Zweites Capitel

[19] Renatus war während der Feldzüge viel umhergeworfen worden. Er hatte gelernt, sich in den verschiedensten Verhältnissen schnell zurechtzufinden und auf verschlungenen Wegen seines Pfades nicht zu fehlen; aber eine so absonderliche Wirthschaft, wie die in seinem Schlosse, war ihm nirgend vorgekommen, und es war ihm leichter, überall leichter gewesen, sich durch fremde Verkehrtheiten durchzuschlagen, als im eigenen Hause und in der eigenen Familie Ordnung zu schaffen, besonders für ihn, der Ruhe und Frieden herstellen sollte, während er keinen anderen Gedanken hegte, als das einzige, in der allgemeinen Uneinigkeit anscheinend fest bestehende Verhältniß, seine Verlobung mit Hildegard, so bald als möglich aufzulösen.

Er kannte das Schloß kaum wieder, er konnte in seinem Vaterhause nicht heimisch werden, und nur allmählich vermochte er es einzusehen, wie man zu einer so grillenhaften Benutzung der verschiedenen Räumlichkeiten gelangt war und weßhalb man sich in einer so unbequemen und unzweckmäßigen Weise eingerichtet hatte. Allerdings hatte Hildegard ihm davon geschrieben, aber die Ungehörigkeit dieser Lebensweise stellte sich in der Wirklichkeit noch ganz anders als auf dem Papiere dar, und der Eindruck, welchen Renatus davon empfing, war ein sehr verdrießlicher.

Vittoria hatte gleich nach dem Tode ihres greisen Gatten die Zimmerreihe verlassen, die sie mit ihm getheilt und die der[19] verstorbene Freiherr auch mit seiner ersten Frau bewohnt hatte. Was sie dazu bestimmt hatte, darüber sprach sie sich nicht aus, aber Renatus konnte es sich denken; und als er dann eines Tages, neben ihr am Fenster stehend, in einer der Scheiben den Namen des Mannes eingeschnitten fand, dessen Brief an Vittoria er vernichtet hatte, blieb ihm kein Zweifel über die Beweggründe, durch welche seine Stiefmutter eben zu der Wahl dieser im Erdgeschosse gelegenen Räume veranlaßt worden war. Da man diese Wohnung seit einem halben Jahrhunderte wenig benutzt und während der Feldzüge die jüngeren Offiziere in dieselben einquartiert hatte, waren die altfränkischen Möbel, die Tapeten, die Vorhänge in denselben sehr arg mitgenommen. Für dergleichen fehlte jedoch der Baronin das Auge ganz und gar. Was sie an diese Räume fesselte, war völlig unabhängig von dem Zustande, in dem sie sich befanden. Ihr genügten sie. Sie schätzte es daneben, daß sie zu ebener Erde lagen, daß sie nicht nöthig hatte, eine Treppe zu steigen, wenn sie während der schönen Jahreszeit sich im Freien aufzuhalten wünschte, und für den Winter hatte sie sich auch nach ihren eigenthümlichen Bedürfnissen eingerichtet. Das schöne, große Bett aus ihrem Schlafgemache, einige Ruhesessel, ein Polsterlager, das sie sich bald nach ihrer Verheirathung hatte machen lassen, ihr Flügel und ihre Musikalienschränke waren in das große Gemach hinuntergebracht, in welchem Tag und Nacht die Feuer in den beiden Kaminen nicht erlöschen durften, weil es Vittoria nie verließ, wenn sie nicht zu einem Besuche in die Nachbarschaft fuhr. Neben ihr wohnten ihr Sohn und ihre Kammerfrau, und obschon es der Letzteren an Sinn für Ordnung nicht gebrach, wollte es ihr jetzt, wo die Baronin, ganz sich selber überlassen, ihren Neigungen nachgeben konnte, nicht gelingen, Herr über die phantastische Unordnung zu werden, in welcher Jene sich schon um deßhalb wohlgefiel, weil sie den entschiedensten[20] Gegensatz zu den Gewohnheiten der Gräfin Rhoden bildete.

