Neuntes Capitel

[307] Die Gräfin und Hildegard hatten die Ruhe nicht so leicht gefunden. Das Erbe, welches der Letzteren zugefallen, war noch weit beträchtlicher, als man es erwartet hatte, und der Gedanke, die Tochter ohne alle Nothwendigkeit mit dem Grafen Gerhard sich verbinden zu sehen, dessen Vergangenheit, trotz der Gunst und königlichen Gnade, deren er sich gegenwärtig rühmen durfte, doch immer eine bedenkliche blieb und für den eine Herstellung nicht zu hoffen war, während man ein langes, furchtbares Siechthum für ihn befürchten mußte, widerstrebte der verständigen Einsicht der Mutter auf das höchste. Aber ihre Vorstellungen, ihre Bitten, ihre Ermahnungen scheiterten an Hildegard's Entschlossenheit.

Der Graf hatte sich seit Jahren ihrer Neigung zu bemeistern gewußt, er hatte sich ihr so geschickt und mit so vielem Behagen an der von ihm verübten Täuschung immer als einen durch sie Bekehrten dargestellt, ihre Neugier auf die Geheimnisse in seiner Vergangenheit war von ihm so unmerklich geweckt und befriedigt worden, seine halben Bekenntnisse hatten ihre Begriffe von Sitte, von des Mannes ihm oft verderblicher Freiheit und von des Weibes großmüthig verzeihender Liebe so verfälscht, daß die Gräfin es plötzlich mit Erstaunen wahrnahm, wie der Boden sich verändert hatte, auf welchem ihre Tochter stand. Es fiel ihr schwer, zu glauben, daß Hildegard, obschon sie in der Mitte der Dreißiger war, für den um zwanzig Jahre älteren, kranken[307] Mann je etwas Anderes als antheilvolles Mitleiden, als eine dankbare Ergebenheit empfunden haben könne. Indeß Hildegard hatte sich so fest in den Gedanken eingelebt, der Schutzengel des Grafen zu sein, und dieser hatte während ihres ersten gemeinsamen Aufenthaltes in dem Badeorte die leidenschaftlich erregte Empfindung und die nicht minder aufgeregte Sinnlichkeit des von Renatus verlassenen Mädchens von Anfang an so geschickt von Renatus auf sich zu übertragen gewußt, daß Hildegard schon lange an den Grafen gekettet gewesen war, ohne sich dessen bewußt zu sein. Trotz aller Vorstellungen der Mutter nannte sie sich entschieden glücklich, dem geliebten Manne, dem sie, und sie allein, den Glauben an alles Edle und Erhabene wiedergegeben hätte, den Abend seines Lebens verschönen zu können, und in seiner reinen, sie anbetenden Liebe einen reichen Ersatz für die Leiden zu finden, welche der Leichtsinn des Freiherrn Renatus ihr bereitet hatte.

Alles, was die Gräfin von der Tochter an dem Abende erlangen konnte, war das Zugeständniß, daß die Verlobung nicht bekannt gemacht werden solle, ehe man nicht die Prinzessin, welche sich Hildegarden stets als eine so gnädige Beschützerin gezeigt, davon in Kenntniß gesetzt und ihren Rath und ihre Zustimmung dazu erbeten haben würde. Aber schon bei ihrem Erwachen begrüßten ein Brief und eine Sendung des Grafen seine Braut, und noch ehe die Stunde gekommen war, in welcher man daran denken konnte, die Prinzessin aufzusuchen und bei ihr vorgelassen zu werden, brachte einer ihrer Lakaien Hildegarden ein paar Zeilen von der Prinzessin eigener Hand, mit denen sie ihr zu der Wendung, welche ihr Schicksal genommen habe, ihren Glückwunsch aussprach. Sie nannte es schön, daß ihr früheres Liebeswerk ihr die Möglichkeit gewähre, in Werken der Liebe fortzufahren, und die Prinzessin rühmte dabei die Herzensfeinheit des Grafen ganz ausdrücklich, der ihr[308] vor allen Andern die Mittheilung des geschlossenen Bundes habe zukommen lassen, da er sicher gewesen sei, daß sie sich jedes Guten freuen würde, welches Hildegarden von der Vorsehung beschieden sei.

