Vierzehntes Capitel

[320] Vierundzwanzig Stunden nach dieser Unterredung waren die großen äußeren Thüren des herzoglichen Palastes, die gastlich offen standen, wenn die Herrschaft anwesend war, geschlossen. Die Dienerschaft zog an den Fenstern, welche nach dem vorderen Hofe gelegen und zum Theil in den oberen Stockwerken von der Straße aus sichtbar waren, die Gardinen zu und ließ die hölzernen Vorhänge herunter. In dem stillen, nach dem Garten hinaussehenden Schlafzimmer der Herzogin wachte man an dem Lager der Greisin, deren feste Natur diesem Stoße sich doch nicht gewachsen gezeigt hatte. Der Arzt, den man herbeigerufen, als die Herzogin vom Hofe gekommen war, hatte ihren Anfall für einen Herzkrampf, ihren Zustand bei ihren hohen Jahren für sehr bedenklich erklärt. Es konnte von ihrer Abreise die Rede nicht sein, obschon sie darauf bestand, dem Könige auch in dem Befehle, den er ihr im Zorne gegeben hatte, pünktlich zu gehorsamen. Man mußte also auf ihre Anordnung dem Palais wenigstens das Ansehen geben, als habe sie es verlassen, und selbst ihrem alten Freunde und dem Prinzen, die gekommen waren, nach ihr zu fragen, verweigerte man auf ihren ausdrücklichen Befehl den Zutritt zu ihr. Sie mochte sich in der Ungnade, die sie getroffen hatte, von Niemandem sehen, von Niemandem beklagen lassen. Sie versagte Anfangs sogar, Arzenei und Speise zu nehmen; man war übel mit ihr daran.

Eleonore war mit Tagesanbruch abgereist. Sie hatte noch[320] an dem verwichenen Abende einen Paß für sich und ihre Bedienung gefordert, und da der englische Gesandte, ein Freund ihrer verstorbenen Mutter, von dem Vorgange im Schlosse Zeuge gewesen war, hatte er sich selbst noch zu ihr begeben und ihr seine Dienste angeboten, falls sie irgend eines Rathes oder Schutzes bedürftig sei. Er hatte sich bei der Gelegenheit die Frage erlaubt, ob ihr Verlobter ihr bald nach England folgen werde, ob sie ihn später nach Deutschland zu begleiten gedenke, und gleich unfähig, sich der Unwahrheit anzuklagen, wie eine Aeußerung zu thun, die ein falsches Licht auf Renatus werfen konnte, hatte sie dem Gesandten ohne alle Erläuterung erklärt, daß von einer Verbindung zwischen ihr und dem Freiherrn nicht mehr die Rede sei. Das hatte ihre Lage noch verschlimmert, und nicht nur in den Sälen des Faubourg Saint Germain, sondern auch in den Kreisen, die dem Hofe nahe standen, boten die Ungnade, in welche die Herzogin von Duras gefallen war, und die Verweisung der bis dahin so gefeierten Gräfin Haughton in den nächsten Tagen und Wochen den Gegenstand der Unterhaltung, den Stoff für die abenteuerlichsten Vermuthungen dar.

Renatus spielte in denselben bald diese, bald jene Rolle. Die Einen behaupteten, die Gräfin habe in Bezug auf ihn Entdeckungen gemacht, die ihm zur Unehre gereicht und sie bewogen hätten, ihre Verlobung mit ihm zu lösen; Andere wollten wissen, daß der Freiherr hinter einen Liebeshandel der Gräfin gekommen sei, dem er habe zum Deckmantel dienen sollen, und die Zahl derjenigen, welche diese Meinung aufrecht erhielten, wuchs mit jedem Tage. Man sprach davon, daß sie seit ihrer Kindheit einen Sohn ihrer Amme, dem man eine gewisse Erziehung gegeben hatte, zu ihrem Diener gehabt habe. Man erinnerte sich, daß derselbe ein schöner Mensch gewesen sei, daß die Gräfin ihn immer mit Auszeichnung behandelt und ihn auch jetzt wieder mit sich genommen habe, obschon eben in diesem[321] Augenblicke ein älterer Diener eine passendere Begleitung für sie gewesen sein würde. Wenn gegen solche Gerüchte sich auch die Stimme der Personen, die Eleonoren nahe gestanden hatten, mit Entschiedenheit und mit Entrüstung auflehnte, so gingen doch manche üble Andeutungen über sie durch die Presse in die Oeffentlichkeit über, und es waren, sonderbar genug, gerade die frömmsten Matronen, die vornehmen Frauen, welche denselben geistlichen Berather mit der Herzogin hatten, von denen jene böswilligen Gerüchte ihren Ausgang hatten und ihre Bestätigung erhielten.

