin, wir sprechen mehr davon!

Dann wendete er sich zu den Uebrigen, und auch Eleonore kehrte, wie hart ihr das auch ankam, zu ihrer früheren Unterhaltung zurück.[285]

Quelle:
Fanny Lewald: Gesammelte Werke. Band 6, Berlin 1871, S. 274-286.
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