Wäre Renatus nicht zu nahe dabei betheiligt gewesen, so würde der Weiberkrieg in diesem Schlosse ihn belustigt haben. Jetzt indessen war das anders. Da Vittoria die eigentliche herrschaftliche Wohnung nie betrat, hatte die Gräfin es auch nicht für angemessen erachtet, sich ihrer zu bedienen; und weil Vittoria oft am Tage schlief und dann bis tief in die Nacht hinein am Flügel musizirte, war die Gräfin darauf bedacht gewesen, sich vor solcher Störung ihrer Ruhe zu bewahren. Vittoria wohnte also im Erdgeschoß des linken Flügels, die Rhoden'sche Familie im zweiten Stockwerk der rechten Seite. Alle übrigen Zimmer waren zugeschlossen, und man hatte zwei Treppen und die ganze Flucht der langen Gänge zu durchwandern, ehe man aus dem einen feindlichen Lager in das andere gelangte. Das hatte jedoch für die Betheiligten nur wenig auf sich, denn die Gräfin und Hildegard vermieden die Baronin so sehr, als es nur möglich war, und Cäcilie, deren blühende Gesundheit die Kälte nicht zu scheuen brauchte, focht die Unbequemlichkeit nicht an.

Schon seit Jahren aß man nicht mehr gemeinsam. Vittoria liebte es nicht, sich an eine bestimmte Stunde zu binden, die Gräfin und Hildegard verlangten auch in diesem Falle nach einer strengen Pünktlichkeit, und wie über die Zeit, so hatten die Frauen sich auch über die Wahl der Speisen nie vereinigen können. Gaetana besorgte die Küche der Baronin, die Gräfin hielt mit ihren Dienstboten nach ihrer Weise Haus. Hildegard warf es Vittoria vor, daß sie sich mit ihrer süßen, fetten Kost unförmlich stark und träge mache, die Baronin hingegen wollte sich nicht zu einer Ernährung bequemen, bei welcher man so wie Hildegard verfalle und an den Nerven leide, und die Folge davon war, daß den ganzen Tag im Schlosse des Kochens und des Bratens kein Ende war, daß der Amtmann über den gewaltigen[21] Verbrauch von Brennholz klagte, daß die beiden Haushaltungen einander der unverantwortlichsten Verschwendung ziehen und daß Renatus gleich in den ersten Stunden von beiden Seiten mit Beschwerden und mit Anschuldigungen, mit Rathschlägen zu einer Aenderung und mit Forderungen und Ansprüchen behelligt wurde, die ihm, eben weil sie sammt und sonders kleinlich waren und den rechten Punkt des Uebels nicht berührten, äußerst lästig dünkten. Das waren jedoch im Grunde alles nur sehr unwesentliche Dinge gegen den Zwiespalt, den Renatus in sich trug, gegen dasjenige, was er mit sich selber und mit seiner Verlobten abzumachen hatte.

Der erste Eindruck, welchen er von Hildegard empfangen hatte, änderte sich auch im längeren Beisammenbleiben nicht. Sie war anderthalb Jahr älter als der Freiherr und nie schön gewesen. Nur die an blonden Mädchen schnell vorübergehende Frische der Jugend hatte sie diesem einst reizend gemacht. Jetzt, wo Renatus auf der Höhe seiner männlichen Kraft und Schönheit stand, näherte Hildegard sich ihrem dreißigsten Jahre, und weil sie magerer geworden war, traten die Kleinlichkeit und die Schärfe ihrer Züge unangenehm hervor. Dazu hatte, wie jedes Zeitalter den Menschen eine bestimmte Physiognomie anbildet, so daß nur wenig bevorzugte Naturen sich unabhängig von dem allgemeinen Typus zu freien und eigenartigen Persönlichkeiten ausbilden, die Stimmung, welche vor und während der Freiheitskriege in Deutschland herrschend gewesen war, auch der jungen Gräfin Rhoden ihren Charakter aufgeprägt. Die schweren Sorgen, welche jeder Einzelne zu tragen hatte, die Nothwendigkeit, für das Allgemeine bedeutende Opfer zu bringen und sich eben deßhalb in seinen eigenen Bedürfnissen zu beschränken, die Ergebung in große Unglücksfälle, zu der so Viele sich veranlaßt fanden, endlich die Selbstverläugnung, welche die deutschen Frauen und Mädchen an dem Siechbette der Verwundeten und Kranken über[22] sich genommen, hatten Hildegard vortrefflich erzogen, aber ihr auch ein eigenthümliches Gepräge aufgedrückt. Sie war sparsam und fleißig, anspruchslos in allen ihren Bedürfnissen, großer, ausdauernder Treue und Hingebung fähig, von einem starken Pflichtgefühle beseelt, und man hätte diese Tugenden vielleicht noch höher schätzen müssen, weil sie dieselben mit vollem Bewußtsein übte und in sich ausgebildet hatte. Grade diese Absichtlichkeit nahm ihr indessen die Natürlichkeit. Die Sanftmuth, deren sie sich befleißigte und die sie in ihrem ganzen Wesen kund zu thun strebte, wurde in ihrem Mienenspiele zu einem süßlichen Ausdrucke, ihre Hingebung ließ sie empfindsam erscheinen, und daneben machte ihre Strenge gegen sich selbst sie gegen die Anderen unduldsam. Mit jener Unerbittlichkeit und Selbstgenügsamkeit, denen man bei beschränkten Menschen, so Männern als Frauen, überall begegnet, hatte sie sich ein Tugendideal geschaffen, dem sie sich nachzubilden trachtete, und ohne den verschiedenen Naturen und Lebensbedingungen der Anderen irgend eine Rechenschaft zu tragen, verwarf sie Alles und Jeden, sofern sie ihrem Ideale nicht entsprachen.