Der Abbé von Montmerie ward bei diesem Anlasse nur in so fern genannt, als man sich wunderte, wie ein Mann von seiner Menschenkenntniß sich über den wahren Werth und über die Bedeutung eines jungen Frauenzimmers wie die Gräfin so völlig habe täuschen können. Als man des Ereignisses einmal zufällig selbst vor dem Erzbischof erwähnte, meinte derselbe, daß gerade der hohe und nur auf das Große gerichtete Sinn des Abbé's das Geringe am leichtesten habe übersehen können und daß eine so erhabene Seele wie die seinige am wenigsten dazu geneigt gewesen sei, das Unedle in Anderen vorauszusetzen. Er beklagte den Abbé wegen dieser übeln Erfahrung, freute sich, daß derselbe eben jetzt zufällig von Paris entfernt sei und daß es ihm also erspart werde, ein ohnmächtiger Zuschauer bei so schmerzlichen Ereignissen in dem ihm eng befreundeten Hause zu werden, und als die Anwesenden dem Herrn Erzbischof in dem günstigen Urtheile über den Abbé von Herzen beistimmten, als die Frauen sich sammt und sonders mit tugendhafter Entrüstung gegen Eleonore erhoben, forderte das milde Herz des Kirchenfürsten Nachsicht auch für die Verirrte. Er gab es zu bedenken, daß die Gräfin in einem unruhigen Reiseleben erzogen sei und daß ihr die Stütze gefehlt habe, welche jeder Mensch nur in dem Anlehnen an die Kirche und ihre ihn überwachende Gewalt[322] mit Sicherheit zu finden vermöge. Das räumte man ihm willig ein. Einem Mädchen, das unter der Aufsicht frommer Nonnen im Kloster erzogen worden, einem Mädchen, dem der Rath und die Aufsicht eines gewissenhaften Beichtigers zur Seite gestanden, hätten solche Abenteuer nicht begegnen können. Man entschuldigte endlich Eleonore mit einem niederdrückenden Mitleid und man begann gleichzeitig, die Herzogin zu tadeln, die, nur auf weltliche Vortheile für sich und ihre Freunde bedacht, es verabsäumt hatte, ihre Nichte auf den Weg des Heils und in die Arme der Kirche zu führen.

Renatus hatte von all diesen Gerüchten einen empfindlichen Rückschlag zu erleiden. Er sah sich von seinen Bekannten und Umgangsgenossen mit einer mehr oder weniger verhehlten Neugier betrachtet, die Näherstehenden wagten vorsichtige Fragen, um, wie sie behaupteten, den an sie von allen Ecken und Enden gestellten Erkundigungen entsprechen zu können, und die Verwirrung seines Gemüthes machte ihm die Nadelstiche, die ihm fortwährend zu Theil werdenden kleinen Verletzungen und Kränkungen nur empfindlicher, ihn nur ungeduldiger in ihrer Abwehr. Alles, was sich bis dahin ganz von selbst für ihn zurecht gelegt, ihn ganz natürlich gedünkt hatte, wurde ihm nun plötzlich zu einem Gegenstande, der reifliche Erwägung forderte. Es war zu bedenken, ob er in dem Palais der Herzogin bleiben könne, bleiben solle, zu bedenken, ob es gerathener sei, Paris zu verlassen, die Gesellschaft zu meiden und dem Uebelwollen das Feld zu räumen, oder sich zu behaupten und zu versuchen, in wie weit es möglich sei, auch Eleonoren dabei nützlich zu werden. Und bei dem allem lag ihm die Besorgniß, daß man seine Ehre antaste, ohne daß er das Geringste thun könne, dies zu hindern, schwer auf der Seele.