Damit stand nun die Verlobung als eine Thatsache fest. Denn der Graf hatte sich nach seiner früheren Geschäftserfahrung rechtzeitig daran erinnert, daß es Fälle gibt, in denen man rasch handeln und den Andern zuvorkommen muß, wenn man seiner Sache sicher sein will, und die Genugthuung, die er über seine Entschlossenheit fühlte, verlieh ihm, wie er meinte, wirklich eine neue Kraft.

Es war noch früh am Morgen, als er schon bei der Braut erschien, und es sah aus, als habe er heute des Dieners, auf dessen Arm er sich zu stützen pflegte, kaum noch nöthig. Hildegard eilte ihm auch gleich entgegen, ihm ihren Arm zu reichen, und der Graf hatte es so geschickt erlernt, sich mit allerlei kleinen Künsten von einem Platz zu dem andern fortzuhelfen, daß selbst die Gräfin Rhoden sich es nicht versagte, heute der Hoffnung auf seine Herstellung Raum in sich zu geben.

Die Mutter hatte gewünscht, ihrer verheiratheten Tochter gleich am Morgen die Nachricht von Hildegard's Erbschaft und Verlobung zukommen zu lassen, aber diese war anderer Meinung. Sie beabsichtigte, der Schwester die Kunde selbst zu überbringen, und das konnte nicht sogleich geschehen. Der frühe Besuch des Grafen, eine Besprechung mit dem Gesandten, die gerichtlichen Vollmachten, welche die neue Erbin auszustellen hatte, nahmen Zeit in Anspruch. Es verstand sich von selbst, daß die Verlobten sich ihrer Beschützerin, der Prinzessin, präsentirten, und es war natürlich, daß die Braut ihre jetzigen Möglichkeiten zu benutzen und sich für die Vorstellung bei der Prinzessin und eben so für den Besuch bei ihrer Schwester nach ihren neuen Verhältnissen einzurichten begehrte.[309]

Unter Besorgungen, Berathungen und Einkäufen gingen die Stunden hin. Hildegard und der Graf waren beide nicht die Stärksten, die ungewohnten Anstrengungen ermüdeten sie, Einer war für den Andern auf Schonung bedacht, man mußte etwas Ruhe haben, und der späte Nachmittag kam also heran, ehe man sich anschickte, zu der Schwester hinzufahren.

Die Stadt war schon leerer geworden, der König hatte sich, wie alljährlich, in ein böhmisches Bad begeben, die übrigen Hofstaaten rüsteten sich ebenfalls zum Aufbruche, und obgleich die Residenz damals noch nicht so groß war, daß man nicht bald vor das Thor gekommen wäre und außerhalb desselben nicht noch Feld und Wald und Wiesen genug gefunden hätte, suchte doch, wer es ermöglichen konnte, sich auch damals eine Veränderung des Aufenthaltes zu bereiten. Cäcilie und Vittoria aber weilten in der Stadt, denn Renatus war im Beginne des Sommers längere Zeit zum Ankaufe der Remonte-Pferde auswärts gewesen und war nun wieder seit einigen Tagen mit seinem Regimente zu den großen Manövern nach einer der benachbarten Provinzen kommandirt. Man konnte seiner Rückkehr erst in einigen Wochen entgegensehen.

Die Sonne brütete über der Straße und glänzte blendend aus den gegenüberliegenden Fensterreihen wieder. Hier und da wirbelte der Südostwind die Staubmassen empor, daß man sie wie Wolken vorüberziehen sah. Vor dem Hause belud man einen großen Reisewagen mit Koffern und Schachteln. Der Wirth, ein reicher Kaufmann, der das Erdgeschoß bewohnte, ging mit seiner Familie in ein Bad und wollte die kühlere Nacht für den Beginn seiner Reise benutzen. Cäcilie und Vittoria saßen schon eine geraume Zeit schweigend neben einander. Endlich erhob Cäcilie sich, und die Fensterflügel öffnend sagte sie: Welch ein staubiger Brodem auf diesen Straßen liegt!

Ja, entgegnete Vittoria, ich dachte es eben! Was für ein[310] Land und was für ein Leben ist es, in denen man mitten in der besten Jahreszeit sich den grausigen Winter ersehnt!