Da sie in all ihrem Thun und Treiben berechnend geworden war, hatte sie bei dem Wiedersehen mit Renatus ihm gleich die ganze Fülle ihrer Liebe und die tiefe Innerlichkeit derselben darzuthun gestrebt. Aber sie hatte sich diese Scene so tausendfältig vorgestellt, sich dieselbe so oft und in allen ihren Einzelheiten so genau und mit so leidenschaftlichen Farben ausgemalt, daß die Wirklichkeit weit hinter der erwarteten Glückseligkeit zurückblieb. Hildegard war also trotz ihrer anscheinenden Versunkenheit völlig im Stande gewesen, nicht nur über sich selbst, sondern auch über ihren Verlobten genaue Beobachtungen anzustellen, und sie waren nicht dazu geeignet gewesen, sie über ihre Zweifel an seiner Liebe zu beruhigen. Schon daß er nicht zuerst nach ihr verlangt hatte, daß er nicht graden Weges zu[23] ihr gekommen war, hatte, wie sie es nannte, ihrem Herzen wehe gethan, und daß er dann so lange mit Valerio in seinem Zimmer und von ihr fern verweilen können, war für ihre Seele noch weit entmuthigender gewesen.

Alle ihre schlimmsten Ahnungen gingen in Erfüllung. Weinend sank sie ihrer Mutter, nachdem Renatus das Zimmer verlassen hatte, in die Arme; unter Thränen kleidete sie sich an; und diese Thränen trugen nicht dazu bei, sie zu verschönern. Es war vergebens, daß die Mutter ihr Muth einsprach, daß sie Renatus mit der Ermüdung entschuldigte, welche die unausbleibliche Folge einer langen Winterreise sei. Obschon auch der Gräfin das Erschrecken und die Kälte des Freiherrn sichtbar genug gewesen waren, gab sie der verzagten Tochter zu bedenken, daß in jeder langen Trennung der Keim zu gegenseitigem Mißverstehen liege. Sie erinnerte Hildegard daran, wie schnell, wie plötzlich einst ihr Verlöbniß mit Renatus geschlossen worden sei und wie das wahrhaft bräutliche Zusammengehören, wie ein Zuversicht gebendes Liebesverhältniß sich noch gar nicht zwischen ihnen habe gestalten können. Vor Allem jedoch warnte sie die Tochter, ihre Zweifel dem Wiedergekehrten zu verrathen. Sie beschwor sie, sich zu erheitern, sich zu schmücken, dem Verlobten unverhohlen die Freude kund zu geben, welche sie empfinde. Aber durch die lange Gewohnheit, sich in ihren Gefühlen mit Selbstbeobachtung und mit Selbstbewußtsein darzustellen, war Hildegard völlig unfähig geworden, sich zwanglos gehen zu lassen, und sie hatte kaum eingesehen, daß die Mutter Recht habe und daß sie wohl thun werde, wenn sie ihr folge, als sie sich auch schon in eine neue Rolle hinein versetzte, die ihr freilich noch weniger wohl anstand, als die bisher von ihr aufrecht erhaltene Kundgebung der stummen Liebe.