Hier und da stieß er auf Fragen, auf Andeutungen, die sein Blut zum Sieden brachten; mehrmals stand er auf dem[323] Punkte, die vorsichtig Zudringlichen, wie es sich nach seinen edelmännischen und militärischen Begriffen gebührte, zu blutiger Rechenschaft zu ziehen, aber die Besonnenen unter seinen Genossen und Kameraden wußten die Zerwürfnisse beizulegen und ihn zu beschwichtigen, indem man ihn daran mahnte, daß der Ruf der Gräfin durch jedes neue Aufsehen neuen Gefahren ausgesetzt sei, und daß in dem Verhältnisse, in welchem die preußischen Truppen sich in Paris befänden, für den Chef derselben nichts ungelegener kommen könne, als ein Duell unter seinen Offizieren, oder gar das Duell eines seiner Offiziere mit einem zum Hofe gehörenden Franzosen.

Trotz ihrer Krankheit verlangte die Herzogin es auch ganz ausdrücklich, daß ihr junger Gast unter ihrem Dache bleiben solle. Sie ließ es ihn durch den Arzt wissen, daß es ihr beruhigend sei, einen ihr befreundeten Menschen in ihrer Nähe zu haben, für den die Ungunst ihres Königs kein Grund sein könne, sich von ihr zurückzuziehen, und dem sie keinen Nachtheil zuzufügen fürchten müsse, wenn er sich ihr anhänglich erweise. Mit zitternder Hand schrieb sie ihm an einem der folgenden Tage, daß sie ihn noch zu sehen hoffe, ehe sie vom Dasein scheide, und da die Freude an der schönen Form in ihr nur mit dem Leben selbst erlöschen konnte, fügte sie den zwei Zeilen am Schlusse die Wendung zu: da sein Vater ihr in Leid und Sorge seine Hand gereicht, so habe der Himmel wohl die Hand des Sohnes auserwählt, ihr die müden Augen zuzuschließen.

Renatus blieb also in ihrem Hause. Von Seiten seiner Freunde und Vorgesetzten sah man dies gern. Es ließ ihn schuldlos an dem Geschehenen erscheinen, und er selber war zu reinen Sinnes, um es der Herzogin zuzutrauen, daß sie ihn gerade deßhalb und eben nur aus Rache gegen Eleonore bei sich festzuhalten suchte.

Wenige Tage nach der Abreise der Gräfin, als Renatus[324] sich eines Abends zu Hause und einsam in seinem Zimmer befand, ward der Abbé ihm angemeldet.

Er sagte, daß er eben erst angekommen sei, daß er eben erst mit höchster Bestürzung das Geschehene erfahren habe. Mit mehr Lebhaftigkeit, als er seinem Ausdrucke sonst zu geben pflegte, beklagte er es, daß er nicht im Stande gewesen sei, dem Rufe der Gräfin zu folgen. Er beurtheilte sie weit weniger streng, als in seiner letzten Unterredung mit dem Freiherrn, versicherte, daß er ihr gleich heute schreiben werde, und billigte es durchaus, daß Renatus in der Nähe der Herzogin geblieben sei. Dann ließ er sich bei dieser anmelden und wurde von ihr trotz der späten Abendstunde angenommen.