Cäcilie setzte sich wieder zu ihr. In Richten muß es heute schön sein! hob sie nach einer Weile an.

In dem leeren, wüsten Schlosse? entgegnete die Andere, und sich fächelnd, wie es ihre Gewohnheit war, rief sie nach längerem Schweigen: Wenn man nur wenigstens eine Stunde in das Freie fahren könnte!

Renatus hat die Pferde verkauft und noch keine ihm passenden gefunden – wir müssen uns gedulden, bis er wiederkommt! bedeutete Cäcilie wie entschuldigend, und schloß mit der Bemerkung, daß es innen in dem Zimmer erträglicher als draußen sei, das Fenster, welches sie eben erst geöffnet hatte.

Sie nahm ein Buch zur Hand und fing zu lesen an, aber man konnte sehen, daß sie nicht dabei war. Sie blätterte hin und her, legte es fort, griff nach einem Zeitungsblatte und schien auch von diesem nicht gefesselt zu werden. Vittoria sah ihr gelangweilt und ermüdet zu.

Die Aussicht, einen ganzen Sommer in diesen engen Stuben zu verbringen, rief sie dann mit Einem Male aus, ist mir wirklich ganz entsetzlich! – Und nach einer neuen Pause sagte sie, ihre eben erst gethane Aeußerung halbwegs vergessend: Ich wollte, Renatus hätte mich wenigstens gelassen, wo ich war – was hatte ich hier in der Stadt zu suchen?

Cäcilie antwortete ihr nicht gleich. Sie fühlte sich selbst gedrückt. Die neue Trennung von ihrem Manne ward ihr schwer, der ungerechte Vorwurf, den die Stiefmutter ihm machte, that ihr weh.

Renatus hat es gut gemeint, sagte sie endlich, und mich dünkt, Du von uns Allen hättest die meiste Befriedigung hier in der Stadt gefunden. Wenigstens hast Du oft genug versichert, daß Dir hier ein neues Leben aufgegangen sei. Du hast[311] Freunde gefunden, der Kronprinz zeichnet Dich aus, Du hast Genüsse aller Art ...

Beklage ich mich denn? fiel Vittoria ihr nach der Weise aller Derer in das Wort, die, keines zusammenhängenden Denkens gewohnt, von jeder in ihnen an geregten Vorstellung auf einen völlig veränderten Standpunkt geführt werden. Ich beklage mich ja nicht! Ich meine, ich hätte es von jeher bewiesen, daß ich mich in das Unabänderliche zu fügen und daß ich auch zu schweigen weiß!

Was nennst Du das Unabänderliche? fragte Cäcilie.

Glaubst Du, entgegnete die Stiefmutter, daß es behaglich ist, daß es für eine Frau, die, wie ich, Herrin in ihrem Hause zu sein gewohnt war, behaglich ist, abhängig wie eine Klosterschülerin zu sein?

Mich dünkt, Du wärst so ziemlich die Herrin in unserem Hause! wendete Cäcilie ein.

Vittoria lachte. Nennst Du es Herrin sein, wenn mein Sohn, wenn Renatus mich förmlich unter Deine Kontrole stellt? Wenn er mir die Weisung hinterläßt, daß ich in seiner Abwesenheit keine Besuche machen, Niemanden empfangen soll ....

Vittoria, rief die junge Baronin, entstelle die Thatsachen nicht! Renatus hat Dich nur gebeten, Emilio nicht bei Dir zu sehen, weil ....

Weil Emilio Dir den Hof macht! warf Vittoria ein.

Cäcilie wurde blaß vor Zorn. Laß das, ich bitte Dich! sagte sie sehr fest. Emilio's plötzliche Galanterie für mich täuscht weder meinen Mann noch mich! Sei zufrieden, wenn wir schweigen – das Schweigen ist nicht immer leicht!

Und schweige ich denn nicht, füge ich mich denn nicht in alles, was Renatus fordert? meinte Vittoria, die von ihrem früheren Klosterleben her ein Vergnügen in dem kleinlichen[312] Kriege mit ihrer Umgebung fand, das sie sich, sobald sie Langeweile hatte, nicht versagte.