Sie war jetzt fest entschossen, ihren Kummer zu verbannen, sie wollte sich mit aller ihrer Energie aus der sehnsuchtsvollen[24] Braut in die glücklich Liebende verwandeln; indeß eine Miene, welche man durch lange Jahre festgehalten hat, läßt sich nicht leicht verwischen. Ihr lächelnder Mund wollte nicht mehr zu dem schwermüthigen Blicke, die Art, in welcher sie sich hüpfend dem Bräutigam an den Hals warf, nicht zu dem elegischen Tone ihrer Sprache passen, und wenn sie bei dem Eintritte des Geliebten nach fröhlicher Kinder Weise in die Hände klatschte, machte das einen solchen Gegensatz zu der wehmüthigen Neigung ihres Hauptes, die ihr zur anderen Natur geworden war, daß Valerio, der nicht von des Bruders Seite wich, und weder gewohnt war, seine Gedanken zu verbergen, noch den Ausdruck seiner Einfälle zurückzuhalten, eines Tages bei Hildegard's Anblick laut zu lachen anfing.

Wie kommst Du denn in ein grünes Kleid, fragte er, und obenein mit solchen langen Locken? Du siehst wie eine vergnügte Trauerweide aus!

Die Gräfin schalt den Knaben. Auch Renatus wies ihn mit strengem Wort in seine Schranken; aber Hildegard mißfiel auch ihm, seit sie zum Aufputze ihre Zuflucht nahm, mehr noch als am ersten Tage, und doch vermochte er das trennende Wort gegen sie nicht auszusprechen. Er konnte sich nicht entschließen, einem Weibe, das ihm liebend gegenüber stand, mit Härte zu begegnen. Er fühlte sich sehr unglücklich, ja, er betrachtete es als eine Erniedrigung, daß er sich genöthigt sah, sich der Zärtlichkeit eines ungeliebten Mädchens zu überlassen, welches offenbar entschlossen war, seine Kälte nicht zu beachten, seine Liebe durch ihre Geduld und Treue zu gewinnen und sich ihm nützlich und angenehm zu machen, indem es schon jetzt die Hälfte seiner Mühen und Sorgen auf sich nahm.

Ohne daß er es von ihr begehrte, sprach ihm Hildegard ihre Ansicht über seine Verhältnisse aus, von denen sie durch ihre eigenen Beobachtungen und Erkundigungen weit vollständiger[25] unterrichtet war, als Renatus es erwartete. Sie hatte denn auch mit reiflicher Ueberlegung jene Plane entworfen, von denen sie ihrem Bräutigam in ihren Briefen zum Oefteren gesprochen, und sie waren natürlich ganz auf jene Ausschließlichkeit des liebenden Beisammenseins berechnet, welchem Hildegard einst in der Stunde der ersten Trennung von dem Verlobten mit dem Ausrufe: Ich und Du – und Du und ich! ihren Ausdruck gegeben hatte.

Ihrem Sinne widerstanden Tremann's Rathschläge, von denen sie sich mit ihren sanften und doch eindringlich bohrenden Fragen bald durch den Freiherrn Kenntniß zu schaffen wußte, keineswegs. Denn Vereinfachung der Zustände war gerade dasjenige, worauf ihr Augenmerk gerichtet war. Sie stimmte daher der Meinung Tremann's auch völlig bei, daß man Neudorf und Rothenfeld verkaufen solle; sie hoffte mit dem Grafen Gerhard, daß der König, wenn er sähe, wie bedrängt Renatus sei und wie sehr er und seine Braut entschlossen wären, ihre Verhältnisse zu regeln, sich ihrer annehmen würde, und sie hatte bereits die genauesten Berechnungen über die Summe angestellt, welche man der Baronin aussetzen müsse, wenn diese mit ihrem Sohne erst an einem beliebigen anderen Orte ein Unterkommen gefunden haben würde. Daß die Gräfin Rhoden und Cäcilie sich mit dem kleinen, ihnen eigenen Vermögen nach der Hauptstadt zurückwenden würden, nahm Hildegard als selbstverständlich an, und sie erging sich also, so oft der Anlaß sich ihr dazu bot, in den Schilderungen des friedlichen und vollendeten Glückes, dessen sie und der Geliebte theilhaftig werden würden, wenn sie, von Sorgen und Widerwärtigkeiten nicht belastet, hier in Richten einzig auf einander angewiesen, einst nur für einander leben würden.