Von dem Tage ab kehrte er regelmäßig am Morgen und am Abende wieder, und der Arzt that keinen Einspruch dagegen. Das Uebel der Kranken stellte sich als ein unheilbares heraus und machte raschen Fortschritt. Man gönnte ihr also jede Erquickung und Zerstreuung, deren sie begehrte. Der Abbé kam und ging. Er hatte es vor Niemandem Hehl, daß er an einer Aussöhnung der Herzogin mit ihrer Nichte arbeite; er hatte sogar verschiedene Zusammenkünfte mit dem alten Fürsten von Chimay, den er in das Interesse zu ziehen suchte. So lange man auf die Verbindung Eleonorens und des Prinzen Polydor gerechnet hatte, war es zwischen den Betheiligten als selbstverständlich angesehen worden, daß Eleonore die Erbin der Herzogin wurde und daß auf diesem Umwege der Prinz zu dem Besitze des Vermögens gelangte, welches die Herzogin ihm zuzuwenden wünschte. Jetzt wollte sie ihrer Nichte natürlich diese Vortheile entziehen, und der Fürst seinerseits wünschte sie zur Abfassung eines Testamentes zu Gunsten seines Sohnes zu veranlassen; aber wider sein Erwarten stieß er auf ein Widerstreben bei der Herzogin.

Ihr Beichtvater, welcher auf den Wunsch ihres alten Freundes mit ihr zuerst von dieser Angelegenheit gesprochen,[325] hatte eben dadurch ihr Mißtrauen erregt, und es hatte kaum einer Mühe für den Abbé bedurft, um die Herzogin zur Mittheilung ihrer Sorgen und Bedenken zu veranlassen. Sie nannte es eine unbegreifliche Härte, daß man von ihr mit der Erbeinsetzung des Prinzen Polydor ein Zugeständniß fordere, welches sie zu machen durch ihr ganzes Leben vorsichtig vermieden habe.

Da mir das Loos gefallen ist, mit meines Königs Ungnade belastet von der Welt zu scheiden, sagte sie, wäre es ein Verbrechen gegen mich selbst, wenn ich meine Hand in meinen letzten Stunden noch selbstmörderisch an meinen Ruf und an meine Ehre legen sollte! – Und der Abbé bestärkte sie in dieser Ansicht.

Er behauptete gegen den alten Fürsten wie gegen den Prinzen Polydor, in deren engstes Vertrauen er sich auf diese Weise plötzlich gezogen fand, daß man die Empfindungen der Sterbenden zu ehren und zu schonen habe, und als des Hin- und Herredens und des Verhandelns kein Ende werden wollte, that er endlich einen Vorschlag, auf den Niemand zuvor verfallen war.

Er schilderte dem Prinzen die üble Lage, in welche die Gräfin sich versetzt hatte, spielte darauf an, daß in dem Wappen der Fürsten von Chimay sich ein gefesseltes Weib befinde, weil der erste Chimay seinen Adel durch eine an einer Jungfrau geübte großmüthige That errungen habe, und er rieth dem Prinzen, dem Beispiele seines Ahnherrn Folge zu leisten.

Glück und Unglück haben verschiedene Maßstäbe, erzeugen verschiedene Ansichten, sagte er. Was man in der Fülle des Glückes, in voller, freier Sicherheit zurückweist, das ersehnt man in der Stunde der Gefahr. Er behauptete zu wissen, daß nicht wirkliche Abneigung gegen den Prinzen, sondern nur die eigensinnige Auflehnung der Gräfin gegen das, was sie als eine List der Herzogin bezeichnete, den ganzen beklagenswerthen Vorfall[326] veranlaßt habe. Er sprach den Glauben aus, daß es eben jetzt in der Macht des Prinzen stehe, von der Dankbarkeit und Achtung der Gräfin zu erlangen, was seine Liebe bisher vergebens von ihr erbeten hatte. Er schlug dem Prinzen vor, sich schriftlich gegen die Herzogin zu Eleonorens Gunsten auszusprechen, ihr zu erklären, wie er an dem Charakteradel und der hohen Sinnesreinheit Eleonorens keinen Zweifel hege, und wie er es beklage, wenn seine liebende Ungeduld vielleicht mit dazu beigetragen haben sollte, die unheilvolle Vermittlung Seiner Majestät heraufzubeschwören. Schließlich aber gab der Abbé den beiden Fürsten zu bedenken, daß es eine große, eine schöne Handlung sei, wenn ein Mann mit dem Schilde seiner unbefleckten Ehre sich eines Mädchens wie die Gräfin annehme, und wie es völlig unmöglich sei, daß ein solches Mädchen der Großmuth des sie beschützenden Mannes dauernd widerstehen könne. Er kam immer darauf zurück, daß für den Prinzen Alles zu gewinnen oder Alles zu verlieren sei, und daß derselbe der Herzogin seine Anhänglichkeit besser nicht beweisen könne, als indem er, gleichviel, ob auf geradem Wege oder auf einem Umwege, ihr zur Verwirklichung ihrer Absichten und Wünsche behülflich werde.