O ja, rief Cäcilie, gewiß, Du schweigst, aber man sieht es Dir an, wie unbehaglich Du Dich fühlst, wie widerwillig Du Dich dem unerläßlich Gebotenen fügst! Und glaube mir, das lastet so schwer, so schwer auf meinem Manne und auch auf mir, fuhr sie, wider ihren Willen heftig werdend, fort, daß wir .... – Sie brach plötzlich ab.

Vittoria fragte, ob sie nicht vollenden wolle.

Indeß die junge Frau hatte sich schon wieder zusammengenommen. Sie bereute ihre Aufwallung, denn Renatus wollte durchaus den Frieden in seinem Hause aufrecht erhalten haben, und bemüht, dieses Ziel zu erreichen, bemüht, ihrem Manne vielleicht durch eine Erörterung mit seiner Stiefmutter das Leben zu erleichtern, sagte sie, sich überwindend: Du bist wirklich nicht gerecht gegen uns, beste Vittoria! Du weißt es, glaube ich, wirklich nicht, wie schwer der arme Renatus es hat! Er thut für Dich und für uns alle, was er kann, aber .... – sie zögerte auf's Neue und sagte dann endlich, als müsse es einmal ausgesprochen werden: Er will freilich nicht, daß Du darum weißt, indeß Du kannst ja ohne das seine Handlungsweise nicht begreifen, und ich kenne ja auch Deine Liebe für ihn und mich, wennschon Du manchmal an die unsere für Dich nicht glauben willst! – Sie machte eine Pause, dann fuhr sie fort: Heute zum Beispiel – wie gern wollte ich Dir einen Wagen holen lassen! Ich führe ja auch selbst gern vor das Thor hinaus! Aber unsere Einkünfte sind nicht groß, und das Leben kostet hier so viel! Dazu .... – sie näherte sich der Stiefmutter, nahm ihre Hand und sagte: Versprich mir, daß Niemand, am wenigsten Renatus darum erfährt, und laß es Dich nicht kränken, wenn ich sage, daß das ganze Unheil nur von des Vaters falscher Großmuth herrührt – dazu ist Renatus seit den beiden letzten[313] Jahren immer in großer Geldverlegenheit gewesen. Wir haben schon im vorigen und in diesem Winter überlegt, wie wir es machen könnten, uns zurückzuziehen, ohne ein unangenehmes Aufsehen zu erregen, und nöthig wäre es, denn Renatus hat, von einem Wechselgläubiger gedrängt, sich schon vor anderthalb Jahren entschlossen, von unserem Pächter Vorschüsse zu nehmen. Es bleibt ihm in diesem Jahre also nichts mehr übrig, als die auf ihn laufenden unglückseligen Wechsel verlängern zu lassen, was neue, größere Kosten machen wird, während wir mit unserem Gehalte beim besten Willen nicht im Stande sind, unsere Ausgaben zu bestreiten! Hättest Du ihn je gesehen, wie ich, wenn die Zahlungstermine nahe kommen – und er hat ja schon in dem zweiten Jahre unserer Ehe die Hypothekenlast auf Richten noch erhöhen müssen – Du würdest Dich nicht mehr über ihn beschweren!

Die Stiefmutter hörte ihr ruhig zu, aber Cäcilie merkte, daß sie mit ihren Worten nicht den erwarteten Eindruck auf sie machte, denn Vittoria sagte, offenbar gelangweilt, sie verstehe von diesen Angelegenheiten nichts.

Gewiß, hob die junge Baronin, weil sie lebhaft wünschte, ihrem Manne vor Vittoria's Ansprüchen Ruhe zu schaffen, so freundlich als sie konnte, noch einmal an, Du verstehst das nicht genau, und ich – ich habe ja auch davon nichts verstanden oder vielmehr nie recht daran gedacht, bis ich es Renatus endlich anmerkte, daß ihn etwas drückte! Nun ich ihn aber gefragt habe, nun er mir Alles vertraut hat, nun ich weiß, weshalb Renatus für den Sommer unsere Wagenpferde verkauft und den Kutscher und den Diener bis zum Winter abgeschafft hat, nun ertrage ich, weil es ja dem geliebten Renatus zu Hülfe kommt, den heißen, einsamen Sommer hier in unserem Hause auch weit besser! Und ich meine, auch Du wirst Dich gedulden um seinetwillen, Liebe! Er hat's gewiß nicht leicht, er hat oft schwere[314] Tage, und er ist ein Herr von Arten, von dem man in der Gesellschaft und im Regimente etwas erwartet! Er muß doch leben, wie es einem Arten zukommt!