Es lag in dem Ernst der jungen Gräfin eine zwingende Kraft, aber sie hatte die Unart, immer wieder auf denselben[26] Gegenstand zurückzukommen, den Freiherrn an jedem Tage auf die Nothwendigkeit einer Entschließung hinzuweisen und dadurch ihn unablässig an die ganze Schwere seiner Sorgen zu erinnern. Er gestand es sich ein, daß sie in gewissem Sinne Recht habe, daß sie ein tüchtiger, ein ehrenwerther Charakter sei; er ließ sich sogar den Vorwurf von ihr gefallen, daß es ihm an Willensstärke fehle; indeß die Achtung, welche er ihr nicht versagen durfte, fachte die Liebe in ihm nicht wieder an. Sein Bedauern über die Unklugheit, ihr nicht aus der Ferne geschrieben zu haben, was er ihr weder verbergen konnte, noch verbergen wollte, verminderte sich dadurch nicht, und der Unfriede und die grillenhafte Lebensweise, welche in seinem Schlosse herrschten, traten ihm trotz alledem als der Uebelstand hervor, dem zunächst eine Schranke gezogen werden müsse.

Daß er diese Zustände, wie sie sich während seiner Entfernung herausgebildet hatten, daß er namentlich die Doppelwirthschaft nicht fortbestehen lassen könne, erklärte der junge Schloßherr den Frauen gleich am ersten Tage. Er ließ die Wohnung seiner Eltern öffnen, richtete sich in seines Vaters Zimmern ein, ordnete an, daß man um bestimmte Stunden und gemeinsam speisen solle, und wie diese Einrichtungen ihn des Alleinseins mit Hildegard zum Theil enthoben, so zeigten sämmtliche Frauen sich aus Eifersucht gegen einander mit Einem Male seinen Wünschen und Anweisungen fügsamer, als er es erwartet hatte.

Vittoria verließ ihr Gemach und stieg zur festgesetzten Zeit die Treppe bereitwillig hinauf, um der Gräfin und Hildegard die Rechte der Hausfrau in dem Versammlungszimmer und im Speisesaale nicht zu überlassen. Diese hinwieder hielten es für geboten, der Liebe und Zärtlichkeit entgegenzuarbeiten, welche Renatus immer noch für seine Stiefmutter hegte, und da die Einen wie die Andern das Bestreben hatten, den Heimgekehrten[27] festzuhalten, an sich zu fesseln und für sich einzunehmen, mäßigte ein Jeder sich in der Aeußerung und Darstellung des Unrechtes, das er erlitten zu haben glaubte, hielt Jeder sich mit den Ansprüchen und Anklagen, die er erheben zu müssen für nöthig ansah, vorläufig noch in gewissen Schranken zurück. Das gab dem Freiherrn Hoffnung und gewährte ihm eine Genugthuung; denn er besaß noch jenen guten Glauben des Unerfahrenen, welcher alles, was sich um ihn her gestaltet und vollzieht, als sein Werk, als die Folge seiner Anordnungen und Maßnahmen anzusehen liebt, ohne zu bemerken, welchen Antheil die Plane und Berechnungen der Andern daran haben, und ohne es gewahr zu werden, daß er oft nur ein Werkzeug ist, wo er sich als den Herrn und Meister fühlt.

Er zweifelte nicht daran, daß er seinen Willen durchgesetzt habe, als Vittoria plötzlich ihren Flügel und ihre Noten wieder in das Empfangszimmer hinaufbringen ließ; er ging mit Behagen in den Sälen umher, wenn die Frauen sich Abends um ihn versammelten, wenn Vittoria und Cäcilie und Hildegard bei ihren musikalischen Leistungen einen förmlichen Wetteifer verriethen, wenn die Frauen alle sich in freundlicher Zuvorkommenheit gegen ihn und gegen einander plötzlich überboten und keine von ihnen ein anderes Bestreben zu haben schien, als das, sich ihm angenehm zu machen und ihn so weit als möglich zufrieden und glücklich zu sehen.

Die Gräfin, deren Liebling ihre älteste Tochter stets gewesen war und welche jetzt noch mehr als früher wünschen mußte, das nicht mehr junge Mädchen durch die noch immer ansehnliche Heirath mit dem Freiherrn zu versorgen, that, so viel an ihr lag, einen Jeden zur Fügsamkeit in die Anordnungen des Hausherrn anzuhalten und Hildegard zu freundlicher Ergebung, zu gewinnendem Beharren, zu förderlicher Hülfsleistung zu ermuthigen. Es hätte jedoch bei einem Charakter wie dem von[28] Hildegard dieser Ermahnungen kaum bedurft, ja, sie waren im Grunde für sie vom Uebel, denn das Geflissentliche, welches sich in dem Wesen der jungen Gräfin ohnehin mehr, als es dem Freiherrn lieb war, überall verrieth, ward dadurch noch verstärkt. Es langweilte Renatus bald, beständig auf diese immer gleiche, ernste Ergebenheit zu stoßen, und wenn er nach seinen Unterredungen mit seiner Braut, wie Vittoria es nannte, aus dem Norden zu ihr in den Süden hinunterkam, fand er sich von seiner Stiefmutter angenehmer und heiterer unterhalten und in seinen eigenen Anschauungen über Hildegard bestärkt.

Vittoria hatte ihren Stiefsohn immer vor der gefährlichen Sanftmuth und vor der herrschsüchtigen Pflichttreue seiner Braut gewarnt. Jetzt klagte sie dieselbe unumwunden der Arglist und einer niedrigen Gesinnung an. Sie nannte es unschicklich und anmaßend, daß Hildegard, ohne dazu von ihrem Verlobten ermächtigt worden zu sein, mit seinen Beamten verkehrt und von ihnen Auskunft und Rechenschaft über seine Vermögensumstände gefordert habe. Sie bezeichnete es als einen entschiedenen Verrath, daß sie dem Grafen Berka einen Einblick in Verhältnisse eröffnet, den sie selbst sich nur durch ihre Zudringlichkeit erworben habe. Sie beschwerte sich über den herzlosen Hochmuth, den Hildegard beweise, wenn sie ihr, der Wittwe des verstorbenen Freiherrn, der Mutter ihres Verlobten, gleichsam den Thaler nachrechne, dessen sie für ihre kleinen Bedürfnisse benöthigt sei; und als Renatus, dessen offenem und großmüthigem Herzen jede Kleinlichkeit fremd und eben deßhalb auch in Anderen zuwider war, sich eines unwilligen Wortes bei dieser letzten Mittheilung nicht erwehren konnte, rief Vittoria, den Boden ihres Angriffes plötzlich wechselnd: Blick' diesem Mädchen doch nur einmal unbefangen in das verblühte, jeder Anmuth, jedes Liebreizes so beraubte Antlitz! Kannst Du an Liebesworte von den schmalen, blassen Lippen glauben, auf denen das Lächeln gleich zu Eis[29] gefriert? Kannst Du mit Freuden in solchen Armen ruhen? Nein, dieses Mädchen ist zur Gattin, zur Mutter nicht geschaffen! Ich müßte irre werden an Gott und an der Natur, wenn diesem selbstsüchtigen Herzen die Wonne der Mutterliebe jemals blühen könnte!

Vittoria hatte es oft erfahren, daß ihre wilde Beredtsamkeit ihre Wirkung auf den Stiefsohn nicht verfehlte. Wider ihr Erwarten aber blieb er ihr die Antwort schuldig. Das war gegen ihre Absicht, denn die Liebe, welche sie wirklich für Renatus hegte, und das Bewußtsein, daß sie mit ihrer Zukunft zum größten Theile auf seinen guten Willen angewiesen sei, machten sie in der Regel in ihren Aeußerungen vorsichtig. Sie würde sich auch nicht unterfangen haben, Hildegard mit solcher Entschiedenheit anzugreifen, ohne die Ueberzeugung, daß sie den geheimsten Gedanken des Freiherrn mit ihren Aussprüchen begegne, und sie irrte darin nicht, wenngleich er es nicht für angemessen fand, ihr dies einzuräumen.