Darüber verlief eine Reihe von Tagen, und Renatus hatte gerade sein Urlaubspatent erhalten, als man ihn in der Nacht weckte, weil die Herzogin zu sterben glaube und ihr Testament zu machen vorhabe, bei dem sie der Zeugen nicht entbehren könne.

Es war eine große Aufregung im Hause; man hatte in den Corridoren und auf der Treppe die Lampen in Eile angezündet, das Portal war offen. Fast gleichzeitig fuhren die beiden Wagen der Herzogin in dasselbe ein. Sie hatte die Prinzen von Chimay, Vater und Sohn, und ihren Beichtiger zu sehen verlangt, und man hatte sich beeilt, sie herbeizuholen. Der Notar und der Arzt waren schon vor ihnen angelangt; Renatus fand sie alle um die Sterbende versammelt.[327]

Die Herzogin saß, von ihren Frauen unterstützt, trotz ihrer Schwäche hochaufgerichtet auf ihrem Lager. Obschon das Haupt ihr müde herabsank, sahen doch ihre scharfen Augen noch fest umher, und sie hatte für Jeden ein Wort, ein Zeichen des Bemerkens, wie in ihren guten Tagen.

Als sie alle diejenigen beisammen fand, die sie hatte rufen lassen, ersuchte sie den Notar, den Anwesenden das Testament vorzulesen, wie er es nach ihren Anordnungen niedergeschrieben hatte. Sie hörte, weil die Brust ihr sehr gepreßt war, nur wenig danach hin, während er das Formular vorlas, aber sie richtete mit Anstrengung ihr Haupt in die Höhe, und ihr Auge ging von dem greisen Fürsten zu dem Prinzen und von diesem zu dessen Vater zurück, als der Notar die Worte aussprach:

»Auf den Wunsch und die Fürbitte meiner beiden werthen Freunde, des Fürsten August Philipp von Chimay und seines Sohnes, des Prinzen Philipp Polydor von Chimay, vermache ich meinen ganzen Besitz, er mag Namen haben, welchen er wolle, an meine Nichte, Eleonore Corinna Marquise von Lauzun, Gräfin von Haughton, unter der Voraussicht, daß sie sich meinem Wunsche und dem Befehle Seiner Majestät des Königs in Gehorsam fügen und den Prinzen Polydor, nachdem sie ihren Irrglauben abgeschworen und sich dem alleinseligmachenden Glauben überantwortet hat, in Anerkennung seines verzeihenden Herzens und seiner großmüthigen und edelmännischen Gesinnung, zu ihrem Gatten wählen werde. Sollte sie sich dessen weigern, sollte sie mir die Genugthuung versagen, die ich von ihr zu erwarten berechtigt bin und welche die letzte ist, die ich noch hienieden erhoffen kann, so will ich, allem Irdischen mich abwendend, nur auf das Heil meiner unsterblichen Seele bedacht sein. Von dem Tage ab, an welchem man die Wappen des Hauses Lauzun-Duras auf meiner Ruhestätte in der Kirche zu Vaudricourt, an der Seite meines vielgeliebten Gatten, des verstorbenen[328] Herrn Herzogs Moriz Alibert Chlodwig von Duras, befestigen wird, sollen, sofern die Gräfin Haughton die Hand des Fürsten Polydor nicht annimmt, die frommen Väter des Jesuiten-Klosters zu Malanche die alleinigen Erben meines ganzen Vermögens und Besitzes werden, damit mein Andenken in Liebe und Verehrung auf der Erde erhalten bleibe und meiner armen Seele die Gebete und die erlösenden Fürbitten nicht fehlen mögen, auf welche ich in dem Falle von meiner Nichte, der Gräfin Haughton, nicht zu rechnen haben würde.«