Cäcilie fand eine Beruhigung darin, daß sie dies endlich ausgesprochen hatte. Sie hoffte durch diesen Beweis ihres unbedingten Vertrauens ihre Schwiegermutter mit den Einschränkungen auszusöhnen, die sich aufzuerlegen sie ihrem Manne versprochen hatte; aber Vittoria faßte es anders auf.

Ich habe Dich nicht unterbrechen mögen, Kind, sagte sie; indeß ich begreife nicht, weßhalb Du mir solche Mittheilungen machst, obenein, wenn Renatus Dir dies verboten hat. War ich es, die den Eintritt in die Welt begehrte, die unsere Vorstellung am Hofe forderte? Oder meinst Du, daß mein Luxus Deines Mannes Geldverlegenheit verschuldete?

Nein, nein, gewiß nicht! besänftigte sie Cäcilie, die bereits einzusehen begann, daß sie einen Mißgriff gethan hatte. Aber Du hegtest doch so gut wie ich die Neigung, die Gesellschaft kennen zu lernen, und Renatus hielt und hält es noch für nöthig, daß wir uns in ihr bewegen!

So muß er auch die Mittel schaffen, daß wir's können, entgegnete Vittoria mit großem Gleichmuthe, und er hat Unrecht, daß er Dich und mich mit Angelegenheiten peinigt, in denen wir ihm doch nicht helfen können! Sein Vater that das nie! Er machte Alles mit sich selber ab. Er war nicht kleinlich!

Renatus weiß davon zu sagen! fuhr Cäcilie auf; aber sie unterdrückte, was sie noch hatte hinzufügen wollen, und schweigend und in sich versunken blieb sie in dem Zimmer neben ihrer Schwiegermutter sitzen.

Sie war dieses Zusammenlebens mit Vittoria von Herzen müde, sie war der Nothwendigkeit des Scheinenmüssens höchlich satt. Wäre sie nicht in der Liebe ihres Mannes so glücklich gewesen, hätte sie sich nicht damit getröstet, daß er sich glücklich[315] in seiner Ehe mit ihr fühle, sie würde Hildegard oft um das ruhig bescheidene Leben in ihrer Mutter Hause beneidet haben. Bisweilen, wenn die Zahlungstermine für die Wechselschulden ihres Mannes herankamen, wenn sie berechnen konnte, wie jedes fortschreitende Halbjahr sie mit wachsender Gewalt in eine immer tiefere Verwirrung ihrer Verhältnisse hinabzog, hatten ihre Sorge und ihre Liebe für den Gatten ihr die verschiedensten Plane zu seinem Beistande eingegeben. Sie hatte sich an Eleonore, an Seba, an Tremann, an den Kronprinzen wenden und ihn um ein Darlehen angehen wollen, das mäßig zu verzinsen und dann allmählich abzuzahlen, nicht über ihre Kräfte gegangen wäre; indeß die leiseste Andeutung einer solchen Möglichkeit hatte stets ihres Gatten Zorn erregt, und sich bescheidend, weil sie nichts zu ändern vermochte, hatte sie sich gewöhnt, am Tage den Tag zu leben und sich mit den kleineren und größeren Entbehrungen und Ersparnissen zu beschwichtigen, die sie unter annehmbaren Vorwänden sich aufzuerlegen und den Ihren abzugewinnen geschickt erlernt hatte. Ward Renatus das gewahr, so schlug es ihn nieder, und seine Zärtlichkeit suchte dann nach einem Anlaß, Cäcilie für ihr Opfer freigebig zu entschädigen; aber sie hatte die Sorglosigkeit verloren, sich daran zu freuen, und auch jetzt war sie in trübe Befürchtungen versunken, als ein Wagen vor ihrer Thüre vorfuhr und der Diener des Grafen ihr seinen Herrn und die Comtesse Rhoden meldete.

Um diese Stunde? riefen beide Frauen, da der Graf, wenn er nicht das Theater oder ausnahmsweise eine Gesellschaft besuchte, gegen den Abend nicht mehr ausfuhr; es blieb ihnen jedoch nicht lange Zeit, über den Anlaß seines Kommens nachzudenken, denn auf Hildegard's Arm gelehnt, trat der Graf in das Zimmer ein, und sich auf den Sessel niederlassend, den sein Diener ihm schnell herbeiholte, sagte er: Um Vergebung, meine Freundinnen, daß wir Sie zu ungewohnter Stunde stören, aber[316] Glück ist etwas so Seltenes, daß ich meinte, ein paar Glückliche müßten zu jeder Zeit willkommen sein! Erlauben Sie also, fügte er lächelnd hinzu, daß wir uns Ihnen als Verlobte vorstellen!

Als Verlobte? wiederholten Cäcilie und Vittoria, ihren Ohren kaum vertrauend, und während die Letztere sich noch bemühte, ihr Erstaunen über dieses unerwartete Ereigniß in Glückwünschen zu verbergen, hatte Hildegard der Schwester Hände bereits ergriffen, und ihr tief in die Augen blickend, sprach sie in ihrem sanftesten Tone: Sieh', Cäcilie, nun ist Alles zwischen Dir und mir vergessen und Alles wieder, wie es war! Ich darf wohl sagen, wie es geschrieben steht: sie dachten es böse mit mir zu machen, aber der Herr hat es wohl gemacht! – Ich bin sehr glücklich, so glücklich, daß ich Dir Dein Glück von Herzen gönne! Schreibe das Renatus, oder ich will es lieber selber thun! Nicht wahr, geliebter Gerhard, wir wollen an Renatus schreiben? Ich denke, es soll ihm wohlthun, und auch Dir, Cäcilie, wird es das Herz befreien, daß ich glücklich, ja daß ich sehr glücklich bin!

Sie umarmte Cäcilie, sie umarmte Vittoria, sie war voller Zärtlichkeit, voller Vergebung für die Schwester, und doch war jedes ihrer Worte wie darauf berechnet, Cäcilie zu verwunden.

Mit großem Geschicke wußte sie, ohne der Gegenstände irgend zu erwähnen, die Schwester auf die neue, reiche Kette, an der sie ihre Uhr trug, auf den feinen florentiner Hut, auf den prächtigen türkischen Shawl aufmerksam zu machen, und von ihrer nahe bevorstehenden Hochzeit wie von der Badereise zu sprechen, die sie gleich nach der Hochzeit unternehmen würden. Nur ganz beiläufig erzählte sie, daß sie einen neuen Reisewagen kaufen werde, weil auf des Grafen Wagen für ihre Kammerjungfer nicht der nöthige Platz vorhanden sei, und von allen ihren beabsichtigten Anschaffungen sprechend, gelangte sie endlich[317] an das von ihr ersehnte Ziel, der Schwester die Mittheilung von dem reichen Erbe zu machen, welches ihr anheimgefallen war.

Dann erhob sie sich plötzlich mit der Bemerkung, daß es Zeit zum Aufbruche sei, und noch im Fortgehen wiederholte sie es der Schwester, daß sie und der Graf dem Freiherrn schreiben würden, um ihm Kenntniß von ihrem Glücke zu geben.

Gaetana brachte eben die Lampe in das Zimmer, als der Graf mit Hildegard sich entfernte.

Ist das Vorhaus schon erleuchtet? fragte Cäcilie lebhaft.

Die gnädige Frau haben ja befohlen, die Lampe in dem Vorhause immer so spät als möglich anzuzünden! wendete die Dienerin ein.

Cäcilie schwieg und biß sich in die Lippe. Hildegard wird immer einen gut erleuchteten Vorsaal, wird immer einen Bedienten haben! dachte sie in ihrem Innern, und von einer bittern Empfindung hingenommen, verließ sie das Gemach. Sie wollte wenigstens allein sein.[318]

Quelle:
Fanny Lewald: Gesammelte Werke. Band 7, Berlin 1871, S. 307-319.
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