Nur Eines hatte Vittoria übersehen, daß nämlich in Renatus seit seinem Aufenthalte in der Heimath und in seinem Schlosse sich ein neues Element entfaltete: er begann sich als Oberhaupt einer Familie zu empfinden. An die Unterordnung unter ein solches als an gute, adelige Zucht und Sitte von früh auf streng gewöhnt, gefiel er sich darin, jetzt für sich in Anspruch zu nehmen, was er früher hatte leisten müssen, und die Lage, in welcher die Frauen sich ihm gegenüber befanden, erleichterte ihm die ersten Schritte auf dem Wege zur Herrschsucht, den er, in dem besten Glauben an ihre Nothwendigkeit, betrat.

Er hatte am Tage seiner Ankunft den Bruch mit Hildegard beabsichtigt. Er dachte auch jetzt noch an denselben. Aber die Vorstellung, daß er diesen Schritt später so gut wie jetzt ausführen könne, daß es nur von ihm abhänge, in welcher Weise er sein Schicksal gestalten wolle, und vor Allem die ungewohnte[30] Nachgiebigkeit, der er begegnete, wohin immer er sich wendete, schmeichelten ihm mehr, als er es ahnte. Er täuschte sich darüber keinen Augenblick, daß Hildegard ihm mehr als gleichgültig sei, ja, daß sie ihm mißfalle; und doch konnte er in ihrer Nähe nie vergessen, was der Abbé ihm über die demüthige und hingebende Frauenliebe ausgesprochen hatte, doch mußte er, wie oft und verführerisch ihm Eleonorens Bild eben hier in der Zurückgezogenheit erschien, sich eingestehen, daß eine stolze gewaltsame Natur, wie sie, ihn auf die Länge nicht zu beglücken fähig gewesen sein würde. Denn es ging ihm wie allen den Männern, die in einem unklaren, aber darum nicht weniger richtigen Bewußtsein ihrer eigenen Schwäche vor jeder starken Frauenseele Scheu tragen. Sie sehen die Kraft als einen Fehler in den Frauen an, weil sie ihnen selber mangelt, und eben deßhalb schweben sie beständig in der doppelten Gefahr, von der Berechnung der Frauen absichtlich durch eine zur Schau getragene sogenannte unterwürfige Weiblichkeit getäuscht, oder von der wirklichen Unbedeutendheit gefesselt und beherrscht zu werden.

Selbst die Mißhelligkeiten und kleinen Händel, auf welche Renatus fast an jedem Tage, so sehr man sie ihm zu verbergen strebte, zwischen den einander jetzt mit erhöhter Genauigkeit beobachtenden Frauen stieß, dünkten ihn bald nicht mehr so unerträglich, als in den ersten Tagen und Wochen, denn sie gaben ihm die Gelegenheit, sich täglich der Herrschaft bewußt zu werden, welche er über die Personen ausübte, die er als seine Familie hielt und ansah. Und weil es ihm wider sein Vermuthen und des Grafen Voraussetzungen leicht genug gelungen war, durch sein bloßes Dazwischentreten ein schicklicheres Leben und Beisammensein in seinem Schlosse herzustellen, war er bald überzeugt, daß seine Berather, daß Tremann und Graf Gerhard, der Eine aus Unkenntniß der landwirthschaftlichen Verhältnisse, der Andere, weil ihm bei dem beginnenden Alter die Kraft und[31] Leichtlebigkeit der Jugend nicht mehr zu Gebote ständen, ihm auch von seinen Vermögensverhältnissen ein zu düster gefärbtes und eben darum kein völlig richtiges Bild entworfen hätten.

Er beschloß also, künftig nur seinen eigenen Augen zu vertrauen und sich bei der Ordnung seiner Angelegenheiten vor allen Dingen von dem Sachverhalte selbst zu überzeugen, ehe er sich auf irgend welche eingehende Besprechungen mit seinen Beamten einließ oder sich gar in Verhandlungen mit Dritten weiter vorwärts wagte.[32]

Quelle:
Fanny Lewald: Gesammelte Werke. Band 7, Berlin 1871, S. 19-33.
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