Der Notar hielt inne. Er las danach den Schluß des Formulars, man reichte der Herzogin die Feder hin, hielt einen Leuchter so in die Höhe, daß sie sehen und schreiben konnte, ohne von dem Lichte geblendet zu werden, und erwartete, daß sie jetzt unterzeichnen würde. Aber sie zögerte, es zu thun.

Langsam und prüfend blickte sie den Prinzen, blickte sie den Fürsten noch einmal an. Keiner von beiden, man konnte es in ihren Mienen lesen, hatte diesen Schluß des Testaments erwartet. Auch der Beichtvater der Herzogin zeigte sich überrascht; auf eine Wendung des Testamentes, die Alles von der Entscheidung der Gräfin abhängig werden ließ, hatte er nicht gerechnet.

Es war todtenstill im Zimmer. Renatus, der auf der linken Seite des Lagers der Herzogin zunächst stand, meinte in ihren erstarrenden Zügen plötzlich noch einmal jenes überlegene sarkastische Lächeln zu gewahren, vor dem er als Knabe Scheu getragen hatte und das ihm immer unheimlich geblieben war.

Die Herzogin athmete immer schwerer. Wie betrübt sie sind! sagte sie kaum hörbar. Wie betrübt sie Alle sind! Mein Tod macht Niemanden froh, und sie werden Alle, Alle lange an mich denken! – Die Feder, die Feder! – Licht, schnell das Licht! rief sie mit letzter, plötzlicher Kraftanstrengung, und die Hand mit Gewalt fest auf das Papier auflegend, daß sich[329] ihre Schwäche nicht verrieth, unterzeichnete sie mit klaren Buchstaben ihren vollen Namen. Dann ließ sie die Feder fallen, ihr Haupt sank ihr zurück, und ehe noch die Zeugen ihre Namen unter das Testament geschrieben hatten, war die Herzogin gestorben.

Jeder von ihnen hatte seine besonderen Rückerinnerungen bei dem Tode dieser Frau. Eine halbe Stunde später war das Zimmer verlassen. Der Notar traf die nöthigen gerichtlichen Maßregeln, die herrenlose Dienerschaft ging ihrem Belieben nach.

Am Hofe vernahm man die Kunde von dem Tode der Herzogin ohne besondere Theilnahme und ohne irgend ein Erstaunen. Man fand es natürlich, daß des Königs Ungnade ihr das Herz gebrochen hatte. Als aber der Monarch, im Angedenken alter Freundschaft, den Befehl gab, daß sein Wagen den Leichenzug der Herzogin eröffnen solle, folgten der Hof und die zu ihm gehörende Gesellschaft dieser Anweisung, und die Herzogin wurde mit allen Ehren ihres Standes zur Ruhe bestattet.[330]

Quelle:
Fanny Lewald: Gesammelte Werke. Band 6, Berlin 1871, S. 320-331.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lewald, Fanny

Clementine

Clementine

In ihrem ersten Roman ergreift die Autorin das Wort für die jüdische Emanzipation und setzt sich mit dem Thema arrangierter Vernunftehen auseinander. Eine damals weit verbreitete Praxis, der Fanny Lewald selber nur knapp entgehen konnte.

82 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon